Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben. Er gehört zur Geschichte dieses Landes … Die moralische Pflicht, die auf uns liegt, erfüllt sich nicht nur im Erinnern … Aus diesem Erinnern ergibt sich ein Auftrag.
Diesen Auftrag haben wir auch ernst zu nehmen. Es ist eine bleibende Aufgabe, die Erinnerung auch unter den jüngeren Generationen wachzuhalten: so der Bundestagspräsident Lammert.
Millionen Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte Deutschlands und Europas fielen der Nazibarbarei zum Opfer. Dieses Erinnern ist wichtiger denn je. Das
zeigen neue Feuer in unserer Gesellschaft; Feuer, wie sie uns von bezugsfertigen Asylbewerberheimen im Kreis Nürnberger Land und in Tröglitz vor Augen geführt worden sind. Gesät wird dieser Hass gegen Menschen, die von den Tätern als anders empfunden werden, durch salonfähig gewordene Ausländerfeindlichkeit. Und unsere Frage ist doch: Wie reagieren wir darauf?
Wir waren uns hier im Hohen Haus einig, dass die Generation der Zeitzeugen ausstirbt. Wir waren uns einig, dass wir hier uns gemeinsam schützend vor die jüdischen Gemeinden stellen wollen. Deshalb ist doch zu Recht gesagt worden, dass viele Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens in Angst leben und dass sich die antisemitischen Einstellungen nicht geändert haben, sondern bleiben.
Laut der Studie der Bertelsmann-Stiftung "Deutsche und Juden - Verbindende Vergangenheit, trennende Gegenwart?" wollen 58 % der Befragten einen finalen Schlussstrich unter das Thema der Judenverfolgung ziehen und nicht mehr so oft darüber sprechen. 81 % der Befragten möchten die Geschichte der Shoa hinter sich lassen. Das sind doch Ergebnisse, die uns alarmieren sollten.
Vier Säulen sind wichtig: Gedenken, Dokumentation, Forschung und Bildung. Durch die Bildungsmaßnahmen tragen wir entscheidend zur geschichtlichen und politischen Bildung bei. Bildung ist der Schlüssel, wenn plumpe Parolen mit Ressentiments anfangen, Ressentiments sich zu Hass entwickeln und Hass sich zu Verbrechen entwickelt.
Dringender denn je brauchen wir eine kontinuierliche und lebendige Erinnerungskultur. Wir brauchen auch ein vermittelndes Bildungsangebot für alle Schulen, vor allen Dingen auch für die beruflichen Schulen. Wenn Sie sich die erwähnten Studien anschauen, dann müssten Sie eigentlich aufstehen und sich wachgerüttelt fühlen. Der Besuch von Täterorten und Dokumentationszentren trägt nicht nur zum besseren Verstehen bei, sondern bietet auch die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen.
Ich halte das, was Herr Professor Piazolo gesagt hat, für richtig. Ich bin dankbar, dass Sie das Wort "verpflichtend" relativiert haben; auch das war in unserer Fraktion ein Thema. Wir stimmen Ihrem Antrag zu, nachdem wir länger in der Fraktion darüber gesprochen haben, und zwar aus den grundsätzlichen Erwägungen, die ich gerade verdeutlicht habe.
Ja. – Gerade jetzt, während viele Menschen mit Migrationshintergrund zu uns kommen – da gehe ich direkt auf Sie ein, Herr Steiner – heißt das: In vielen Schularten müssen wir überhaupt erst eine Erinnerungskultur aufbauen. Dafür sind Begegnungen und Besuche der Täterorte genau das richtige pädagogische Mittel. Deshalb stimmt die SPD-Fraktion diesem Antrag zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir GRÜNE stimmen diesem Antrag zu. Wir hatten dazu im Bildungsausschuss eine etwas abstruse Diskussion geführt. Diese Abstrusität wurde jetzt vom Kollegen Steiner bestätigt und sogar verstärkt. Die CSU hat den Antrag nämlich mit dem Argument abgelehnt, die Schülerinnen und Schüler der Mittelschule und der Förderschule wären kognitiv und emotional nicht in der Lage, das alles zu begreifen. Was heißt das ganz konkret? Soll ich es übersetzen? Sind diese Schüler zu dumm, um den Inhalt zu erfassen? – Sollte das Ihre Aussage sein, wäre das traurig.
Sie verwenden die Begriffe kognitiv und emotional. Um zu begreifen, was in der NS-Zeit Schreckliches passiert ist, benötigt man keinen bestimmten Intelligenzquotienten. Stattdessen muss man mit allen Mitteln versuchen, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen, und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft und vor allem an den Schulen. Deshalb ist dies für alle Schultypen erforderlich.
Umfassend und gründlich bedeutet eben nicht nur intellektuell, sondern auch emotional. Von einer Gas
kammer zu lesen oder in eine hineinzugehen, ist ein Unterschied. Das tatsächliche Erleben dieser Orte des Schreckens sollten wir allen Schülerinnen und Schülern mitgeben. Das ist der Grund. Man kann etwas lesen und dann verleugnen und ignorieren. Wer jedoch einmal an einem solchen Ort war, wird nicht herausgehen und sagen: Alles, was erzählt wird, stimmt nicht. In unserer Gesellschaft gibt es immer noch genügend Leute, die den Nationalsozialismus verharmlosen oder behaupten, diese Gräueltaten wären so nicht passiert.
Selbstverständlich ist eine Vor- und Nachbereitung dieses Themas in der Schule absolut wichtig. Die Lehrer, und gerade die Mittelschullehrer, sind pädagogisch hervorragend ausgebildet. Kein Lehrer schickt seine Schulklasse im Rahmen eines Ausflugs in eine Gedenkstätte. Selbstverständlich muss das vor- und nachbereitet werden. Dafür muss man entsprechende Stundenzahlen und Mittel bereitstellen.
Menschen mit einer eher geringen Bildung neigen verstärkt dazu, rechtes Gedankengut zu verbreiten, ausländerfeindlich, chauvinistisch und antisemitisch zu sein sowie den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Heute haben wir schon über den NSU gesprochen. Der NSU ist eine terroristische rechte Vereinigung und hat allein in Bayern fünf unschuldige Menschen ermordet. Damit das in Zukunft nicht mehr passiert, ist alles wichtig, was die Menschen aufklärt. Dabei geht es nicht nur um unsere eigene Vergangenheit, sondern um die grundsätzliche Auseinandersetzung mit Diktaturen und mit der Frage, wozu Diktaturen fähig sind. Ich bitte Sie, ein Zeichen zu setzen und diesem Antrag gemeinsam zuzustimmen.
Danke schön, Frau Sengl. – Während sich Herr Staatssekretär Eisenreich auf den Weg zum Rednerpult macht, teile ich mit, dass die CSU-Fraktion namentliche Abstimmung beantragt hat. Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Morgen in einer Woche wird in der Landeshauptstadt München das NS-Dokumentationszentrum München eröffnet. Das ist eine beeindruckende Gemeinschaftsleistung der Stadt, des Freistaats und des Bundes. Diese Eröffnung erfolgt genau in den Tagen, an denen wir uns an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren erinnern. Das be
wegt uns in besonderer Weise. Wir setzen mit diesem NS-Dokumentationszentrum, das überparteilich und über die Grenzen der verschiedenen Ebenen hinweg realisiert wird, ein international beachtetes Zeichen. Damit entsteht ein weiterer Lernort zur Auseinandersetzung mit den Ursachen und den Folgen des Nationalsozialismus. Damit haben wir in Bayern künftig mit dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg, dem Dokumentationszentrum am Obersalzberg und dem Dokumentationszentrum in München drei herausragende Einrichtungen der Vermittlung von Zeitgeschichte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage das deswegen, damit man sieht, wie wichtig uns dieses Anliegen ist. Ich kann den FREIEN WÄHLERN, auch den Kolleginnen und Kollegen, die bisher gesprochen haben, nur zustimmen. Das Eintreten für Toleranz und Menschenwürde sowie der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus ist sowohl eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe, als auch eine zentrale bildungspolitische Aufgabe. Einen Schlussstrich, egal wie viele Leute das in unserer Gesellschaft leider wollen, kann und wird es auch nie geben.
Deshalb danke ich den FREIEN WÄHLERN für ihren Antrag. In der Zielsetzung sind wir uns einig. Der Antragstext weist jedoch nicht die notwendige Differenzierung auf. Deswegen habe ich auch mit den Dokumentationszentren angefangen. Es gibt einen Unterschied zwischen den Dokumentationszentren und den Gedenkstätten. Dokumentationszentren sind die drei Einrichtungen, die ich beschrieben habe. Als Gedenkstätten sind in erster Linie Dachau und Flossenbürg mit ihren jeweiligen Außenlagern zu nennen. Diese Gedenkstätten sind Orte der Erinnerung mit einer ganz besonderen Bedeutung. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das sind die Orte, in denen das NS-Terrorregime Menschen ihrer Würde beraubt, sie degradiert, traumatisiert und massenhaft ermordet hat. Insofern haben die Gedenkstätten eine singuläre Bedeutung in unserer Erinnerungskultur.
Wir möchten, dass die Schulen mit den Schülerinnen und Schülern im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus‘ auch historische Lernorte besuchen. Die KZ-Gedenkstätten haben als historische Lernorte für unsere Schulen in Bayern eine absolut herausgehobene Bedeutung. Deshalb gibt es eine nachdrückliche Empfehlung an alle Schularten, eine Gedenkstätte zu besuchen. Für die Gymnasien gibt es sogar eine entsprechende Verpflichtung. Der Besuch einer Gedenkstätte soll mehr leisten, als den Schülerinnen und Schülern Wissen zu vermitteln. Der Besuch soll dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler als Bürgerinnen und Bürger
verantwortungsvoll ethisch entscheiden können. Das erreicht man nur, wenn man didaktisch differenziert, nachhaltig und – jetzt bitte aufpassen – altersgerecht vorgeht. Darüber hinaus muss man die individuelle Situation und, wie gesagt, das Alter jedes Schülers berücksichtigen. Deswegen sind wir der Meinung, dass dies niemand so gut beurteilen kann wie die Lehrkräfte an den Schulen vor Ort.
Einen verpflichtenden Besuch bereits ab der Jahrgangsstufe acht vorzusehen, erschwert den Schulen eine pädagogisch angemessene Entscheidung. Wie ich höre, soll der Besuch jedoch keine Verpflichtung mehr sein. Die Zielrichtung ist völlig richtig. Dieses Ziel haben wir auch. Deshalb gibt es diese nachdrückliche Empfehlung für alle Schularten. Da der Antrag in seinen Formulierungen nicht zwischen Dokumentationszentren und Gedenkstätten differenziert und zu pauschal ist, lehnen wir ihn ab. Unabhängig davon werden wir beobachten, wie der Start des NS-Dokumentationszentrums in München die Schülerbesuchszahlen an den bayerischen und grenznahen Gedenkstätten beeinflusst und wie sich die anderen Dokumentationszentren entwickeln werden. Das ist ein sensibles Thema, das wir uns genau ansehen werden. Pauschale Anträge, wie dies beim Antrag der FREIEN WÄHLER der Fall ist, sind dem Thema nicht angemessen. Mir ist vor allem eines wichtig: Nachdem alle Kolleginnen und Kollegen aller Parteien in diesem Haus das gleiche Ziel haben, sollten wir uns bei den Details der Umsetzung nicht unnötig in die Haare geraten. Das ist dem Thema nicht angemessen.
Ich möchte mich auf jeden Fall bei den zahlreichen Lehrkräften sowie den Mitarbeitern in den Gedenkstätten und in den Dokumentationszentren herzlich bedanken. Sie setzen sich mit großem Engagement dafür ein, dass sich unsere Schülerinnen und Schüler intensiv mit den Ursachen und Auswirkungen der NSDiktatur auseinandersetzen. Das ist wichtig. Wir brauchen verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger. Dazu wird in den Schulen der Grundstein gelegt. Dort findet die Persönlichkeitsentwicklung mit statt, dort findet die Werteerziehung mit statt. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Damit leisten wir einen Beitrag zu dem, was du, lieber Kollege Felbinger, gesagt hast: Wir sind nicht verantwortlich für das, was passiert ist; aber wir alle tragen Verantwortung dafür, dass es nie wieder passiert. Wir müssen dieser Aufgabe gemeinschaftlich gerecht werden, dabei wachsam bleiben und die berechtigten Sorgen ernst nehmen. Aber ich denke, das tun wir alle gemeinschaftlich mit großer Verantwortung.
Danke schön, Herr Staatssekretär. – Wir haben noch zwei Zwischenbemerkungen: einmal Kollege Piazolo, dann der Kollege Rosenthal. – Herr Piazolo, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich wollte auf den Vorwurf der Pauschalität eingehen. Wir weiten in unserem Antrag nur das aus, was auch die Staatsregierung tut. Die Staatsregierung ist zur Einsicht gekommen, dass eine verpflichtende Teilnahme am Gymnasium nicht ausreicht, und hat die Verpflichtung sukzessive auf Realschulen und jetzt Wirtschaftsschulen erweitert. Wir glauben, dass es sinnvoll ist, alle Schularten einzubinden, natürlich mit unterschiedlichen pädagogischen Konzepten, natürlich – dazu will ich auch noch etwas sagen – mit einer unterschiedlichen Verpflichtungsintensität. "Verpflichtend" bezieht sich auf die Klasse, aber nicht unbedingt auf den Einzelnen, wie wir das vom Sport und aus anderen Bereichen kennen. Wenn jemand verletzt ist, wird er nicht zu einer Sportfreizeit mitgehen. Wenn jemand krank ist, wird er nicht ins Schullandheim mitfahren.
Insofern geht es nur darum – ich glaube, das ist der Punkt, um den wir gemeinsam streiten -, ob ein solcher Besuch für Schüler aus der Mittelschule oder gar aus der Förderschule genauso sinnvoll ist wie für Gymnasiasten. Ich sage es ganz offen: Ich kann diese Differenzierung nicht nachvollziehen, weil ich glaube, dass wir in der Pädagogik inzwischen so weit sind, dass wir die unterschiedlichen Schüler und Klassen gut auf so etwas vorbereiten können. Das wollte ich noch klarstellen.
Zunächst müssten sich die FREIEN WÄHLER entscheiden, was sie eigentlich wollen. Wollen Sie einen Besuch der Gedenkstätten oder der Dokumentationszentren, oder von beidem? Es gibt von uns die nachdrückliche Empfehlung für einen Besuch der Gedenkstätten. In dem Antrag ist unklar, ob das inhaltlich ausgeweitet wird oder nicht; denn unsere Empfehlung richtet sich auf einen Besuch der Gedenkstätten, weil wir diese historischen Lernorte, die diese besondere Bedeutung haben, in der Auseinandersetzung mit dem Thema und im Rahmen der Erinnerungskultur für sehr wichtig halten. Es wäre gut, wenn die Differenzierung, die Sie jetzt vorgenommen haben, auch im Antrag erkennbar wäre. Insofern ist uns der Antrag zu pauschal. Ich glaube, es macht Sinn, ein so sensibles
Herr Staatssekretär Eisenreich, erst einmal vielen Dank für die wohltuende Differenzierung in Ihrer Rede. Ich bemerke das Ringen, das Sie in dieser Rede zum Ausdruck gebracht haben. Meine Frage lautet: Ist es bei so viel Übereinstimmung in Ihrer Rede und angesichts der mehrfach von der antragstellenden Fraktion gekommenen Erklärung und ihres Eingehens auf die Einwände, die Sie vorgebracht haben und die auch uns an dieser Stelle bewegt haben – ich habe das zum Ausdruck gebracht – denn nicht möglich, dass wir eine gemeinsame Plattform finden und Sie sich als Fraktion und als Staatssekretär in der Verantwortung einen Ruck geben? Der Begriff "verpflichtend" ist doch sehr relativiert worden. Ich glaube, wir sind uns in pädagogischer Hinsicht einig, dass über alle Schularten hinweg gemäß der jeweiligen Schulart solche Besuche, entweder eines Dokumentationszentrums oder von Täterorten, durchaus möglich und sinnvoll sind. Ich frage Sie: Ist es in irgendeiner Form möglich, an dieser Stelle aufeinander zuzugehen? Ich wäre dafür sehr dankbar.
Vielen Dank für Ihre Wortmeldung und für diesen wohltuenden Beitrag. Wir können natürlich nicht im Plenum anfangen, Anträge zu formulieren.
Ich biete aber gerne an, dass wir uns noch einmal zusammensetzen und versuchen, zu einem Gemeinsamen zu kommen. Unsere Differenzierung geht zunächst einmal dahin – das ist wichtig -, dass es einen Unterschied zwischen Dokumentationszentren und Gedenkstätten gibt. Unsere Empfehlung für eine Teilnahme hat sich auf die Gedenkstätten bezogen. Wenn hier ein erweiterter Begriff vorgeschlagen wird und dies auch in einem anderen Rahmen als verpflichtend gesehen wird, würde ich vorschlagen, dass wir uns zusammensetzen und überlegen, ob wir vielleicht zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Dies wäre dem Thema übrigens wesentlich angemessener als eine große Debatte im Landtag zu führen, obwohl die Ziele die gleichen sind. Ich biete es an.