Protokoll der Sitzung vom 16.05.2001

Ein Blick über die Grenzen kann uns vielleicht dabei helfen. In Frankreich sind anonyme Geburten bereits seit dem Jahr 1941 möglich. Die französische Regierung hat diese Regelung vor dem Hintergrund ungewollter Schwangerschaften beispielsweise durch Soldaten, die diese herbeigeführt haben, geschaffen. Heute werden dort 500 bis 700 französische Kinder anonym registriert, bei gleichzeitiger Vernichtung sämtlicher Abstammungsnachweise. Allerdings hat das französische Kabinett beschlossen, dass Kinder auf Antrag Kontakt zu leiblichen Eltern herstellen können.

Wir sehen, meine Damen und Herren, wie komplex die ganze Thematik ist, gerade im Hinblick auf das Recht in unserem Grundgesetz, die eigene Ab

stammung zu erfahren. Diese Entscheidungen sind alle nicht einfach und auf jeden Fall nicht aus dem Bauch heraus zu treffen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang aber kurz noch auf einen anderen Bereich zu sprechen kommen, nämlich auf die Änderung des Personenstandsgesetzes. Dazu hat die CDU im Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Anzeigepflicht für ein Neugeborenes soll auf zehn Wochen verlängert werden. Was bedeutet das, meine Damen und Herren? Die verzweifelte werdende Mutter, die vor der Geburt eine Schwangerschaftskonfliktberatung aufsucht, hat nun bis zu zehn Wochen nach der Geburt Zeit, eine überdachte Entscheidung zu fällen. Zehn Wochen statt einer Woche! Ich denke, das ist auch gut, aber was beinhaltet es noch? Die zehn Wochen ändern nichts an der grundsätzlichen Problematik, denn Entscheidungshilfe in so einer Notlage ist während der Geburt auch manchmal nicht garantiert. Die ungewollten und die heimlichen Schwangerschaften und Geburten werden nicht erreicht.

Jetzt kommt noch eine Verschärfung dazu: Die Beratungsstellen sollen für die Registrierung des Kindes verantwortlich sein, wenn eine Woche nach der Geburt keine Geburtsanzeige vorliegt. Die Registrierung wird damit in die Hände von Beratungsstellen gelegt und in vielen Fällen damit in die Hände von freien und privaten Trägern. Das halte ich absolut nicht für richtig!

(Abg. Frau D r e y e r [CDU]: Sie können es ja im Bund ändern!)

Wir arbeiten daran! Hören Sie mir bitte bis zum Ende zu, dann mache ich auch einen Vorschlag!

Ich könnte noch weiter ausführen, dass das Aussetzen von Neugeborenen nicht allein durch eine Babyklappe gelöst werden kann oder durch die zehn Wochen Meldefrist. Die zehn Wochen werden in den meisten Fällen wirkungslos sein, und die Babyklappe als die Lösung allein klappt so nicht. Nun schreiben Sie von der großen Koalition in Ihrem Antrag ja auch, der Senat solle prüfen, welche Erfahrungen es zur Babyklappein anderen Ländern gibt. Das ist, wie wir vom Bündnis 90/Die Grünen meinen, auch der richtige Weg. Vor jeder Entscheidung muss eine sorgfältige Prüfung stehen, eine Prüfung jedoch, die nach allen Richtungen und allen erdenklichen Möglichkeiten auch die Erfahrungen anderer Städte einbezieht!

Frau Schreyer hat schon gesagt, dass SterniPark allen ein Schreiben mit Vorschlägen zugeschickt hat, wie die anonyme Geburt eingerichtet werden kann. Dieses Schreiben haben auch wir bekommen, und sie sehen nach Erfahrungen mit ihrer eigenen Babyklappe, dass dieses ergänzende Angebot notwendig ist. Wir setzen uns speziell eben für die Möglichkeit einer anonymen Geburt im Krankenhaus ein. Dieser Schritt wird, denke ich, auch auf Bundesebe

ne von der Bundestagsfraktion vom Bündnis 90/Die Grünen unterstützt. Es findet eine Anhörung im Zusammenhang mit der anonymen Geburt statt, auch zu der Frage, wie Möglichkeiten und Wege gefunden werden können, dem Recht des Kindes, von der Abstammung zu erfahren, gerecht zu werden.

Uns wird dieser Bericht hier vorgelegt werden, und dann werden wir hier für Bremen eine Entscheidung treffen können, eine wichtige Entscheidung, die tragfähig ist, den Müttern zu helfen, den Kindern zu helfen. Ich denke, dass wir auch dann über Finanzierungen reden müssen, die, wie ich hoffe, dann auch gefunden werden. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächste erhält das Wort die Abgeordnete Frau Hammerström.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der von der großen Koalition vorgelegte Antrag „Hilfen für Schwangere in Not und Schutzmaßnahmen für ausgesetzte Neugeborene“ hat sich leider in der öffentlichen Diskussion vor einigen Wochen darauf reduziert, dass Bremen dringend eine Babyklappe braucht. Ich meine, dies ist zu kurz gegriffen und wird der Sache auch nicht gerecht. Die Gründe, die zu unserem Antrag geführt haben, hat die Kollegin Schreyer eben dargelegt. 40 neugeborene Kinder, die 1999 bundesweit ausgesetzt wurden, sprechen eine traurige Sprache und sind ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Seit Jahrzehnten hat die Diskussion um die gesetzliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen Politik und Gesellschaft zentral bewegt. Aber dabei blieb die Lage derjenigen Frauen weitgehend unbeachtet, die eine ungewollte Schwangerschaft zwar austragen wollen, sich aber nicht in der Lage sehen, das Kind aufzuziehen oder zur Adoption freizugeben. Es geht auch um die Frauen, meistens sehr junge, unreife Frauen, bei denen eine sehr erhebliche Persönlichkeitsproblematik besteht. Diese Persönlichkeitsproblematik führt dazu, dass die Frauen bei ungewünschter Schwangerschaft, Frau Hoch ist darauf eingegangen, eben nicht in der Lage sind, die üblichen Verhaltensmechanismen zu entwickeln und Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen. Frau Schreyer hat Ihnen den umfangreichen Katalog vorgelegt. Ich glaube, eine Schwangere in einer extremen Situation findet kaum durch diesen Wust. Nichtsdestoweniger finde ich diesen Ratgeber ausgesprochen gut. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Um anonym zu bleiben, entbinden Frauen zu Hause, oder in extremer Notsituation bringen sie ihr Kind irgendwo unter unwürdigen Umständen, in öffentlichen Toiletten oder Parks, zur Welt und setzen ihr Neugeborenes aus. Das bedeutet Lebensgefahr für Mutter und Kind. In diesen Fällen fehlt eine adäquate medizinische Versorgung, Hygiene ist ein Fremdwort, und die Geburt bleibt ein ewiges Trauma für die Mutter. Zu Bremen und Bremerhaven gehen unsere Recherchen etwas auseinander. Ich habe zwar die Meldung aus der „Bild-Zeitung“, dass es zehn ausgesetzte Neugeborene gibt, habe aber keinen Fall finden können, den es in Bremen oder Bremerhaven gegeben hat. Ich bin aber gern bereit, das gegebenenfalls zu korrigieren. Ich habe in Bremen und Bremerhaven keinen nachgewiesenen Fall einer Kindesaussetzung gefunden. Trotzdem wird uns das nicht schützen, dass ein Fall sofort von heute auf morgen auch hier in unserer Stadt eintreten kann. Ich glaube auch, dass das noch nicht zum zentralen Thema in Bremen geworden ist, hat einfach auch etwas mit unserem umfangreichen Hilfeangebot zu tun. Wir haben ein weit verzweigtes Netz von Hilfsmaßnahmen für betroffene Frauen. Genannt sei nur der kostenlose Hinweisgeber, den hatte ich schon erwähnt. Hier ist an uns heute ein etwas übersichtlicheres Faltblatt verteilt worden, das jetzt auch in allen Beratungsstellen, in allen Arztpraxen, in allen gynäkologischen Praxen ausliegen soll. Dieser Ratgeber, den Sie zeigten, Frau Schreyer, soll, glaube ich, auch noch aktuell überarbeitet werden.

(Abg. Frau S c h r e y e r [CDU]: Das ist der neue!)

Das ist der neue? Gut! Ich glaube aber, im Sommer soll, hatte mir jedenfalls Frau Hauffe gesagt, ein ganz neuer Ratgeber herausgegeben werden. Bewährt hat sich das Angebot gerade für junge Mütter und Schwangere im Alter von 16 bis 21 Jahren. Im Casa Luna wird Unterstützung geboten bei der gemeinsamen Lebensplanung mit dem Kind, der emotionalen und körperlichen Versorgung des Kindes, der Stärkung und Stabilisierung der Mutter und der Mutter-Kind-Beziehung. Das Zentrum für Krisenintervention und Familienhilfe Bremen e. V. ist eine weitere gute Adresse, ebenso das Mutter-undKind-Heim Betanien. Nicht vergessen darf ich aber auch, und insofern ist Ihre Forderung, glaube ich, nicht ganz korrekt, das Familienhebammenmodell, das wir in Bremen haben. Wir haben hier ein entsprechendes Modell, müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen. Wir haben dieses gute Angebot, das bundesweit als Modellversuch anerkannt wurde, nicht in dem Maße ausgeführt, wie wir es eigentlich wollten, und die eine oder andere Sparmaßnahme ist hier auch zum Tragen gekommen.

(Abg. Frau S c h r e y e r [CDU]: Das ist nicht gefordert! Das ist nur ein Beispiel hier!)

Aber wir haben diese Familienhebammen hier! Dieses breite Angebot noch bekannter zu machen, muss unser vordringliches Ziel sein! Ich finde, das steht an oberster Stelle. Hilfen und Schutzmaßnahmen für Frauen und ihre Kinder bekannt zu machen, das sollte unser vordringliches Ziel sein. Hier sind aber auch die Medien gefordert, uns dabei zu unterstützen. Schwangere in Not müssen rechtzeitig erreicht werden, damit sie gar nicht erst in eine Situation geraten, in der sie und ihr Kind gefährdet sind. Die Aktion in Hamburg, die der SterniPark – wir haben ja alle Informationen von dort bekommen – mit seinen Aufklebern gemacht hat, nämlich ein Kind, das auf einer Müllkippe liegt, auf Aufklebern darzustellen und diese Aufkleber auf Mülltonnen zu kleben, und darauf steht „Bitte keine frischen Babys einfüllen“, kann wirklich nicht der richtige Weg sein.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Aktion, so witzig sie vielleicht auch gemeint sein soll, wird auch nicht dadurch akzeptabler, dass die Telefonnummern der Babyklappe mit aufgedruckt sind.

Die Zahl der ausgesetzten Babys, ich sagte das bereits, spricht eigentlich ihre eigene Sprache. Wir müssen dafür sorgen, dass verzweifelte Frauen die Chance erhalten, ihre Babys anonym in einer Klinik zur Welt zu bringen. Meine Damen und Herren, das ist für uns als Sozialdemokraten der eigentliche Kern des Antrages, nämlich das Ermöglichen einer anonymen Geburt in einer Klinik mit einer Hebamme und auch ärztlicher Hilfe. Schwangere in schwierigen Lebensumständen brauchen ärztliche Beratung, psychologische Unterstützung. Wenn sie dies anonym in einem Krankenhaus erhalten, so bleibt ihnen eher der Weg, den Kopf frei zu bekommen und sich eventuell doch aufgrund ihrer Kenntnis von dem breiten Hilfeangebot für das Kind zu entscheiden.

Mit der Verlängerung der Meldefrist – Sie sind bereits darauf eingegangen – sollen Frauen die Möglichkeit erhalten, sich nach der ersten Phase des Ablehnens des Neugeborenen doch noch für das Kind zu entscheiden. Das Personenstandsgesetz schließt auch in seiner jetzigen Fassung nicht aus, dass Kinder im Krankenhaus anonym geboren werden. Das Personenstandsgesetz verpflichtet die Krankenhäuser an keiner Stelle, sich Gewissheit über die Identität der Schwangeren zu verschaffen. Es kann den Wunsch der Schwangeren respektieren, ihren Namen nicht zu nennen. Das Krankenhaus ist auch nicht berechtigt, eine Schwangere, die kurz vor der Entbindung steht, abzuweisen, weil sie ihren Namen nicht nennen will. Dies wäre unterlassene Hilfeleistung. Wenn die Zeit der Meldefrist verlängert würde, hätten Frauen die für sie so wichtige Zeit, ihr Verhalten zu reflektieren und sich eventuell für ihr Kind zu entscheiden.

Die Babyklappe, die wir diskutieren und über die wir auch ganz gern einen Bericht der anderen Städte und ihrer Erfahrungswerte haben möchten, kann und darf nicht das einzige Ziel sein. Sie kann auch eine Maßnahme sein, sie darf aber nicht das einzige Ziel sein! Sie kann höchstens eine Ergänzung in äußersten Notlagen sein. Die Babyklappe stellt nach der überwiegenden Meinung der SPD-Fraktion auch keine befriedigende Lösung der Konfliktsituation dar, aus der heraus Mütter nach Möglichkeiten suchen, ihre Identität zu verheimlichen. Fachleute warnen davor, Babyklappen oder auch die anonyme Geburt als Lösung des Problems anzusehen.

Gerade die von mir beschriebenen sehr jungen Frauen – Frau Hoch ist auch darauf eingegangen –, die aus Angst vor ihrem Partner, vor den Eltern ihre Schwangerschaft bis zum letzten Moment verleugnen, „bemerken“ ihren Zustand oft gar nicht und werden von der Geburt plötzlich überrascht. Im Sinne einer Stress- und Panikreaktion kommt es dann möglicherweise zur Tötung des Neugeborenen direkt nach der Geburt. Für Frauen mit einer solchen Problematik wird auch die Möglichkeit der anonymen Entbindung keine wirkliche Hilfsmöglichkeit sein, da sie aufgrund ihrer Persönlichkeitsdefizite nicht in der Lage wären, ein solches Angebot anzunehmen.

Einen Königsweg, das möchte ich zum Schluss sagen, wird es in dieser Frage nicht geben. Wir halten aber fest, dass wir Kinder nicht gegen ihre Mütter, sondern nur mit ihren Müttern schützen können. Deshalb hoffen wir auf eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit zu diesem Thema, an der sich, glaube ich, auch bereits die Kirchen in hohem Maße beteiligen, und wir sind froh, dass über Parteigrenzen hinweg die Gesundheitsminister und -ministerinnen und -senatoren und -senatorinnen an einer Lösung bereits arbeiten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das Wort erhält Frau Senatorin Adolf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mein gesetzlicher Auftrag und natürlich auch mein ganz persönliches Anliegen sind es, das Wohl des einzelnen Kindes zu sichern und soziale sowie gesundheitliche Risiken von Müttern und Kindern bei ungewollter oder ungeplanter Schwangerschaft zu verringern. Ich glaube, diese Verantwortung empfindet auch jeder, der mit ungewollt Schwangeren in Berührung kommt und mit Verantwortungsbewusstsein an eine solche Situation herangeht.

Aber für mich steht im Vordergrund, und das will ich deswegen auch an den Anfang meiner Rede stellen, dass wir alle gemeinsam uns der Verantwortung

noch viel bewusster werden müssen, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern,

(Beifall bei der SPD)

dass wir also ein Hilfesystem brauchen, mit dem wir erreichen, dass weniger junge Frauen, meistens sind es ja sehr junge Frauen, ungewollt in diese Lebenssituation kommen und dann in Not sind durch diese Situation. Darauf sollten wir zunächst unser Hauptaugenmerk richten!

Wenn es dann ungewollte Schwangerschaften gibt, die wir nie werden verhindern können, von denen ich mir nicht mehr erhoffe, als dass wir ihre Zahl vielleicht irgendwann absenken können, müssen wir alles dafür tun, dass diese jungen Frauen auch in die Lage versetzt werden, verantwortlich eine Entscheidung zu treffen dafür, das Kind großzuziehen, oder dafür, das Kind in andere Hände zu geben, eine Entscheidung, die viel Verantwortung braucht und auch nicht einfach ist für die Frauen. Deswegen braucht es aus meiner Sicht auch Begleitung. Die Begleitung kann ich aber nur gewährleisten, wenn die Frau eben nicht völlig anonym oder völlig allein vor einer Wand mit einem Fenster steht und denkt, sie kann das Problem so vielleicht loswerden.

In meinem Hause wird fachübergreifend von Jugendfachleuten, den Frauenpolitikerinnen, der ZGF, den Sozialfachleuten, Gesundheitsfachleuten sehr eingehend geprüft, was wir tun können, um die Situation für ungewollt Schwangere zu verbessern, und es gibt da viele Fragen, die wir prüfen müssen. Natürlich gehören dazu auch kritische Aspekte. Dazu gehören die Fragen: Erreichen wir überhaupt die Zielgruppe mit dem Angebot, das wir machen? Welche tatsächliche Relevanz haben eigentlich bisher bestehende Babyklappen? Dieses Wort finde ich eigentlich schon furchtbar und mag es kaum nennen, aber es ist nun so eingeführt. Ich finde, auch verniedlichende Bezeichnungen wie Babyfenster werden der Sache nicht gerecht. Ich bleibe jetzt aber einmal bei diesem Begriff Babyklappe, weil er sich inzwischen ja auch herumgesprochen hat.

Ich finde auch, wir müssen fragen, ob eine Babyklappe eine gesellschaftlich adäquate Reaktion auf eine Notsituation ist, oder ob die Gesellschaft nicht anders mit einer solchen Notsituation umgehen müsste! Welche psychischen Folgen hat eine solche Einrichtung für Mutter und Kind? Für das Kind ist es zunächst einmal – losgelöst betrachtet – vielleicht der beste Weg, anderen schlimmen Ereignissen zu entgehen und in gute Hände zu kommen. Für die Mutter bedeutet es aber, sie bleibt völlig allein. Sie kann sich niemandem mehr offenbaren, wenn sie diesen Schritt gewählt hat. Sie bleibt medizinisch unversorgt und vor allen Dingen psychologisch unversorgt. Jede Frau kann sich vielleicht noch viel besser als jeder Mann vorstellen – aber ich glaube, auch Männer können das –, was es bedeutet, ein Kind in

sich wachsen zu fühlen, es wegzugeben und einfach nicht mehr zu wissen, wo es ist, und ob das richtig war und damit überhaupt fertig zu werden. Das ist etwas, das die Frauen in aller Regel ihr Leben lang begleitet und aufgearbeitet werden muss. Das erreichen wir, glaube ich, auch nicht, wenn wir die völlige Anonymität und diesen Schutzraum bieten.

Auch nicht zu vergessen ist der Aspekt, dass Kinder natürlich einen Anspruch darauf haben zu wissen, wo ihre Wurzeln sind. Das ist bei dieser Einrichtung aus meiner Sicht eben auch nicht gewährleistet. Es gibt seit dem 12. 10. 2000 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personenstandsgesetzes. Das wird zurzeit auf Bundesebene geprüft. Ich fände es gut, und in diese Richtung wird auch eine Initiative auf den nächsten Fachkonferenzen der Minister und Ministerinnen gehen, die in den nächsten Wochen stattfinden, wenn man es nicht bei einer Erweiterung der Meldefrist beließe, sondern es auch ausdrücklich zu einer Legalisierung der Möglichkeit anonymer Geburt kommen würde. Also nicht nur Fristen erweitern, sondern wirklich legalisieren, in einzelnen Kommunen meinetwegen auch die Babyklappe legalisieren, damit die Kommunen, die sich für diesen Weg entscheiden, in rechtlicher Sicherheit sind! Ich hoffe, dass wir auf Bundesebene erreichen, dass diese Maßnahmen dann auch ergriffen werden.

Meine Damen und Herren, in Bremen und in Bremerhaven gibt es ein gut funktionierendes Netz an Beratungs- und Hilfesystemen für schwangere Frauen und Mütter von Neugeborenen, die sich in Notsituationen befinden. Der eine Ratgeber, er ist eben schon hochgehalten worden, ist ein sehr umfassendes Werk. Wir haben hier alle Angebote noch einmal in einem ganz kleinen Faltblatt festgehalten, das gibt es seit April. Wir haben das seit April auch an alle Fächer hier und für Mütter und junge Frauen zugänglich verteilt. Wir werden auch versuchen, das in mehreren Sprachen herauszugeben. Demnächst wird es in Türkisch und in Russisch erscheinen, um auch da junge Frauen zu erreichen, was unverzichtbar ist, weil es auch bei jungen Frauen dieses Sprachraums viel Not in dieser Hinsicht gibt.

Ich glaube, wir alle können mit Stolz auf das blicken, was wir über viele Jahre geleistet haben, was aufgebaut worden ist, sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven. Ich befürchte aber, dass weder ein flächendeckendes Netz an Beratungs- und Unterstützungsangeboten, noch eine Babyklappe, noch die Möglichkeit der anonymen Geburt dauerhaft verhindern können, dass eine Mutter in bestimmten Situationen ihr Neugeborenes vielleicht auch aussetzt oder sich zu noch schlimmeren Dingen genötigt fühlt. Wir wollen alles uns Mögliche tun, damit das nicht geschieht, damit dann im Falle des Falles das Neugeborene keinen Schaden erleidet.

Die Vorstellung, dass Kinder in eine Hauswand eingeworfen werden, ist für mich ganz fürchterlich.

Ich habe mich ja auch in die Richtung geäußert, dass ich persönlich Babyklappen eigentlich ablehne und sie wirklich auch für einen Ausdruck von Hilflosigkeit einer Gesellschaft halte, die dieses Problem nicht anders organisieren und den Frauen nicht anders helfen kann.

(Zuruf der Abg. Frau W i n d l e r [CDU])

Hören Sie mir einmal zu! Ich glaube, dass wir da einen akademischen Streit führen. Die einen sagen, das wird Kinder retten, die anderen sagen, das wird kein Kind retten. Das ist ein akademischer Streit, von dem ich nicht möchte, dass er durch die Realität in irgendeiner Weise entschieden wird, weil das das Furchtbarste wäre!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Für die, die sagen, da wird kein Kind gerettet, gut, wenn dann kein Kind kommt, wäre das auch ein Beleg, aber das andere wäre für mich ganz fürchterlich.

Deshalb sage ich Ihnen hier an dieser Stelle, dass es in Bremen demnächst, wenn es dann von mir auch in der Deputation so auf den Weg gebracht werden kann, eine Babyklappe geben wird. Das St.-JosephStift, mit dem ich darüber gesprochen habe, wird demnächst einen entsprechenden Antrag stellen. Ich werde ihn nach wirklich sehr reiflicher Prüfung, und ich sage ganz offen, auch nicht leichten Herzens, es fällt mir sehr schwer, Vergleichszahlen und andere Dinge, die Sie wünschen, in der Deputation vorlegen und um Zustimmung bitten, weil ich glaube, wenn dies ein weiterer Mosaikstein sein kann, den vielleicht nur eine Frau irgendwann nutzt, dann sollten wir uns dazu auch entscheiden, auch wenn es uns aus vielen Gründen schwer fällt.

Wir werden diese Möglichkeit, wenn es sie dann gibt, bekannt machen, aber ich werde nicht dafür werben. Das fände ich nicht gut. Es wird ein Mosaikstein in unserem sehr breit gefächerten Angebot sein, für das wir auch weiterhin sehr werben werden. Ich glaube, dass dieses Thema überhaupt nicht geeignet ist, um es politisch auszuschlachten, und hoffe, dass wir bei diesem Thema auch in der Deputation gemeinsam zu guten Entscheidungen kommen werden im Interesse derer, die unsere Hilfe ganz dringend brauchen. – Danke schön!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)