Protokoll der Sitzung vom 22.01.2003

fortgeführt werden, auch wenn die finanziellen Rahmenbedingungen aufgrund der allgemeinen arbeitsmarktpolitischen Entwicklung schwieriger werden. Qualifizierung muss als Bestandteil von Investitionspolitik gesehen werden. Qualifizierung der Arbeitskräfte durch Weiterbildung hat natürlich auch die Grundlage in der schulischen Bildung, hinsichtlich der Ausbildungsplätze und der Hochschulen. Darüber haben wir schon länger und des Öfteren diskutiert, wo hier Probleme liegen und wo auch die Ansatzpunkte sind.

Drittens möchte ich auch den Blick darauf richten, dass man sich stärker um personalintensive Dienstleistungsangebote kümmert. Es ist durchaus interessant, dass zum Beispiel der Gesundheitssektor einer der wenigen gewesen ist, die im Land Bremen im Jahr 2002 eine positive Arbeitsmarktentwicklung zeigten, also zusätzliche Arbeitsplätze hervorgebracht haben. Im Gesundheitswesen im Land Bremen sind mit über 30 000 Menschen doppelt so viele Beschäftigte wie in der Bauwirtschaft tätig. Da müssen wir sehen, dass wir in diesen personalintensiven Bereichen, die eine ganz große Bedeutung in Zukunft auch für die Lebensqualität der Menschen haben, noch stärker Arbeitsplätze schaffen, Qualifizierung schaffen und auch Arbeitsmöglichkeiten schaffen.

Abschließend: Ohne positive Beschäftigungsentwicklung, ohne eine fühlbare Verbesserung der Arbeitsmarktsituation in diesem Land, die auch weitergeht, wird nicht nur die Akzeptanz einer nun ja doch ziemlich straffen Sanierungspolitik in der Bevölkerung nicht da sein, sondern auch die positive Entwicklung Bremens nicht mehr so weitergehen können wie bisher. Ich denke, das muss in Zukunft auch mit einer stärkeren Akzentuierung auf die Arbeitsmarktentwicklung politisch beachtet werden. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es ist zu einem Dissens gekommen zwischen SPD und CDU im Hinblick auf die Ausrichtung dieser Großen Anfrage. Ich finde es aber aus Sicht der Grünen durchaus legitim, dass die SPD nun erstmals versucht, gerade die wichtige Frage der Arbeitsmarkteffekte noch einmal dezidiert zu beleuchten.

(Zurufe von der SPD: Erstmals?)

Ja, erstmals! Bislang hatten wir Jubeldebatten, in denen immer gesagt wurde, das sei alles ohne Fehl ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

und Tadel, und ich stelle hier heute zum ersten Mal durchaus auch kritische Töne fest, und das ist, finde ich, ein Fortschritt.

Unserer Meinung nach, und da hat die CDU aber auch wiederum ein bisschen Recht, darf man die Arbeitsmarktpolitik nicht ohne die Wirtschaftspolitik betrachten. In den nächsten Jahren wird es immer wieder darauf ankommen, Anstrengungen zu unternehmen, die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik im Land Bremen stärker miteinander zu verzahnen. Fakt aber ist, meine Kollegin Frau Dr. Trüpel hat darauf hingewiesen, dass die Sanierungsziele, mit denen die große Koalition in Bremen angetreten ist, bei weitem nicht erreicht werden und dass Sie sich natürlich auch daran messen lassen müssen.

Die Arbeitsmarktzahlen in Bremen sind im Augenblick wenig positiv. Man kann auch sagen, dass die unternehmerische Stimmung in Bremen eher verhalten ist. Das kann man an verschiedenen Zahlen ablesen. In Bremen gibt es im Bundesvergleich die meisten befristeten Arbeitsverträge, in Bremen gibt es überdurchschnittlich viele Zeitverträge, und in Bremen werden die meisten Überstunden geleistet. Nur jeder achte befristete Vertrag wird in einen unbefristeten umgewandelt. Ich finde, diese Quote könnte durchaus besser sein.

In der Großen Anfrage wird mit dem Wort – das, fand ich, ist ein neues schönes Wort – Wirkungsverzögerung, das kennen wir aus anderen Debatten als Timelag, umrissen, dass sich die ganz optimistischen Erwartungen, die an das ISP geknüpft werden, erst im Jahr 2016 erfüllen. Aus Sicht der Grünen ist dazu zu sagen, dass man sich im Jahr 2003 allerdings schon einmal die Frage stellen muss: Welches sind die Maßnahmen, die vor 2016 maximale Wirkung für Bremen und Bremerhaven entfalten? Bremen befindet sich nämlich im Konzert mit anderen Bundesländern. Wir sind nicht das einzige Bundesland, das mit einem ISP versucht, offen dem Strukturwandel zu begegnen. Ein Beispiel dafür, dass wir uns noch ganz mächtig anstrengen müssen, ist der Hinweis, den wir kürzlich in der „Wirtschaftswoche“ lesen konnten, dass nämlich im jüngsten Technologieatlas der „Wirtschaftswoche“, den die Prognos AG erstellt, Bremen den Platz 54 bekleidet.

Sie erinnern sich, mit Innovision 2010 hat Bremen sich in den nächsten sieben Jahren ein ziemlich ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bremen soll unter die Topten der Technologieregionen kommen, und innerhalb von zwei Jahren konnten wir uns nur um einen Platz verbessern. Vorher waren wir auf Platz 55, jetzt sind wir auf Platz 54! Bremerhaven landet weit abgeschlagen auf Platz 90.

Wir meinen, es ist an der Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und nicht auf 2016 zu warten. Fakt ist, der Arbeitsmarkt im Land Bremen ist nach wie vor gespalten. Die Arbeitslosenquote in Bremerhaven weist nach wie vor einen erheblichen Abstand zur Stadt

Bremen auf. Bremerhaven bleibt trauriger Spitzenreiter unter den mittelgroßen Städten in Nordwestdeutschland. Die Arbeitslosenquote lag nach Angaben des Senators für Arbeit im November 2002 bei immerhin noch 18,7 Prozent.

1991 hatte Bremerhaven in der Werftindustrie immerhin noch 4500 Beschäftigte, im Jahr 2001 waren es nur noch 1700. Das zeigt auch, wie rasant schnell der Strukturwandel in den letzten zehn Jahren vorangeschritten ist und wie wichtig es ist, die Wirtschafts- und die Arbeitsmarktpolitik auf den Strukturwandel immer noch verstärkt auszurichten. Da gebe ich Dieter Focke eindeutig Recht. Man darf in den Bemühungen nicht schlappmachen, in Bremen neue Dienstleistungen und neue Wirtschaftszweige zu etablieren.

Wichtig ist der Punkt, den Helga Ziegert auch noch einmal angesprochen hat, dass im Dezember die SSW in Bremerhaven Insolvenz angemeldet hat. Das ist für Bremerhaven eine ganz dramatische Entwicklung, weil dort 688 Menschen Arbeit finden und viele Zulieferbetriebe von dieser Krise, die jetzt ansteht, betroffen sind.

Frau Trüpel hat schon auf Herrn Hickel und die Studie, die er zum Vergleich abgegeben hat, hingewiesen. Er hat noch eine weitere Studie jetzt im Januar vorgelegt. Das IAW, das Institut, in dem er tätig ist, weist darauf hin, wie wichtig es ist, in Bremerhaven den Standort der SSW zu erhalten, wenn man in Bremerhaven ein maritimes Netzwerk knüpfen will. Das halten wir für wichtig, und aus unserer Sicht hat der Hickel-Vorschlag da Recht. Wir meinen, mit einer gezielten Strategie können Teilbereiche der bisherigen Schiffsproduktion in Richtung OffshoreWindenergieanlagen umgesteuert werden, und der Standort in Bremerhaven bietet gute Voraussetzungen, um hier etwas zu bewegen.

Also, vor dem Hintergrund der angemeldeten Insolvenz der SSW müssen jetzt Konzepte und Handlungsstrategien diskutiert werden, die verhindern, dass es zu einem dramatischen Arbeitsplatzverlust und Abwanderung von qualifiziertem Personal in Bremerhaven kommt.

Wir meinen auch, es müssen in den nächsten Jahren noch verschiedene Maßnahmen folgen. Es muss ein deutlicher Schwerpunkt in Sachen Sanierung auf Bremerhaven gelegt werden, ein noch deutlicherer als bisher. Bremen und Bremerhaven müssen Unternehmen anwerben, die an die jeweilige Wirtschaftsstruktur andocken, sich untereinander ergänzen und deshalb auch bleiben. Bildung, Ausbildung und Qualifizierung müssen verstärkt werden. Es wird nämlich ganz schwierig, wenn wir den Ruf eines schlechten Bildungssystems haben. Das verspreche ich Ihnen, die Grünen werden sehr daran arbeiten, deshalb wünschen wir uns auch etwas mehr Verantwortung hier in diesem Land, dass wir die Säule Bildung, Ausbildung und Qualifizierung stärker in

den Mittelpunkt der Sanierungsstrategie stellen können.

Wir wollen den Aufbau und die Stärkung der unternehmensnahen Dienstleistungszweige und den Abbau der Arbeitslosigkeit durch die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit erreichen. Abschließend muss man einfach heute hier festhalten, dass das Sanierungsprogramm der großen Koalition längst auf den Prüfstand gehört, dass die anvisierten und proklamierten Ziele nicht erreicht worden sind. Wir brauchen eine Umsteuerung in Richtung Ausbildung, Bildung und Qualifizierung, und ohne eine gezielte Sanierungsstrategie für Bremerhaven sehen wir schon vor 2016 ziemlich alt aus.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Focke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin ganz begeistert, dass wir insgesamt gesehen doch eine ziemlich große Übereinstimmung haben, gerade jetzt in der zweiten Debattenrunde, über das, was zu tun ist und was wir noch machen wollen.

(Abg. Frau H a m m e r s t r ö m [SPD]: So ein Ärger!)

Das ist überhaupt nicht zu meinem Ärger, das hatte ich vorhin schon gesagt. Ich finde das hervorragend, weil es nämlich die Kräfte bündelt und damit zu noch mehr Erfolg führt, und dagegen kann man ja nie sein.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Es ist gesagt worden, wir hätten das Ziel nicht erreicht oder das, was wir uns vorgenommen hatten, oder das, was wir gedacht hätten. Das ist richtig. Wir sind noch nicht so weit, wie wir uns das gedacht haben, das stimmt. Aber wir müssen auch einmal sehen, wie in den letzten Jahren das Umfeld gewesen ist. Niemand hat damit gerechnet, dass wir während des Sanierungszeitraumes sechs Milliarden Steuerausfälle haben würden in den Jahren. Wir sind mit dem Beginn der Sanierungspolitik auch in ein Umfeld hineingegangen, das sah anders aus, als es sich dann in den letzten Jahren entwickelt hat.

Die konjunkturelle Schwäche, die wir seit zwei Jahren ja auch verspüren, hat sich bei uns nicht so ausgewirkt, das ist ein Erfolg des Gegensteuerns. Wir haben massiv investiert und gegengesteuert, dadurch ist die Konjunkturdelle, wie sie in anderen Bundesländern und im Bund ist, bei uns nicht so ausgeprägt. Wir haben es sogar erreicht, zusätzliche Arbeitsplätze, das habe ich eben gesagt, zu schaffen. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Das heißt aber nicht, dass wir in diesen Jahren nur 10 000 Arbeitsplätze geschaffen haben. Wir haben wesentlich mehr Arbeitsplätze geschaffen. Mit dem, was wir gemacht haben durch Förderungen über das Landesförderprogramm oder auch die Gemeinschaftsaufgabe mit EU-Mitteln zusammen, sind ja 50 000 Arbeitsplätze geschaffen und gesichert worden in den letzten Jahren hier in Bremen. Wenn wir das nicht getan hätten, dann sähe die Arbeitslosigkeit hier in Bremen vollkommen anders aus. Insofern muss man auch immer sagen, das sind enorme Erfolge, die zur Stabilität dieses Bundeslandes beigetragen haben.

Deswegen kann man nicht sagen, es ist in der absoluten Zahl nicht so viel gelungen, wie wir uns das vorgestellt haben. Das ist zwar nicht erreicht, aber wir haben eine ganze Menge geleistet, damit der Stand sich hier stabilisiert hat und wir auch den Anschluss an das Bundesgebiet wiederbekommen haben, sowohl was das Wachstum als auch die Arbeitslosigkeit betrifft, die herunter geht, sich ja langsam angleicht.

In Bremerhaven ist das leider nicht so, das ist das größte Problem, da haben Sie völlig Recht. Ich würde auch alles unterstreichen, was dazu gesagt worden ist. Ich weiß nur nicht, ob es richtig ist, die alten Industrien weiterhin mit viel Geld aufzupäppeln. Wenn wir sie umwandeln und Windenergie- oder Offshoreanlagen bauen könnten, dann wäre das eine gute Sache, und dies ist auch zu unterstützen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Nun will ich noch einen kleinen Satz sagen zu unserem angeblichen Dissens zwischen Arbeit und Wirtschaft. Arbeitsplätze sind für uns das Wichtigste, was wir in dieser Koalition leisten wollen. Wir wollen Arbeitsplätze schaffen, damit es den Leuten besser geht.

(Beifall bei der CDU)

Wie erreiche ich aber diese Arbeitsplätze? Die erreiche ich nur mit einer guten Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren. Deswegen gehören für uns Wirtschaft und Arbeit zusammen. Das ist natürlich auch mittlerweile modern geworden, das zu sagen, selbst sozialdemokratische Kanzler und Ministerpräsidenten doktern in ihren Kabinetten herum, wie man das auch nach außen hin deutlich machen kann. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass wir vielleicht in der nächsten Zeit auch einmal einen Senator für Wirtschaft und Arbeit haben, weil da ja wirklich viele Dinge miteinander zusammenhängen.

Deswegen ist das zwischen SPD und CDU in Wirklichkeit kein richtiger Dissens, das wissen wir alle, dass das zusammengehört. Der eine sagt eben, er legt etwas mehr Wert auf diese Arbeitsplatzeffekte, was aber nur leistbar ist und nur in Zusammenhang

gebracht werden kann mit einer Wirtschaftspolitik, denn wenn es die Wirtschaftspolitik nicht geben würde, dann würde es auch die Effekte nicht geben. Insofern, glaube ich, ist der Dissens doch gar nicht so groß. – Danke!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster erhält das Wort Herr Senator Hattig.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zwei Große Anfragen, eine Antwort! Auch das zeigt die Konsistenz bremischer Wirtschaftspolitik in einer funktionierenden großen Koalition. Man könnte auch sagen, wenn alle Vernunftehen so praktiziert werden würden wie diese, gäbe es weniger Scheidungsrichter.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Lieber Herr Kollege Focke, das ist genau der entscheidende Satz, den Sie mir haben vorauslaufen lassen, Wirtschaft und Arbeitsmarkt sind Zwillinge, aber in einer abgeleiteten Größe. Ohne Wirtschaft gibt es keine vernünftige Arbeitsmarktstruktur, und alle unsere Bemühungen, die Beschäftigungsverhältnisse immer wieder isoliert zu betrachten, dürfen diese Ursachen- und Wirkungszusammenfügung nicht aus den Augen verlieren. Die beste Arbeitsmarktpolitik ist eine gute Wirtschaftspolitik. Wer die letzten Monate, Wochen und Tage auf sich wirken lässt, wird an diesem Satz auch nicht den leisesten Zweifel haben, dass Wirtschaft zwar nicht alles ist, aber alles ist nichts ohne Wirtschaft. Das ist keine Anmaßung, sondern eine ganz schlichte Feststellung.

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich mir dann noch eine Bemerkung erlauben darf, Frau Ziegert, wir sind einer Meinung. Wir haben zu viele Arbeitslose, in diesem Land sowieso, aber auch in Bremen. Gleichwohl haben wir strukturierte Verbesserungen erreicht, die uns zumindest Atem schöpfen lassen und etwas freundlicher nach vorn schauen lassen, als das bisher der Fall war, und wenn denn ein kleiner Senator aus einem kleinen Land doch einmal in Richtung Berlin eine generelle Feststellung machen darf, dann würde ich sagen, ich wünschte mir mehr eckige Tische als runde, damit zum Schluss eine runde Lösung herauskommt!

(Beifall bei der CDU)

Auch das sind Dinge, die man einmal deutlich sagen muss. Man könnte es ja schon aus der Semantik, aus dem Lateinischen entwickeln, dass Konsens voraussetzt, dass man vorher gestritten hat. Wir fan

gen mit Konsens an und enden mit der Impotenz. So ist die Situation!

(Heiterkeit)

Wenn ich mich nunmehr unseren eigenen Problemen zuwenden darf, dann erlauben Sie mir, das doch einmal in einen etwas größeren Kontext zu setzen! Vielleicht nehme ich dann etwas mehr Zeit in Anspruch, als Sie das von mir sonst gewohnt sind. Aber Konzepte in ihren Grundlinien immer wieder deutlich zu machen ist vielleicht ganz hilfreich.