Protokoll der Sitzung vom 18.10.2016

Die CSU fordert eine "Leitkultur" ein. Damit sind wir wieder mitten in der Diskussion über das Integrationsgesetz. Die "Leitkultur" ist als Begriff da. Ich habe mit Interesse festgestellt, dass bei 15 Sachverständigen 16 oder 17 Interpretationen des Begriffs "Leitkultur" herausgekommen sind. Wenn man diesen Begriff schon bemüht, dann sollte man sich dessen bewusst sein, dass die Leitkultur nicht allein Spracherwerb und Brauchtum umfasst. Unserer abendländischen Kultur liegen zuallererst die christlichen Werte der Verantwortung für unsere Mitmenschen zugrunde. Das ist unsere Leitkultur. Um diese geht es.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der SPD und der GRÜNEN)

Die beschriebenen Werte sind die ideellen Grundpfeiler unserer abendländischen Gesellschaft. Wir dürfen es nicht zulassen, dass diese Werte über Bord geworfen werden. Gerade in einer christlich geprägten Gesellschaft können wir es nicht dulden, dass menschenverachtendes Verhalten, Gleichgültigkeit und schlimmstenfalls Hass immer weiter um sich greifen. Das kann nicht die Gesellschaft sein, die wir wollen.

Ich will nicht leugnen, dass wir vor großen Herausforderungen stehen. Ich weiß, dass wir kein Patentrezept dafür haben. Aber ich weiß auch, dass uns Hassreden und das Schüren von dumpfen Ängsten in dieser Situation nicht weiterbringen. Damit meine ich hauptsächlich Kräfte außerhalb dieses Hauses; das will ich ausdrücklich sagen. Sie verschlimmern die Situation. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Es ist unsere Aufgabe als demokratisch gewählte Volksvertreter, gerade in schwierigen Zeiten Lösungsansätze und Orientierung zu bieten – und eben auch die Grundwerte unserer Gesellschaft hochzuhalten.

Die Kirchen selbst haben mit Kritik und ihrem Selbstverständnis zu kämpfen; denken Sie nur an die zurückgehenden Mitgliederzahlen und Ähnliches. Angesichts dessen läge es doch nahe, wenn Staat und Kirche noch vertrauensvoller zusammenarbeiten würden, um unsere christlichen Werte weiter zu transportieren.

Die christlichen Kirchen haben deswegen nicht nur das Recht, sondern auch die moralische Verpflichtung, in Zeiten, in denen menschenverachtende Äußerungen in erschreckendem Ausmaß um sich greifen, an unsere ureigenen Grundwerte zu erinnern. Mit rechtem Populismus ist niemandem gedient. Ganz im Gegenteil, das ist ein gefährlicher Nährboden. Wer Hass sät, wird Gewalt ernten. Ich meine damit erstarkende Kräfte außerhalb dieses Hauses; ich habe es schon gesagt.

Die Situation, in der wir uns mittlerweile befinden, ist viel zu ernst für parteipolitisches Geplänkel; denn es geht um nichts weniger als um den sozialen und gesellschaftlichen Frieden in unserem Land. Um ihn zu erhalten, müssen alle demokratischen Kräfte zusammenstehen. Da ist mit dumpfer Stimmungsmache niemandem gedient, ganz im Gegenteil.

Lassen Sie es mich deutlich sagen: Das Schlimmste in diesem Land ist nicht ein Fußball spielender, ministrierender Senegalese. Das Bild war daneben. Tut mir leid! Das Schlimmste in unserem Land sind verantwortungslose Akteure, die leichtfertig rhetorische Brandsätze legen.

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen eine Aussage aus dem Talmud ans Herz legen:

Achte auf deine Gedanken; denn sie werden deine Worte.

Achte auf deine Worte; denn sie werden deine Taten.

In diesem Sinne kann ich uns allen nur raten, gut auf unsere Wortwahl zu achten. Das Ganze verbinde ich mit dem Dank an die unzähligen Menschen, die sich hauptamtlich oder ehrenamtlich in der Flüchtlingsbetreuung, in Integrationsmaßnahmen, aber auch in vielen anderen sozialen Einrichtungen engagieren; denn soziales Tun ist nicht nur eine Frage der Flüchtlingsbetreuung, sondern betrifft große Teile der Gesellschaft. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN, Abgeordne- ten der GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Christoph Rabenstein (SPD))

Vielen Dank. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Herr Kollege Gehring, bitte.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut so, dass im heutigen Bayern die Pfarrer nicht mehr von der Kanzel herab den Gläubigen sagen, was sie am Wahlsonntag zu wählen haben.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Ländner (CSU))

Es ist gut so, dass wir keine Institution haben – nicht die Kirchen, nicht den Staat, auch nicht die tonangebende Partei –, die den Menschen vorschreiben kann, wie sie leben sollen. Es ist wichtig, dass wir uns all denen widersetzen – ich hoffe, gemeinsam –, die in Europa in autoritärer Weise den Menschen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben, wie sie Freiheit zu verstehen haben, und die alle ausschließen, die dieser Lebensweise nicht folgen.

Ernst-Wolfgang Böckenförde hat es so formuliert, dass der freiheitliche Staat nur besteht, wenn sich die Freiheit von innen, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert und dass der Staat seinen freiheitlichen Charakter dann verliert, wenn er diese Wertekultur vorschreiben und durchsetzen will. Wenn man bei Böckenförde nachliest, dann kommt einem schon die "Leitkultur" in den Sinn, die ausgrenzt, die per Gesetz, sogar per Verfassung, die Lebensweise vorschreibt, die moralisches Handeln und Einsicht erzwingen will. Kardinal Marx hat dem mit ganz klaren Worten eine Abfuhr erteilt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Böckenförde macht deutlich, dass andere als der Staat die Grundlagen unseres freiheitlichen Zusammenlebens schaffen. Er meint damit die Akteure unserer Zivilgesellschaft, er meint damit die Kirchen. Es ist gut, dass wir die Kirchen in dieser Zivilgesellschaft haben.

Gerade vor diesem Hintergrund ist der Satz von Scheuer doppelt perfide. Zum einen spricht er dem Menschen aus Senegal die Menschenwürde ab und will ihn einfach loshaben. Zum anderen beleidigt er auch diejenigen, die es jungen Menschen ermöglichen, Fußball zu spielen oder zu ministrieren. Ich habe viel beim Fußballspielen gelernt, obwohl es nie für die zweite Mannschaft des DJK Seifriedsberg gereicht hat. Vermutlich reicht es auch nicht für die Landtagsmannschaft. Ich habe aber gelernt, Verantwortung in einem Team zu übernehmen und dass man dem, der 90 Minuten lang Gegner ist, im Spiel und auch danach mit Fairness und Würde begegnet. Diese Werte sind für unser Zusammenleben unabdingbar.

Ich habe auch viel beim Ministrieren gelernt, auch wenn ich kein Pfarrer geworden bin und das Confiteor heute nicht mehr aufsagen kann. Ich habe aber gelernt, dass es eine zentrale Botschaft des christlichen Glaubens gibt. Danach ist der Mensch das Ebenbild Gottes oder – wir haben es gestern bei Kolping im Bildungsbeirat gehört – der Tempel, in dem Gott wohnt. Gemeint ist damit, dass jeder Mensch gleich ist und gleich viel Würde hat. Dieser Satz ist zentral für eine christliche Botschaft. Wenn wir schon über das christliche Abendland reden, müssen wir auch darüber reden, wie dieser Satz aus der christlichen Botschaft in unsere Verfassung gelangt ist. Dieser Satz ist zwar oft missbraucht worden, aber er hat als universalistischer Wert eine so starke Kraft, dass er heute der erste Satz unseres Grundgesetzes ist: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

(Beifall bei den GRÜNEN)

Genau an diesem Punkt bringen die Kirchen ihre Kritik vor. Kardinal Marx sagt, er sei erschrocken und verärgert über die Äußerungen von CSU-Politikern, die nur darauf abzielten, Geflüchtete loszuwerden. Er sagt, diese Tonlage sei nicht hilfreich für die Integration hunderttausender Flüchtlinge. Er hat die Spalter in unserer Gesellschaft deutlich benannt. Sie sind bei der CSU. Ja, es ist ein Finanzminister Söder, der die Oma gegen den Flüchtling ausspielt, und das mit wohlkalkulierten Äußerungen, die politischen Profit bei der AfD bringen sollen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Manfred Ländner (CSU): So ein Krampf!)

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, ein konservativer Mann, sagt: Wenn die CSU das Grundgesetz ernst nimmt, kann sie keine Obergrenze verlangen. Das lässt das Asylrecht nicht zu. – Das sind klare Worte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und auch der Bamberger Erzbischof Schick mahnt die CSU zur Verfassungstreue. Herabwürdigungen oder Verletzungen der Menschenwürde dürfen Christen nicht stehenlassen. Erzbischof Schick will, dass alle und besonders alle die, die ein "C" im Namen führen, sich dementsprechend verhalten. Das ist der Punkt. Die Kirchen werfen der CSU-Regierung Missachtung der Verfassung vor. Das ist ein massiver und zentraler Vorwurf. Da geht es nicht um die Auseinandersetzung zwischen CSU-Granden und irgendwelchen Würdenträgern der katholischen oder der evangelischen Kirche. Da geht es nicht um Unstimmigkeiten in der christlichen Soziallehre. Da geht es um einen ganz zentralen Vorwurf, und der lautet: Die CSU-Staatsregierung verlässt den Wertekern unserer Verfassung. Sie verlässt und verletzt den Wertekern unseres Zusammenlebens.

(Beifall bei den GRÜNEN – Markus Blume (CSU): So ein Unfug!)

Wir haben einen starken Wertekern. Den garantieren die Ehrenamtlichen, die Flüchtlingshelfer, die Vereine und die Kirchen. Sie sind, wenn man so will, in einem Boot. SPD und GRÜNE sind mit dabei. Die CSU und die Staatsregierung driften im anderen Boot Richtung AfD und Pegida ab. Das ist gefährlich. Ich bin den Kirchen dankbar dafür, dass sie so deutliche Worte gesagt haben; denn es ist tatsächlich sehr ernst.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Für die CSU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Blume das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, richtig ist, dass die Zeiten ernst sind. Jeder, der um die Zukunft unserer Gesellschaft in Sorge ist, kann nicht so leichtfertig und vor allem nicht so spalterisch daherreden, wie Sie es getan haben, lieber Herr Kollege Rinderspacher.

(Beifall bei der CSU – Markus Rinderspacher (SPD): Das habe ich gar nicht getan!)

Die Rede, die Sie gehalten haben, ist deswegen besonders perfide, weil sie spalterisch war und weil Sie

anderen vorwerfen, sie würden spalten. Das bekomme ich nicht ganz zusammen.

(Volkmar Halbleib (SPD): Was sagen Sie zu den Vorwürfen der Kirchen?)

Perfide war Ihre Rede auch deswegen, weil nur billiges parteitaktisches Kalkül dahinterstand. Bei Ihrer Herbstklausur haben Sie beschlossen, dass Sie sich auch um christliche Wähler bemühen und christliche Wähler für sich gewinnen wollen.

(Markus Rinderspacher (SPD): Nicht nur "auch"!)

Wer dies weiß, versteht auch, warum Sie heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Das ist ganz billig, lieber Herr Kollege Rinderspacher.

(Beifall bei der CSU)

Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns in der Debatte darüber auseinandersetzen, was christliche Politik heißt, was es heißt, christliche Politik am christlichen Menschenbild auszurichten. Mir hat es sehr gut gefallen, was Vizepräsident Meyer dazu ausgeführt hat. Bei Ihnen, lieber Herr Kollege Rinderspacher, habe ich in keinem Satz das Wort "Nächstenliebe" gehört.

(Margit Wild (SPD): Weil Sie nicht zugehört haben, Herr Blume!)

Ich habe nicht gehört, was Sie mit christlicher Politik meinen. Christliche Politik ist eben nicht nur eine Haltung, sie ist nicht nur das Gewissen, sondern sie umfasst auch die Verantwortung für die Folgen des Tuns und für das, was nicht getan wird. Nächstenliebe umfasst nicht nur die Willkommenskultur, sondern sie setzt sich auch mit dem Gedanken auseinander, was danach kommt, wie zum Beispiel Integration gelingen kann.

Ich möchte noch einige Gedankten zur Leitkultur formulieren; denn die ist von Ihnen mehrfach angesprochen worden. Unstrittig ist doch, dass es einen identitätsbildenden Grundkonsens gibt. Es gibt so etwas wie die Prägung unseres Landes. Ich zitiere einmal Kardinal Marx. Er hat gesagt: Die Wurzeln des Landes sind zutiefst geprägt vom Evangelium, und die christliche Prägung der Gesellschaft ist grundlegend für das Überleben der Zivilisation. – Er beschwört geradezu das, was unser Land ausmacht, nämlich die christliche Prägung. Das hat er nicht irgendwann gesagt, sondern am letzten Wochenende im Liebfrauendom.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Da hat er aber der Leitkultur eine Absage erteilt!)

Nein, das hat er nicht. Ich habe mir die ganze Predigt angehört. Er hat der Leitkultur keine Absage erteilt; denn er hat außerdem gesagt: "Solidarität ist das Qualitätskennzeichen einer christlich geprägten Gesellschaft. Es wird heute gelegentlich über Leitkultur und Identität gesprochen. Dies – die Solidarität – ist das Leitprinzip in unserer Gesellschaft und in unserer Kultur."

Ich möchte wirklich darum bitten, dass wir nicht so viel übereinander reden, sondern miteinander ins Gespräch treten. Dabei sollten wir auch auf das eingehen, was der andere sagt. Unstrittig ist doch, dass es etwas jenseits unserer Verfassung gibt, was unsere Gesellschaft zusammenhält, was der Staat, wie Kollege Gehring zu Recht gesagt hat, nicht einmal herbeiführen kann. Ich nenne als Stichwort nur Böckenförde. Jenseits der Verfassung gibt es etwas, wofür die Gesellschaft einsteht. Deswegen müssen wir uns überlegen, wie wir die identitätsbildende Prägung unseres Landes nicht nur bewahren, sondern auch für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft nutzbar machen können.

Ich zitiere an anderer Stelle den Präsidenten des Caritasverbandes, Peter Neher. Er hat gesagt, auch der menschenwürdige Umgang gehöre zur deutschen Leitkultur. Wir sollten uns darüber Gedanken machen, was zur Leitkultur dazugehört, und nicht darüber, warum dieses Konzept zum Scheitern verurteilt ist, wenn wir daran interessiert sind, dass wir den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Ich unterstütze den Kardinal, der am letzten Samstag gesagt hat, diese Leitprinzipien und diese, mit unseren Worten, Leitkultur könne man nicht vorschreiben, nicht befehlen und nicht per Gesetz erlassen. Das muss gelebt werden. Damit hat er recht. Etwas anderes ist aber von uns auch nie gesagt worden. Wir haben immer gesagt, die Leitkultur gewinnt nur dadurch ihre Qualität, dass sie der gelebte Grundkonsens in unserem Land ist. Sie ist damit nicht ausgrenzend, sondern im besten Sinne des Wortes eingrenzend.

Ich würde mich wirklich freuen, wenn wir es in der weiteren Debatte in der Enquete-Kommission und in der Debatte zum Integrationsgesetz schaffen könnten, zu sagen: Es gibt etwas – wir nennen es Leitkultur –, das eine wichtige gesellschaftliche Funktion hat, das erstens wichtig ist, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu bewahren, das aber zweitens auch wichtig ist, um denjenigen, die zu uns kommen, Orientierung zu geben und sie zu befähigen, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden.

Drei Bitten zum Abschluss: Erstens sollten wir uns als Christenmenschen ernst nehmen und nicht gegensei