Protokoll der Sitzung vom 08.12.2010

Ich möchte noch einen letzten Aspekt in die Debatte einführen, die Datensicherheit! WikiLeaks lässt grüßen. Sie alle wollen ernsthaft Verbindungs- und Kommunikationsdaten auf einem großen Rechner speichern und dort anhäufen. Dieser Ort ist dann natürlich bestmöglich geschützt, das ist vollkommen klar, und niemand darf unbefugt auf diese Daten zugreifen. Das hat die US-Regierung auch mit nicht allzu großem Erfolg versucht, auch daran sollten Sie vielleicht noch einmal denken! Ganz zum Schluss: Heute gibt es einen gemeinsamen Antrag von uns Grünen und der SPD, und damit sollte auch jedem klar sein, welche Position das Bundesland Bremen in der Debatte einnimmt. Mit uns wird es keine Vorratsdatenspeicherung geben, wir stellen nicht ein ganzes Land unter Generalverdacht! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hamann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der erste Hauptsatz in der inneren Sicherheit heißt: Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten. Nach diesem Motto ist auch diese Richtlinie entstanden. Ich möchte nur noch einmal kurz darauf eingehen. Das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG, kurz Vorratsdatenspeicherung genannt, darüber wollen wir uns heute unterhalten. Dieses Gesetz ist vom Deutschen Bundestag im November 2007 verabschiedet worden. Danach gab es erstmalig in der Bundesrepublik eine Verfassungsbeschwerde von ungefähr 35 000 Menschen gegen dieses Gesetz. Herr Hinners, dann sind das irgendwie alles Gefährder, 35 000 Menschen, die sich dagegen gewandt haben. Wer war dabei? Zum Beispiel der FDP-Politiker Burkhard Hirsch, ehemaliger Innenminister in Nordrhein-Westfalen und ehemaliger Vizepräsident des Deutschen Bundestages, hat auch dagegen opponiert. Auch ein Gefährder? Die jetzige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger war auch dabei und hat auch dagegen opponiert. Auch eine Gefährderin?

(Abg. T i t t m a n n [parteilos]: Das sind alles Schläfer! – Heiterkeit) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Die mündliche Verhandlung über die Verfassungsbeschwerde fand im Dezember 2009 statt. Alle waren wach, und das Urteil ist am 2. oder 3. März 2010 gefallen: Die Vorratsdatenspeicherung in der Umsetzung des Deutschen Bundestages ist verfassungswidrig gewesen. Dieses Urteil ist leider nicht so weit gegangen, wie es sich Datenschützer erhofft haben, wie auch ich es mir erhofft habe, aber nun gut. Was wird gespeichert? Vorrat klingt erst einmal harmlos. Eichhörnchen legen sich auch Vorräte an, um über den Winter zu kommen. Was wird hier gespeichert? Jedes Mal, wenn Sie telefonieren, wird gespeichert, wen Sie anrufen um welche Uhrzeit, also von wann bis wann. Das Gleiche gilt auch, wenn Sie Ihr Mobiltelefon benutzen. Zusätzlich wird noch der Standort gespeichert. (Abg. H i n n e r s [CDU]: Das weiß doch jeder!)

Wenn Sie im Internet surfen, wird gespeichert, von wann bis wann. Wenn Sie E-Mails verschicken, wird gespeichert, an wen Sie die E-Mails verschickt haben, wer sie noch erhalten hat und wann diese eingegangen sind. Das alles wird auf Vorrat gespeichert.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Nein, zur Rech- nung!)

Was passiert damit? Eine solche überwachte Kommunikation führt zu Ängsten und schafft das permanente Risiko, dass vertrauliche Kommunikationsinhalte und -verbindungen nach draußen gelangen. Wenn Sie Daten anhäufen, können diese verloren gehen. Kollege Fecker hat soeben auf WikiLeaks hingewiesen. Anonyme Beratungsstellen, Journalisten, Anwälte, Ärzte, all diejenigen, die vertrauliche Kommunikation benötigen, haben hier ein Problem. Eine derart weitreichende Protokollierung der Menschen in Deutschland und in allen Staaten der Europäischen Union ist und bleibt für uns Sozialdemokraten inakzeptabel.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Kurz ein Blick auf andere Länder: Zum Beispiel ist in Österreich diese Richtlinie der Europäischen Union niemals umgesetzt worden. Schweden weigert sich ebenfalls. Rumänien, das muss man sich einmal vorstellen, hat auch gegen das Gesetz opponiert, und dort hat das Verfassungsgericht dies auch zurückgenommen.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Die haben Er- fahrung!)

Sie haben Erfahrung mit solchen Systemen. Vollkommen richtig!

Kommen wir jetzt kurz, Herr Hinners, Sie haben es angesprochen, auf die sogenannten Schutzlücken! Bei diesen Schutzlücken, die immer wieder genannt werden, möchte ich auch ein Zitat bringen, Sie haben es gerade gesagt, von unserer Bundesjustizministerin. Frau Leutheusser-Schnarrenberger sagt in einem Interview des Deutschlandfunks vom 10. September: „Es gibt auch nicht die so behaupteten Schutzlücken.“

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Falsch!)

Im weiteren Interview auch die USA, die in solchen Fällen immer in erster Reihe stehen, sie haben keine Vorratsdatenspeicherung! Darauf weist die Ministerin noch einmal hin. Ein anderes Interview von vor 14 Tagen: „Es gibt keine Schutzlücken!“ Daher müssen Sie sich die Frage stellen, was Sie mit Ihrem Antrag erreichen wollen! Möchten Sie, dass wir als Bürgerschaft die Justizministerin ablösen lassen? Was soll das? Sie müssen doch erst einmal sehen, dass in Ihrer eigenen Bundesregierung keine Klarheit herrscht.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Wie müssen wir jetzt weiter an dieser Stelle vorgehen? Kollege Fecker hat darauf hingewiesen, die deutsche Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union zur Vorratsdatenspeicherung ist klar gescheitert. Nun sollte es auf europäischer Ebene zur Aufhebung dieser Richtlinie kommen, daher unser Antrag.

(Abg. H i n n e r s [CDU] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Die Europäische Union muss die geplante Totalerfassung unserer Kommunikation zurücknehmen!

Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Hinners?

Bitte, Herr Hinners!

Herr Kollege, Sie sprachen von der Schutzlücke. Wie glauben Sie denn, kann bei einem Enkeltrick – ich gehe davon aus, dass Sie diese Geschichte kennen – der Anschlussinhaber festgestellt werden, wenn er vorher eine ältere Dame oder einen älteren Herren angerufen und davon überzeugt hat, dass dieser ältere Herr oder die ältere Dame Geld herausrücken muss, weil der Enkel in einer Notsituation ist? Wie, glauben Sie, kann dieser Anrufer ermittelt werden, wenn Sie davon ausgehen, es gebe keine Schutzlücke?

Ist das jetzt die Frage der Verhältnismäßigkeit?

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Ja!)

Erstens, von der Schutzlücke rede nicht ich.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Ja doch! Sie ha- ben von der Schutzlücke gesprochen!)

Ich habe zitiert. Auf Ihre Ausführung habe ich zurückgegriffen, und davon redet auch die Bundesjustizministerin in ihrem Interview. Die Frage ist doch: Haben Sie ein Restrisiko? Ja, es wird Möglichkeiten geben, dass Sie mit der Vorratsdatenspeicherung etwas aufklären. Das stellt auch niemand in Abrede. Trotzdem geht es hier darum, diese Totalüberwachung zu installieren, um solche Fälle zu bearbeiten, und das ist nicht verhältnismäßig. Das hat der Kollege gerade eben noch einmal gesagt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wie sollten wir weiter vorgehen? Es ist sinnvoll, eine europaweite Diskussion über diese Vorratsdatenspeicherung zu initiieren und die Richtlinie zurückzuholen. Nach Auffassung der SPD-Bürgerschaftsfraktion ist in unserer Demokratie kein Platz für einen Staat, der das gesamte Kommunikationsverhalten seiner Bürgerinnen und Bürger protokolliert und kontrolliert. Dieser Speicherwahn ist gefährlich!

Ein letztes Zitat noch von Ernst Benda, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts: „Ein Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann als Polizeistaat bezeichnet werden. Den Polizei- oder Überwachungsstaat wollen wir nicht.“ Dem haben wir nichts hinzuzufügen. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu! – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Richter.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hinners, auch wenn ich es weiß, muss ich trotzdem nicht wollen, dass es so ist! Trotz massiver Kritik seitens der Bürger und von Fachleuten wurde am 1. Januar 2008, das ist schon erwähnt worden, erstmals die verdachtsunabhängige Erfassung und sechsmonatige Speicherung sämtlicher Telefon- und Handyverbindungen in Deutschland eingeführt, und ein Jahr später kam dann auch noch die Speicherung der Internetverbindungen dazu. Damit stellt der Staat, das sage ich ganz

bewusst, alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht.

Infolgedessen reichten, Herr Hamann ist darauf eingegangen, rund 35 000 Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gegen die Vorratsdatenspeicherung Verfassungsbeschwerde ein. Ich muss sagen, ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wenn Sie sagen, die Mehrheit ist für Vorratsdatenspeicherung. Wenn die Mehrheit wüsste, was da wirklich alles gespeichert wird! Ich glaube, das würde Ihr Argument zusammenbrechen lassen.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, beim Bünd- nis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Das Bundesverfassungsgericht hat daraufhin die bisherigen Regelungen der Vorratsdatenspeicherung in seinem Urteil vom 3. März 2010 für nichtig erklärt. Es hat damit die Datensammelwut des Staates in die Grenzen verwiesen. Dies ist das schärfste Schwert des Gerichts, und damit werden die Regelungen von Anfang an unwirksam. Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen Artikel 10 unseres Grundgesetzes. Von dem Schutz des Grundgesetzes sind eben nicht nur die Kommunikationsinhalte, sondern auch die näheren Umstände der Kommunikation erfasst. Die freie Kommunikation war verletzt, weil die Beteiligten damit rechnen mussten, dass staatliche Stellen Kenntnis von ihrem Kommunikationsverhalten erhalten.

Das Gericht hat ausgeführt, dass es sich hier um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite handelt, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kannte. So ließen die Daten hinreichende inhaltliche Rückschlüsse bis in die Intimsphäre zu. Je nach Nutzung konnten aussagekräftige Persönlichkeits- und Bewegungsprofile aus diesen Daten erstellt werden.

Außerdem beschränken sich die Vorratsspeicherungsregelungen nicht nur auf die Verfolgung schwerer Straftaten, sondern gehen weit über die europarechtlichen Vorgaben hinaus. Ein Staat, der ohne konkreten Anlass und Verdacht sämtliche Kommunikationsdaten seiner Bürger speichern lässt, ignoriert die Unschuldsvermutung und stellt, ich sagte es schon, alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht.

(Beifall bei der FDP, bei der SPD, beim Bünd- nis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Die Karlsruher Richter haben mit ihrer Entscheidung mit deutlichen Worten einem Gesetz der bisherigen rot-schwarzen Koalition die rote Karte gezeigt. Das Urteil des Verfassungsgerichts ist aus unserer Sicht ein Erfolg für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Das Urteil hat insbesondere gezeigt, dass bei der Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union der Gesetzgeber die verfassungsrechtlich gebotene Sorgfalt nicht außer Acht lassen darf.

Auch auf europäischer Ebene ist nunmehr die Vorratsdatenspeicherung höchst umstritten, Beispiele wurden schon genannt, und sie wird in mehreren europäischen Staaten ebenfalls nicht umgesetzt. Derzeit läuft auch eine Überprüfung, ob die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist. Diese Entscheidung sollte in jedem Fall abgewartet werden, bevor wieder wilder Aktionismus einsetzt. Es besteht derzeit keinerlei Veranlassung, erneut einen Versuch zu unternehmen, die Richtlinien übereilt umzusetzen, weil völlig offen ist, ob und in welcher Form sie bestehen bleiben.

(Beifall bei der FDP)

Es besteht übrigens auch, da widerspreche ich auch Herrn Hinners, keine Gefahr, dass nun Kriminelle in Deutschland nicht mehr verfolgt werden können. Auch bis Juni 2008, als es noch keine Vorratsdatenspeicherung gab, sind Straftaten sehr erfolgreich verfolgt worden. Die Ermittlungsinstrumente der Polizei erschöpfen sich nicht in der Nutzung der Vorratsdatenspeicherung. Drohkulissen und überspitzte Gefahrenpotenziale, Szenarien aufzubauen sind der falsche Ratgeber für eine vernünftige grundgesetzkonforme Sicherheitspolitik. Offizielle Statistiken des Bundeskriminalamts beweisen, dass Ihre Aussagen auch nicht stimmen. Ich habe die Statistiken dabei. Ich will es Ihnen allen aber ersparen, sie jetzt aufzuzählen. Es besteht keinerlei Zeitdruck. Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hoch sensibles Thema und völlig ungeeignet für Schnellschüsse. Hier darf nicht nachlässig gearbeitet werden.

(Beifall bei der FDP)

Es darf und wird keine übereilte Gesetzgebung in Deutschland geben, bevor nicht umfassend und gründlich geklärt ist, unter welchen Vorraussetzungen und zu welchen Zwecken eine Speicherung und Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten erforderlich und verhältnismäßig ist.

(Beifall bei der FDP)

Die FDP hat auf Bundesebene die Einführung einer gesetzlichen Regelung für das sogenannte QuickFreeze-Verfahren vorgeschlagen, auf gut Deutsch Schockfrosten. Bei diesem Verfahren können Telekommunikationsverkehrsdaten zur Strafverfolgung auf Zuruf der ermittelnden Behörde bei konkretem Anlass vorübergehend gespeichert werden, und nach einem richterlichen Beschluss können Polizei und Staatsanwaltschaft dann auf diese Daten zurückgreifen, ohne die Gesamtbevölkerung – jetzt kommt noch einmal der Aspekt – unter Generalverdacht zu stellen.

Die FDP – nicht nur unsere Bundesjustizministerin – erteilt jeder Form von Panikmache eine klare

Absage. Wir lehnen daher den Antrag der CDU ab und stimmen dem Antrag der Regierungskoalition zu. – Herzlichen Dank!