Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

sind durch bestimmte Filtermechanismen des Wohnungsmarktes zu den Stadtteilen mit schwacher Sozialstruktur noch Migranten mit ihren Familien dazugekommen, damals hießen sie noch Gastarbeiter. Der Grund war oft billiger Wohnraum, und es gab diese Tendenzen. Daraus folgend entwickelten sich auch Abwanderungstendenzen anderer Gruppen.

Bis zu einem bestimmten Punkt kann eine Gesellschaft eine solche Entwicklung auch verkraften. Wenn man aber nicht rechtzeitig auf bestimmte Verschärfungen dieser Situationen reagiert und sie teilweise noch mit Politik weiter verschärft und somit beschleunigt, muss man sich nicht wundern, wenn diese Abwanderungsprozesse irgendwann nicht mehr aufzuhalten sind. Wir haben gerade in einigen Ortsteilen in dieser Stadt das Problem, dass Gruppen, die das stabilisieren könnten, wie zum Beispiel die zweite und dritte Generation von Migranten, gerade an dem Punkt spätestens, wenn ihre Kinder in die Schule kommen, die Entscheidung treffen, sich gegen ihren Heimatortsteil entscheiden, abwandern und wegziehen.

Wo eine einheimische Familie, die ein bisschen besser situiert ist, vielleicht noch sagt, ich kann mein Kind dann auch noch auf die katholische Schule schicken, haben Muslime diese Wahl nicht mehr – das kann man auch verstehen – und wandern einfach ab. Übrig bleibt dann – das zeigt sich auch in den Statistiken –, dass Armut und Kinderreichtum in einem engen Zusammenhang stehen. Wenn Sie sich ansehen, dass in Ortsteilen wie Tenever, Gröpelingen und Ohlenhof 27 Prozent der Leistungsempfänger nach dem Sozialgesetzbuch II leben, hingegen in Borgfeld, Habenhausen und Oberneuland nur 3,1 Prozent, und dass in diesen Stadtteilen nur 15,8 Prozent Gymnasiasten leben, hingegen in den anderen Stadtteilen 70 Prozent, ist das auch ein Signal. Genauso sieht es bei der Abiturquote letztlich aus, die dann auch etwas über die weitere berufliche Entwicklung aussagt.

Ganz aktuell bescheinigt uns der Bremer Armutsund Reichtumsbericht eine gespaltene Gesellschaft. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist ein gutes Beispiel für die soziale Schere in dieser Stadt. In Tenever zum Beispiel liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 72 Jahren, in Schwachhausen hingegen bei 79 Jahren. Diese Differenz hat ein Ausmaß beispielsweise eines Ländervergleichs zwischen Österreich und Rumänien. Mit diesen Fakten im Rücken kann es doch nicht das Ziel sein, noch weiter preiswerten Wohnraum genau in diese Ortsteile zu implementieren. Das kann es doch nicht sein!

(Abg. P o h l m a n n [SPD]: Wer sagt das denn?)

Es wird aber darauf hinauslaufen. Wie wollen Sie das denn mit Innenverdichtung machen? Das ist doch Unsinn, das wird doch nicht funktionieren, das ist ja

die große Sorge. Wenn Sie es schaffen, das dann so zu machen, dann werde ich sagen, Herr Pohlmann, ich habe mich geirrt, und Sie sind ein toller Hecht! Das werde ich machen!

(Abg. P o h l m a n n [SPD]: Danke! – Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das hört er bestimmt gern!)

Es wird aber leider Gottes nicht so sein, weil Sie es letztlich nicht schaffen werden!

Wir müssen überlegen, wie wir die Leistungsträger in diesen Stadtteilen halten und wie wir vielleicht neue hinzubekommen, und da sind Ihre Instrumente eben völlig falsch. Wir müssen uns auch überlegen, wie wir gerade erfolgreiche Migrantinnen und Migranten in den Geburtsortsteilen halten. Wir müssen Netzwerke schaffen, die sinnvoll und berufsorientiert sind wie zum Beispiel eine freiwillige Feuerwehr oder das THW, wo man auch im Leistungsgedanken etwas für die berufliche Zukunft machen kann, aber das steht nicht in Ihrem Antrag.

Wir werden diesen Antrag ablehnen, weil er in einer menschenfreundlichen Ideologie geschrieben ist, aber im Grunde genommen den Menschen nicht helfen wird,

(Beifall bei der CDU)

denn Sie haben zum Beispiel den wichtigen Bereich der Familie komplett ausgelassen. Sie ist nach wie vor die Zelle der Gesellschaft. Hierin steht nichts! Herr Werner hat es ja auch gesagt, es steht darin, was für Projekte Sie da wollen, mehr gemeinsames Wohnen, generationsübergreifendes Wohnen. Das ist alles!

(Zuruf des Abg. W e r n e r [Bündnis 90/ Die Grünen])

Ich sage Ihnen aber nach wie vor, für viele Familien ist Eigentum immer noch das Sinnvollste!

(Abg. W e r n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das habe ich doch gesagt!)

Das haben Sie nicht gesagt! Der Wunsch nach einem Einfamilienhaus oder nach einer Eigentumswohnung würde in einigen Bereichen genau diese Entmischungsprozesse aufhalten. Dafür haben Sie keine Antwort in Ihrem Antrag gegeben, und dann können Sie – ich bin am Mikrofon, ich kann lauter –

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber nicht besser!)

auch dazwischenrufen, Sie haben keine Antwort gegeben! Das fordern wir von Ihnen noch. Ja, alles eine unpräzise Darstellung! Solange Sie das nicht

machen, werden Sie uns in diesem Fall auch nicht auf Ihrer Seite haben. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es hat einen Vorteil, wenn man ein Mikrofon hat, das kann ich verstehen.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Eine Frage des Blickwinkels!)

Eine Frage des Blickwinkels!

Wir haben einen Artikel gefunden, aus dem ich Ihnen ganz gern einmal den ersten Satz vorlesen möchte: „Tippt man die Begriffe ‚sozialer Wohnungsbau’ und ‚Bremen’ in die Suchmaske von Google ein, so führen die ersten Treffer nur auf die Seiten eines Möbelgeschäfts.“ Das finde ich sehr spannend, wenn man bedenkt, was für einen Stellenwert das inzwischen hier hat.

(Abg. W e r n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Es ist unzulänglich, wie Google funktioniert!)

Die Suchmaschinen sind unzulänglich, da haben Sie vollkommen recht! Trotzdem finde ich, ist es kein Aushängeschild für Bremen, und es täuscht auch wirklich. Es wirft ein Schlaglicht auf die Situation, dass der soziale Wohnungsbau hier seit 20 Jahren ganz schön müde ist.

Bis zum Jahr 2020 fehlen hier 14 000 Wohnungen. Das ist eine Tatsache, die auch die Arbeitnehmerkammer festgestellt hat, und das ist der erste Kritikpunkt, den ich habe. Sie haben hier von wohnungspolitischer Offensive gesprochen, Herr Kollege Pohlmann! Wo ist die denn?

(Zuruf des Abg. P o h l m a n n [SPD])

Wo ist sie denn? Ich finde sie nicht! Wir haben gerade erst gestern einen riesigen Zeitungsartikel beziehungsweise eine Auseinandersetzung zum Bahnhofsvorplatz gehabt, und wir haben gesehen, dass die Bevölkerung sehr gespalten ist bezüglich dessen, was dort passiert. Gentrifizierung heißt es ja so schön neudeutsch! Das ist ein Prozess, der in Bremen selbstverständlich auch stattfindet. Die Überseestadt ist ein klassisches Beispiel! Dr. Karl Bronke hat vor zwei bis drei Wochen in einem großen Artikel im „WeserKurier“ gesagt, genau hier fehlt uns auch gemischtes Wohnen, bezahlbares Wohnen, die Mietpreisbin––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

dung et cetera. Es ist richtig, dass Hamburg da weiter ist.

(Abg. P o h l m a n n [SPD]: Was sagen Sie denn zur sozial gerechten Wohnungspoli- tik? Erzählen Sie doch einmal!)

Ich möchte darauf kommen, was es für Strategien gibt, die hier nicht vorkommen. Ich möchte zum einen sagen, dass zum Beispiel die Arbeitnehmerkammer, die Sie in Ihren Antrag leider nicht einbezogen haben, wichtig wäre. Ich fände, so etwas könnte man zum Beispiel aufnehmen. Wenn die GEWOBA, die Handelskammer und verschiedene andere mit dabei sind, dann kann man die auch mit hineinnehmen. Das, finde ich, ist schon einmal das Erste.

Wir brauchen zum anderen einen sozialen Wohnungsbau, der ein wenig vorausschauender denkt. Es ist doch Viertel vor zwölf in dem Zusammenhang! Was ist denn aber mit den Möglichkeiten, die wir haben? Sie haben vorhin davon gesprochen, dass man sagt, wir sollten Auflagen verabschieden, die darauf gerichtet sein sollen, dass bestimmte Wohnungen dort mit hineinkommen, damit es möglich ist, sich so etwas überhaupt leisten zu können.

(Abg. P o h l m a n n [SPD]: Ja!)

Bei einer Rate der Kosten für Unterkunft von 325 Euro im Schnitt geht das überhaupt nicht. Das ist etwas, das in Bremen bislang nicht passiert. Diese Entmischung passiert, und wir sind nicht in der Lage, sie ein Stück weit zurückzudrehen. Wir haben zum Beispiel im Bundesland gerade einmal 150 geförderte Wohneinheiten. Bei einer Gesamtzahl von 280 000 Wohnungen ist das sehr wenig. Ich bin ich Meinung, wir sollten uns darum kümmern, dass das ein Stück weit anders wird.

Es gibt tatsächlich so etwas wie Umwandlungsverordnungen und Milieuschutz, da ist Hamburg wirklich etwas weiter. Wir haben so etwas wie Enthaltungsverordnungen et cetera, darauf sollten wir eingehen. Ich finde doch gar nicht, dass Ihr Antrag im Kern falsch ist. Die Herangehensweise ist ja richtig, man sollte es einmal in den Blick nehmen, aber man muss es ernst meinen und wirklich etwas verändern wollen, und das vermisse ich!

(Beifall bei der LINKEN)

Diese neuen Instrumente sollten hier letztendlich mehr reflektiert und in den Mittelpunkt gestellt werden. Insofern kann ich sagen, wir finden dieses Anliegen richtig, wir werden uns diesen Antrag noch einmal vornehmen, einen eigenen Antrag einbringen und genau diese Instrumente in den Blick zu nehmen. Wir werden uns bei diesem Antrag enthalten, weil er zahnlos ist und aktuell noch nichts will. Ich

hoffe, dass wir dort ein Stück weiterkommen. Das ist unser Anliegen, und dafür stehen wir. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Pohlmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde es außerordentlich interessant, wie sich die Debatte entwickelt hat. Es ist vielfach nur eine Beschreibung gewesen. Wir finden eine Übereinstimmung in der Zustandsbeschreibung von der LINKEN bis zur CDU, was die Entwicklung in Bremen und, ich möchte noch einmal betonen, auch in Bremerhaven betrifft. Die Frage, die wir uns da insgesamt stellen müssen – Frau Bernhard, Sie haben das ja in Ihren Textbausteinen, die Sie immer vortragen, immer wieder gefordert, das finde ich richtig –, lautet: Welche Möglichkeiten haben wir ganz konkret und unter den Bedingungen, die wir heute haben, mit den Instrumenten – das ist mein Ansatz, den ich gern hier für meine Fraktion zur Diskussion stellen möchte – des Baugesetzbuchs Paragraf 1 Absatz 5?

Ich betone es noch einmal, es ist möglich, und das haben Ihre Genossinnen und Genossen in München im Stadtrat mitgetragen, das hat die CSU mitgetragen, und an der Erfolgsbilanz muss ja irgendwie etwas wahr sein, über diesen Weg auch Steuerungselemente einzuführen. Nehmen wir zum Beispiel das Baugebiet Hafenkante, zu dem wir alle gemeinsam in der Debatte gesagt haben, wir finden es außerordentlich bedauerlich, dass es für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen aller Wahrscheinlichkeit nach kaum möglich sein wird, dort eine Mietwohnung zu beziehen! Wir sollten uns zukünftig, und das möchte ich zur Diskussion stellen, das, was in München möglich und erfolgreich umgesetzt worden ist und in anderen Städten in Europa auch als Vorbild gilt, inhaltlich ansehen und sagen, das könnte doch ein Weg sein, die Frage des bezahlbaren Wohnraums schon bei der Bauleitplanung mit Investoren umzusetzen. Das ist eine Position, die wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben.

Wer die fachpolitische Analyse oder Diskussion verfolgt – es begann in München Ende der Achtzigerjahre, aber richtig aufgelegt wurde es im Jahr 1994 –, weiß, damals war es noch die Position von nicht wenigen auf der politisch konservativen rechten Seite Stehenden, dass es absolut marxistische Mechanismen sind, um hier in der Baupolitik Regularien einzuführen. So war die Diskussion! Wenn es aber gelungen ist, gemeinsam mit dem Bauträger und der Bauindustrie hier eine Zusammenarbeit zu organisieren, und es seit dem Jahr 1999 fortlaufend und unbestritten ist, dass diese Mechanismen als anerkannt und unterstützend gesehen werden, dann müss

ten wir doch dumm sein, nicht einmal genauer hinzuschauen. Ich möchte nur für unsere Fraktion hier einfordern, dies zur Diskussion zu stellen. Deshalb, Herr Kollege Strohmann, fordere ich Sie alle auf, dazu Stellung zu nehmen. Ich sage, dass dies ein Weg sein kann, Frau Kollegin Bernhard, und das werden wir auch in der Diskussion fortführen.

Wenn man sich den Antrag jetzt einmal richtig anschaut, dann haben wir doch zwei Kernaussagen: Erstens, wir bitten und fordern den Senat auf, sich gemeinsam mit den Unternehmen Stäwog und GEWOBA und mit dem Verband der freien Wohnungswirtschaft ein Konzept insbesondere für den sozial geförderten Bereich und auch für den Bereich des Wohnungsbaus aufzulegen, sodass dieser bezahlbar wird. Es ist, glaube ich, unbestritten, dass das richtig ist.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Der zweite Punkt ist, für diesen Prozess der Erarbeitung dieses Handlungskonzepts wollen wir dem Senat eine Zeitvorgabe machen, nämlich uns dieses im nächsten halben Jahr vorzulegen, zunächst in der Deputation, aber dann sicherlich auch in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Ich glaube, wir sollten diese Zeit nutzen, um inhaltlich in die Diskussion einzusteigen.

Ich glaube, dass das, was ich für meine Fraktion hier als eine Idee, als einen Aufschlag hineingebracht habe, nicht von uns erdacht, sondern einfach nur ein Bestandteil der fachlichen Diskussion und der Nachbearbeitung und der Frage, die wir uns alle gestellt haben, wie wir das eigentlich hinbekommen, ist. Wir stehen doch gemeinsam davor, dass die Menschen vollkommen berechtigt sagen, wir brauchen mehr Wohnraum.