Protokoll der Sitzung vom 05.06.2008

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

in Vollversammlungen, in Präsidien und Fach- und Arbeitskreisen tätig.

(Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/ Die Grünen])

IHKs nehmen Stellung zu Fragen der Bauleitplanung, beantworten Fachfragen auf Landes- und Bundesebene und sind durch Gutachten in Entscheidungsprozesse der öffentlichen Hand direkt eingebunden.

Die erst seit Anfang der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts bestehenden Arbeitnehmerkammern in Bremen nehmen zwar auch Interessen ihrer zwangszugehörigen Arbeitnehmer wahr, ihr Fokus besteht jedoch in erster Linie auf Betreuung, kostenloser Rechtsberatung, Organisation von Veranstaltungen und Vorhalten von Fortbildungsmaßnahmen.

Der wesentliche Unterschied – darauf möchte ich jetzt hinaus – ist die praktische Ausformung der demokratischen Legitimation der Kammern. Während die Handelskammer alle drei Jahre Urwahlen bei ihren Mitgliedern zur Besetzung des höchsten Gremiums, des Plenums, durchführt und damit die Mitglieder unmittelbar Einfluss auf das wichtigste Entscheidungsgremium haben, führt die Arbeitnehmerkammer hier in Bremen lediglich sogenannte Friedenswahlen durch.

(Abg. Frau T r o e d e l [Die Linke]: Haben Sie etwas gegen Frieden?)

Das heißt nichts anderes, als dass die Gewerkschaften eine Vorschlagsliste der Mitglieder der Vollversammlung vorlegen, bei der die Zahl der vorgeschlagenen Personen identisch mit der Zahl der Sitze ist.

Auf der Basis dieser Liste wird dann plötzlich festgestellt, dass sich eine Wahl nicht lohnen würde, weil dann ohnehin alle Kandidaten gewählt würden. Mit diesem Argument fallen die Wahlen regelmäßig aus. Ich konnte hier in sieben Jahren noch an keiner einzigen Wahl teilnehmen!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Soweit zu dem Fachthema! Jetzt kommen wir einmal zu der eigentlich, Herr Dr. Güldner, dahinterstehenden hintergründigen Fragestellung, die viel grundsätzlicherer Natur ist, und das rührt an einer Kernfrage von Gesellschaftsverständnis. Es ist eben so, wie es Herr Dr. Kuhn gestern schon in vorauseilendem Gehorsam wahrscheinlich ungewollt angeschnitten hat. Ich darf Sie zitieren, Herr Dr. Kuhn: Der heutige Antrag ziele auf Abschaffung der Arbeitnehmerkammer hinaus, das sei die wirkliche Absicht. Herr Dr. Kuhn, ein System, das Ihrer Sorge nach nur durch Zwang erhalten wird, ist unseres Erachtens per se in einer freiheitlichen Bürgergesellschaft bedenklich und fremd!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP – Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen])

Sie, Herr Dr. Kuhn, befürchten scheinbar durch den Wegfall der Zwangsmitgliedschaft einen Mauerfall, bei dem der Arbeitnehmerkammer dann taggleich die eingesperrten Bürger weglaufen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP – Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen])

Ist Ihr Vertrauen, Herr Dr. Kuhn, erstens in die Bedarfsgerechtigkeit dieser Institution und zweitens in den Nachfragebedarf der Angestellten, so gering, dass Sie gleich den Kollaps prognostizieren? Wie erreichen denn in einer freien Gesellschaft andere Leistungsanbieter ihre Kunden, ihre Mandanten, ihre Mitglieder, ihre Förderer und ihre Interessenten? Sie müssen werben, sie müssen wettbewerbsfähig sein, sie müssen clever an sie herangehen, Nutzen bieten und ihn erlebbar machen.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wie ist das in der Handelskammer?)

Wer das tut, Herr Dr. Kuhn, hat Nachfrage, er wächst, bekommt Mitglieder und kann sogar Preise und Beiträge steigern! Ich kann Ihnen gern einmal am Beispiel Bankgeschäft erklären, wie man das macht!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

An Nützlichem und Gutem will jeder Bürger teilhaben, und zwar motiviert und freiwillig. Hier geht

es von unserer Seite aus überhaupt nicht um die Abschaffung der Kammer und auch ausdrücklich nicht um ein Urteil über die Qualitäten und Stärken oder Schwächen, hier geht es um den politischen Willen. Ich habe in Bremen 18 freiwillige aktive Mitgliedschaften und zahle mehr Beitrag als bei der Arbeitnehmerkammer und oft auch mehr als den geforderten Mindestbeitrag. Geben Sie den Bürgern die Chance, freiwillig in die Arbeitnehmerkammer einzutreten! – Danke schön!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Hier haben wir ja fast zum Schluss der Bürgerschaft in dieser Woche noch einmal eine ganz große ideologische Debatte.

(Zurufe von der CDU und von der FDP)

Da kommt ein Antrag so total sachlich daher, in Ihrem Beitrag, Herr Dr. Möllenstädt, habe ich aber herausgehört, dass es Ihnen in Wirklichkeit nicht um die Zwangsmitgliedschaft geht, sondern eigentlich um die Abschaffung der Kammern!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der Linken)

Da bin ich auch froh, dass Sie deutliche Worte gewählt haben.

Bei Ihnen, Herr Kau, fand ich auch sehr erstaunlich, dass Sie sagen, die Arbeitnehmer wollen die Kammer überhaupt nicht. Wissen Sie eigentlich, wie viele Briefe ich von den IHK-Gegnern im Monat erhalte? Das sind ganz viele! Ich habe aber noch nie Briefe bekommen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die die Arbeitnehmerkammer nicht wollen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das vielleicht als Eingangsbemerkung! Also, kommen Sie hier nicht her wie der Wolf im Schafspelz, der behauptet, er stehe auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier in Bremen!

Wir treten – das ist, glaube ich, auch deutlich – für die Arbeitnehmerkammer und auch für die Zwangsmitgliedschaft in der Arbeitnehmerkammer ein, weil die Arbeitnehmerkammer für das Allgemeinwohl da ist. (Abg. F o c k e [CDU]: Für den Arbeitneh- mer nichts!) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

So steht es auch im Kammergesetz in Paragraf 2. Lesen Sie das Gesetz doch bitte nach, Herr Focke, dann sehen Sie es! Das ist nämlich sinngleich mit dem, was auch zur Handelskammer dort steht. Auch die ist am Gemeinwohl orientiert, und da geht es eben genau nicht um die Partikularinteressen einzelner, sondern es geht um die gemeinschaftlichen Interessen von Arbeitnehmern, und die nimmt die Arbeitnehmerkammer hier in Bremen wahr.

Das ist sinnvoll und auch notwendig, wenn ich mir anschaue, wie kompliziert die Arbeits- und Lebensverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mittlerweile geworden sind. Wenn wir nur auf prekäre Beschäftigung schauen, die unterschiedliche Ausprägungen hat wie zu geringe Löhne für die eigene Arbeit, Arbeitszeiten, die sehr ungünstig sind, und so weiter! Die Herausforderungen im Gesundheitsschutz! Immer mehr Menschen klagen über psychische Belastungen am Arbeitsplatz, immer mehr Menschen erreichen das Rentenalter nicht mehr gesund. Das sind alles Dinge, um die wir uns gemeinschaftlich kümmern müssen, genauso um die Herausforderungen der Weiterbildung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen. Da ist es auch gut, dass die Arbeitnehmerkammer dazu mit Studien, mit Veranstaltungen und so weiter arbeitet. Damit machen sie auch Politikberatung, was wir als Abgeordnete hier auch dringend brauchen, um die entsprechenden Entscheidungen treffen zu können.

Des Weiteren möchte ich dazu sagen: Wenn Sie der Auffassung sind, dass Sie auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen, und wenn ich mir dann anschaue, was auch im Übrigen die CDU einmal in Sachsen gefordert hat – sie hat nämlich dort einmal die Einführung der Arbeitnehmerkammer gefordert, hat sich aber nicht durchgesetzt! – wenn ich mir anschaue, was auch die FDP zum Teil auf Bundesparteitagen fordert, auch hoch interessant einmal nachzulesen, wenn ich mir anschaue, was einschlägige Rechtsurteile sagen, die nämlich auch sagen, dass es notwendig ist, eine Zwangsmitgliedschaft zu haben, bin ich, ehrlich gesagt, davon überzeugt, dass man eigentlich anderen Bundesländern nur empfehlen kann, auch dort Arbeitnehmerkammern einzuführen, weil wir sie im Grunde brauchen, da die Arbeits- und Lebensverhältnisse von Arbeitnehmern komplizierter geworden sind. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab und treten weiterhin dafür ein, dass die Kammer ihre Arbeit gut machen kann.

Ich möchte aber auch noch eine Sache sagen, die hier, glaube ich, zu Recht kritisiert worden ist. Das sind Fragen, die ich erst einmal mit datenschutzrechtlichen Fragen bezeichnen möchte. Das Problem ist, dass die Kammer im Moment nicht weiß, wer eigentlich ihre Mitglieder sind, weder die Neumitglieder noch die jetzigen Mitglieder. Sie kann nicht in direkten Kontakt treten mit ihren Mitgliedern, keine direkten Interessen abfragen. Ich glaube, es wäre gut, wenn man einmal prüft, ob es eine Möglichkeit gibt. Ich ha

be bisher verstanden, es ist ein datenrechtliches Problem. Ich glaube aber, dass es gut ist, dass man es lösen kann, weil es richtig ist, dass die Arbeitnehmerkammer direkt zu ihren Mitgliedern Kontakt aufnehmen kann.

Ich glaube, ansonsten gehen wir hier in die richtige Richtung, wenn wir die Kammer an dieser Stelle auch stützen. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Troedel.

Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es wäre alles viel einfacher, schlichter und auch effektiver, wenn ganz klar gesagt würde, wir wollen die Kammern nicht, weg! Dann würde manche Diskussion auf ein effektives Mindestmaß reduziert werden. Vielleicht würde der Charakter der Wiederholung – für mich noch nicht, da ich ganz neu in der Bürgerschaft bin und als Abgeordnete das erste Mal diesen Beitrag leiste – dann etwas einfacher, denn es verbirgt sich hinter allem, dass die Kammer aus Ihrer Sicht und Ihrer Einstellung überflüssig ist.

Die Diskussion um Zwangs- oder Pflichtbeiträge halte ich schlichtweg für ein Stück weit überholt, da ich sie als Arbeitnehmerin in meinem Leben davor an der einen oder anderen Stelle schon geführt habe und sie eigentlich kenne, eigentlich recht gut kenne. Ich bin begeisterte Anhängerin der Arbeitnehmerkammer. Schon als Angestelltenkammer und Arbeiterkammer habe ich sie zu meinem ganz persönlichen Vorteil nutzen können, ganz einfach als Frau, als alleinerziehende Mutter. Ich habe sie auch als Arbeitnehmerin nutzen können, obwohl ich Gewerkschafterin bin. Doppelt hält besser, und des Guten gibt es nicht genug!

Ich werde mich jetzt aber auf meinen vorbereiteten Redebeitrag stürzen, schließlich habe ich dafür gearbeitet.

(Beifall bei der Linken)

Ich beginne noch einmal formal: Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir, die Fraktion Die Linke, lehnen den vorliegenden Antrag von FDP und CDU ganz entschieden und energisch ab. Meine Damen und Herren in den antragstellenden Fraktionen, Ihre Begründung für diesen Antrag ist reichlich absurd. Sie vergleichen dort die Arbeitnehmerkammer mit den Kirchen, also Äpfel mit Birnen.

(Beifall bei der Linken) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. Vergleichspunkte müssen aber die Industrie- und Handelskammern sein. Legt man diesen Maßstab an, wird schnell deutlich, dass eine Zwangs- oder, besser gesagt, eine Pflichtmitgliedschaft zur Arbeitnehmerkammer nicht obsolet ist, ganz im Gegenteil. Sie ist nach wie vor zwingend erforderlich, denn die Arbeitnehmerkammer erfüllt legitime sowie wichtige öffentliche Aufgaben und ist dem Gemeinwohl verpflichtet, uns allen, wie die Wirtschaftskammern im Übrigen auch. Eine Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft aber – wenn ich dieses Wort benutze, dann denken Sie immer daran, es ist in Anführungszeichen! –, in dieser Einrichtung fordern FDP und CDU nicht, denn ganz offensichtlich ist für die FDP und die CDU in diesem Fall eine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft kein Problem. Hier erkennen FDP und CDU die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an, dass die Pflichtmitgliedschaft bei Industrie- und Handelskammern freiheitssichernd wirkt. Wo ist aber der große Unterschied zwischen den Wirtschaftskammern und der Arbeitnehmerkammer? Ich erkenne keinen, bis auf den winzigen, dass die Wirtschaftskammern die Interessen des Produktionsfaktors Kapital und die Arbeitnehmerkammern die Interessen des Produktionsfaktors Arbeit vertreten. (Beifall bei der Linken)

Wir dürfen folgende Punkte nicht aus den Augen verlieren: Nur eine gesetzliche Pflichtmitgliedschaft garantiert eine Beteiligung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denn durch eine freiwillige Mitgliedschaft, wie von der FDP und der CDU gefordert, fehlt die demokratische Legitimation für diese Kammer. Das politische Ziel von FDP und CDU besteht also darin, die Einbeziehung von Arbeitnehmerinteressen in staatliche Entscheidungen zumindest zu erschweren. Auch inhaltlich könnte die Kammer ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, da sie nicht mehr das Gesamtinteresse der sozialen Gruppen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertritt.

Zudem könnte eine freiwillige Vereinigung nicht auf den Gemeinwohlgedanken verpflichtet werden. Letztlich wäre sie ohne erhebliche staatliche Einschränkungen nur ihren freiwilligen Mitgliedern verpflichtet. Damit würde sie aber Gefahr laufen, lediglich Partikularinteressen zu vertreten. Dies würde letztlich dazu führen, dass die Arbeitnehmerkammer insgesamt und als politischer Akteur dieser Stadt massiv geschwächt werden würde. Das kann keiner wollen, und das wollen wir ganz bestimmt nicht unterstützen, ganz im Gegenteil!

(Beifall bei der Linken)

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal deutlich lobend den Armutsbericht hervorheben, den die Arbeitnehmerkammer alljährlich erstellt. Ich kann

mir gut vorstellen, dass dieser Bericht bei einigen hier im Saal anwesenden Personen auf wenig Gegenliebe stößt.

(Beifall bei der Linken)