Protokoll der Sitzung vom 07.10.2004

(Dagegen Bündnis 90/Die Grünen)

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu. Ich lasse jetzt über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 16/420 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Abg. T i t t m a n n [DVU] und Abg. W e d l e r [FDP])

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Arberger und Mahndorfer Marsch: Finanzdesaster begrenzen

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 21. September 2004 (Drucksache 16/403)

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Dr. Gloystein.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als letzten Tagesordnungspunkt wollen wir uns heute hier, das passt auch gut zu der Debatte davor, über ein weiteres Politikfeld beziehungsweise über einen weiteren Sachverhalt unterhalten, der auch schon in der Tradition steht wie der Punkt eben auch, der Tradition des Nicht-so-genau-wissen-Wollens. Der „Weser-Kurier“ berichtet am 15. September 2004, dass die Vermarktung der 800 Hektar großen Flächen in der Arberger und Mahndorfer Marsch, die die BIG im Auftrag der Stadt macht, nicht so recht funktioniert, dass die BIG Finanzprobleme hat und dass es Nachschussbedarf durch die Stadt gibt, wir haben nämlich der BIG für die Vermarktung der Flächen Garantien gegeben, und dass die BIG den Auftrag gern an die Stadt zurückgeben möchte, jedenfalls für einen Teil der Flächen, die soll die Stadt dann selbst vermarkten oder sonst etwas damit machen.

Wir haben deshalb diesen Antrag hier eingebracht, der den Senat verpflichten soll, kurzfristig der Bremischen Bürgerschaft Bericht über die finanziellen Auswirkungen der nicht erfolgten Vermarktung großer Flächen in der Arberger und Mahndorfer Marsch zu erstatten. Wir möchten hier mit unserem Antrag sicherstellen, dass so lange kein neues Gewerbeflächenkonzept in Bremen aufgelegt wird, zumindest kein weiteres Geld für die Westerweiterung des Technologieparks aufgelegt wird. Ansonsten ist das klar, dass man sich darüber unterhalten muss, wie die Gewerbeflächenpolitik in Bremen insgesamt neu geordnet werden kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zur Geschichte! Am 9. Dezember 1997 beschloss der Senat, das Gewerbegebiet Hansalinie/Hemelinger Marsch auf die Arberger und Mahndorfer Marsch auszudehnen. Der Presseerklärung der SPD-Fraktion vom 27. September 2004 konnte ich übrigens entnehmen, dass die SPD auf der Suche ist, wer die politische Verantwortung für die Fehlprognose trägt. Nun ja, ich will Ihnen da gern einmal auf die Sprünge helfen: Zu dieser Zeit, also am 9. Dezember 1997, war Herr Hattig Senator für Wirtschaft, Staatsrat war Professor Dr. Haller, heute BAW, Herr Perschau war Finanzsenator, und Herr Scherf war und ist bis heute Präsident des Senats.

Im Januar 1998 begrüßte die Stadtbürgerschaft, CDU, SPD und AFB-Fraktion, jubelnd die Vorschläge des Senats. Zum Thema politische Verantwortung! Verantwortliche Fraktionsvorsitzende sind Herr Christian Weber, heute Präsident der Bürgerschaft, und Ronald-Mike Neumeyer, Fraktionsvorsitzender der CDU-Fraktion. Ohne jede Kalkulation der Fol

gekosten, ohne genaue Auseinandersetzung damit, welche Flächen eigentlich wofür gebraucht werden, wurde hier bejubelt, dass der Senat diese Flächenorgie auf Kosten der bremischen Steuerzahler feiern möchte.

Aus der Bürgerschaftsdebatte im Oktober 1998, also ein halbes Jahr später, möchte ich meinen Kollegen Dieter Mützelburg zitieren, der hat dem Haus hier gesagt: „Meine Damen und Herren, unserer Auffassung nach ist die Ausdehnung des Gewerbegebietes Hemelinger Marsch auf diesen gesamten Plan Hansalinie bis nach Mahndorf erstens am Bedarf vorbei, zweitens ökonomisch fragwürdig, drittens ökologisch schädlich und viertens auch regionalpolitisch äußerst umstritten.“ Das ist die richtige Aussage gewesen, die bis heute gilt und die sich heute dramatisch bestätigt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir mussten uns dann wie eben auch anhören, mit den Grünen gingen die Lichter aus, wir wollten irgendetwas verhindern, wir hätten keine Verantwortung für den Standort, und mit den Grünen in die Steinzeit und dieser ganze Quark, den Sie hier immer abliefern, wenn Sie meinen, Sie hätten es nicht nötig zu argumentieren, weil Sie ja eine so große Koalition sind und außerdem die große BIG im Rücken haben! Lesen Sie einmal die Jubelbeiträge des Kollegen Sieling, der Kollegin Winther und des damaligen Bausenators Schulte in dieser Debatte, lesen Sie einmal nach, was in dieser Debatte für ein Schmarren über die Vermarktungschancen erzählt worden ist und dass Bremen nur damit vorankommt, und wer das nicht will, ist Totengräber des Standorts und immer so weiter!

(Abg. F o c k e [CDU]: Carsten, was hast du erzählt?)

Der Senat gab die Aufträge dann der BIG, die Flächen anzukaufen, und am 28. Mai 1999, ein interessantes Datum, hat dann der Vermögensausschuss noch einmal schnell vor der Bürgerschaftswahl, damit man das vor den gefährlichen Grünen, die drohten an die Macht zu kommen, in Sicherheit bringen konnte, eine hundertprozentige Ausfallbürgschaft für die BIG in Höhe von bis zu 135,8 Millionen DM beschlossen. Da war es Ihnen wieder ganz eilig, ganz schnell Geld zu beschließen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Seite sechs der Vorlage für die Vermögensausschusssitzung zitiere ich hier mit Genehmigung des Präsidenten, das müssen Sie sich einmal aus heutiger Sicht anhören, welcher Hohn, es heißt dort nämlich: „Ein globales Rechenmodell ergibt folgendes: Bei der Vermarktung der Nettoflächen von beispiels

weise 250 Hektar einer jährlichen Vermarktung von 20 Hektar zu einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 100 DM Verkehrswert pro Quadratmeter für den Zeitraum 2003 bis 2015 wären die oben genannten Kosten bei einem Finanzierungszinssatz von 5,5 Prozent refinanziert.“ Das war alles, das war die gesamte Kostenkalkulation für eine Bürgschaft in Höhe von 135,8 Millionen DM, und Sie begrüßen und feiern das, und Sie freuen sich über die ungeheuerlichen Erfolge für den Standort Bremen. Das ist finanzpolitisch unverantwortlich!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dieser schüttere Satz über die Kostenfolgen war alles, was Sie verlangt haben, das war es, keine Plausibilitätsberechnung, keine Bedarfsplanung, Augen zu und durch, nach uns die Sintflut! Herr Böhrnsen, die politische Verantwortung, schauen Sie einmal in den Spiegel, das waren diese Seite des Hauses und diese Seite, die sich damit zufrieden gegeben haben!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

880 Hektar in zwölf Jahren zu verkaufen war damals, das haben alle gewusst und alle gesagt, völlig realitätsfern. Nun hatte die BIG ihren Auftrag und ihre Garantie, alle Folgen nicht zutreffender Prognosen gingen und gehen zu Lasten der Stadt.

Jetzt kommt der nächste Akt dieser Schmierenkomödie! Wer wusste seit wann, dass die BIG Geld braucht, dass sich die Vermarktung dieser riesigen Fläche längst nicht so entwickelt, wie man den Abgeordneten weismachen wollte? Die BIG wusste es sicher, der Aufsichtsrat der BIG wohl auch.

(Abg. P f l u g r a d t [CDU]: Wer ist denn von den Grünen im Aufsichtsrat?)

Mit notwendigen Vorinformationen versehen kann man gewisse Informationen auch dem Controllingbericht entnehmen. Im Wirtschaftsressort bei Herrn Senator Perschau war seit langem bekannt, dass dort alle Prognosen über die Vermarktung der Flächen Makulatur sind und sehr große finanzielle Belastungen auf Bremen zukommen.

Nun ist ein besonders appetitlicher Streit zwischen dem Wirtschaftsressort und der BIG entbrannt, und die BIG hat, um sich selbst zu entlasten, an das Wirtschaftsressort einen Brief geschrieben und geht auf die Presseberichterstattung im „Weser-Kurier“ ein. Daraus möchte ich gern mit Genehmigung des Präsidenten kurz zitieren, auf Seite zwei der Stellungnahme der BIG heißt es:

„Die BIG hat den Senator für Wirtschaft und Häfen laufend und umfassend über den Stand aller Ankäufe und die finanzielle Entwicklung des Projektes Arberger/Mahndorfer Marsch informiert. Insbe

sondere hat die BIG bereits in 2002 den Senator für Wirtschaft und Häfen gebeten, die Auftragsfinanzierung durch die BIG aufgrund veränderter Rahmenbedingungen anzupassen. Den Vorlagen des Senators für Wirtschaft und Häfen für das Wirtschaftskabinett des Senats, für den Senat sowie den Vermögensausschuss lag jeweils eine Modellrechnung des Senators für Wirtschaft und Häfen zugrunde, nach der von einer jährlichen Vermarktungsleistung von 20 Hektar ausgegangen wurde. Hibeg, BIG und WfG gingen seinerzeit von einer Vermarktungsleistung von jährlich sieben Hektar aus. Weder die Hibeg als Vorläuferunternehmen der BIG beziehungsweise die BIG oder die für die Vermarktung zuständige WfG Bremer Wirtschaftsförderungs GmbH haben jemals erklärt, die vom Ressort genannte Vermarktungsleistung von 20 Hektar jährlich realisieren zu können. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass zum damaligen Zeitpunkt im gesamten Stadtgebiet rund 60 Hektar an Gewerbeflächen vermarktet werden könnten.“

Das heißt klar und eindeutig, das Wirtschaftsressort hat sich die 20 Hektar, die angeblich pro Jahr vermarktet werden könnten, aus den Fingern gesogen und hat den Abgeordneten erzählt, dass damit eine Rentabilität des Mitteleinsatzes aus Steuergeldern gewährleistet werden kann.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als dieses Lügengebäude drohte zusammenzufallen, als klar wurde, dass es jetzt sehr viel Geld kostet, wurde gezögert. Man hat nicht zu den Haushaltsberatungen, wie man das hätte machen müssen, dem Haushaltsgesetzgeber gesagt, welche Kalamitäten drohen, sondern man hat einfach gezögert und so lange gewartet, bis die Haushaltsberatungen vorbei sind, und hat bis heute weder dem Haushaltsund Finanzausschuss noch den Wirtschaftsförderungsausschüssen einen Bericht über die finanziellen Folgen dieses Flächenabenteuers vorgelegt, aus dem man sehen kann, dass Ihre Angebotspolitik in der Flächenfrage völlig gescheitert ist und dass Generationen an Ihrem Überwahn werden abbezahlen müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. P e r s c h a u [CDU]: Frau Trüpel wusste alles!)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unterstützen Sie wenigstens unseren Antrag, dass der Senat jetzt verpflichtet wird, einen Bericht vorzulegen! Wir müssen damit rechnen, dass eine ganz große Summe auf den bremischen Haushalt zukommt. 75,5 Millionen Euro sind für die Grunderwerbskosten eingesetzt worden und 221 Millionen Euro für Erschließungsprojekte und Planungskosten. Das sind schon fast 300 Millionen Euro, von denen man eine viel geringere Anzahl an Verkäufen in der Tat abziehen muss. Aber wann?

Wenn in Zukunft nur noch fünf Hektar pro Jahr vermarktet werden können, dann ist die Fläche vermarktet, wenn Henning Scherf 112 Jahre alt ist. Dann rechnen Sie bitte einmal aus, wie hoch die Finanzierungskosten in diesem Zeitraum sind!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wahrscheinlich ist er dann nicht mehr Bürgermeister. Nach Rechnungen der BIG kommt man auf 500 Millionen Euro Ankaufs-, Erschließungs- und Finanzierungskosten. So ein Wahnsinn! Wir verlangen, dass Sie das hier und dem Haushaltsausschuss darlegen.

Es ist in der Tat richtig, dass die Dimension dieses Finanzabenteuers die des Space-Parks weit überschreitet. Die SPD-Fraktion hat in ihrer Presseerklärung erklärt, das Problem in Höhe von mehr als 50 Millionen Euro, da haben Sie eine Null vergessen, dürfe nicht durch eine schlichte Übernahme der Kosten in den öffentlichen Haushalt und nicht zu Lasten anderer Investitionsprojekte gelöst werden. Ja, wie denn sonst? Nicht in den Haushalt? Die BIG kommt nicht weiter klar mit den Schulden, die sie hat! Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Wollen Sie es außerhalb des Haushalts finanzieren, wollen Sie es weiter vor sich herschieben, wollen Sie es vielleicht nicht nur bis 2047, sondern vielleicht bis 2080 finanzieren? Natürlich muss das in den Haushalt und mit einberechnet werden in Ihre Investitionsplanungen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Der Senat hat mit seiner überbordenden Flächenpolitik hier ein gigantisches, auch finanzpolitisches Debakel angerichtet. Wenn Sie nach dem Verantwortlichen suchen, ich rate Ihnen, heute ist nur Herr Gloystein da, dem kann man es in der Tat nicht in die Schuhe schieben, ansonsten glänzt der Senat bei dieser Frage ja durch Abwesenheit, das verstehe ich, aber da sitzen die politisch Verantwortlichen dafür, dass den Abgeordneten nicht die Wahrheit gesagt wird, und die politisch Verantwortlichen dafür, dass sie diesen Mist geglaubt haben, weil sie ihnen glauben wollten, sitzen hier in diesem Haus dort und dort. Auf der Suche nach den politisch Verantwortlichen schauen Sie in den Spiegel!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Liess.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Anfang eines vorwegschicken, denn dies hat auch schon bei ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Frau Linnert eine entscheidende Rolle gespielt: Wir haben als große Koalition uns entschieden, die Arberger und Mahndorfer Marsch in Teilen auch als Gewerbefläche anzubieten. Es geht für uns heute nicht darum, eine Abkehr von dieser Politik zu betreiben. Es geht vielmehr darum, ob im Rahmen der Erschließung, die im Augenblick läuft, Fehler gemacht worden sind, ob es Verschleppungen in der Darstellung gegeben hat, und nach dieser Verantwortlichkeit, Frau Linnert, haben wir gefragt. Es ist klar, dass es Fehler gegeben hat, ansonsten wären wir nicht in der Situation, in der wir heute sind.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich fand das Ganze etwas überraschend, denn im März 2003 hat ausweislich einer Mitteilung des Senats der Senat Folgendes erklärt, Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren: „Aufgrund der guten Vermarktungsleistungen der letzten Jahre insbesondere an hochwertigen Gewerbestandorten besteht für diese Flächen der Bedarf zügiger weiterer Flächenerschließung. Das gilt insbesondere für die Gewerbestandorte“, es folgen einige, „und dann auch den Gewerbepark Hansalinie Bremen mit seiner in Planung befindlichen Erweiterung in die Arberger und Mahndorfer Marsch.“