Der jüngste Skandal! Da soll laut „Kennzeichen D“ der wegen Volksverhetzung verurteilte Neonazi namens Thomas Dienel Informant des Thüringer Verfassungsschutzes gewesen sein. Hierzu schreibt die „taz“ — Herr Präsident, ich darf zitieren —: „Der Thüringer Neonazi Dienel war geradezu gerührt und vergnügt: ‚Das Landesamt für Verfassungsschutz‘, und darüber musste er lachen, ,hat mir massenweise Aufkleber und Werbematerial und so weiter finanziert‘, was er als Spendengelder für die rechtsextremistische Szene betrachtet habe.“ Soweit die Aussage dieses Herrn Dienel!
Ebenso fragt man sich, ob es im Fall — jetzt hören Sie genau zu! — des Polizistenmörders von Dortmund geheimdienstliche Hintergründe gibt. Hierzu notiert der „Spiegel“: „Der Täter, Michael Berger, sei bei der NADIS“ — für diejenigen, die das nicht wissen, das ist das Informationssystem des Verfassungsschutzes — „schon lange gespeichert gewesen, und in den einschlägigen Ruhrgebietsszenen werde gar kolportiert, behauptet, der Täter sei ein Spitzel gewesen, weil der Staatsschutz von seiner Waffensammlung schon lange gewusst habe, ohne einzuschreiten.“ Ich meine, das sagt schon einiges aus, meine Damen und Herren, darüber kann sich ja jeder so seine Gedanken machen.
Ich könnte hier noch stundenlang Fakten und Tatsachen solcher Skandale des Verfassungsschutzes ausführen. Leider habe ich aber nur eine begrenzte Redezeit.
Meine Damen und Herren: „Wie der Herr, so‘s Gescherr.“ Auch an der Spitze der Verfassungsschutzämter gab es zahlreiche Skandale. Hierzu noch einmal kurz einen kleinen Überblick! Fahnder des Bundeskriminalamtes suchen immer noch per Haftbefehl den früheren Verfassungsschutzchef Holger Pfahls. Ihm wird vorgeworfen, Schmiergelder in Höhe von sage und schreibe 3,8 Millionen DM kassiert zu haben. Es geht noch weiter! Sein Vorgänger Hellenbroich war verantwortlich, dass der alkoholkranke Abwehrchef Tietgen zu der SED-Diktatur der DDR überlief. Hellenbroich musste daraufhin zurücktreten.
Hellenbroichs Vorgänger wiederum, Richard Meyer, musste als Chef des Verfassungsschutzes zurücktreten, nachdem er einen Autounfall mit Todesfolge verursacht hatte. Meyers Vorgänger, Günther Nollau, musste wegen Totalversagen bei der Affäre um den DDR-Spitzenspion Guillaume zurücktreten. Nollaus Vorgänger wiederum, Hubert Schrübbers, musste wegen seiner NS-Vergangenheit zurücktre
ten. Schrübbers Vorgänger, Otto John, wurde 1956 wegen Landesverrat zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und so weiter.
Meine Damen und Herren, John, Schrübbers, Nollau, Meyer, Hellenbroich, Pfahls, eine wahrlich stolze Riege vorbildlicher Verfassungsschützer! Das muss ich schon sagen. Hierzu stellt der persönliche Freund unseres Bundesvorsitzenden Dr. Frey, der legendäre deutsche Abwehrchef und Begründer des BND, General Gehlen, fest: „Es ist schon verwunderlich, was für Leute es zum Teil in leitenden Stellen bei deutschen Behörden zu etwas gebracht haben, und dazu noch in einer solchen, die für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich ist.“
Meine Damen und Herren, Sie wollen mir doch hier nicht erzählen und allen Ernstes erklären, dass man auf eine solch teure, sinnlose und skandalträchtige Behörde namens Verfassungsschutz zum Wohle der Steuerzahler nicht verzichten könnte! Ich meine, zum Wohle der Steuerzahler müsste man es sogar! — Ich bedanke mich!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Tittmann, die DVU ist Gegenstand der Beobachtung des Verfassungsschutzes, allein das macht ihn unverzichtbar,
damit es durch fundierte Erkenntnisse möglich bleibt, den Zusammenhang der geistigen Steigbügelhalter, die wir auch hier erleben, zu den gewalttätigen rechtsextremistischen Anschlägen nicht aus den Augen zu verlieren.
(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen — Abg. T i t t - m a n n [DVU]: Wo leben Sie eigentlich?)
Meine Damen und Herren, nach dem Krieg brauchte es wegweisender Urteile des Bundesverfassungsgerichts und der Instrumente der wehrhaften Demokratie, um nicht ein zweites Mal in diesem Jahrhundert die Demokratie zu ruinieren. Danach ist die Bedeutung des Verfassungsschutzes gestiegen. Ihren Höhepunkt erlebte die Diskussion um den aktiven Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in den siebziger Jahren. Nicht allen ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
ist diese Zeit der schlimmen terroristischen Anschläge wie auch des vergifteten gesellschaftlichen Klimas, der Regelanfragen und der so genannten Berufsverbote als gute alte Zeit in Erinnerung.
Doch am Ende der achtziger Jahre hat es einen tief greifenden Einschnitt gegeben, den der Senat in seiner Antwort mit dem Wegfall der Ost-WestKonfrontation beschreibt. In der Folge sind ganze Feindbildwelten nicht nur in Frage gestellt worden, sondern geradezu untergegangen. Die Anpassung des Verfassungsschutzamtes fiel drastisch aus. Herr Herderhorst hat darauf hingewiesen, der Senat hat von einer Halbierung des Personalbestandes gesprochen.
Parallel dazu hat sich aber auch das gesellschaftliche Klima verändert. Das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist von der Tagesordnung dramatischer politischer Debatten verschwunden. Es wird mehr oder weniger undramatisch gelebt. Wer in dieser Situation die Frage nach der Verzichtbarkeit des amtlichen Verfassungsschutzes stellt, wie es in den Haushaltsberatungen auch die Grünen getan haben, der ist doch kein politischer Hasardeur, sondern der zieht Schlüsse und verdient Antworten.
Meine Damen und Herren, ich bin bereit, diese Antworten auch positiv für den Verfassungsschutz zu geben. Ich bin mir sicher, dass es auch in Bremen extremistische Bestrebungen gibt, die es zu überwachen gilt. Das drängt sich für den rechtsextremistischen Bereich besonders auf.
Ich halte es auch für richtig, dass Bremen im bundesdeutschen Konzert seine Rolle spielt, sei sie auch klein, aber wir wissen, sie ist deutlich erkennbar. Verpflichtungen gegenüber dem Bund und anderen Ämtern müssen eingehalten werden. Deshalb kann, und ich sage für mich auch, und will das Bundesland Bremen sich von der Aufgabe Verfassungsschutz nicht verabschieden.
Die Frage, die sich mir aber aufgedrängt hat, und Herr Herderhorst hat darauf hingewiesen, ist doch, ob wir angesichts unserer Sparhaushalte für die Erledigung der unabweisbaren Aufgabe eine optimale, weil gleichermaßen preiswerte wie effektive Lösung gefunden haben. Das müssen wir heute hier gar nicht beantworten, denn parallel dazu läuft ja diese Frage auch noch in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Dazu wird der Senat dann noch einmal dezidiert Stellung nehmen.
Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein — den Verfassungsschutz als Abteilung im Innenressort führen. In Berlin wird das gerade neu organisiert. Ich möchte deshalb vom Senat wissen, ob auch in Bremen alle Ressourcengewinne ausgeschöpft sind. Diese Frage ist nicht nur legitim, sondern angesichts der übrigen Rahmenbedingungen im Innenressort notwendig. Das ist weder ein Zweifel an der Erforderlichkeit des Verfassungsschutzes noch an der Koalitionsvereinbarung.
Allerdings gibt es für mich ebenso wenig Zweifel, wenn ich den Blick auf Frage drei der CDU-Anfrage und die Antwort des Senats richte. Hier wie bundesweit versucht die CDU, Pflöcke einzuschlagen, das Aufgabenfeld des Geheimdienstes Verfassungsschutz zu erweitern. Die Angst der Bürgerinnen und Bürger vor schwerer Kriminalität soll dazu herhalten, eine wichtige Errungenschaft aus der Nachkriegszeit zu schleifen, nämlich das Trennungsgebot zwischen polizeilichen und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten. Offenbar ist die CDU sich nicht bewusst, welche rechtsstaatlichen Gefahren sie sinnlos heraufbeschwört, wenn sie das Trennungsgebot, als Lehre gezogen aus dem Unrechtsregime des Gestapostaates, verwischt.
Ich fordere, dass es eine solche Aufgabe der Verwischung nicht gibt. Ich fordere, dass der im Senat angekündigte Gesetzentwurf über den Verfassungsschutz auch darauf achtet, wenn er hier in der Bürgerschaft erfolgreich sein soll. Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Herderhorst und Herr Dr. Schulte, dass mit der SPD hier im Haus die Aufhebung des Trennungsgebotes zu machen sein wird.
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Thema Verfassungsschutz machen, die über die reine amtliche Extremistenabwehr hinausgehen! Uns lehren die jüngsten Erfahrungen aus dem deutschen Osten, dass nur mit einem breiten demokratischen Konsens den Bedrohungen unserer Grundordnung begegnet werden kann. Nicht in Bremen, aber in vielen Städten jenseits der Elbe gehören Rechtsextremismus und Gewalt bis hin zu Mord und Totschlag, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, übersteigerter Nationalismus, Rassismus und Fundamentalismus zur alltäglichen Erfahrung.
Es sind weder Marsmenschen noch verirrte Altnazis, die hinter den rassistischen und terroristischen Gewalttaten stehen, die in ostdeutschen Städten für unsere ausländischen Mitbürger die Menschenrechte der Verfassung oft zur Makulatur geraten lassen. Die oftmals jugendlichen Täter kommen aus der Mitte der Gesellschaft, können auf klammheimlichen
Beifall vieler so genannter ehrbarer Bürger hoffen. Die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung ist nirgends stärker gefährdet als in diesen, im Nazijargon so genannten national befreiten Zonen.
Keine Frage, hier ist Verfassungsschutz unverzichtbar und muss doch gleichzeitig die Beschränkung auf amtliche Beobachtung und Auswertung versagen. Hier sind aktiver Verfassungspatriotismus und Zivilcourage durch jede Bürgerin und jeden Bürger zu unterstützen. Hier bräuchte es jede Hilfe für die Polizei, damit sie die deutschen und nichtdeutschen Bürger vor den rechten Verbrecherbanden schützen kann.
Wir können hier nur dazu beitragen, dass dieses Gedankengut keinen Nährboden findet und dass die breite Öffentlichkeit, insbesondere Jugendliche, über das Entstehen, die Hintergründe und das Ausmaß von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt informiert ist. Dazu gehört auch die Vermittlung der Grundwerte unserer Verfassung, denn der Satz stimmt: Nur wer weiß, was durch wen bedroht ist, weiß auch, was er durch Verteidigung zu bewahren hat!
Meine Damen und Herren, ganz zum Schluss möchte ich auf eines hinzuweisen allerdings auch nicht verzichten. Den besten Schutz der Verfassung, so heißt es, leistet der informierte und für die Demokratie engagierte Bürger selbst. Diesem Bürger aber muss man mit gutem Beispiel vorangehen. Da wirkt es doch manchmal etwas hohl, wenn exakt am gleichen Tag, an dem hier das Bekenntnis der CDU zum Verfassungsschutz kommt, im Bundestag zu einem Untersuchungsausschuss debattiert wird, in dem der Ex-CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl unser Grundgesetz als sein persönliches Poesiealbum betrachtet,
aus dem er einmal kurz ein paar Seiten herausreißen kann, weil ihm ein großes Indianerehrenwort wichtiger ist als sein Schwur vor dem Deutschen Bundestag.
Wenn es der CDU gelänge, ihren Altkanzler wieder auf den Weg von Recht und Gesetz zu bringen, wäre das ein verdienstvollerer Beitrag zu einem aktiven Verfassungsschutz als einige Planstellen für eine Behörde am Bremer Flughafen. — Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte hier gar nicht weiter auf die Rede von Herrn Tittmann eingehen. Sie sind ja quasi befangen in dieser Frage.
Die Frage ist, ob Sie nicht eigentlich als befangen den Raum hätten verlassen müssen. Wenn es einem gelingt, mich vielleicht von meiner grundsätzlichen Position in dieser Frage doch noch abzubringen, dann sind das Sie. Ihr Beitrag hat vielleicht in diese Richtung schon ein bisschen gewirkt. Das war wirklich schlimm, aber dazu ist ja auch schon von meinem Vorredner einiges gesagt worden.
Warum, und damit möchte ich zu dem ernsteren Teil dieser Debatte zurückkommen, ist die Große Anfrage der CDU in dieser Form jetzt gestellt worden? Es ist sicher eine Reaktion auf Debatten in der Parlamentarischen Kontrollkommission, das ist gesagt worden, und auch auf Debatten in der Öffentlichkeit. Hier hat die CDU wohl gemeint, eine Lanze für den Verfassungsschutz in Bremen brechen zu müssen und diese Große Anfrage eingebracht.
Es ist darin allerdings, wenn man sich die Große Anfrage anschaut, eine Reihe von Merkwürdigkeiten und Missverständnissen zu beobachten. Das Erste ist: Sie hätten eigentlich in der Überschrift „Verfassungsschutz ist unverzichtbar“ ein Fragezeichen am Ende machen müssen, sonst hätten Sie ja gleich einen Antrag stellen können. Wenn Sie ehrlich Fragen haben stellen wollen, hätten Sie dahinter ein Fragezeichen machen müssen. Wenn Sie sich schon vorher so sicher waren, dann hätten Sie ja hier auch einen Antrag einbringen können, möglicherweise den Haushalt des Landesamtes aufzustocken oder etwas Ähnliches.
Das Zweite: Sie haben mindestens zwei falsche Grundannahmen in Ihrer Anfrage, die Sie als Einleitung für Ihre Fragen benutzt haben. Die Erste ist: Der Verfassungsschutz hat in seiner Geschichte, so schreiben Sie, ständig an Bedeutung gewonnen.
Da gibt Ihnen natürlich nun der Senat Auskunft, mein Vorredner hat das ja schon in einem kleinen historischen Abriss gesagt, dass das so natürlich nicht richtig ist. Auch in der Antwort des Senats erfahren wir natürlich, und jedem von uns, der das beobachtet hat, ist das klar, dass durch den Wegfall der OstWest-Konfrontation, durch den Fall der Mauer, hier ein großer Einschnitt passiert ist, große Veränderungen, nicht zuletzt auch beim Verfassungsschutz. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.