Ich sage Ihnen ehrlich, dass wir FREIEN WÄHLER uns nicht leicht getan haben, diesen vorliegenden Antrag zu stellen, da wir gegen verpflichtende Anordnungen von oben sind und wissen, dass jedes Jahr bereits sehr viele Schulen nach Dachau oder Flossenbürg fahren, um vor Ort Unterricht zu halten. Doch schließlich haben wir uns dafür entschieden, weil ein solcher Unterrichtsgang im Lehrplan des Gymnasiums bereits verpflichtend vorgeschrieben ist und wir keinen Grund sehen, warum Real- oder Mittelschüler nicht dort hinfahren sollten.
Zudem spricht einiges dafür, dass Schülerinnen und Schüler von dem Besuch einer KZ-Gedenkstätte oder eines NS-Dokumentationszentrums profitieren könnten. Wir FREIEN WÄHLER sind auch der Überzeugung, dass die unmittelbare Begegnung mit außerschulischen Lernorten wie politischen Institutionen, Gedenkstätten oder Museen große Möglichkeiten und Ansatzpunkte dafür bietet, nachhaltiges Wissen zu erzielen. Außerschulische Lernorte fördern das Verständnis und die Vernetzung von Unterrichtsinhalten und bilden so einen Mehrwert für die tägliche Unterrichtsarbeit, natürlich immer vorausgesetzt, dass ein solcher Besuch im Unterricht vor- und nachbereitet wird.
Junge Menschen lernen vor Ort auf eine andere Weise, weil ein geschichtsträchtiger Ort einfach schon von sich aus, von selbst wirkt. Das können alle Mitglieder des Bildungsausschusses, die im Jahr 2012 in Israel dabei waren und die Gedenkstätte Yad Vashem besucht haben, bestätigen. Ich möchte außerdem positiv erwähnen, dass die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit aufgrund eines Beschlusses des Bayerischen Landtags Klassenfahrten zu den bayerischen KZ-Gedenkstätten in Dachau und Flossenbürg finanziell unterstützt. Über die Landeszentrale werden für Schulklassen kostenlose Gedenkstätten-Führungen durch Lehrkräfte unterschiedlicher Schularten angeboten.
Das Angebot steht also zur Verfügung. Auch die Kosten sind überschaubar, weil bereits jetzt viele Schulen diese Kosten tragen. Deshalb plädieren wir dafür, dass an allen weiterführenden Schulen im Rahmen der Neukonzeption des "LehrplanPLUS" bei Mittelund Förderschulen ab der 8. Jahrgangsstufe und bei allen anderen Schularten ab der 9. Jahrgangsstufe der Besuch einer Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus verpflichtend zu verankern ist. Umso erstaunter mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass
sich die Kolleginnen und Kollegen der CSU im Bildungsausschuss dafür ausgesprochen haben, neben dem Gymnasium nun auch für Realschulen verpflichtende Besuche vorzusehen, aber für Mittelschulen und Förderschulen weiterhin nicht. Das ist unverständlich, wenn man sich Ihre Argumentation zu Gemüte führt. Sie sagen, dass an Mittelschulen die Klassen zu heterogen seien und dies deshalb schwierig umzusetzen sei.
Ja. – Sie führen weiter traumatisierte Flüchtlingskinder an, die mit diesem Besuch nicht umgehen könnten. Meine Damen und Herren, der erste Punkt ist gelinde gesagt lächerlich; denn an den Realschulen und Gymnasien sind die Klassen inzwischen sehr heterogen. Gerade an Mittelschulen bringt ein Besuch besonders eindrückliche Erfahrungen, die immun gegen antisemitische Einstellungen machen können. In Richtung der CSU sage ich deswegen: Die Schülerinnen und Schüler von Mittelschulen haben das gleiche Recht auf Bildung wie die Schülerinnen und Schüler an allen anderen Schularten.
Wir wissen natürlich, dass mit unserem Antrag der Antisemitismus nicht aus der Welt geschafft wird. Aber im Sinne von Max Mannheimer
- sollten wir alle Bausteine aufnehmen, um unserer Verantwortung gerecht zu werden. Ich bitte deshalb um Zustimmung.
Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Felbinger, Ihr Antrag ist gut gemeint. Sie haben vielleicht sogar einen guten Ansatz. Aber lächerlich ist bei diesem Thema gar nichts. Diese Aussage hätten Sie sich wirklich sparen können.
- Herr Kollege Aiwanger, Sie müssen jetzt nicht mitgüllen. Sie haben ein Gülleverbot da herin. – Der Antrag ist vielleicht gut gemeint, allein der Weg ist falsch. Es steht außer Frage, dass das Lehren und Lernen außerhalb des Klassenraumes wichtig ist und das Lernerlebnis intensiver macht. Herr Felbinger, das gilt ganz besonders für den Besuch der Gedenkstätten. Sie selbst haben gesagt, dass wir hier auf einem sehr guten Weg sind. Diese vertieften Einsichten liefern in der Tat wichtige Ansatzpunkte, um bei den Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein für ein dunkles Kapitel unserer Vergangenheit zu schaffen.
Deshalb ist es sinnvoll und wichtig, dass die Lehrkräfte, über die Schularten hinweg, die vielfältigen Möglichkeiten des außerschulischen Lernens nutzen und in ihren Unterricht lebendig zur Vertiefung einbauen. Der Mehrwert für den Unterricht sowie der Gewinn für die Schülerinnen und Schüler sind unbestritten. Dass die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit dabei seit vielen Jahren unterstützend wirkt und den Lehrkräften als kompetenter Gesprächspartner zur Seite steht, ist ein wichtiger Aspekt, der in dieser Form bundesweit einmalig ist.
Meine Damen und Herren, für die Aufarbeitung und das Gedenken ist ein ständiger Umgang mit unserer Vergangenheit notwendig. Herr Felbinger, wir alle wissen aber auch, wie sorgfältig und sensibel wir mit diesem Thema umgehen müssen. Dies gilt insbesondere für das Heranführen von Schülern an dieses Thema. Genau hier liegt das Problem, dessentwegen wir Ihrem Antrag nicht zustimmen werden. Warum soll der Besuch einer Gedenkstätte oder eines NS-Dokumentationszentrums für alle verpflichtend gemacht werden? Warum überlassen wir diese Entscheidung nicht den Lehrkräften, die Sie so gelobt haben, und den Schülerinnen und Schülern? Warum sollen wir für die Unterrichtsgestaltung strikte Vorgaben machen, statt die Lehrkräfte vor Ort individuell und eigenverantwortlich, nach der Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler, entscheiden zu lassen?
Herr Felbinger, Sie haben richtigerweise erwähnt, dass dieses Thema im Rahmen des "LehrplanPLUS", der jetzt für die Mittelschulen, die Realschulen und die Förderschulen neu aufgestellt wird, behandelt wird. Das Antragsthema ist dabei in der 8. und 9. Jahrgangsstufe zur Behandlung vorgesehen. Uns ist wichtig, dass die genannten Besuche für die Mittel- und Förderschulen eine Empfehlung sein und nicht verpflichtend verordnet werden sollten. Herr Felbinger,
ich unterstelle Ihnen, dass Sie um die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler an Förderschulen wissen. Diese Heterogenität ist sehr groß. Gerade hier ist ein achtsamer Blick, vor allem auf Schülerinnen und Schüler mit kognitiven und emotionalen Einschränkungen, notwendig. Ein Zwang wäre daher nicht zielführend.
Der langen Rede kurzer Sinn: Bei diesem Thema ist Fingerspitzengefühl und individuelle Einschätzung gefragt. Gerade an Mittelschulen haben wir Flüchtlingskinder und Kinder von Asylbewerbern. Darunter sind sehr viele Kinder aus muslimischen Familien, die keinen Zugang zu unserer Vergangenheit haben. Wir müssen dieses Thema gerade bei diesen Kindern behutsam angehen. Diese Kinder und deren Eltern werden noch sehr lange brauchen, bis sie sich mit unserer Vergangenheit identifizieren können.
In diesem sensiblen Bereich wird die Kompetenz der Lehrkräfte durch Fortbildungen und geeignete Materialien vertieft. Für die Wirtschaftsschüler ist eine verpflichtende Einführung solcher Besuche geplant. Die Schüler einer FOS oder BOS haben bereits in der Mittel- oder der Realschule Gedenkstätten besucht. Für diese Schüler ist das Thema damit abgedeckt. Eine verpflichtende Festlegung ist damit unnötig.
Unser Fazit: Letztlich kann und soll die Lehrkraft vor Ort im Rahmen ihrer pädagogischen Eigenverantwortung in den Mittelschulen und Förderschulen entscheiden. Die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit will dieses Thema Anfang des nächsten Jahres noch einmal aufgreifen und es zusammen mit den Schulen beraten.
Lieber Herr Felbinger, noch eine Schlussbemerkung: Ich glaube nicht, dass dem von Ihnen angesprochenen Antisemitismus, der latent hie und da sicher vorhanden ist, wenn vielleicht auch nicht in dem Maße, wie Sie das glauben, durch die zwangsweise Führung von Förderschülern durch KZ-Gedenkstätten wirksam begegnet werden kann.
Herr Kollege Steiner, einen kleinen Moment, bitte. Herr Kollege Piazolo hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön, Herr Piazolo.
Herr Kollege Steiner, ich stimme Ihnen völlig zu, dass dies ein sehr sensibles Thema ist, mit dem wir sorgfältig und vorsichtig umgehen müssen. Trotzdem ist mir die Unterscheidung, die Sie zwischen den verschiedenen Schularten getroffen haben, nicht klar geworden. Sie sprechen immer von
"Zwang". Ich würde nicht von einem Zwang sprechen, sondern von einer Verpflichtung, die auch nicht für jeden gelten soll.
Sie sagen: Wir lassen den Zwang im Gymnasium zu, wir weiten ihn jetzt auf die Realschulen und die Wirtschaftsschulen aus, wir machen jedoch eine Unterscheidung bei den Mittelschulen und bei den Förderschulen. Das leuchtet mir nicht ein.
Ich komme zurück zu unserem Antrag. Darin steht das Wort "verpflichtend". Das bedeutet aber nicht "verpflichtend für jeden Schüler". Sie haben die Förderschulen angesprochen und die Möglichkeit erwähnt, dass jemand einen Flüchtlingshintergrund hat und entsprechend belastet ist. Ein solcher Schüler könnte sagen: Ich halte das nicht aus; ich kann da nicht mitgehen. – Selbstverständlich muss man nicht hingehen. Wir planen keinen Zwang für jeden Einzelnen; so ist der Antrag nicht angelegt. Vielmehr wollen wir, dass man keine Unterscheidung zwischen den Schülern der Schularten macht und meint: Den Gymnasiasten können wir es zumuten, und da – das haben Sie nicht gesagt - ist es vielleicht sogar leichter für die Lehrkräfte, und bei der Mittelschule passt es vielleicht nicht in den Lehrplan – darin steht es übrigens; das haben Sie auch gesagt. Deshalb ist aus unserer Sicht eine grundsätzliche Verpflichtung für alle Schulen sinnvoll. Die Argumente, die wir hier vorbringen, konnten Sie zumindest aus meiner Sicht noch nicht entkräften. Dazu würde ich um eine Klarstellung bitten.
Ich habe ausdrücklich gesagt, dass mit Blick auf die Zusammensetzung der Schüler an Förderschulen und Mittelschulen ein Unterschied zum Geschichtsunterricht am Gymnasium besteht. Konkret bedeuten die Aufklärung und Diskussion über unsere Vergangenheit, über den Nationalsozialismus dort eine ganz andere Aufgabe als in der Förderschule oder in der Mittelschule, wo man wegen der Kinder, auch wegen der Zuwandererkinder, mit einer ganz anderen Baustelle zu tun hat; ich drücke es einmal so aus. Und wenn, dann hätten Sie es besser konkretisieren müssen.
Vielen Dank, Herr Kollege Steiner. – Für die SPD-Fraktion folgt nun Herr Kollege Rosenthal. Bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Steiner, ich hätte es mir nicht so schlimm vorgestellt. Das muss ich
ganz ehrlich sagen. Was Sie eben über Pädagogik erzählt haben, entspricht heute Gott sei Dank nicht mehr dem Stand der Lehrerausbildung und -fortbildung und der Einstellung von vielen Pädagogen in den Schulen.
Ich muss Ihnen auch an einer anderen Stelle widersprechen: Es gibt nicht nur ein bisschen Antisemitismus. Die ausländerfeindlichen Einstellungen sind in Bayern weit verbreitet. Ich zitiere die "Mitte"-Studie, die dies seit 2002 immer wieder -
- Kollege, äußern Sie das doch gleich in einer Zwischenbemerkung, und dann reden wir darüber. Ich weiß: auf einem Auge immer blind. Aber für Bayern sind die Ergebnisse besorgniserregend.
Ich zitiere gleich aus der Bertelsmann-Stiftung. Passen Sie dann auf, und dann bin ich auf Ihren Kommentar gespannt.
Herr Kollege Jörg, die "Mitte"-Studie zeigt, die Lage ist bundesweit besorgniserregend, und in Bayern ist sie besonders besorgniserregend. Jeder Dritte teilt hier ausländerfeindliche Einstellungen, und jeder Achte stimmt antisemitischen Aussagen zu, Herr Kollege. Und mitmachen und wegsehen war Teil der bürgerlichen Kultur im Nationalsozialismus.
Lublin, Auschwitz, Riga, Theresienstadt, Ispica und viele weitere europäische Orte rücken dadurch ganz nah an Deutschland heran. Ich zitiere unseren Bundespräsidenten Gauck:
Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes … Die moralische Pflicht, die auf uns liegt, erfüllt sich nicht nur im Erinnern … Aus diesem Erinnern ergibt sich ein Auftrag.