Protokoll der Sitzung vom 18.10.2016

Drei Bitten zum Abschluss: Erstens sollten wir uns als Christenmenschen ernst nehmen und nicht gegensei

tig das Christsein absprechen. Ich glaube, dieses Recht hat hier keiner.

(Beifall bei der CSU – Markus Rinderspacher (SPD): Das hat kein Redner hier gesagt!)

Zweitens. Lieber Herr Kollege Rinderspacher, wir sollten uns nicht für Standpunkte verurteilen, die andere haben; denn nur wenn ich einen Standpunkt habe, kann ich auch eine Diskussion führen und anderen Orientierung geben.

Drittens. Wir sollten ein gemeinsames Interesse haben, zusammenzuführen statt zu spalten;

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Kein Wort zur Politik der CSU! Nur heiße Luft!)

denn nur eine Gesellschaft, die zusammenhält und Übereinstimmung findet, in der es Bindekräfte gibt, ist nicht zum Scheitern verurteilt.

(Margit Wild (SPD): Nur leere Worte!)

Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Weg zusammen mit uns zu gehen und nicht schon wieder hier reinzuplärren "Heiße Luft" und anderes in den Raum zu stellen. So wird das nicht funktionieren, meine Damen und Herren!

(Lebhafter Beifall bei der CSU – Anhaltende Zu- rufe von der SPD)

Vielen Dank. – Jetzt hat Frau Petersen für die SPD das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn sich die CSU-Fraktion meine Überlegungen zu eigen macht, habe ich nichts dagegen.

(Beifall bei der SPD)

Den Vorwurf der Spaltung kann ich nicht nachvollziehen. Markus Rinderspacher hat mit seiner Rede nicht gespalten, sondern er hat eine von CSU-Vertretern verursachte Spaltung benannt und dargestellt. Mehr nicht.

(Beifall bei der SPD)

Für eine Flüchtlingspolitik, die geprägt ist von der Solidarität mit den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, gibt es viele gute Gründe und mehrere unterschiedliche weltanschauliche Bezugspunkte. Da gibt es zum einen den Artikel 1 des Grundgesetzes, der lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Darauf hat der Kollege Gehring schon hingewiesen. Es heißt nicht, "die Würde des Deutschen", "die

Würde des Christen", sondern "die Würde des Menschen". Das heißt, es gilt für alle Menschen.

Ein weiterer Bezugspunkt sind der Humanismus bzw. die Aufklärung, die genau das Gleiche vertreten. Ein weiterer Bezugspunkt – ich nenne nicht alle, aber dieser ist besonders wichtig – ist die christlich-jüdische Tradition oder, wie in der CSU auch gern gesagt wird, die christlich-jüdische Kultur.

Vielleicht sollte man hier den Begriff klar definieren. Es gibt eine christlich-jüdische Tradition, in der wir stehen und die wir aufrechterhalten. Es gibt aber keine christlich-jüdische Kultur mehr bei uns, weil Kultur vielfältiger ist. Da gibt es noch ganz andere Einflüsse als Christentum und Judentum.

Sie, meine Damen und Herren von der CSU, bevorzugen den Begriff "Leitkultur". Das ist etwas anderes als Leitprinzipien. Ich glaube, auf Prinzipien können wir uns verständigen. Leitkultur gibt es in dieser Form nicht; denn Kultur ist vielfältig und Leitkultur lässt sich nicht verordnen. Sie muss in der Gesellschaft leben und ist in der Gesellschaft lebendig und vielfältig.

Kollege Gehring hat eben schon auf das berühmte Diktum von Böckenförde hingewiesen: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Deswegen ist der Begriff "Leitkultur" obsolet. Das sollten Sie sich auch einmal klarmachen.

(Beifall bei der SPD)

Was sagt denn nun die christlich-jüdische Tradition, auf die sich die CSU immer wieder beruft und die sie den anderen als Leitkultur verordnen will, bezüglich des Umgangs mit Flüchtlingen? – Eine Forderung nach Begrenzung der Flüchtlingszahl als christliches Gebot, wie Ministerpräsident Seehofer dieser Tage gesagt hat, kenne ich nicht. Er scheint einer Fälschung aufgesessen; denn in meiner wie auch in allen anderen handelsüblichen Bibelausgaben steht davon nichts.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Die gemeinsame Heilige Schrift von Christen und Juden ist das Alte Testament. Deswegen beschränke ich mich jetzt auf einen kurzen Blick ins Alte Testament. Da findet sich zunächst im Schöpfungsbericht die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die sich auch im Grundgesetz niedergeschlagen hat.

Ein zweiter Satz, der vielleicht genauso wichtig, aber weniger bekannt ist, ist das sogenannte historische Credo im fünften Buch Mose. Da heißt es: "Mein Vater war ein heimatloser Aramäer." Das ruft die Frage ins

Bewusstsein: Wo kommen wir her? – Das Volk Israel lebt aus der Erfahrung, dass Jahwe ihm geholfen hat, es aus der Knechtschaft geführt und ihm Heimat gegeben hat.

Die Propheten, Geschichtsschreiber, Weisheitslehrer und andere Autoren der Schriften des Alten Testaments stellen sich die Frage: Wie können wir in Verantwortung vor Gott und gegenüber den Mitmenschen das Zusammenleben gestalten? – Daraus können wir ersehen, dass die Bibel kein Buch für die Vitrine ist, das man zur sporadischen Erbauung vom Staub befreit.

(Zuruf von der CSU)

Man kann nicht nur, man muss mit der Bibel Politik machen.

(Beifall bei der SPD)

Im Alten Testament finden Sie immer wieder Überlegungen zur Verteilungsgerechtigkeit. Zum Beispiel bleiben Menschen, die in Schuldknechtschaft geraten sind, darin nicht bis zu ihrem Tode, sondern die Schuldknechtschaft endet im Erlassjahr. Es ist nicht Wille Gottes, dass Menschen in Schuldknechtschaft bleiben. Der Reichtum und das gute Leben sind ein Segen, aber kein Verdienst.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist mit denen zu teilen, denen es nicht gut geht. Das heißt, wir schotten uns nicht ab gegen die Not, sondern helfen den Menschen, die in Not sind. So lautet die Überzeugung im Alten Testament.

Übertragen wir das einmal auf unsere Verhältnisse. Wir haben es in den Haushaltsreden doch gehört: Bayern geht es gut; es ist das wirtschaftlich stärkste Bundesland, wenn man den Worten des Ministerpräsidenten glauben darf. Zu einer gewissen Solidarität erklärt man sich ja auch bereit, wie wir heute in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten gehört haben. Aber Solidarität kennt keine Grenzen. Sie endet nicht an der bayerischen Grenze und auch nicht an der Landesgrenze. Sie gilt weltweit.

Wenn es uns gut geht, ist das nicht in erster Linie unser Verdienst, sondern wir können darüber froh sein und sollten bereit sein, mit anderen zu teilen. Nehmen wir also die christlich-jüdische Tradition ernst statt uns den Kopf über Burkas zu zerbrechen. Lassen wir uns von den Worten des Alten Testaments und des Neuen Testaments inspirieren, unsere Welt menschlicher zu machen. Das ist nicht linksextrem, sondern christlich und humanistisch.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Jetzt hat Kollegin Brendel-Fischer das Wort für die CSUFraktion. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Rinderspacher, ich habe, ehrlich gesagt, nicht den Eindruck, dass die Staatsregierung oder die CSUFraktion Nachhilfe in Sachen Nächstenliebe oder Beziehungspflege mit den Kirchen nötig hat.

(Zuruf von der SPD)

Da Sie mit Ihrer Thematik nun insbesondere auf die Flüchtlingspolitik abzielen, kann ich Ihnen nur folgenden Rat geben: Schauen Sie sich doch einmal, nachdem ein gutes Jahr vergangen ist und wir die großen Menschenmengen unterbringen konnten, die einzelnen Bundesländer an, wo und wie rasch und verlässlich Unterbringung und Versorgung in den anderen Bundesländern gelungen ist. Bei uns kam es nicht zu zwangsweisen Übernachtungen im Freien, wie vor den Verwaltungsgebäuden in Berlin, wo Dienst nach Vorschrift gemacht wurde. Wo gab es eine vergleichbar hohe Motivation von Arbeitgebern, Wirtschaftsverbänden und Kammern? – Kein Bundesland hat so rasch ein Finanzpaket zur Flüchtlingshilfe auf den Weg gebracht wie wir. Natürlich darf auch das große ehrenamtliche Engagement nicht vergessen werden, für das wir uns nicht oft genug bedanken können.

Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion: Waren das keine Zeichen christlicher Nächstenliebe? – Ich meine: Ja! Das Herz ist weit, aber die Möglichkeiten sind endlich. Bundespräsident Joachim Gauck hat dies in einer viel beachteten Rede deutlich angesprochen. Politik muss alles bedenken, auch Reaktionen und Auswirkungen auf die eigene Bevölkerung. Die sind zweifelsohne recht unterschiedlich. Selbst bei einer optimistischen Einschätzung war klar, dass Zusammenleben und notwendige Integrationsprozesse aufgrund der kulturellen Sozialisation vieler Migranten trotz bestmöglicher Unterstützung keine Selbstläufer sind. Das hat sich mittlerweile in vielen Bereichen bestätigt, im Positiven, aber oftmals auch in nicht so erfolgreichen Fällen. Es war es kein Verstoß gegen das Gebot der Nächstenliebe, dass wir die Einhaltung geltenden europäischen Rechts, die Festlegung sicherer Drittstaaten und den Schutz der EU-Außengrenzen eingefordert haben. Haben all unsere Kritiker, und damit meine ich jetzt auch die Kirchenvertreter, eigentlich mal darüber nachgedacht, was bei uns los wäre, wenn Ungarn, Österreich und weitere Staaten nicht rechtzeitig die von Ihnen so verpönte Zaunaufstellung vorgenommen hätten?

(Beifall bei der CSU)

Ich bin mir sicher, wir hätten große gesellschaftliche Verwerfungen und einen politischen Rechtsruck ungeahnten Ausmaßes erlebt. Und wenn Sie jetzt sagen: "Wahnsinn", dann bitte ich Sie, hier auch ein bisschen politischen Realitätssinn an den Tag zu legen. Weder unsere Verwaltungsorgane noch Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz oder andere hätten eine weitere Zuwanderung dieser Dimension verkraftet. Ich gehe davon aus, dass sich auch Landesbischof Bedford-Strohm sowie Kardinal Marx darüber im Klaren sind.

Für uns waren und bleiben die christlichen Kirchen wichtige Repräsentanten unserer Werteordnung und unserer kulturellen Leitziele. Daher bleibt es unverständlich, dass der Begriff "Leitkultur" immer wieder so infrage gestellt wird. Das ist doch keine Pflichtkultur, sondern es ist eine Orientierung, und eine solche wird von sehr vielen Menschen in Deutschland gefordert.

(Zuruf von der SPD: Aber wir haben doch eine Orientierung! Das müssen Sie nicht neu erfin- den!)

Sie kennen die unterschiedlichsten Umfrageergebnisse. Diese Ergebnisse stehen nicht alle auf der Basis von Umfragen, die von unserer Partei in Auftrag gegeben sind. Ich habe durchaus den Eindruck, dass wir mit unserer Einschätzung näher am Menschen sind und weniger nah an der Kirchenleitung.

Das soll uns aber nicht verunsichern, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem von meiner Fraktion; denn wir können sehr viele Themenbereiche aufzählen, bei denen wir es waren, die fest zu den Kirchen gestanden haben. Der Schutz der christlichen Feiertage, das Festhalten an den Zeitbudgets für unseren Religionsunterricht, die Ladenschlussregelung, die Förderung kirchlicher Verbände und die Verteidigung der Kirchensteuer seien hier als Beispiele genannt.

Mittlerweile ist es über 20 Jahre her, dass vom Bundesverfassungsgericht das erste Kruzifix-Urteil gesprochen wurde. Damals und in den Folgejahren war es vorrangig unsere Partei, die sich auch hier an die Seite des christlichen Glaubens gestellt und für dessen Symbole stark gemacht hat.

(Beifall bei der CSU)

Ohne dabei andere Religionen auszugrenzen oder zu diskriminieren – das möchte niemand von uns –, werden wir diesen Kurs beibehalten. Hierbei werden wir natürlich weiterhin einen konstruktiven Dialog mit den Kirchen pflegen. Wir alle stehen dabei in unseren Wahlkreisen zuhause in sehr gutem Kontakt mit den