Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor gut einem Jahr ist in Bremen die Debatte um die gymnasiale Oberstufe, also die Klassen elf bis 13 des Gymnasiums, wieder aufgeflammt. Anlässe gab es viele. Schon im Jahr 1999 und insbesondere im Jahr 2000, damals hatte, glaube ich, auch die SPD-Fraktion eine entsprechende Anfrage zur Weiterentwicklung der Oberstufen gestellt, gab es verschiedentlich Kritik an der Oberstufe.
Eine Kritik haben wir hier lang und breit diskutiert, das war die mangelhafte Qualität, aber auch die Quantität des naturwissenschaftlichen und technischen Unterrichts in Schulen, insbesondere auch die geringe Anwahl von Schülern für diese Fächer in der gymnasialen Oberstufe. Eine andere Kritik ist eine sehr populäre, die immer wieder durch die Presse geistert und auch im Winter vor einem Jahr durch die Presse geisterte, nämlich: Das Bremer Abitur ist im Bundesschnitt viel zu schlecht.
Auf jeden Fall gab es in der Behörde den einen oder anderen Plan zur Reform der Oberstufe, der ganz populär zusammengefasst einfach in dem Vorschlag gipfelte, in der Oberstufe doch das Gleiche zu machen, was wir von der ersten bis zur zehnten Klasse haben: Führen wir wieder Klassen ein, wie das früher auch war! Ich erspare mir jetzt die Details, das war nicht ganz so schlicht, aber das war der Kerngedanke.
Dahinter steckten zwei Überlegungen: Erstens hat man die Schüler in geschlossenen Klassen zusammengefasst und kann eindeutiger und klarer festlegen, welche Unterrichtsfächer sie auch tatsächlich lernen und gelehrt bekommen. Heute gibt es in der Oberstufe in bestimmtem Umfang eine freie Wahl ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
der einzelnen Unterrichtsfächer und Leistungskurse im Rahmen der gemeinsamen Vorgaben der KMK. Der zweite Gedanke war: Auf diese Weise kann man natürlich auch ein wenig Geld sparen, weil feste Klassen einfacher planbar sind als frei zu wählende Kurse, die völlig unterschiedliche Schülerzahlen haben werden. Das war damals der Ausgangspunkt der Debatte.
Es gab öffentlichen Protest insbesondere von den Schülern unter dem Stichwort: Uns wird die Wahlfreiheit mit der Mündigkeit genommen. Der Senator hat sich geäußert, es sei noch ein bisschen in Bewegung, und eine Reform würde sowieso erst zum Schuljahr 2002/2003 beginnen können. Sie haben uns damals gesagt, wir wollen noch ein bisschen Genaueres darüber erfahren, in welche Richtung das überhaupt geht, damit die politische Diskussion auch öffentlich und rational vor dem Hintergrund dessen, was in der senatorischen Behörde an vielerlei Papieren auf den Tischen und in den Schubladen lag, geführt werden kann.
Wir haben eine Große Anfrage gestellt, das Ergebnis ist Ihnen bekannt, es liegt auf Ihren Tischen. Es steht nichts darin, oder besser gesagt, da steht, nichts Genaues wissen wir noch nicht, und was wir wissen, sagen wir lieber noch nicht so genau, aber das Ganze wird in der nächsten Zeit schon ordentlich abgearbeitet. Normalerweise hätte ich hier jetzt laut aufgeschrien und gesagt, so geht es aber nicht, lieber Senat, sagt uns doch einmal, was ihr wollt! Ich war, ehrlich gesagt, ganz erleichtert, dass so eine Antwort gekommen ist. Wenn ich sie ernst nehme, eröffnet das wenigstens noch die Chance zu einem öffentlichen Diskussionsprozess über diese bildungspolitische Frage. Deshalb möchte ich mich jetzt auch nicht weiter über diese Antwort aufregen, egal aus welchem Grund sie so geschrieben worden ist.
Allerdings hat uns das dann nach einigen Überlegungen doch auf die Idee gebracht zu fragen, was eigentlich die Aufgabe der Politik und des Parlaments in einem solchen Prozess ist. Es ist sicherlich nicht die Aufgabe, sich um Details der Stundenverteilung und welches Fach und wie genau in der Oberstufe unterrichtet wird, auseinander zu setzen. Wichtiger ist, dass wir hier sagen, in welche Richtung die Schule gehen soll, was unsere Auffassung von einer künftigen gymnasialen Oberstufe ist, was die Richtung ist, in die der Senat dann im Detail arbeiten soll. Die Detailarbeit ist ja im Schulgesetz geregelt, wie Beteiligungsverfahren ablaufen, wer wann wo entscheidet. Das war der Grundgedanke.
Darauf basiert eigentlich auch der Vorschlag, den wir Ihnen machen, meine Damen und Herren. Ausgangspunkt ist, das politische Ziel in der Stadtgemeinde und im Land Bremen, eigentlich in der ganzen Bundesrepublik Deutschland, muss sein, dafür zu sorgen, dass mehr Schülerinnen und Schüler qua
lifizierte Schulabschlüsse in der Hauptschule, in der Realschule und besonders auch das Abitur machen.
In den letzten sechs Jahren, solange die große Koalition regiert, ist der Anteil der Abiturienten an der Gesamtschülerzahl zurückgegangen. Er liegt heute bundesweit immer noch hoch bei 30,4 Prozent, aber wir waren in Bremen schon bei 34 und 35 Prozent. Die absolute Zahl der Abiturienten ist um über 500 – –.
Die absolute Zahl, Herr Bürger, das können Sie nun wirklich nicht bestreiten, Sie können ja in die Schulstatistiken schauen, ist deutlich zurückgegangen. Gerade wenn die Gesamtschülerzahl zurückgeht, müssen wir dafür sorgen, dass mehr Leute in diesem Land, wo auch die gesamte Bevölkerungszahl zurückgeht, qualifizierte Abschlüsse haben! Ich glaube, das muss unser gemeinsames Ziel sein.
Wenn wir uns auf dieses Ziel verständigen können, müssen wir uns darüber unterhalten, wie wir es erreichen können. Das Erste ist die Qualitätsverbesserung der Schule selbst, wir reden heute über die Oberstufe, wie verbessere ich die Qualität der gymnasialen Oberstufe! Ich will jetzt einmal ausnahmsweise nicht über Geld reden, das kann man ja auch immer tun, sondern darüber, wie ich sie dadurch verbessere, dass ich den Schulen die Möglichkeiten gebe, durchaus von der Behörde gefördert, mit Anreizen dafür zu sorgen, dass sie einen Unterricht geben, der tatsächlich die Schüler motiviert, in allen Unterrichtsfächern und in allen Gebieten mehr zu tun als heute.
Wie mache ich das? Der Kern liegt in der Methode des Unterrichts. Wir haben gute Beispiele in der gymnasialen Oberstufe in Bremen. Das Gymnasium Vegesack, Herr Bürger, es liegt ja bei Ihnen vor der Haustür, hat eine so genannte Profil-Oberstufe entwickelt, in der die Schüler zum Teil fächerübergreifende Lerngebiete wählen können, daneben haben sie auch ihre Fächer. Das ermöglicht ihnen tatsächlich eine größere Umschau, ein größeres projektorientiertes Lernen, Zusammenarbeit zwischen einzel
Das ist ein Modell, das uns gut gefällt. Wir wollen dennoch nicht sagen, das wollen wir den Schulen aufoktroyieren, sondern wir möchten gern, dass die Schulbehörde nicht Top-Down-Modelle für die Oberstufe einführt, sondern dass sie Anreize schafft, Veränderungen von unten, von den einzelnen Schulen her in der Oberstufe Entwicklungen einzuleiten, die über das jetzige System, über die jetzige Art der halbjährlich angewählten Kursfächer hinausgeht. Das ist die Aufgabe der Behörde, und das wäre eine wirkliche Weiterentwicklung der Schule. Also nicht Top-Down-Modelle, sondern von unten, und von unten macht man das mit Anreizen für die Schulen. Das ist die erste Forderung!
Die zweite Forderung! Wenn Sie erreichen wollen, dass mehr Schülerinnen und Schüler einen besseren Abschuss haben, dann muss man weiter unten, in der Mittelstufe anfangen. Es ist wichtig, dass da die Grundlage ist. Wir haben hier schon öfter darüber diskutiert. Wichtig ist, dass die Mittelstufen, also die Sekundarstufe-I-Schulen mit den Oberstufen zusammenarbeiten, dass es eine Kooperation gibt, dass es nicht diesen Leerlauf gibt, der heute zwischen der zehnten und elften Klasse, vor allem der elften Klasse, vorhanden ist, dass dann in der Oberstufe alles Mögliche noch einmal auf eine andere Weise als in der Mittelstufe wiederholt wird, was die Schüler schon gemacht haben.
Da ist eine enge Zusammenarbeit notwendig, und es ist auch notwendig zu prüfen, ob nicht Sekundarstufen-I-Schulen, Schulzentren wie Gesamtschulen, die Anträge gestellt haben, dort, wo es zahlenmäßig hinkommt, auch gymnasiale Oberstufen haben können. Anträge genug, Herr Lemke, das wissen Sie ja, liegen vor. Das muss jetzt auch einmal ernsthaft abgearbeitet werden unter dem Gesichtspunkt Zusammenarbeit zwischen Sekundarstufe I und Sekundarstufe II, denn das kann – das ist nur ein Weg, nicht der Königsweg, aber einer der Wege – die Zahl der qualifizierten Abschlüsse erhöhen.
Wildwuchs, der im Augenblick um die Frage des Abiturs nach zwölf Jahren in dieser Stadt entstanden ist, wieder auflösen. Im Augenblick gibt es die verschiedensten Schulversuche. Das sind alles Schulversuche, die in der fünften, sechsten, siebten Klasse anfangen. Die ersten Abiturienten, die das Abitur nach zwölf Jahren abgelegt haben werden, werden frühestens in acht oder vielleicht auch in neun Jahren bei den Schulen, die später anfangen, überhaupt erst da sein.
Ich sage, bei den meisten Modellversuchen, die wir haben, es sei denn – Frau Hövelmann, warten Sie doch ab! –, man hat Versuche, die erst in der Sekundarstufe II beginnen. Davon gibt es in der Stadtgemeinde Bremen nur einen. Wir, Sie wissen das, unterstützen die Forderung danach, dass alle Schüler die Chance haben müssen, nicht alle Schüler die Pflicht, aber alle Schüler die Chance haben müssen, und zwar nicht nur ein paar ausgewählte Schüler in Turboklassen, die in der fünften, sechsten, siebten Klasse sortiert werden, das Abitur auch nach zwölf Jahren machen zu können.
Es gibt viele, die das können. Es gibt viele, die auf dem Weg gefördert werden müssen. Es gibt auch welche, die das so nicht schaffen, aber dennoch das Abitur schaffen können, ohne eine Klasse wiederholen zu müssen. Auf alle die müssen wir Rücksicht nehmen. Das jetzige System, das Sie implementiert haben, führt dazu, dass etliche früh ausgesondert werden und die anderen nur die Chance haben, das Abitur nach 13 Jahren zu machen, es sei denn, sie überspringen irgendwann Klassen.
Hier wollen wir eine klare Öffnung. Hier wollen wir eine Überprüfung und Auswertung der Effekte des jetzigen Systems, der jetzigen Versuche, die liegen ja auf dem Tisch. Wie viele oder wie wenige Schüler werden dort aussortiert? Welche Belastungen bringt das für die Schüler? Dann fordern wir ein Modell ein, das einem ähnlich ist, es muss nicht das Gleiche sein, das hier an einer Schule ausprobiert wird, das allen Schülern die Chance gibt, sich zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich in der zehnten, elften, zwölften Klasse, auf das Abitur auszurichten und nach zwölf Jahren früher fertig zu sein.
Wir verlangen das nicht nur aus ökonomischen Gründen, weil es sinnvoll ist, dass vielleicht viele Schüler eher im Studium oder im Beruf sind, sondern wir halten das auch für die Selbständigkeit der Schüler für eine angemessene Regelung. Die Schüler und Schülerinnen sind mit 18 Jahren volljährig und erwachsen. Es wäre gut, wenn wir dafür sorgen, dass sie in dem Alter auch keine staatliche Schule mehr besuchen müssen. Wenn sie es können, ist
das etwas anderes, aber nicht, dass sie sie dann besuchen müssen. Auch das ist ein wichtiges Motiv. Meine Damen und Herren, die Reform der gymnasialen Oberstufe, und das, Herr Präsident, ist auch schon mein Schlusssatz, ist nur ein Teil der Reform unseres gesamten Bildungssystems, die nicht nur aus demographischen Gründen, sondern auch aus gesamtgesellschaftlichen, politischen und demokratischen Gründen dringend notwendig ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir hier einen Konsens in der Richtung erzielen, dass wir die Reform gemeinsam unter Beteiligung aller Betroffenen jetzt so anpacken, dass sie nicht zu mehr Selektion, sondern zu mehr Qualifikation führt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die reformierte Oberstufe, die zur allgemeinen Hochschulreife führen soll, hat sich trotz mehrfach vorgenommener Veränderungen nicht immer als effiziente Schulform herausgestellt. Sie ist gekennzeichnet durch ein wenig zu durchschauendes Geflecht von inhaltlich nicht begründeten Kurskombinationen, Auflagenverpflichtungen, Abwahlmöglichkeiten von schwierigen Fächern, was Sie, Herr Senator, auch immer wieder beklagen, Alternativ- und Ersatzregelungen mit der Möglichkeit, sich Leistungsanforderungen entziehen zu können. Diese Faktoren haben nicht unbedingt zu einer verbesserten Studierfähigkeit beigetragen. Deshalb hat die KMK den Bundesländern vor gut zwei Jahren unter dem Motto „Mehr Vielfalt im Bildungswesen“ größere Gestaltungsräume bei der Organisation der gymnasialen Oberstufe eingeräumt. BadenWürttemberg und Hessen haben konkrete Veränderungen in ihren Bundesländern vorgenommen. Nach dem Beschluss der KMK haben wir Ihnen, Frau Hövelmann, damals einen Antrag mit den wichtigsten Eckpunkten daraus zugeleitet. Da Sie alle unsere Punkte abgelehnt haben, hinken wir jetzt natürlich den Entscheidungen der anderen Bundesländern zwei Jahre nach.
Stattdessen haben wir im letzten Jahr eine wenig ergiebige Debatte aufgrund einer Großen Anfrage der SPD geführt. Diese war wenig konstruktiv, weil sie ohne konzeptionelle Vorstellungen, ohne konkrete Ergebnisse und Ziele war. Jetzt, nach zwei Jahren, wird endlich gehandelt.
(Beifall bei der CDU – Abg. Frau H ö v e l - m a n n [SPD]: Dann ist das hinterher wie- der blinder Aktionismus! – Abg. R o h - m e y e r [CDU]: Aber nicht mit uns!)
Dann, das muss ich nachträglich sagen, haben Sie unseren Antrag bisher überhaupt nicht verinnerlicht!
Die Analyse der Schul- und Bildungsproblematik in Bremen ist im Entwurf zu den neuen Richtlinien für die gymnasiale Oberstufe, Herr Senator, ziemlich vernichtend, und das Aufzeigen der Schwachstellen der bremischen Stufenschule ist sehr deutlich, wie auch schon die Antworten auf die Anfrage der SPD zu der gymnasialen Oberstufe im letzten Jahr wenig schmeichelhaft waren. Nur, meine Damen und Herren von der SPD und Herr Senator Lemke, die Konsequenzen bezogen auf Stufenschule, auf Schulzentren, auf Orientierungsstufen werden nicht gezogen. Das halten wir für bedenklich, da setzt auch unsere Kritik ein!
Herr Senator, Ihren Entwurf der Richtlinien für die gymnasiale Oberstufe mit richtigen Ansätzen und Vorhaben – weil auch viele unserer Forderungen dort aufgenommen worden sind, werden wir Sie auch bei der Umsetzung tatkräftig unterstützen – müssen Sie aber schon ohne Abstriche umsetzen, denn Abstriche verträgt dieser Richtlinienentwurf nicht, denn sonst, das sage ich Ihnen ganz deutlich, würden Sie, Herr Senator, als Löwe springen und dann als Bettvorleger landen,