Protokoll der Sitzung vom 29.06.2016

Wer mit der Übernahme seines Abstimmungsverhaltens bzw. des jeweiligen Abstimmungsverhaltens seiner Fraktion entsprechend der aufgelegten Liste einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Keine. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit übernimmt der Landtag diese Voten.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zunächst rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Paul Wengert, Klaus Adelt u. a. und Fraktion (SPD) Identitäre Bewegung in Bayern - Eine neue Gefahr von Rechts (Drs. 17/12129)

Ich eröffne die Aussprache und darf als Erstem Herrn Kollegen Dr. Wengert das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Erstarken nationalistischer Kräfte in ganz Europa ist für alle Demokratinnen und Demokraten in höchstem Maße besorgniserregend und erfordert unsere größte Aufmerksamkeit. Fällt die vergiftete Saat auf fruchtbaren Boden, ist es bis zu rechtsextremistischen Aktivitäten, die sich gegen unsere Verfassungsgrundsätze richten, nur noch ein kleiner Schritt. Das Internet ist längst zu einer Brutstätte extremistischen Gedankenguts geworden. Es verkommt oftmals vom sozialen Netzwerk zum asozialen Hetzwerk.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann virtuelle Bewegungen in der Realwelt ankommen werden. Hier gilt es, den Anfängen rechtzeitig zu wehren, nachdem wir leider in den zurückliegenden Jahrzehnten zur Kenntnis nehmen mussten, dass rechtsextremes Gedankengut in unserer Gesellschaft zu oft verharmlost wurde und staatliche Behörden eine auffallend geringe Sensibilität in der Beobachtung und Verfolgung von Rechtsextremen erkennen ließen, um es einmal zurückhaltend auszudrücken.

Mit unserem Dringlichkeitsantrag möchten wir erreichen, dass die Staatsregierung dem Innenausschuss über die neuesten Erkenntnisse im Zusammenhang mit der sogenannten Identitären Bewegung berichtet. Diese Angelegenheit ist dringlich, weil es eine aktuelle Warnung des Verfassungsschutzes vor diesen Rechtsextremen in Bad Tölz gibt, wie die "Süddeutsche" in ihrer Online-Ausgabe vom 26. Juni berichtet hat. Dort ist die Identitäre Bewegung ganz offensichtlich wie bereits in Rosenheim in der realen Welt angekommen, und zwar mit einem "erheblichen Expansionsdrang", so ein Sprecher des Verfassungsschutzes.

Wir wollen wissen, ob sich gegenüber dem Zeitpunkt der Beantwortung der Schriftlichen Anfrage unserer Kollegen Dr. Rabenstein und Ritter vom 15. September 2014 signifikante Änderungen der Einschätzung seitens des Verfassungsschutzes ergeben haben. Seinerzeit wurde die IB "noch nicht als extremistisch" bewertet, und es hieß, die Bewegung könne, Zitat, zum jetzigen Zeitpunkt als überwiegend virtuell und auf die sozialen Netzwerke fixiert beschrieben werden.

Was steckt überhaupt hinter den Identitären? – Die Identitäre Bewegung in Deutschland entwickelte sich etwa im Jahre 2012 nach dem Muster der Gruppierung Bloc identitaire in Frankreich und greift deren Ideologie für eine Separierung der Menschen nach ihrer ethnischen und kulturellen Herkunft auf. Wie der Ethnopluralismus steche aus den Profilen auch die Ablehnung der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung und Verhältnisse hervor, so die damalige Antwort der Staatsregierung.

Die IB hat auch in den Verfassungsschutzbericht 2015 Eingang gefunden, wenn auch nur im abschließenden Ausblick. Allerdings lässt die Formulierung, bei der IB habe es sich zunächst um eine überwiegend virtuell agierende Organisation gehandelt – also unter der Verwendung der Vergangenheitsform –, ebenso aufhorchen wie der Hinweis auf Aktivitäten ihrer Anhänger in rechtsextremistischen Organisationen sowie die Feststellung, dass seit Anfang 2015 der IB zurechenbare Aktivisten in Bayern über den Raum des Internets hinaus mehr und mehr auch realweltliche Aktivitäten entfalten, wie jetzt offensichtlich in Bad Tölz und Rosenheim.

Die Identitären drangen übrigens schon im Jahr 2014 mit Stickern in den öffentlichen Raum ein, die Aufschriften trugen wie "ISLAMISIERUNG? NICHT MIT UNS!". Außerdem griffen sie Parteizentralen der SPD und der GRÜNEN an. Im September 2015 stürmten Aktivisten mit einem Transparent gegen den sogenannten Genderwahn die Bühne des Ander Art Festivals am Odeonsplatz, wie die "SZ-Online" berichtete.

Sehr beunruhigend ist aber auch die Tatsache, dass die Zahlen der Likes, etwa bei Facebook, steil nach oben geht. Hatte die IB Deutschland zum Stand September 2014 10.400 Anhänger, sind es, Stand heute, bereits fast 26.000, was einer Steigerung um rund 250 % entspricht. In Bayern hat sich die Zahl der Sympathisanten in derselben Zeit sogar mehr als versechsfacht, nämlich von 400 auf 2.506. Bei der IB Franken nahm die Zahl der Likes von 1.300 auf 2.122 zu, immerhin auch noch eine Steigerung von 160 %. Dies spiegelt auch die Gefährlichkeit dieser Bewegung für die junge Generation wider, die vor allem zu ihrer Zielgruppe zählt.

Wir möchten von der Staatsregierung zum Beispiel wissen, inwieweit nach deren Erkenntnissen die Identitären in der Realwelt angekommen sind und ob es im Gegensatz zu 2014 inzwischen hinreichend wichtige und zurechenbare tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme extremistischer Zielsetzungen gibt. Wir wollen wissen, welche Beziehungen zu Rechtsextremen erkannt wurden und ob die Prüfung von Profilen, etwa in den sozialen Netzwerken, zwischenzeitlich

einen Beobachtungsauftrag für das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz rechtfertigen.

Letztlich geht es um die Aufklärung, ob sich die IB von einem Internetphänomen mit besonderer Jugendaffinität zu einer real existierenden und agierenden rechtsextremistischen Gruppierung entwickelt hat und gegebenenfalls, welche Konsequenzen die Staatsregierung daraus zu ziehen beabsichtigt. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Für die CSU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Reichhart das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden diesem Dringlichkeitsantrag selbstverständlich zustimmen. Wir hätten das auch in der nächsten Woche im Ausschuss getan, wenn er dort eingereicht worden wäre.

Zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Wengert möchte ich nur kurz einen Punkt hinzufügen: Die Identitäre Bewegung wird inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet. Das hat auch unser Innenminister hier im Plenum in der Sitzung von 28. Januar 2016 ausgeführt. Er hat dabei wörtlich gesagt:

Seit Neuestem wird nun auch die sogenannte Identitäre Bewegung Deutschland durch den bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. Die Identitäre Bewegung sieht sich selbst als aktivistischen Arm der neuen Rechten.

Damit gehört sie beobachtet; damit gehört sie auch in den Fokus unserer Wachsamkeit genommen.

Vielleicht noch eine kurze Anmerkung, lieber Herr Kollege Wengert. Selbstverständlich beobachten wir jetzt schon. Die Recherche – wir haben uns etwas schlau gemacht – hat ergeben, dass auch die Identitäre Bewegung in der realen Welt angekommen ist. Sie hat Veranstaltungen in Freilassing, in Traunreut und in Feldkirchen-Westerham gemacht.

Wir freuen uns auf den Bericht und sehen ihm entgegen. Ich glaube, wir alle in diesem Hohen Haus sind uns dahin gehend einig, dass wir keine Rechtsextremen, dass wir keine abartigen Bewegungen in Bayern haben wollen und dass diese beobachtet gehören. Insoweit ziehen wir an einem Strang.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Jetzt für die Fraktion der FREIEN WÄHLER: Frau Kollegin Gottstein. Ich freue mich, dass Sie wieder da sind. Es tut mir leid, dass Sie im Haus so gestürzt sind. Ich hoffe, es geht Ihnen einigermaßen. – Bitte schön.

Ich benutze den roten Teppich nicht mehr.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, danke für die Anteilnahme! Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der SPD ist unterstützenswert. Er hat unserer Meinung nach nur einen Fehler. Es ist ein Berichtsantrag, und dieser ist ja zunächst einmal ergebnisoffen. Sie haben das Fragezeichen vergessen. Vielleicht ist Ihnen das nicht aufgefallen. In der Rechtschreibreform vor einem Vierteljahrhundert sind ja von unseren 69 Regeln zu den Satzzeichen 60 gestrichen worden. Jetzt haben wir noch neun. Das Fragezeichen ist nicht gestrichen worden. Sie hätten "Eine neue Gefahr von Rechts?" schreiben sollen.

(Zuruf von der SPD)

Doch! Sie wollen einen Bericht haben, und "Bericht" bedeutet natürlich, dass es letztendlich noch offen ist. Vielleicht kommt man ja zu dem Ergebnis, dass sie keine Gefahr ist. Das muss man in einem Berichtsantrag zumindest zugestehen.

Natürlich haben Sie schon ganz klar darauf hingewiesen, dass sowohl im Verfassungsschutzbericht als auch in den Medien über Bad Tölz und über Rosenheim ganz klar neue Erkenntnisse bekannt geworden sind. Deswegen werden wir den Berichtsantrag unterstützen, der verlangt, dass in diesem Hause darüber berichtet wird. Ich meine aber, dass man sich trotzdem nicht täuschen lassen soll. Ein Bericht ersetzt letztendlich nicht die Arbeit, die verlangt wird. Wir brauchen in diesem Bereich Prävention. Wir haben viel mehr Handlungsbedarf. Im Prinzip betrifft dies wieder die zwei Bereiche Bildung und Sicherheit. Wir brauchen – auch wenn Sie es nicht mehr hören können – mehr Lehrer. Wir brauchen mehr Polizistinnen und Polizisten. Im Bereich der Justiz brauchen wir mehr Personal. Wir können es nicht mehr hören, wenn wir von Ihnen gesagt bekommen: Wir stellen ja viel mehr ein als früher. Wir haben mehr Aufgaben als früher. Dieser Bericht wird genau zeigen, dass wir damit wesentlich sensibler umgehen müssen, dass wir in der Prävention wesentlich stärker sein müssen, weil, wie der Vorredner schon so schön gesagt hat, es natürlich eine Bewegung ist, die sehr jugendaffin ist und die im virtuellen Bereich spielt. Dort arbeiten wir nicht präventiv genug. Dies gilt auch für andere Bereiche der virtuellen Welt.

Wir sind deswegen eigentlich nicht mehr gespannt, was dieser Bericht bringen wird, sondern wir sind mehr darauf gespannt, welche Konsequenzen dieser Bericht haben wird. Da werden wir uns dann auch wieder melden.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frau Kollegin Schulze. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Identitäre Bewegung ist eine Gefahr für unsere Demokratie, und sie ist rechtsextrem. Hierzu müssen wir keine Fragezeichen in irgendwelche Anträge schreiben – das können wir einfach einmal so festhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vor allem ist die Identitäre Bewegung schon lange in der Realität angekommen. Es wurde ja schon ausgeführt, dass sie sehr jugendaffin ist, vor allem junge Leute anspricht und sehr aktionistisch unterwegs ist. Sie ist auch auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen online sehr aktiv. Sie ist aber auch – es ist wichtig, dass wir uns das klarmachen – in der Realität sehr aktiv, seien es Veranstaltungen, seien es Aktionen, seien es nächtliche Plakataktionen, seien es irgendwelche Aufkleber im öffentlichen Raum. Vielleicht hat der eine oder andere mitbekommen: Erst vor Kurzem hat die Identitäre Bewegung in Österreich in Wien eine Theatertribüne gestürmt, auf der gerade von Flüchtlingen ein Theaterstück von Elfriede Jelinek gespielt wurde. Dort wurden Parolen gebrüllt; es wurde mit Kunstblut herumgespritzt. Auch in Bayern gab es schon Aktionen der Identitären Bewegung.

Wenn man sich einmal mit ihrer Ideologie näher beschäftigt, erkennt man sehr deutlich, dass es eine rechtsextreme Gruppierung ist. Sie knüpft nämlich ideologisch

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

insbesondere an die Neue Rechte in Frankreich und deren kulturrassistisches Konzept eines Ethnopluralismus an. Mit diesem Ethnopluralismus soll ein Theoriekonzept dargestellt werden, mit dem der Rassismus neu und weniger angreifbar begründet werden soll. Dieser Ethnopluralismus behauptet, dass Völker unveränderliche kulturelle Identitäten besäßen, die man vor fremden Einflüssen schützen müsse. Darum sollen sich Völker strikt abgrenzen und natürlich auch auf ihre innere Homogenität achten. Man kann also sagen: Ethnopluralismus ist ein ausgrenzender Nationalismus.

Wenn man sich ansieht, wie die Identitäre Bewegung in Bayern vernetzt ist, muss man auch erkennen, dass wir schon relativ viel darüber wissen. Zum einen sind sie sehr aktiv. Sie haben auch enge Überschneidungen mit der AfD. Die AfD sieht in der Identitären Bewegung sogar einen möglichen Bündnispartner. Man kann feststellen, dass in den vergangenen Monaten bei manchen AfD-Kundgebungen die Identitäre Bewegung vom Podium aus von dem AfD-Landesvorsitzenden gezielt begrüßt worden ist. Man kann deutlich erkennen, dass Mitglieder der Identitären Bewegung auch in anderen rechtsextremen Gruppierungen schon aktiv waren oder immer noch sind und dass sie natürlich auch Kontakte zu führenden Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten im In- und Ausland haben.

Man kann also festhalten: Es gibt eine weitere Gruppierung der rechten Szene in Bayern. Das muss uns als Demokratinnen und Demokraten natürlich alle aufhorchen lassen. Dies zeigt auch deutlich, dass die rechte Szene in Bayern nicht kleiner wird, sondern sich vergrößert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist natürlich ein großes Problem.

Die SPD fordert jetzt einen Bericht. Wir stimmen dem Berichtsantrag natürlich zu. Es ist gut und wichtig, möglichst viele Informationen über die Identitäre Bewegung zu sammeln. Ich habe Ende Mai eine ausführliche Anfrage an das Innenministerium gerichtet. In den nächsten Tagen müsste jetzt hoffentlich auch die Antwort kommen. Es ist nämlich wichtig, dass wir eine Grundlage haben, um weiter vorangehen zu können.

Ich habe jedoch bei diesem Thema einen Kritikpunkt hinsichtlich der CSU-Regierung. Im Verfassungsschutzbericht war die Identitäre Bewegung in den letzten Jahren immer als noch nicht rechtsextremistisch eingestuft und als hauptsächlich online aktiv mit ersten Bezügen in die Realität hinein. Ich muss dem Innenministerium vorwerfen, dass ich es schwach finde, dass die Beobachtung jetzt erst angeordnet wurde. In anderen Bundesländern wie Bremen, Niedersachsen und Hessen ist die Identitäre Bewegung zum Teil schon seit Jahren im Verfassungsschutzbericht aufgeführt und schon lange im Visier des Verfassungsschutzes. Es wäre gut gewesen, wenn das auch in Bayern früher passiert wäre. Seit Januar wird die Identitäre Bewegung beobachtet. Das finden wir gut, aber das kommt leider etwas spät.

Darum sind wir jetzt gespannt auf den Bericht im Innenausschuss und sind sicher, dass wir daraus auch wieder viele Ideen ableiten können, wie wir die rechte Gefahr in Bayern bekämpfen können. Wir müssen sie bekämpfen. Wir erwarten dann aber auch von der

CSU, dass sie unsere Vorschläge mitträgt und wir gemeinsam vorangehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/12129 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Keine. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag einstimmig angenommen.

Ich rufe jetzt zur gemeinsamen Beratung auf: