Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Keine Atomtransporte über bremische Häfen

Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 3. November 2010 (Drucksache 17/1513)

s o w i e

Transport von Kernbrennstoffen über das Land Bremen verhindern

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 10. November 2010 (Drucksache 17/1536)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Günthner, ihm beigeordnet Herr Staatsrat Dr. Heseler.

Ich gehe auch hier davon aus, dass wir gleich in eine Aussprache eintreten. – Ich höre keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Die gemeinsame Aussprache ist eröffnet.

Das Wort erhält der Abgeordnete Rupp.

Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Da––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

men und Herren! Uns liegt jetzt die zweite Fassung einer Anfrage vor, die wir schon einmal gestellt haben, nämlich festzustellen: Wie viele Transporte mit radioaktiven Materialien gleich welcher Art gehen eigentlich durch das Land Bremen und durch die bremischen Häfen, wie oft passiert das, und welche Mengen sind das? Die Antwort liegt vor, und die Antwort ist keinesfalls beruhigend. Wir haben im Januar dieses Jahres in der Bürgerschaft beschlossen, dass alle Möglichkeiten auszuschöpfen sind, um unnötige Atomtransporte zu vermeiden.

Die Zahlen aus dem Jahr 2010 geben nicht Anlass dafür, dass dieser Beschluss bisher irgendeine Form von Wirkung gezeitigt hat. Es ist nach wie vor so, dass die Anzahl der Transporte, das, was transportiert wird, und auch die Mengen nicht signifikant zurückgegangen sind. Es schwankt immer von Jahr zu Jahr, aber es ist nicht zurückgegangen.

Wir hatten damals in einem Antrag auch beantragt, dass wir im Kern den Senat beauftragen, genau zu prüfen, welche rechtlichen Möglichkeiten es eigentlich im Zuge des Hafengesetzes, im Zuge der anderen Verordnungen und auch im Zuge der Einwirkungen auf landeseigene Betriebe gibt, diese Atomtransporte zu minimieren und hier zu berichten. Damals ist dieser Antrag abgelehnt worden. Ich halte das im Nachhinein und hielt es auch damals schon für einen Fehler. Hätten wir es damals beschlossen, hätten wir möglicherweise jetzt genauere Informationen über die Möglichkeiten, die wir eigentlich als Bürgerschaft haben, diese Transporte einzudämmen.

Was wird transportiert? Es sind nach wie vor im Wesentlichen – und das sind meines Erachtens die wesentlichen im doppelten Sinne gefährlichen Dinge – Uranoxid und Uranhexafluorid. Wir haben es hier schon debattiert, wir wissen, dass Uranhexafluoridtransporte für den Fall, dass sie verunfallen, eine unmittelbare Gefährdung der Bevölkerung im nahen Umkreis bedeuten. Wir wissen aber auch, dass das nicht das eigentliche Problem ist, sondern dass diese Transporte Teil einer internationalen Atomindustrie sind, die weit über deutsche Grenzen hinausgeht. Wir wissen, dass Transporte von hier nach Gronau in die Anreicherungsanlage passieren. Wir wissen, dass von da aus Brennelemente und Abfälle aus diesem Verfahren in alle Welt geschickt werden. Jeder, der gegen die Nutzung von Atomkraft, gegen die Atomenergie, gegen die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ist, wird sehen, dass man auch diese Form von Atomlogistik eingrenzen muss, wenn man ernsthaft dahin will, dass es eine Energieversorgung ohne Atomkraftwerke gibt.

Das wird jetzt natürlich noch besonders bitter – wir haben alle die Proteste von Gorleben noch vor Augen, einige von uns waren möglicherweise auch dabei, einige habe ich auch hier in Bremen gesehen und nicht in Gorleben –, weil die Bundesregierung sich nicht hat überzeugen lassen, auf die Laufzeitverlängerung zu verzichten. Ich halte das für einen riesi

gen Skandal. Wir wissen, dass damit die Zukunft und zukünftige Generationen auf das Äußerste gefährdet sind. Wir wissen, dass damit in großen Mengen Atommüll produziert wird, die Schätzungen gehen von 4 200 bis 5 000 Tonnen zusätzlichem Atommüll nur durch die Laufzeitverlängerung aus.

Wir wissen in diesem Haus, dass es energiepolitisch nicht notwendig ist, diese Laufzeitverlängerung zu beschließen, im Gegenteil ist deutlich, man kann Atomkraftwerke abschalten, und wir wissen auch, dass es eigentlich nur einen Grund gibt, diese Laufzeitverlängerung zu beschließen, nämlich dass diese Atomkraftwerke in den nächsten im Schnitt zwölf Jahren so viel Geld abwerfen, dass die entsprechenden Energieunternehmen nicht umhin können, diese Laufzeitverlängerung zu beantragen. Folgerichtig hat auch die schwarz-gelbe Regierung ungeachtet der Risiken für Menschen, für Gesundheit und die Natur diesem Profitdruck nachgegeben und die Laufzeitverlängerung beschlossen.

Es ist an der Zeit – und deswegen richtet sich mein Dank auch an alle, die in Gorleben und auch in Bremen protestiert haben –, diesem Vorgang entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen, und ich sage auch ganz deutlich, diese Form von Energiegewinnung durch Atomkraftwerke rechtfertigt auch in einem Maße zivilen Ungehorsam, wie die jeweilige Regierung unbelehrbar ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich meine, deswegen haben wir auch diesen Antrag gestellt, man kann auf der einen Seite richtigerweise in Gorleben sagen, dass man die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht will. Ich bin ausgesprochen froh darüber, dass es in diesem Land drei Parteien gibt, die entschieden gesagt haben, dass sie diese Laufzeitverlängerung nicht wollen. Es gibt drei Parteien, die entschieden gesagt haben, dass sie diese Form von Protest gegen diese Castor-Transporte richtig finden, mit unterschiedlichen Nuancen. Ich bin aber auch der Meinung, dass der Widerstand gegen diese Form von Politik nicht nur in Gorleben passieren darf. Ich denke, es ist an der Zeit, dass auch Parlamente und Regierungen sich darüber Gedanken machen, ob es nicht auch eine Form von zivilem Ungehorsam gibt, die auf dieser Ebene stattfindet. Deswegen haben wir beantragt, dass man die bremischen Häfen entwidmet und sie nicht mehr für den Transport von radiaktiven Materialien zur Verfügung stellt.

Jetzt kann man sich darüber streiten, ob man in eine solche Forderung gerade so etwas wie nuklearmedizinische Abfälle einbezieht oder nicht. Möglicherweise muss man genauer hinschauen, denn es geht nicht nur um die Kernbrennstoffe und deren Abfallprodukte. Ich bin auch der festen Meinung, dass eine Menge Müll aus Nuklearmedizin irgendwo in die Welt geschickt wird, und das hat dort auch nichts zu suchen, das müssen wir – wenn überhaupt – hier,

vernünftig, so gut es geht, belassen und nicht irgendwie exportieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt einen Antrag der SPD und der Grünen, der deutlich über das hinausgeht, was wir im Januar diesen Jahres beschlossen haben, der die deutliche Aufforderung gibt, die Häfen zumindest für den Transport von Kernbrennstoffen und Abfallprodukten zu sperren. Das finden wir in Ordnung. Wir würden trotzdem an dieser Stelle ein Signal erwarten, dass wir heute sagen, die Bremische Bürgerschaft entwidmet die bremischen Häfen und beauftragt den Senat, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Für den Fall, dass das noch nicht so weit ist, denke ich einmal, wird es auch andere Formen geben, dieses Anliegen in die Bürgerschaft und anderswo hineinzutragen, für den Fall, dass es sich mit dem heutigen wahrscheinlich zu beschließenden Antrag von Rot-Grün so ähnlich verhält wie mit dem letzten Antrag, nämlich dass er gar keine Wirkung hat. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Dennhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie sich die Bilder vom Wendland übertragen auf die Cherbourger Straße oder auf die Zolltore unseren bremischen Häfen vor, dann ist Ihnen klar, was das für Bremen bedeuten würde! Es wäre eine mehrtägige massive Störung des Hafenbetriebs und ein massiver Angriff auf den Universalhafen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Die schwarz-gelbe Klientelpolitik hat uns einen überflüssigen gesellschaftspolitischen Großkonflikt bis hinein in die Regierungsfraktionen im Bundestag beschert. Fünf Abgeordnete der Union und drei der FDP haben sich dieser Politik verweigert. Dazu zählt Josef Göppel, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, der es sehr lesenswert begründet hat. Ich kann das wirklich nur jedem sehr empfehlen, dem wirklich an erneuerbaren Energien liegt, der findet dort alle Argumente sehr gut aufgeschrieben. Es ist schade, dass solche Positionen sich in der Union nicht durchsetzen, insbesondere auch hier in Bremen bei der Union keinen Widerhall finden, wo wir ein Land sind, das auf die erneuerbaren Energien ganz besonders setzt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)

Die Bundesregierung teilt sich den Profit ihrer Politik mit den Atomkonzernen auf, und die Lasten haben alle anderen zu tragen. Unzählige Generationen tragen die Lasten dieser Politik, ganz massiv auch die Polizei, die erneuerbaren Energien, der Wettbewerb im Energiebereich und auch die Bundesländer. Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen, Frank Richter, spricht davon, dass dieses unnötige Hin- und Hertransportieren aufhören müsse. Die Transporte von Atombrennstoffen bringen keinerlei Lösung in der Endlagerfrage. Die Sicherung der Castor-Transporte kostet zig Millionen Euro. Selbst in Niedersachsen und Bayern wird jetzt schon gefordert, dass diese Kosten nicht mehr bei den Ländern bleiben, sondern vom Bund übernommen werden. Bremen wäre haushaltspolitisch gar nicht in der Lage, solche Kosten zu übernehmen, wenn wir ähnliche Proteste hier in Bremen zu erwarten hätten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Jens Böhrnsen und Björn Tschöpe haben das deutlich gemacht, die Transporte der Kernbrennstäbe schaden dem Universalhafen, und sie schaden Bremen insgesamt.

(Abg. W o l t e m a t h [FDP]: Björn Tschö- pe kenne ich! Aber wer ist Jens Böhrnsen?)

Als Nächstes droht der Transport von Grohnde nach Russland in ein seit 1957 verseuchtes Gebiet. Auch einer dieser Transporte geht möglicherweise über Bremerhaven oder Bremen. Das ist unverantwortlich, und niemand in Bremen kann ein Interesse an solchen Transporten haben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Deshalb fordern wir den Senat auf, unverzüglich alle rechtlichen und tatsächlichen Schritte einzuleiten, um solche Transporte von Kernbrennstoffen und ihren Abfallprodukten durch unsere Häfen und auf anderen Wegen im Land Bremen zu verhindern. Dazu gehört die Sperrung der Häfen und dass wir uns selbstverständlich nicht mit unseren Gesellschaften, den von uns beherrschten Unternehmen, an solchen Transporten beteiligen.

Ich habe aber soeben deutlich gemacht, was man sich vorstellen muss: Wenn solche Transporte über die Häfen im Land Bremen abgewickelt würden, gibt es dort dann mehrere Tage lang keinen Universalhafen. Deswegen kann es auch nicht im Interesse der privaten Hafenwirtschaft sein, solche Transporte durchzuführen und zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

DIE LINKE attackiert den Universalhafen mit ihrem Antrag von anderer Seite. Sie zielt insgesamt auf sämtliche radioaktiven Stoffe. Das träfe auch die Medizin und die Forschung, das lehnen wir ab. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mir vorstellen, dass Sie in den Reihen der CDU und der FDP manchmal, wenn es niemand hört, denken: Wie mit dem Klammerbeutel gepudert muss eigentlich unsere Bundesregierung gewesen sein, als sie einen gesellschaftlichen Konflikt beschlossen hat, der nicht in die eine Richtung oder in die andere Richtung geht? Der große Kompromiss von Rot-Grün damals ist auch kritisiert worden, von der Atombewegung als zu sehr auf die Realitäten eingehend, von der Industrie als zu scharf. Daran merkt man schon, dass es ein historischer Kompromiss war. Dass Sie diesen Kompromiss aufkündigen und sich wirklich vorgenommen haben, dieses Land noch einmal nach all den Jahren in diese Auseinandersetzung um die Atomkraft zu schicken! Am Wochenende hat man gesehen, was dabei herauskommt!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es gibt eine breite gesellschaftliche Mehrheit gegen dieses Vorhaben, und es gibt eine breite Unterstützung, die Nutzung der Atomkraft in Deutschland in den nächsten Jahren auslaufen zu lassen. Da sind wir als Bremer und Bremerhavener doch vornweg. Wir sind auf einem hervorragenden Weg mit dem dramatisch schnellen Ausbau – viel schneller, als man es je vorhatte, als man es je geglaubt hatte – der regenerativen Energien. Einen Ersatz zu finden, der weder CO2-Immisionen, noch radioaktive Strahlung produziert, noch solche Transporte, sondern der vom Wind, von der Sonne, von der Wasserkraft und vielem anderen lebt, das ist der Weg.

Sie haben gesagt, Sie brauchen die Atomkraft, um diesen Weg den Weg zu ebnen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie blockieren die Netze und die Stromerzeugung mit den regenerativen Energien. Sie blockieren im Übrigen – das wird relativ selten gesagt – auch die Investitionsströme, weil bei dem Ausbau der Windenergie natürlich ein ganz zentraler Punkt ist, dass die sehr hohen benötigten Finanzmittel generiert werden, um Milliarden Euro auf hoher See zu investieren. Auch das blockieren Sie, Sie blockieren insgesamt eine Entwicklung in Deutschland. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Worin wir uns in der Tat ganz einfach von den Franzosen, den Schweden und den Finnen unterscheiden – sehr viele Sachen machen sie auch toll –, was sie aber ganz verkehrt machen, ist, dass sie auf Kernkraft und auf neue Atomkraftwerke setzen. Deutschland hat diesen Weg nie beschritten, sondern wir haben den Weg in Deutschland beschritten, dass wir sagen, wir wollen aus dem Risiko, das radioaktive Strahlung für die Menschen hat, so schnell wie möglich heraus, und wir wollen aus dem Risiko dieser Transporte heraus. Jetzt sind wir bei dem Punkt, den wir heute hier in der Bürgerschaft diskutieren. Das heißt für Bremen ganz eindeutig, dass wir Nein sagen zu Transporten dieser hoch radioaktiven Brennstoffe über bremisches Gebiet,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

und das ist eine ganz klare Aussage.

Es wäre in der Tat überhaupt nicht nachzuvollziehen, wenn man grundsätzlich diesen Weg politisch geht, wie es Rot-Grün macht – sowohl im Bund als auch hier in Bremen – und man dann schulterzuckend und achselzuckend sagen würde: Dann lassen wir die Dinge einmal über unsere Häfen laufen. Ich finde eine Darstellung in der Öffentlichkeit im Übrigen völlig verkehrt, nämlich die Darstellung, man müsste das gegen die Hafenwirtschaft und gegen unsere bremischen Betriebe durchsetzen, seien sie nun im Mehrheitsbesitz der Freien Hansestadt Bremen oder privat.

Meine Erfahrungen aus den Gesprächen ist eine ganz andere: Die Horrorvorstellung, dass das, was im Wendland geschehen ist, einige Tage oder Wochen später in den bremischen Häfen passieren könnte und den Umschlag der Container, der Autos, der Waren in den Häfen über Tage oder Wochen lahmlegen könnte, ist eine betriebswirtschaftliche Horrorvorstellung für Betriebe. Deswegen machen wir diese Dinge mit den Betrieben zusammen, Seite an Seite, sowohl aus Sicherheits- als auch aus Umwelt-, als auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ich glaube, dass man dort niemanden zum Jagen tragen muss, dieses Bewusstsein ist in diesen Betrieben hervorragend entwickelt,