Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nur ganz kurz, Frau Senatorin, ich wollte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie
inzwischen die Initiative ergriffen und mit dem St.Joseph-Stift gesprochen haben, damit es diese Babyklappe, -fenster, -körbchen, oder wie auch immer man das nennen will, geben wird. Sie haben gesagt, es ist ganz fürchterlich, dass es so etwas geben muss, das sehe ich genauso. Herzlichen Dank! Ich glaube nicht, dass hier im Haus irgendjemand dieses Thema politisch ausschlachten wollte. – Danke schön!
Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 15/635 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
Gleichstellung von Frauen und Männern gezielt und konsequent umsetzen – Gender Mainstreaming als Strategie im politischen Handeln verankern
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Ihnen einen Antrag vorgelegt, der zum Ziel hat, dass Gender Mainstreaming gezielt und konsequent umgesetzt werden soll und auch muss. Um es gleich am Anfang ganz klar ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
und deutlich zu machen, hier geht es nicht um Trends, um Modebegriffe oder um Leerformeln. Es geht uns auch nicht um unverstandene Top-downAnweisungen und auch nicht allein um gezielte Frauenförderung, nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns vor allem um das Anschieben eines wirksamen, notwendigen und zukunftsweisenden Prozesses der Chancengleichheit und auch um die Möglichkeit, zukünftig weiterhin ungeschmälert an EU-Programmen zu partizipieren.
Über den Begriff Gender Mainstreaming ist in den letzten Jahren viel diskutiert worden. Gibt es sprachlich einen besseren Begriff oder nicht? Wie kann man ihn ins Deutsche übersetzen? Ich finde, das sollte für uns heute eine Nebensache sein. Der Begriff Gender Mainstreaming wird international gebraucht. Gender bedeutet das kulturelle und gesellschaftliche Geschlecht im Gegensatz zu Sexus, dem biologischen Geschlecht. Mainstreaming bedeutet, etwas in den Mittelpunkt stellen, es zum Bestandteil des normalen Handelns machen. Bundeskanzler Schröder würde, glaube ich, jetzt sagen „Und damit Basta!“.
Hinter dem Begriff Gender Mainstreaming steht auch eine Verbindlichkeit. Gender Mainstreaming ist eine Vorgabe der EU. Mit der Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages im Mai 1999 wurde die Verbindlichkeit für alle Mitgliedsstaaten festgelegt. Dies war ein wichtiger Schritt, um die Förderung der Geschlechterdemokratie einzufordern und auch umzusetzen. Politische Entscheidungsprozesse sind somit so zu gestalten und so zu organisieren, dass alle Beteiligten und alle Bereiche auf allen Ebenen dies durchführen. Ich betone hier bewusst „auf allen Ebenen“. Den Blickwinkel der Gleichstellung von Frauen und von Männern müssen alle einnehmen, das heißt bei der Planung, bei der Durchführung, bei der Begleitung und auch bei der Bewertung von Programmen und Maßnahmen.
Jetzt, meine Damen und Herren, eine, wie ich meine, sehr wichtige Aussage: Dieser Blickwinkel der Gleichstellung hat nicht nur zur Folge, dass Frauen und Männer als jeweils homogene Gruppen gesehen werden, nein, es muss ebenso beachtet werden, dass es sehr unterschiedliche Sozialisations- und Lebensformen sowohl bei Frauen als auch bei Männern gibt. Das hat auch eine gewichtige Rolle zu spielen. Ich nenne hier nur einmal den Begriff Sozialraumanalyse. Somit ersetzt Gender Mainstreaming keinesfalls Maßnahmen zur gezielten Frauenförderung, sondern Gender Mainstreaming ergänzt diese.
Meine Damen und Herren, zur Umsetzung von Chancengleichheit in Europa muss leider festgestellt werden, dass Deutschland mit Spanien, Portugal und Griechenland das Schlusslicht bildet, eine in der Zukunft nicht mehr tragbare Tatsache. Hier ist nicht nur die Bundesebene in der Verpflichtung, Gender Mainstreaming umzusetzen, sondern genauso auch die Länder und die Kommunen. Wie bei allen Er
neuerungen ist jedoch das Wichtigste die Voraussetzung des Wollens, diese Strategie auch umzusetzen. Dieses Leitbild muss nicht nur akzeptiert, sondern auch inhaltlich getragen werden, denn die Umsetzung wird wesentlich davon abhängen, ob diese Verantwortung wahrgenommen wird und vor allem mit welchen Ergebnissen.
Um an akzeptable Ergebnisse zu kommen, sind anfangs die Fachressorts verpflichtet zu reagieren. Diese Top-down-Strategie heißt, dass die Fortbildung und die Sensibilisierung zuerst bei den Führungskräften und Entscheidungsträgern begonnen werden muss. Die Motivation und die Befähigung, gleichstellungspolitische Handlungsmöglichkeiten zu erkennen, zu nutzen und zu erweitern, das will gelernt sein! Jeder Ressortführung muss klar sein, dass nicht nur Haushaltseckwerte und Personaleinsparquoten eingehalten werden müssen, nein, dazu muss auch ständig geprüft werden, wie bei allen Entscheidungen das Prinzip von Gender Mainstreaming umgesetzt werden kann.
Der Senat ist hier gefordert, Indikatoren und Prüfinstrumente zu entwickeln, die diese Umsetzung deutlich machen. Das Nichthandeln und das Nichtumsetzen muss Konsequenzen haben. Da reicht nicht nur, bildlich gesprochen, der Daumen nach unten, wie ihn alle kennen, wie er auch im alten Rom gebraucht wurde, da gibt es bessere und motivierendere Möglichkeiten. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen weisen in diesem Zusammenhang auf Modelle in Skandinavien hin, die ich hier jetzt nicht näher ausführen möchte.
Auf jeden Fall sollte der Senat bis Ende Oktober 2001 einen Bericht vorlegen, in dem er den Stand der Umsetzung in Bremen sowie die weiteren Maßnahmen zur Umsetzung beschreibt. Ebenfalls wird der Senat durch unseren Antrag aufgefordert, über die Erfolge der aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds kofinanzierten Arbeitspolitik zu berichten, denn die beschäftigungspolitischen Leitlinien sowie die Reform des EU-Strukturfonds enthalten ebenfalls die Zielsetzung und die Vorgabe des Gender Mainstreaming. Operative Programme der Bundesländer, die diese Vorgabe nicht berücksichtigen, werden zurückgewiesen und müssen nachgebessert werden.
Sie sehen, meine Damen und Herren, die Umsetzung dieser Strategie hat auch einen wichtigen ökonomischen Aspekt. Ich nehme dafür einmal ein Beispiel aus Bremen. Beim Bau der Straßenbahnlinie eins Richtung Arsten wurden zum Beispiel an der Haltestelle Theodor-Billroth-Straße Fußgängertunnel gebaut. Damit sollte erreicht werden, dass die Haltestelle ohne Überqueren der Gleise zu erreichen ist. Was ist passiert? Nachdem immer weniger Leute sich trauten, dort hindurchzugehen und dort auch eine Frau vergewaltigt wurde, setzten sich das Planungsamt und das Ordnungsamt zusammen und erarbeiteten ein Konzept. Das Ergebnis war, die ver
schiedenen Haltestellen wurden umgebaut, so dass sie jetzt ohne Angsträume benutzbar sind. Ich möchte hier erklären: Wäre hier von vornherein das Prinzip des Gender Mainstreaming eingesetzt worden, wäre eine Menge Geld gespart worden.
Es ist bekannt, dass die Benachteiligung von Menschen nicht nur individuelle Unzufriedenheit auslöst, was ja schlimm genug ist, darüber hinaus ist sie auch noch ein Kostenfaktor mit zunehmender Tendenz. Denken wir nur einmal an die Versäumnisse bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die in der Vergangenheit stattgefunden haben! Die Schwierigkeit der beruflichen Tätigkeit bei gleichzeitigem Leben mit Kindern hat mit dazu geführt, dass in hohem Maße auf Kinder verzichtet wurde. Die Geburtenzahl ist rückläufig. Auch hier setzt Gender Mainstreaming an.
Ich nehme noch einmal ein Beispiel aus Bremen. Wenn wir uns die Bilanz des Landesprogramms zur beruflichen Qualifizierung von Sozialhilfeempfängern ansehen, ist festzustellen, der Frauenanteil lag bei 62 Prozent, davon waren 58 Prozent alleinerziehend. Bei der Vertragsvergabe wurden bewusst Frauen, insbesondere alleinerziehende Frauen, bevorzugt. Angesichts der Tatsache, dass Kinder gemäß dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung einer der Hauptgründe für Armut und Sozialhilfebezug sind, muss, denke ich, zumindest darüber nachgedacht werden, ob nicht auch der alleinerziehende Mann gegenüber der Frau ohne Kinder bevorzugt in solch ein Programm aufgenommen werden kann.
Wie dringend wir zu Umsetzungsstrategien kommen müssen, wird täglich klarer. Deshalb haben wir dem Haus diesen Antrag vorgelegt, damit auch hier im Land Bremen klar und deutlich festgelegt wird, wie das Leitprinzip des Gender Mainstreaming umgesetzt werden soll.
Der letzte Deutsche Städtetag hat Gender Mainstreaming beschlossen. Damit hat der Deutsche Städtetag zum ersten Mal das Leitbild der Geschlechtergerechtigkeit als Ziel aufgenommen. Es ist bedauerlich, dass sich die Akzeptanz dieser Methode in einigen Köpfen von Entscheidungsträgern noch nicht genügend verfestigt hat. Aber das kann natürlich kein Grund sein, diese Aufgabe nicht endlich forsch anzugehen, denn Gender Mainstreaming einzuführen und dieses Instrument zu nutzen ist nichts anderes als die Umsetzung des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes, der besagt, Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Gender Mainstreaming ist dafür ein Instrument.
Meine Damen und Herren, stimmen Sie unserem Antrag zu, und lassen Sie uns dann nach dem Bericht des Senats offensiv und kreativ über die Umsetzung diskutieren! Ich denke, die Zeit ist reif, fast schon überreif. Zum Antrag von CDU und SPD werde ich gleich noch einiges sagen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bevor ich die nächste Wortmeldung erteile, darf ich auf dem Besucherrang sehr herzlich den Oberbürgermeister der Stadt Izmir, Herrn Ahmet Piristina, den Bürgermeister von Konak, Herrn Erdal Izigi, den Bürgermeister von Bornova, Herrn Cengiz Bulut und Herrn Dogan Baran, in ihrer Begleitung Herr Generalkonsul K. Ahmet Akses und Herr Honorargeneralkonsul Karl Grabbe, begrüßen.
Außerdem habe ich einen kleinen Zettel als Beweis einer lebendigen Städtepartnerschaft bekommen: Gegenwärtig halten sich nämlich 20 Polizistinnen und Polizisten aus Bremen in Izmir auf, um dort die Verhältnisse vor Ort zu studieren.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gender Mainstreaming gezielt und konsequent umsetzen. Ich habe in den letzten Wochen oft gehört: Gender Mainstreaming, was ist das, wovon reden wir eigentlich? Gender Mainstreaming geht davon aus, dass sich die Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern in vielen Bereichen unterscheidet. Nicht erkannte Unterschiede können dazu führen, dass scheinbar neutrale politische Maßnahmen Frauen und Männer in unterschiedlicher Weise beeinflussen und sogar bestehende Unterschiede noch verstärken. Vor diesem Hintergrund steht Gender Mainstreaming für eine Politik, die das Ziel hat, den Aspekt der Chancengleichheit von Frauen und Männern in alle Politikbereiche und politische Maßnahmen auf allen Ebenen einzubinden.
Meine Damen und Herren, Gender Mainstreaming bedeutet also, grundsätzlich danach zu fragen, wie sich politische Maßnahmen einschließlich Gesetzesvorhaben jeweils auf Frauen und Männer auswirken und ob sie zum Ziel der Chancengleichheit der Geschlechter beitragen können. Auf dieser Grundlage sind die politischen Vorhaben entsprechend zu steuern.
bedeutet, dass bei allen politischen Vorhaben, egal ob zum Beispiel in der Gesundheitspolitik, in der Innenpolitik oder im Städtebau, die unterschiedlichen Lebensrealitäten und Interessen von Frauen und Männern, die Einflussnahme auf die Gleichstellung von vornherein und selbstverständlich berücksichtigt werden müssen. Durch die Kombination von Gender Mainstreaming und Frauenförderpolitik soll die Wirksamkeit von Gleichstellungspolitik verstärkt werden. Beide Strategien setzen unterschiedlich an, ergänzen sich jedoch in ihrer Herangehensweise.
Frauenförderpolitik geht von einer konkreten gesellschaftlichen Benachteiligung von Frauen aus und versucht, diese mit einem Förderungsprogramm zu beseitigen oder abzumildern. Auf diese Weise kann zielorientiert gehandelt werden. Die Lösung begrenzt sich jedoch jeweils auf einen ganz kleinen gesellschaftlichen Ausschnitt. Sie liegt meistens in der allgemeinen Verantwortung einer kleinen, für Frauenpolitik zuständigen Arbeitseinheit. Bei einer Beschränkung auf Frauenförderpolitik wird dadurch als nicht beabsichtigter Nebeneffekt indirekt vermittelt, dass das Problem der Ungleichheit der Geschlechter letztlich auf Defizite bei den Frauen zurückzuführen sei und nicht auf gesellschaftliche Strukturen, die in ihrer vermeintlichen Neutralität jedoch diskriminierende Auswirkungen haben.
Gender Mainstreaming bereichert Frauen- und Gleichstellungspolitik um diese strukturbezogene Betrachtungsweise. Es zielt darauf ab, Systeme und Voraussetzungen, die eine gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Frauen und Männern produzieren, zu analysieren und grundlegend zu verändern.