Protokoll der Sitzung vom 01.06.2016

Wenn unsere Frauen in Schwimmbäder gehen, sollten sie keine Bedenken haben, dass ihnen etwas widerfahren könnte. Das ist unsere Auffassung.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist die Aussprache geschlossen. Ich schlage vor, die Gesetzentwürfe dem Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Das ist der Fall.

(Zuruf des Abgeordneten Franz Schindler (SPD))

Wer ist dagegen? – Eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? – Keine. Dann ist das bei einer Gegenstimme so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein Bayerisches Betreuungsgeldgesetz (Drs. 17/9114) - Zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Nach der Geschäftsordnung beträgt die Gesamtredezeit der Fraktionen 48 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich an der Redezeit der stärksten Fraktion. Als erstem Redner erteile ich Herrn Kollegen Unterländer für die CSU-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Liebe Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bayerns Eltern wollen das Betreuungsgeld. Bayerns Eltern wollen einen Ausbau der Kinderbetreuung, der dem Bedarf entspricht. Bayerns Eltern wollen eine Vielfalt an Angeboten. Dafür haben wir als Politik zu sorgen. Wir sollten nicht selbst vorgeben, was Eltern zu haben wollen. Das ist der Unterschied in der Politik. Meine Damen und Herren, wir haben die Wahlfreiheit auf diese Art und Weise herzustellen.

(Beifall bei der CSU)

In den vergangenen Wochen haben uns im Bayerischen Landtag nahezu 2.000 Eingaben von Eltern, Großeltern und Familienangehörigen erreicht, die sich alle für ein Betreuungsgeld ausgesprochen haben. Sie wollen nicht, dass ihnen jemand vorschreibt, wie sie die ersten Jahre zum Wohle des Kindes und der Familie gestalten sollen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist das Betreuungsgeld nicht durch den Bund zu zahlen. Deshalb wollen wir die schnellstmögliche und nahtlose Einführung des Be

treuungsgeldes für die bayerischen Bürgerinnen und Bürger, die anspruchsberechtigt sind.

Dies ist auch ein klares Zeichen dafür, dass Familien mit Kindern die Basis bilden, auf der sich Menschen in ihrer frühen Lebensphase positiv entwickeln können. Daneben ist es aber auch die Voraussetzung für den Kitt, den wir in unserer Gesellschaft brauchen und haben wollen. Das ist ein übergeordneter Ansatz. Wir sollten uns alle darüber im Klaren sein, dass es keinen Sinn macht, die Lufthoheit über die Kinderbetten anzustreben, wie es ein SPD-Politiker einmal gefordert hat. Es ist vielmehr notwendig, die Angebotsvielfalt in der bayerischen Familienpolitik weiterzuführen. Deswegen ist es gut, dass die Bayerische Staatsregierung einen Gesetzentwurf für ein Landesbetreuungsgeldgesetz vorgelegt hat. Deswegen ist es auch gut, dass der federführende Ausschuss und alle mitberatenden Ausschüsse diesem Gesetzentwurf zugestimmt haben. Und deswegen wird es auch gut sein, wenn der Bayerische Landtag heute mit seiner Mehrheit den bayerischen Eltern mit der Einführung des Landesbetreuungsgeldes die Wahlfreiheit einräumt und damit ein klares Signal für Kinder- und Familienfreundlichkeit im Freistaat Bayern setzt.

(Beifall bei der CSU)

Wir wollen auf diesem Weg zweierlei erreichen. Wir wollen alle Familien ohne Unterschied in der Lebensführung entlasten und ihre jeweilige Familiensituation berücksichtigen. Wir wollen aber auch, dass nicht der Staat oder die Gesellschaft entscheiden, wie sich Eltern zu verhalten haben. Entscheidend ist vielmehr, welche Biographie die Eltern selbst wählen. Der Staat ist verpflichtet, diese Entscheidung zu akzeptieren und sie mit guten Rahmenbedingungen zu begleiten und zu unterstützen. Wir können im Freistaat Bayern darauf stolz sein, und das auch parteiübergreifend, dass wir eine Vielfalt an Angeboten haben, dass wir viel in Familien mit Kindern, in die Situation von Alleinerziehenden und in die Situation von Familien, die nicht so begütert sind, investieren, egal, ob sie einen Krippenplatz, einen Kindertagesstättenplatz oder in den ersten beiden Lebensjahren das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen wollen.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass die Wahlfreiheit zwischen Inanspruchnahme von Krippenplätzen und Betreuungsgeld eine Angelegenheit der Länder ist, muss diese Regelung auf Länderebene erfolgen. Unabhängig von diesem Urteil stand schon aufgrund der hohen Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes durch nahezu 80 % der Eltern fest, dass es auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Betreuungsgeld im Freistaat Bayern geben muss. Dies ist die politische Garantie, die

wir den Eltern, den Müttern und Vätern im Freistaat Bayern geben. Die Eltern müssen auch während des Krippenalters ihrer Kinder die volle Wahlfreiheit haben. Das ist die Zusage der Bayerischen Staatsregierung und der CSU.

Viele Eltern waren und sind besorgt, ob sie diese Leistung tatsächlich erhalten. Deswegen kam es zu den Eingaben und Petitionen. Wie gesagt, allein bei uns sind mehr als 1.700 eingegangen. Zum einen haben sich die Petenten klar für das Betreuungsgeld ausgesprochen. Zum anderen haben sie aber auch deutlich gemacht, dass sie davon ausgehen, dass ihr Anspruch auch akzeptiert wird. Nach den Diskussionen und der Reaktionen der Eltern zeigt sich zweierlei – und dies ist ausgesprochen positiv:

Erstens wollen die Eltern im Freistaat Bayern das Betreuungsgeld. Ich darf es noch einmal sagen: Das ist ihr klarer politischer Wille, und diesen Willen haben wir als Parlament und Interessenvertretung für Familien mit Kindern ebenso zu berücksichtigen wie den Wunsch nach bedarfsgerechtem Ausbau der frühkindlichen Betreuung. Wir wollen keinen Gegensatz zwischen Krippenplätzen und Betreuungsgeld herstellen. Wir wollen einzig und allein diejenigen finanziell entlasten, die den Weg wählen, in der ersten Zeit das Kind zu Hause zu erziehen, zu begleiten und zu betreuen. Das Betreuungsgeld soll auch ein Symbol dafür sein, dass sie vom Staat unterstützt werden. Eltern engagieren sich für ihre Belange und die ihrer Kinder, und das ist eine ausgesprochen positive Entwicklung.

Zweitens ist es für die CSU-Landtagsfraktion aber auch besonders wichtig, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Dazu und auch zu den weiteren familienpolitischen Leistungen wird die Kollegin Schreyer-Stäblein im zweiten Teil der Begründung unserer Gesetzesinitiative etwas sagen. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass der Nachweis von Gesundheitsuntersuchungen, wie er schon beim Landeserziehungsgeld mit Erfolg eingeführt worden sind, eine richtige und wichtige Voraussetzung für die Gewährung von Landesbetreuungsgeld ist. Gleiches gilt auch für die Voraussetzung der Wohnsitznahme im Freistaat Bayern. Hier sind die bewährten Regelungen vom Landeserziehungsgeldgesetz übertragen worden.

Wichtig ist mir, dass mit der gesetzlichen Einführung dieser Leistung die Diskussion über das Entwederoder nicht mehr weitergeführt und in Biographien von Familien nicht mehr hineinregiert wird. Die Eltern erhalten mit dem Landesbetreuungsgeldgesetz genauso wie mit dem weiterzuführenden Ausbau der Kin

derbetreuung ein klares Signal. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. Bevor ich in der Debatte fortfahre, darf ich bekanntgeben, dass die SPD-Fraktion für die Schlussabstimmung namentliche Abstimmung beantragt hat. Jetzt darf ich für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Rauscher das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.

(Von der Rednerin nicht auto- risiert) Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Frau Ministerin Müller, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Eltern verdienen unsere besondere Wertschätzung, und jedes Familienmodell ist natürlich zu respektieren, egal ob Eltern alleinerziehend oder als Paar, ob in der Großstadt oder in ländlichen Regionen, ob mit pflegebedürftigen Angehörigen oder mit einem Beruf leben. Sie übernehmen in ganz besonderer Weise Verantwortung für ihre Kinder und leisten täglich Großartiges für unsere Jüngsten, egal, ob sie ganz zu Hause bleiben oder ihre Kinder für ein paar Stunden am Tag in die Kindertageseinrichtung geben. Die SPD unterstützt ausdrücklich die Entscheidungsfreiheit der Familien. Sie möchte nicht die Lufthoheit über Kinderbetten einnehmen. Das ist totaler Quatsch.

(Joachim Unterländer (CSU): Sie vielleicht nicht, aber das ist gesagt worden!)

Ich möchte nur klarstellen, dass es darum überhaupt nicht geht. Uns geht es definitiv um die Entscheidungsfreiheit der Familien und darum, dass sie das Aufwachsen, das Leben und die Entwicklung ihrer Kinder genau so gestalten sollen, wie sie es möchten. Das Betreuungsgeld ist aus unserer Sicht aber der falsche familienpolitische Akzent und der falsche Weg, um dieses Ziel wirklich zu erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Heute soll hier im Bayerischen Landtag die Zementierung eines Familienmodells beschlossen werden, das mit den Lebensrealitäten sehr vieler Familien in unserem Land relativ wenig zu tun hat.

(Beifall bei der SPD)

Das sind nicht nur meine Eindrücke oder die der SPDFraktion, sondern Aussagen von ausgewiesenen Experten aus den Wohlfahrtsverbänden, aus kirchlichen Organisationen und aus der Wissenschaft. Sie alle haben diese Argumente gebetsmühlenartig immer wieder vorgetragen. Diese Experten hat die Staatsregierung selbst um ihre Bewertung gebeten. Sie haben

im Bayerischen Landtag im Rahmen einer Fachanhörung ihre massiven Bedenken eingebracht. Die SPDLandtagsfraktion hat darüber hinaus die besten Experten befragt, und zwar die Familien selbst. Auch deren Meinung fällt eindeutig aus: 63 % der von Infratest Befragten wollen, dass die Gelder aus dem Bundeshaushalt in die frühkindliche Bildung investiert werden. Nur 28 % sprechen sich für ein Betreuungsgeld aus. Das muss man einfach so annehmen.

(Beifall bei der SPD – Dr. Simone Strohmayr (SPD): So ist es nämlich!)

Leider müssen wir aber auch heute wieder feststellen, dass all diese Experten ihr Meinung und ihre Bedenken vollkommen umsonst geäußert haben. Wir alle hier im Hohen Hause wissen um die Folgen, die das Betreuungsgeld für viele Familien haben wird. Trotzdem soll diese Familienleistung heute endgültig beschlossen werden, weil die CSU-Fraktion nicht von ihrem Lieblingsprojekt abrücken möchte, das sie auch auf Bundesebene eingebracht hatte.

Mein Gedanke bei der ganzen Debatte ist ein anderer. Den Begriff der "Fernhalteprämie" möchte ich zwar nicht unterstützen, aber mir kommt der Gedanke daran, dass bei der Erzieherausbildung übersehen wurde, genügend Erzieher für die Tageseinrichtungen auszubilden. Derzeit steht uns definitiv viel zu wenig Personal für die Kinderbetreuungsstätten zur Verfügung. Das könnte durchaus dahinterstecken. So gesehen, versucht man nämlich, die Kinder von der Krippe fern zu halten. Soviel nur am Rande.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, das Betreuungsgeld für bayerische Familien ist nach unserer Auffassung nach wie vor kein geeignetes Mittel, um eine freie Entscheidung der Familien für ein Familien- und Lebensmodell zu unterstützen. Die 150 Euro ersetzen nämlich nie und nimmer ein Einkommen, auf das viele heutzutage ganz einfach angewiesen sind. Außerdem ist es bildungspolitisch falsch, Eltern vor die Wahl zwischen einem Kitaplatz und 150 Euro zu stellen. Damit zeigen Sie den bayerischen Familien im Übrigen auch keine Wertschätzung.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Mit dem Kinderförderungsgesetz wurde 2008 beschlossen, allen Kindern eine optimale Förderung in ihrer Entwicklung zu ermöglichen. Jetzt sollen wir aber ein Gesetz beschließen, das den Kindern genau diese Förderung verwehrt. Das ist bildungspolitischer Irrsinn.

(Beifall bei der SPD)

Das stellt einen Rückschritt bei der Gleichstellung von Mann und Frau dar; denn partnerschaftliche Aufgabenteilung und gleiche Chancen am Arbeitsmarkt werden damit behindert. Das Betreuungsgeld vergrößert auch die Gefahr der Altersarmut. Diesen Aspekt muss man bei der ganzen Debatte mit in den Blick nehmen.

All diese Kritikpunkte sind Ihnen sehr wohl bekannt. Sie, Herr Unterländer, argumentieren immer damit, dass 75 % der Eltern das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen möchten. Von einer Wunschleistung der Familien kann dabei aber nicht die Rede sein. Nach einer Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts zusammen mit der Technischen Universität Dortmund bezogen 57,4 % der Eltern das Betreuungsgeld nur zur Überbrückung. Erinnern Sie sich an die Anhörung hier im Hohen Haus. Die Angaben wurden vom Deutschen Jugendinstitut noch einmal unterstrichen. Die Eltern nehmen es als Überbrückungsgeld, weil kein oder nicht der passende Betreuungsplatz zur Verfügung steht. Genauso wie bei Ihnen E-Mails von betroffenen Familien eingegangen sind, sind auch bei mir viele E-Mails aufgeschlagen, die immer in die gleiche Richtung gehen. Eine Mutter beispielsweise hat geschrieben, sie bemühe sich um einen Krippenplatz, seit ihr Kind drei Monate alt ist. Sie bekommt aber definitiv vor September keinen Platz.

(Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU): Das war ganz bestimmt in München der Fall! – Dr. Simone Strohmayr (SPD): Das ist woanders genauso!)

Nein, Frau Schreyer-Stäblein, die Betroffene lebt auf dem Land. Es ist schon klar, dass die Ballungszentren in dieser Angelegenheit einer besonderen Herausforderung ausgesetzt sind. Das Problem gibt es aber auch auf dem Land. Auch auf dem Land haben wir keine hundertprozentige Bedarfsdeckung. Die Mutter möchte deshalb bis zum September als Überbrückung das Betreuungsgeld für ihr Kind beziehen können.

(Steffen Vogel (CSU): Das ist doch richtig!)

Man muss aber beide Seiten betrachten. Es ist nicht so, wie Sie das dargestellt haben. Man muss doch der Realität des 21. Jahrhunderts und den Lebensentwürfen, die sich junge Familien heutzutage zeichnen, Rechnung tragen. Das Ziel ist eine partnerschaftliche Aufgabenteilung. Dieser Realität muss man ins Auge schauen.

(Beifall bei der SPD)

Die Familienmodelle sind so unterschiedlich. Heutzutage gibt es nicht mehr nur das Modell der Heiligen Familie, die die partnerschaftliche Rollenverteilung im

klassischen Sinn aufrechterhält. Es gibt viele wunderbare Studien, die man sich hier zunutze machen kann. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung besagt, dass sich 58 % der Männer und Frauen einen gelungenen Ausgleich zwischen Beruf und Familie wünschen, ohne einen der beiden Bereiche vernachlässigen zu müssen. Das Betreuungsgeld zementiert aber ein Hintereinander und begünstigt kein Nebeneinander.

Aus unserer Sicht ist dieses Betreuungsgeld deshalb nicht unterstützenswert. Das gilt insbesondere, wenn man bedenkt, dass in Bayern nach wie vor 20.000 Kitaplätze fehlen. Hier klafft also noch eine breite Lücke. Wir brauchen auch mehr Qualität in den Kitas. Wir brauchen mehr Sprachförderung, mehr Personal, und wir brauchen nach wie vor flexiblere Öffnungszeiten, vor allem in den Randzeiten. Es gibt hier noch so viel zu tun. Wir wollen die Gelder deshalb lieber in den Ausbau und die Qualitätsentwicklung der Kindertagesbetreuung investieren. Wir wollen sie nicht in dieser Form von Betreuungsgeld und Familienleistung investieren, wie das die CSU-Landtagsfraktion vorschlägt. Welche Überraschung: Wir lehnen folglich auch heute Ihren Gesetzentwurf wieder ab. Wir haben noch eine Resthoffnung, dass sich vielleicht doch eine Mehrheit hier im Hohen Hause unserer Auffassung anschließen könnte. Wahrscheinlich ist diese Hoffnung aber vergebens.

Wir fordern die CSU-Fraktion aber auf, die gleiche Summe – immerhin 1 Milliarde Euro bis 2021 – in die frühkindliche Bildung zu investieren. Dann wären wir wieder auf Augenhöhe, was die Wahlfreiheit betrifft.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)