Protokoll der Sitzung vom 24.02.2000

Sie geht davon aus, Herr Töpfer, dass dieses Wachstum über dem Bundesdurchschnitt liegen wird, und das macht uns sehr zuversichtlich, dass weitere Maßnahmen, die wir auch aus dem Investitionssonderprogramm beschlossen haben, greifen und dazu führen, dass wir der Sanierung wieder ein Stück näher kommen, meine Damen und Herren. — Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Trüpel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Allein schon die Tatsache, dass der Antrag „Arbeitsmarkteffekte des Investitionssonderprogramms“ nach fünf Jahren kommt, spricht doch für sich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Anders als immer behauptet worden ist, spricht es nicht gerade dafür, dass das die Hauptrelevanz ist. Man hätte sich um viele dieser Fragen vorher kümmern müssen. Wir und auch der Rechnungshof haben das immer angemahnt. Erst auf unseren Druck ist überhaupt die Frage der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung auch in die Maßnahmen aufgenommen worden, die jetzt über den Kapitaldienstfonds abgewickelt werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aber ich bin mir mit meiner Kollegin Frau LemkeSchulte einig, dass es verdammt wichtig ist, endlich genau hinzusehen, welche wirtschaftlichen Effekte und welche Arbeitsplatzeffekte mit den Projekten und Maßnahmen, die aus dem Investitionssonderprogramm finanziert werden sollen, denn wirklich verbunden sind. Da stehen wir eng an Ihrer Seite, und aus unserer Sicht wird es dringend Zeit, das genauer zu überprüfen, als es bisher der Fall gewesen ist. Darum sehen wir auch in diesem Antrag, den die große Koalition hier heute eingebracht hat, eine massive Kritik an der jetzigen Politik, die zwar light verpackt ist, aber natürlich drücken Sie damit aus, dass Sie mit den bisherigen Erfolgen und Effekten nicht zufrieden sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen) _______ *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Man kann damit auch nicht zufrieden sein. Jetzt stellen wir fest, dass in den letzten Jahren unser Senator Perschau, Senator für Zweckoptimismus und positive Verkündigungen, ja immer schon gesagt hat, dass die Wachstumszahlen der letzten Jahre ISP-induziert gewesen seien. Wir haben damals schon immer gesagt, dass das aus unserer Sicht etwas mit Einmaleffekten zu tun hat, und offensichtlich ist das ja auch so, weil sich sonst gar nicht erklären ließe, warum die Wachstumszahlen 1999 bei 0,5 Prozent liegen.

Jetzt gehe ich ja mit Ihnen konform, dass Strukturwandel nur mittelfristig Resultate zeitigt. Das ist eine schwierige Aufgabe. Bisher sind diese Effekte aus der Strukturwandelpolitik noch nicht eingetreten, ob sie wirklich erfolgreich sein wird, können wir im Moment noch nicht beurteilen. Was wir aber sagen können, ist, dass die Effekte, die Sie bisher angeführt haben, offensichtlich noch keine Effekte des Strukturwandels sind. Von daher haben sich Herr Senator Perschau und die große Koalition, was die Wachstumszahlen der letzten Jahre anging, mit fremden Federn geschmückt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie haben hier Sachen vor sich her getragen und damit auch Ansprüche in die Welt gesetzt, weil es doch immer Ihre Maßstäbe waren, dass es ganz schnell gelingen wird, mehr Arbeitsplätze und auch überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum in Bremen erzielen zu können.

(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Wahlkampf!)

Das ist offensichtlich nicht so, das waren in Wirklichkeit Wahlkampfparolen und Stimmungsmache, die durch die Bilanzen, die jetzt vorliegen, in keiner Weise gedeckt sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dieser Antrag, der vorliegt, ist in seinem Begründungsteil für uns rein legitimatorisch. Bis hin zu Herrn Hockemeyer wird jetzt verlangt, dass man das Investitionssonderprogramm überprüfen und neu justieren muss. Da hat er einfach Recht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt sehen wir uns einmal Beispiele an, wie in der Vergangenheit mit der Frage der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und der Arbeitsmarkteffekte umgegangen worden ist. Erstes Beispiel: die Große Anfrage zur Carl-Schurz-Kaserne! Da steht dann in der Antwort, die Beschäftigungseffekte sind nur rudimentär darzustellen, die indirekten Beschäftigungseffekte können angeblich nicht beziffert werden. Das

erst einmal zu der Praxis, wie bisher mit solchen Nachfragen umgegangen wurde!

(Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Aber die Stimmung ist gut!)

Das ist völlig unpräzise, keine klaren Aussagen.

Zweites Beispiel: Telematikplattform Bremen! Das wichtige Kriterium ist laut Senat Schaffung und Erhalt von Arbeitsplätzen, das hat Frau Lemke-Schulte eben ja auch noch einmal gesagt. In der Mitteilung des Senats sieht sich der Senat außerstande, Arbeitsplatzeffekte zu quantifizieren. Da frage ich Sie, meine Damen und Herren, was sollen diese Kriterien, wenn sie nicht operationalisiert werden? Wie überprüft der Senat eigentlich die selbstgesteckten Ziele?

Jetzt sehen wir uns einmal andere von Ihnen ja so gerühmte Projekte aus dem Investitionssonderprogramm an. Nach der heutigen Pressemitteilung, was den Ocean-Park angeht, kann man nur feststellen, es gibt nach wie vor keine klare Bankenzusage über die Finanzierung. Es ist ein elendes Trauerspiel um diesen Ocean-Park, er ist de facto gescheitert.

Ich möchte noch einmal daran erinnern, wie wir hier vor Jahren verhöhnt worden sind, als wir diese kritischen Fragen gestellt haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Auch da haben Sie immer nur in Zweckoptimismus gemacht, alle kritischen Nachfragen sind als Vaterlandsverräterei beiseite geschoben worden, und jetzt stehen wir vor den Trümmern dieser Politik! Es gibt keine Alternativen, es gibt keine Planungstiefe für den Blauen Planeten. Man hat sich an Köllman gekoppelt, um jetzt nach fünf Jahren mit leeren Händen dazustehen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Abg. Z a c h a u [Bündnis 90/Die Grünen]: Und mit leeren Taschen!)

Das ist doch wirklich eine Katastrophe in der bremischen Wirtschaftspolitik.

Oder die Carl-Schurz-Kaserne! Das Projekt kommt nicht voran, oder sehen wir uns einmal das SpaceCenter an! 400 Millionen DM öffentlicher Gelder sollen in dieses Space-Center gehen, um 399 Arbeitsplätze zu schaffen.

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Für wie viel Geld?)

Für 400 Millionen DM 399 Arbeitsplätze! Im Kulturbereich sollen für zwölf bis 15 Millionen DM 120 bis

150 Stellen wegfallen. Was sind das eigentlich für Maßstäbe?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Einmal will man 400 Millionen DM in die Hand nehmen und vernichtet auf der anderen Seite Arbeitsplätze, die alle in den Dienstleistungsbereich gehören. Wir wissen, dass wir eine größere Offensive noch im Dienstleistungsbereich brauchen. Das hat auch gerade der Bericht 1999 gezeigt, dass Bremen da noch ein großes Defizit hat. Man kann doch dann nicht mit einer solchen Summe staatlichen Geldes relativ wenig Arbeitsplätze schaffen und auf der anderen Seite einen wesentlichen Teil einer kontinuierlichen Arbeit in Bremen wegreißen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sehen wir uns einmal die Feinaufteilung an! Allein wenn es um den Anteil der GA-Mittel geht für das Space-Center, sollen zwölf Millionen DM in das Kino fließen und vier bis fünf Millionen DM in die Disco. Meine Damen und Herren, was ist das eigentlich für eine Wirtschaftsförderpolitik? Andere Kinos müssen das privat finanzieren, zu Recht, und auch Discos werden doch normalerweise nicht vom Staat finanziert, aber da fließen Gelder in den Space-Park, wo mit staatlichen Geldern Einrichtungen finanziert werden, die sich sonst ausschließlich über den privaten Markt finanzieren. Das ist Wettbewerbsverzerrung und hat mit einer Konzentration von Wirtschaftsfördermitteln überhaupt nichts zu tun!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aus unserer Sicht lässt sich feststellen, was den Strukturwandel angeht, er ist nicht gezielt genug und früh genug eingeleitet worden. An dem Problem laborieren wir jetzt. Ich will Sie einmal kurz darauf hinweisen, jetzt ist gerade die CeBIT eröffnet worden, und auch da stellt man fest, dass eines unserer großen Probleme ist, dass wir nicht entsprechend qualifiziertes Personal haben. Jetzt müsste man doch verlangen, dass gerade ein Land wie Bremen, das in einer Haushaltsnotlage ist, versucht, alles daranzusetzen, nicht nur nachholende Modernisierung zu betreiben, sondern ein Stück die Nase vorn zu haben. Diese Chance ist mit dem ISP, wie es bisher gestrickt worden ist, aber vertan worden. Ein großer Teil der Mittel war gebunden für Verkehrsprojekte, die nicht die entsprechenden kurzfristigen Arbeitsmarkteffekte haben, aber natürlich auch sonst nicht einfach so viel privates Kapital nach sich ziehen, und es ist ganz viel in die Gewerbeflächenangebotspolitik gesteckt worden. Ich glaube einfach, dass sich diese Schwerpunktsetzung jetzt rächt, weil sie nämlich nicht gezielt genug und schnell genug Strukturwandel eingeleitet hat.

Wir haben in den letzten Jahren immer schon gesagt, es ging nie darum, dass wir das ISP abgelehnt haben, wie hier eben behauptet worden ist, sondern wir haben uns die ganze Zeit um die Größenordnung und um die Ausrichtung darüber gestritten, was denn wirklich Zukunftsinvestitionen sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, diese Diskussion geht jetzt in der Stadt wirklich los, und zwar von den betroffenen Milieus bis weit hinein in die Handelskammer. Darum möchte ich noch einmal sagen, wenn Herr Hockemeyer sich angesichts der aktuellen Politik, und man kann ja nun wirklich nicht behaupten, dass der Ihnen fern stehen würde, aufgefordert fühlt, öffentlich zu sagen, eine Korrektur ist nötig, eine Neuorientierung der Sanierungspolitik ist nötig, dann ist das doch ein deutlicher Fingerzeig, dass Sie sich nicht so selbst mit Ruhm bekleckern können, wie Sie das hier heute getan haben. Dazu gibt es leider überhaupt keinen Anlass.

Wir stehen, und das ist ja auch eben von SPDSeite angedeutet worden, in der Tat vor der Frage, das ISP noch einmal sehr genau anzusehen und die Frage zu stellen, was denn wirklich die Zukunftsinvestitionen sind. Aus meiner Sicht muss man mehr in Humankapital, in kleine und mittlere Unternehmen und Existenzgründungen und in den Dienstleistungsbereich stecken, als es bisher der Fall gewesen ist. Da gibt es leider eine deutliche Schieflage der Architektur des Investitionssonderprogramms.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn man jetzt nicht ganz schnell den Mut hat, hier zu einer Korrektur zu kommen, dann wird man die Chance, die Bremen mit diesem Sanierungsprogramm gehabt hat, verspielt haben. Deswegen verlangen wir, dass es ein Innehalten gibt und dass die Projekte, die jetzt noch anstehen, sehr genau überprüft werden, ob sie wirklich Zukunftsinvestitionen sind.

In dem Zusammenhang auch noch einmal eine Bemerkung zur Technologiepolitik! Aus meiner Sicht hat Herr Böhrnsen wirklich einen sehr guten und weitsichtigen Vorschlag gemacht. Gerade vor dem Hintergrund der modernen Technologien gibt es doch wieder die Chance auf eine andere Vorstellung der Stadtentwicklung überhaupt. Es war doch ein Resultat der Industriepolitik des neunzehnten Jahrhunderts, dass Arbeiten und Wohnen immer weiter auseinander gerückt sind wegen der Emissionen, wegen des Lärms. Wenn das aber jetzt nicht mehr der Fall ist, bietet sich doch die Chance für eine ganz neue Form der Integration von Wohnen und Arbeiten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das heißt, sowohl was die Wirtschaftsstrukurpolitik angeht, den Strukturwandel, als auch die Stadtentwicklung, müssen wir wirklich zu einer Vorstellung von Stadt des einundzwanzigsten Jahrhunderts kommen und dürfen uns nicht von alten Leitlinien, die historisch überholt sind, leiten lassen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Auch wenn es in den letzten Jahren einmal richtig war, Technologieparks zu machen, muss man mittlerweile in dieser Form der Verparkung von Stadt überhaupt nicht mehr denken, sondern wir können zu einer ganz anderen Form von Integration kommen. Deswegen ist es richtig, die Stadt als Ganzes in den Blick zu bekommen und Technopolis als Leitlinie zu haben und sich nicht wie die CDU hinterwäldlerisch mit der Online-City zu bewegen und zu glauben, man müsste die letzten Grünflächen im Hollerland dafür plattmachen.

Ich glaube, gerade eine Politik, die in die Stadt hineingeht mit den Hightech-Angeboten und Dienstleistungen und auch Bereiche der Stadt innen nutzt, die frei geworden sind, weil die Industrien des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr à jour sind, die können wir nutzen. Wenn wir diesen Weg gehen und das ISP unter diesen Gesichtspunkten neu justieren, dann hat Bremen wirklich eine Chance, den Strukturwandel zu bewältigen.