Ich möchte Ihnen auch noch eine andere Idee unterbreiten! Es gibt in Berlin die Überlegung, die Ratifizierung des Vertrags im Bundestag am 23. Mai 2008 durchzuführen, also am Tag unseres Grundgesetzes. Das finde ich eine richtig schöne, dialektische Idee, das Grundgesetz in seiner europäischen Weiterentwicklung zu feiern und die europäischen Verträge in den Zusammenhang unseres Grundgesetzes zu stellen. Ich möchte anregen, dass wir die Ratifizierung in Berlin, wann immer sie stattfindet, begleiten und unterstreichen durch eine angemessene Veranstaltung hier in der Bremischen Bürgerschaft.
Abschließend eine letzte Bemerkung! Wenn wir noch ein wenig weiter in die Zukunft blicken, sollten wir uns vornehmen, dass wir mit unserer gesamten Arbeit dazu beitragen, dass in Bremen die Europaparlamentswahlen im Jahr 2009 ein gutes Ergebnis bringen. Ich meine jetzt nicht das Ergebnis für die Grünen – das sowieso –, sondern durch eine hohe Wahlbeteiligung. Dann, meine Damen und Herren, wäre die Europawahl auch eine Abstimmung über die Akzeptanz dieses Vertrages. Uns Grüne wäre ein europaweites Referendum an diesem Tag über den Vertrag lieber gewesen, aber wir müssen akzeptieren, dass dafür die Zeit offensichtlich noch nicht reif ist. Wir bedauern das, aber deshalb darf man die europäische Einigung nicht auf das Wartegleis schieben, denn wir brauchen sie. – Herzlichen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der europäische Vertrag, der die mittlerweile auf 27 Staaten angewachsene Europäische Union reformiert und am heutigen
Tag in Lissabon unterzeichnet wurde, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg der europäischen Integration.
Nach einer achtjährigen Debatte und dem Scheitern des Verfassungsvertrags vor zwei Jahren wurde nun ein Kompromiss erzielt, der sich nicht Verfassung nennen kann, aber viele Elemente des ursprünglichen Entwurfs verwirklicht. Das ist eine gute Nachricht, auch wenn es keinen Anlass für Euphorie bietet. Die wesentlichen Errungenschaften des Vertrags von Lissabon haben wir in unserem Entschließungsantrag benannt. Der Kollege Dr. Kuhn ist noch einmal näher darauf eingegangen, ich muss es jetzt im Einzelnen nicht wiederholen.
Im Interesse des Integrationsprozesses müssen einige kritische Anmerkungen erlaubt sein! Die Entscheidungsverfahren auf europäischer Ebene bedürfen auf Dauer einer noch transparenteren, effizienteren und demokratischeren Ausgestaltung. Dazu möchte ich einige Beispiele nennen! Die Einführung des neuen Abstimmungsmodus der doppelten Mehrheit, das heißt 55 Prozent der Staaten und 65 Prozent der Bevölkerung, ist zu begrüßen. Allerdings findet dies verzögert statt und gilt erst ab dem Jahr 2014 mit einer Übergangsfrist bis 2017. Das hätten wir uns schneller gewünscht.
Weitere Abstriche wurden bei der Transparenz gemacht. Anstatt die bestehenden Verträge zusammenzufassen und lesbarer zu machen, handelt es sich bei dem Reformvertrag um einen Ergänzungsvertrag, den wir eben schon gesehen haben, der zur Verständlichkeit wenig beitragen wird. Eine Verzögerung von Entscheidungen in der EU bedeutet das Fortbestehen von Vetorechten, welche nationalen Einzelinteressen Raum geben. Eine Gruppe von Mitgliedsstaaten kann Entscheidungen eine Zeit lang blockieren, wenn sie die Sperrminorität nur knapp verfehlt haben. Auch das ist ein Problem.
Allerdings möchte ich noch besonders auf den Zusammenhang mit der Sozialrechtscharta hinweisen, die am gestrigen Tag verkündet wurde – auch das hat der Kollege schon erzählt – und mit ihrer Rechtsverbindlichkeit einen großen Fortschritt für Europa darstellt. In sechs Kapiteln – Würde der Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Rechte der Bürgerinnen und Bürger und justizielle Rechte – fasst die Charta die allgemeinen Menschenrechte und die wirtschaftlichen und sozialen Rechte zusammen. Weiter gehend als die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes sichert sie neben den klassischen Rechten der Bürgerinnen und Bürger wie Rede-,
Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch den Verbraucherschutz, den Datenschutz, ein Recht auf eine gute Verwaltung und weitgehende Rechte von Kindern, Behinderten und Alten. Auch soziale Rechte werden in die Charta aufgenommen. So sind unter anderem würdige Arbeitsbedingungen und eine kostenlose Arbeitsvermittlung garantiert.
Die Grundrechtecharta räumt den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber den Institutionen und Handlungen der EU Rechte ein, die eingeklagt werden können. Sehr zu bedauern ist allerdings, dass es nicht gelungen ist, die Grundrechte in den Vertrag mit aufzunehmen. Die Regierungen von Großbritannien und Polen wollten eine Einschränkung ihres nationalen Spielraums verhindern. Für diese Länder entfaltet die Charta keine Wirkung. Das Bekenntnis zu europäischen Grundrechten erscheint damit als nur halbherzig und kann so nicht zufriedenstellen. Ziel muss es bleiben, dass die Grundrechte aller Menschen in der EU gleichermaßen geschützt werden und ihrer Festschreibung den Rang einer Verfassung zukommt.
Meine Damen und Herren, trotz dieses Wermutstropfens war die Einigung über den Reformvertrag alternativlos. Seine verbesserungsfähigen Regelungen sind Ausdruck des europäischen Spannungsfeldes zwischen sich weiterentwickelnder Integration und nationaler Selbstbehauptung. Aber wie sich die Mitgliedsstaaten insoweit auch positionieren, sie brauchen eine nach innen wie nach außen arbeitsfähige erfolgreiche Union. Daher sollte Deutschland bei der Ratifizierung des Vertrags im Mai 2008 als einer der ersten Staaten vorangehen. Bis zu seinem Inkrafttreten – hoffentlich im Januar 2009 – muss in 26 weiteren Mitgliedsstaaten und im Europäischen Parlament die Zustimmung erfolgen.
Nachdem wir diese Phase der Innensicht und der Reform der Grundlagen des europäischen Handelns vorerst beendet haben, müssen wir uns nun wieder auf die Herausforderungen konzentrieren, die sich uns auf europäischer Ebene stellen. Hierbei gibt es den Vorschlag des französischen Präsidenten, einen Rat der Weisen einzurichten. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehen es auch als ein undemokratisches und intransparentes Verfahren, lehnen deswegen diesen Vorschlag ab
Die Idee allerdings, eventuell eine Arbeitsgruppe einzurichten – es wird da von einer Reflektionsgruppe gesprochen, die Ideen sammelt, um sich Gedanken
zu machen, wie die EU sich über 2020 hinaus entwickelt –, kann durchaus auch ein Modell sein, dies aber ansonsten grundsätzlich hinter verschlossenen Türen weiterzuführen, ist eigentlich überhaupt nicht im Sinne des europäischen Gedanken.
Von daher finden wir es allerdings auch schade, dass die CDU, die ja sonst den gemeinsamen Antrag trägt, es an der Stelle nicht möchte, dass dieser Hinweis mit in den Antrag formuliert wird. Europa ist mehr als ein bloßer Markt. Die EU ist nicht nur ein Staatenbund mit integrierten Wirtschaftsleben, sondern auf dem Weg zu einer Union der Menschen.
Für die SPD heißt dies insbesondere, die Stärkung der sozialen Dimension des europäischen Einigungsprozesses als das neue und große Integrationsprojekt der kommenden Jahre voranzutreiben. Mithilfe der neuen Möglichkeiten müssen wir die friedliche und sozial gerechte Gestaltung der Globalisierung in Angriff nehmen. Als SPD engagieren wir uns für das europäische Sozialmodell, das wirtschaftliche Dynamik mit weitreichenden sozialen und ökologischen Standards verbindet. Daraus folgt für uns der Auftrag, uns für die Rechte der europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzusetzen. Lohn- und Sozialdumping müssen europaweit bekämpft, eine Abwärtsspirale bei Löhnen und sozialen Standards verhindert werden.
Die Löhne müssen fair und mindestens existenzsichernd sein. Mitbestimmung und Teilhabe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen europaweit gestärkt werden. Europa braucht außerdem vergleichbare Steuern, damit der Wettlauf um immer niedrigere Unternehmenssteuern nicht allen EU-Staaten schadet, indem er zur Arbeitsplatzvernichtung führt und die öffentlichen Haushalte belastet.
Meine Damen und Herren, dies sind die Erwartungen, die die Menschen in Europa, die ja Europa sind, an Europa stellen. Dies muss Zielrichtung der europäischen Integration sein, und dafür sind die Grundlagen des europäischen Handels, wie sie in dem Vertrag von Lissabon entwickelt sind, einzusetzen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vorab erst einmal dem Abgeordneten Dr. Kuhn recht herzlichen Dank sagen, er war derjenige, der die Arbeit dieses Antrags weitestgehend vorgenommen hat, also von dieser Seite ein herzliches Dankeschön!
Ich denke, es ist eine sehr ausgewogene Position, die dann hoffentlich dieses Parlament hier auf breiter Basis vertreten wird. Ich glaube, es ist in den beiden Redebeiträgen überwiegend zum Ausdruck gekommen, dass dieser Reformvertrag sicherlich ein großer Schritt, ein guter Schritt für die Fortentwicklung der Europäischen Union ist.
Es ist schon angesprochen worden, deswegen möchte ich jetzt die Geschichte nicht zum dritten Mal belasten, dass wir in den vergangenen sechs Jahren eine sehr lange Entwicklung hinter uns haben. Das gescheiterte Referendum in Frankreich und Irland zur Europäischen Verfassung hat gezeigt, wie lähmend ein zu großer Schritt, der gewagt worden ist und der dann nicht umgesetzt wird, sich auf die Strukturen, auf die Politik insgesamt auswirken kann. Deswegen möchte ich mich schon eher positiver zu dem, was wir hier heute positiv auch begrüßen, positionieren, als es insbesondere von Ihnen, Frau Kollegin, zum Ausdruck gekommen ist. Die Frage ist: Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Ich sage, das Glas ist hier halb voll, wir machen einen Riesenschritt. Die Europäische Union, die EU der 27 Staaten, ist an dieser Stelle nicht zu regieren wie die EU der 16 Staaten. Wir brauchen gerade den Einstieg in Reformen der Strukturen, und das, meine Damen und Herren, ist mit diesem Reformvertrag meiner Auffassung nach weitestgehend gelungen.
Wesentlich vor diesem Hintergrund ist unserer Auffassung nach die Frage der doppelten Mehrheit. Wie war es denn in der Vergangenheit? Einzelne Regierungschefs haben die Diskussion des ehemaligen Präsidenten Polens, Herrn Kaczynski, sicherlich noch bildhaft vor Augen. Reformvorhaben konnten maßgeblich blockiert werden. Auch in der Vergangenheit war es des Öfteren der Fall, dass es in der Europäischen Union, in der Kommission oder im Rat selbst, eher eine Blockade gab und kleine Schritte vorangetrieben worden sind als eigentlich die großen not––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Mit dieser doppelten Mehrheit ist unserer Meinung nach gewährleistet, dass wir keine Entscheidungen bekommen, die eine breite Mehrheit zufälligerweise benachteiligt, sondern mit dieser doppelten Mehrheit ist gesichert, dass Mehrheitsentscheidungen getroffen werden können, dass Einzelne Reformvorhaben nicht mehr blockieren können und dass sich die Europäische Union in den nächsten 20, 30, 40, 50 Jahren modern und flexibel bewegen kann.
Sicherlich kann Deutschland jetzt überstimmt werden, aber ein Regierungschef wie ehemals Herr Kaczynski kann jetzt auch überstimmt werden. Es ist also nicht mehr so, dass hier ein Einzelner mehr Entwicklungen, mehr Fortschritte, mehr Moderne sozusagen, blockieren kann.
Ein zweiter Punkt, der aus Sicht der CDU-Fraktion von großer Bedeutung ist, bedeutet, dass mehr Demokratie, mehr Einfluss auch auf nationaler Ebene möglich ist, und da kann ich Ihnen nur recht geben, Herr Dr. Kuhn, wir müssen diese Rechte letztendlich auch nutzen. Wir können uns nicht zurücksetzen und einfach auf der Zuschauerbank den Daumen hoch oder herunter zeigen, sondern wir müssen uns in die Diskussion einbringen, wir müssen uns auch in der Diskussion mit dem Senat, der auf Bundesratsebene europapolitische Grundsatzthemen diskutiert, auseinandersetzen und sagen, solche Grundsatzentscheidungen, die vielleicht im Bundesrat getroffen werden, müssen auch in den Länderparlamenten auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Deswegen freue ich mich, und ich glaube, das ist auch einheitlich, dass wir hier im Ausschuss Bund und Europa diesbezüglich eine sehr intensive Diskussion mit dem Senat praktizieren. Ich denke, da sind wir als Parlamentarier gefordert, wir als Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft, an der Stelle diese Rechte, die auf uns zukommen, auch auf indirekte Art und Weise letztendlich zu nutzen.
Mehr Effizienz, Verkleinerung der Kommission, Ratspräsidentschaft zweieinhalb Jahre, diese Schnittstellen sind abgebaut, auch das wird sicherlich zu mehr Transparenz führen. Es wird bestimmt auch zu mehr Effektivität führen, weil der Übergang von einer Ratspräsidentschaft zur anderen jedes halbe Jahr sicherlich auch zu sehr hohen Reibungsverlusten geführt hat, aber ich denke, dass dies auch ein sehr großer Schritt ist. Dazu gehört die Tatsache, dass wir einen hoch besetzten Kommissar für die Außenpolitik bekommen, dies macht die Europäische Union sicher auch handlungsfähiger an der Stelle.
Wir haben zwei Änderungsanträge beziehungsweise einen Dringlichkeitsantrag und einen Ergänzungsantrag an dieser Stelle ebenfalls zu beraten, es ist schon angedeutet worden, dass wir zu dem Dringlichkeitsantrag der FDP eine sehr skeptische Position haben. Ich fand es zum einem sehr überraschend,
dass 2 Tage vor der Beratung hier im Parlament ein solcher Dringlichkeitsantrag eingereicht wird, weil der Vorschlag schon seit September im Raum ist. Ich vermute einmal, da waren die Sonntagslektüre und entsprechende Meldungen diesbezüglich der Impulsgeber für diesen Antrag. Das sei aber einmal dahingestellt, das Motiv und der Impuls sind dabei nicht entscheidend.
Die Frage, generell einen solchen Rat der Weisen abzuhalten, halte ich nicht für klug. Wenn man ehrlich ist, müsste unterstellt werden, dass dieser Rat der Weisen ineffizient ist und sowieso zu nichts führt, dann, glaube ich, könnte eine große Anzahl von Institutionen, Einrichtungen und Arbeitsgruppen auf europäischer Ebene hier einmal diskutieren und debattieren. Deswegen ist der Antrag zu kurz gefasst an dieser Stelle, wenn man sich ernsthaft mit dieser Thematik auseinandersetzen will.
Zum anderen, wenn man genau bedenkt, was der französische Präsident Sarkozy in seiner Europarede im September damit gemeint hat, dann finde ich es durchaus überlegenswert, dass man sich auch mit der Frage auseinandersetzt, wie sich die Europäische Union an dieser Stelle in den nächsten 10, 15, 20 Jahren weiterentwickeln wird. Es wird in dem Rat selbst mehr oder weniger vom Tagesgeschäft geprägt, und dass man Impulse von außen zulässt, halte ich für eine sehr sinnvolle Maßnahme, und ich finde nicht, dass dadurch die Transparenz ausgeschaltet wird. Das wird ein Punkt sein, den dieser Rat der Weisen zu erfüllen hat.
Unabhängig davon denke ich, dass die Gegensätze, die Sie insbesondere in der Begründung darlegen, meine sehr verehrten Kollegen von der FDP, in sich widersprüchlich sind beziehungsweise hier als ein Junktim hergestellt werden, die als solche aus zweiter Sicht nicht stringent sind.
Von daher, glaube ich, wird dieser Antrag letztendlich der Sache nicht gerecht. Wie gesagt, wir müssen darauf achten, dass neue Arbeitsgruppen, neue Institutionen sicherlich dem Gebot der Transparenz, dem Gebot der Effizienz und auch der Sachgerechtigkeit letztendlich auch entsprechen. Deshalb sollte man hier an der Stelle auch ein bisschen mutig sein und so etwas per se nicht ablehnen.