Protokoll der Sitzung vom 23.02.2012

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Hier ist namentliche Abstimmung beantragt.

Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 18/206 seine Zustimmung, seine Stimmenthaltung oder sein Nein signalisieren möchte, möge sich bit

te deutlich mit Ja, Nein oder Enthaltung zu Wort melden!

Ich rufe die Namen auf.

(Es folgt der Namensaufruf.)

Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis bekannt:

Mit Ja stimmten 56 Abgeordnete, mit Nein stimmten 20 Abgeordnete, es gab keine Stimmenthaltung. Somit steht das Ergebnis fest.

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Stadtentwicklung durch soziales Wohnen stärken!

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 1. Februar 2012 (Drucksache 18/221)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Golasowski.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Pohlmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, es wäre für die Besucherinnen und Besucher und für die Kolleginnen und Kollegen ganz interessant, auch den nächsten Tagesordnungspunkt zu verfolgen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es geht um die Kernfrage, wie es uns gelingen kann, zukünftig genügenden und bezahlbaren Wohnraum in den Städten Bremen und Bremerhaven zu realisieren.

Um es auf den Punkt zu bringen: Mit dem vorliegenden Antrag der rot-grünen Regierungskoalition wollen wir den Senat auffordern, zu einer zentralen Frage der Entwicklung unseres Landes, der Städte Bremen und Bremerhaven, der Anforderung nach genügendem und bezahlbarem Wohnraum gerecht zu werden. Mit der Forderung von bezahlbarem Wohnraum in allen Quartieren kann einer sozialen Entmischung der Stadtgesellschaften beider Städte entgegengewirkt werden. Dieser strategische Ansatz ist absolut notwendig, um den Anforderungen insbesondere der demografischen Entwicklung gerecht zu werden und einer weiteren sozialen Spaltung unserer Gesellschaft vorzubeugen.

Mit diesem Antrag fordern wir den Senat auf, mit den gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbauunternehmen, wie GEWOBA und Stäwog, und der privaten Wohnungswirtschaft konkrete Handlungskonzepte für sozial gemischten und bezahlbaren Wohnraum vorzulegen.

In der gesellschaftlichen und insbesondere in der fachpolitischen Diskussion ist es unumstritten, wir brauchen eine Handlungsstrategie und konkrete Umsetzungskonzepte, die den Anforderungen nach mehr und insbesondere auch nach bezahlbarem Wohnraum gerecht werden. Ob es die Untersuchungen des GEWOS-Instituts waren, die im Wesentlichen ja auch Grundlage des von uns in der Bremischen Bürgerschaft beschlossenen Wohnungsbaukonzepts sind, ob es das Positionspapier der Unternehmen der freien Wohnungswirtschaft, gemeinsam mit der Handelskammer erarbeitet und vorgestellt, war, alle sind sich in einem Punkt einig: Wir brauchen einen vorwärtstreibenden Schub für die notwendige Entwicklung in der Wohnungsbaupolitik in Bremen.

Hier möchte ich an die Debatte der letzten Plenarwoche im Januar erinnern. Wir waren uns fast alle hier im Hause – mit gewissen Einschränkungen sogar die CDU – in der Einschätzung einig, dass die qualitativen und finanziellen Einschränkungen der Städtebauförderung durch die Bundesregierung abzulehnen sind. Insbesondere wurde auch hervorgehoben, dass das Auslaufen des KfW-Programms „Altengerecht umbauen“ kurzsichtig und unsozial ist.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen fordern wir den Senat auf, binnen sechs Monaten inhaltlich und umsetzungsorientiert tätig zu werden und als ersten Schritt diese Ergebnisse der Deputation für Umwelt und Bau zu berichten. Für die sozialdemokratische Bürgerschaftsfraktion möchte ich es einmal so deutlich formulieren: Wir brauchen nicht nur einen Schub, sondern eine wohnungspolitische Offensive für Bremen und Bremerhaven, denn die realen Verhältnisse erfordern es. Wir wissen es, in vielen Segmenten, in vielen Bereichen haben wir schon heute einen Wohnungsnotstand. Das wird sich, wenn sich die Tendenzen fortsetzen, noch weiter verstärken.

Es ist richtig, eine klare Linie in der Flächenpolitik zu haben, es ist die Position der Innenentwicklung. In dieser Position ist die Frage, wo wir schwerpunktmäßig Wohnungsbau entwickeln wollen, beantwortet. Dies gilt aber nicht inhaltlich für die Antwort auf die Fragestellung, wie wir mit bezahlbarem Wohnraum einer Entwicklung der weiteren sozialen Entmischung unserer Stadtgesellschaft in beiden Städten entgegenwirken.

Als sozialdemokratische Bürgerschaftsfraktion möchten wir den politischen Anspruch einer sozialgerechten Wohn- und Flächennutzung einfordern. Sie basiert auf der positiven Bilanz einer sozial integrierten Stadt

entwicklungspolitik der Stadt München. Herr Staatsrat, ich möchte an Ihre Kollegin Frau Friderich erinnern, die, bevor sie hier in Bremen Ihre Arbeit als Staatsrätin im Umweltressort aufgenommen hat, als Kommunalreferentin sehr aktiv auch an diesen Fragen in der Stadt München tätig war. Ich erinnere daran, dass in der politischen und insbesondere auch in der fachpolitischen Diskussion das bekannteste und auch am häufigsten diskutierte Modell mit dem Begriff Münchner Weg bezeichnet wird. Dieses Münchner Modell einer sozialgerechten Bodennutzung legt Investoren, die bestimmte Bauvorhaben realisieren wollen, Auflagen auf und beteiligt diese auch an den Kosten der Erschließung und weiteren Maßnahmen der sozialen Infrastruktur.

Ich möchte in diesem Punkt inhaltlich insbesondere noch zwei Gesichtspunkte benennen, die wir als SPD für die jetzt vor uns stehende Diskussion dieser Konzeption ansprechen möchten! Erstens, 30 Prozent der zu schaffenden Wohnbauflächen müssen vor allem preisgünstigerem und bezahlbarem Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Zweitens, die Beteiligung der Investoren an notwendigen Erschließungsmaßnahmen an einer sozialen Infrastruktur ist mit zu gewährleisten.

Ich möchte, dass von den gesetzlichen Möglichkeiten des städtebaulichen Vertrags planmäßig Gebrauch gemacht wird und dass es auch als Bestandteil in der Bauleitplanung verankert wird. Der Begriff sozialgerechte Bodennutzung entstammt dem Baugesetzbuch, Paragraf 1 Absatz 5, und verlangt, dass Bauleitplanung neben vielem anderen auch eine sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten soll und wird. Sie sorgt für Transparenz und Kalkulierbarkeit der geforderten Kosten und der lasten- und kostenrelevanten Bindungen.

Unterstützen Sie den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, indem wir den Senat bitten und auffordern, in Kooperation mit den Unternehmen der gemeinnützigen und der privaten Wohnungswirtschaft ein Handlungskonzept für einen sozial gemischten und bezahlbaren Wohnraum zu entwickeln! Ich glaube, wir sind alle in der Fachdiskussion, als Abgeordnete in den Deputationen und auch hier im Parlament gefordert, aktiv in diese Diskussion einzusteigen. Es gilt, sich Erfahrungen anzuschauen, die in anderen Städten gemacht worden sind. Ich glaube, der Münchner Weg kann nicht nur bei den nächsten Landtagswahlen, sondern soll auch für und in der Wohnungsbaupolitik ein Vorbild sein. – Danke schön!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Werner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kollegin

nen und Kollegen! Die Koalition setzt, wenn es um Stadtentwicklung und soziales Wohnen geht, auch auf soziales Bauen. Statt Pendlerpauschale, Eigenheimzulage und Flächenfraß setzen wir auch auf Innenverdichtung. In Deutschland werden immer noch jeden Tag 100 Hektar Fläche verbaut, 120 bis 150 Fußballfelder, das ist so viel, wie für den neuen Stuttgarter Bahnhof Stuttgart 21 verbaut werden. Täglich frisst sich Deutschland so viel Fläche weg, teilweise immer noch um teure Einzelhäuser zu bauen, die nur mit kilometerlangem Autofahren zu erreichen und zu versorgen sind. Das ist stressig, teuer und unökologisch! Das müssen wir ändern, dazu werden wir auch Fantasie aufbringen müssen, Neues ausprobieren und Altes wieder neu ausprobieren müssen. Viele Hochhäuser aus den Sechziger- bis Achtzigerjahren waren hoch verdichtet. Als Monostrukturen im sozialen Wohnungsbau waren sie zwar relativ billig, aber sehr anonym und oft nur auf die Wohnungen und das Wohnen selbst bezogen. Da gab es wenig soziale Kontakte, wenig soziale Kontrolle, kaum Identifikation und Segregation statt Integration und Inklusion. Städtebaulich ist das überholt, es wird an vielen Stellen repariert, beispielsweise auch bei uns in Osterholz. In Bezug auf die Innenverdichtung ist aus meiner Sicht die entscheidende Aufgabe, die Bevölkerung der Quartiere sozial und demografisch möglichst gemischt sein zu lassen und auch Fluktuation zuzulassen, und als Herausforderung an das Bauen gilt es deshalb mitzudenken. Deshalb kann soziales Bauen natürlich nicht nur Wohnungen meinen. Zum Wohnen gehören auch Freizeitmöglichkeiten, Plätze, offene Stadträume, Kommunikation und Versorgung. Da findet dann wirklich Begegnung und Toleranz statt, die in der Regel im Vorgarten oder im Flur nur ganz begrenzt stattfinden. (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Man muss in den Quartieren intelligentes und integratives Sozialmanagement betreiben und eine wohnortnahe Versorgung und soziale Teilhabe organisieren. Das gilt nicht nur für besonders einkommensschwache Bürger als Almosen. Wenn es wirklich integrativ sein soll, dann muss es auch alle einbeziehen, die vielleicht gern etwas hochpreisiger leben, damit man da zusammenleben kann. Wir sitzen alle gern auf einer Grünfläche oder grillen gern, wir leben gern in familienfreundlichen Quartieren und legen alle Wert auf Sicherheit.

(Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Manche mehr, manche weniger!)

Bremen ist mit dem Leitbild 2020, den Quartiersmanagern, dem Programm „Wohnen in Nachbarschaften“ und dem Nahversorgungskonzept ganz gut aufgestellt, glaube ich. Dazu muss man aber jetzt auch beim Bauen etwas mehr Fantasie entwickeln. Statt

Wohnsilos müssen wir schauen, wo man etwa noch in der zweiten Reihe bauen kann, automatisch autofrei dann übrigens! Da entstehen von ganz allein gemeinsame Hof- und Gartensituationen, man kann vielleicht bestehende Gebäude noch aufstocken, man muss sehen, wo Gewerbebrachen konstruktiv, kooperativ und kreativ auch für das Wohnen umgenutzt werden können.

Die Wohnformate müssen vielfältiger werden, es muss mehr geben als die Standardwohnungen mit zwei bis vier Zimmern, Küche und Bad, in der, vereinfacht gesagt, biografisch vom Single über die Kleinfamilie dann bis zum Witwer ein ganzes Leben durchlaufen werden kann. Wir brauchen flexibel nutzbare Wohneinheiten. Da sagt die Bauwirtschaft immer, das gehe nicht, das lohne sich nicht. Das verstehe ich noch nicht so ganz, warum das im Gewerbeimmobilienbau Standard ist und sein kann, für das Wohnen aber partout unmöglich sein soll. Da müssen die Unternehmen heran!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Mehrfamilienwohnen, Hofgemeinschaften und Quartiersgemeinschaften, da entsteht sozialer Zusammenhalt, und durch gemeinsame Räume kann übrigens auch die Quadratmeterzahl pro Bewohner rasant sinken.

Neben der Energieeffizienz der Gebäude ist für uns Grüne auch die Suffizienz ein Thema. Wie viel individuellen Platz und Raum braucht eigentlich jeder von uns für sich allein zum Wohnen? Das muss, glaube ich, nicht zwingend immer mehr werden. Für generationenübergreifendes Wohnen brauchen wir größere und flexiblere Einheiten, in denen sich die Zimmerzahl, die Zugänge und die Versorgungsräume durch die Nutzung auch ohne immense Umbauten variieren lassen. Viele Dienstleister und Freiberufler wünschen sich direkte Kombinationen von Arbeiten und Wohnen.

Gerade junge Menschen können flexible Perspektiven entwickeln und Verantwortung für Wohnraum übernehmen, wenn sie über die Varianten, entweder Einzimmerappartement oder sechsköpfige Wohngemeinschaft mit einem Badezimmer, hinausdenken dürfen. Gerade das klassische typische Bremer Haus lässt sich da neu denken und neu kombinieren. Lassen Sie uns also auf die Qualitäten vertrauen, die Bremen hat, lassen Sie sie uns weiterentwickeln und lassen Sie uns den Verkauf, die Vergabe und die Genehmigungen für Wohnungsbau auch an quartiersstärkende, soziale und sozialräumliche Standards knüpfen!

Bremen hat leider nicht wie Hamburg eine große Tradition des gemeinschaftlichen oder genossenschaftlichen Bauens. Wir haben da einen immensen Nachholbedarf. Gerade jetzt in einer Zeit, in der die Zinsen niedrig und die Grundstückspreise gerade hier in Bremen auch relativ moderat sind, sollten wir die

Chance nutzen, Menschen zu beraten und zu ermutigen, die die soziale Mischung der Stadt leben wollen und die auch individuell etwas für Impulse auf dem Wohnungsmarkt tun können. Nur durch Mietpreisbindungen hier und da, glaube ich, werden wir das nicht schaffen, da sind die Mitnahmeeffekte ziemlich groß, und selbst eine Belegungsbindung für Wohnungen ist ja auch nicht ganz einfach zu organisieren. Wenn wir aber Quartiere insgesamt aufwerten und überall bezahlbaren Wohnraum und komfortablere höherpreisige Wohnangebote kombiniert ermöglichen, wird das dem sozialen Klima in Bremen gut tun. (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Warum also nicht Oberneuland für alle und Gröpelingen auch für alle? Für alle, die da Räume schaffen, in denen individuell gewohnt und gelebt wird! Stimmen Sie doch bitte unserem Antrag zu, um für all diese Themen und Felder Handlungsstrategien zu entwickeln und die dann auch in die Stadt zu kommunizieren. – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Strohmann.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Werner, der letzte Satz hat mir sehr gut gefallen: Oberneuland für alle und Gröpelingen für alle! Wenn es denn so einfach wäre, glaube ich, hätten wir die Probleme in dieser gespalteten Stadt nicht. Sie haben uns einen Antrag vorgelegt: Stadtentwicklung durch soziales Wohnen stärken! Wir können in der Bürgerschaft, in Seminaren, in Diskussionsrunden über die Ziele und den richtigen Weg debattieren. Über das Ziel sind wir uns, glaube ich, auch eigentlich einig. Ich sage Ihnen aber, die Menschen reagieren anders, als Sie es wollen. Wenn Sie ehrlich sind, wüssten Sie bei einer persönlichen Entscheidung, die Sie für sich, Ihre Familie und Ihre Kinder treffen müssen, wie Sie entscheiden würden. Ich glaube, bei dem einen oder anderen würde dann ein gesellschaftspolitisches Ideal schnell über Bord geworfen werden. Es ist immer so im Leben, wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung sich verschlechtert, meldet man entweder Widerspruch an, oder man sucht sich ein neues Produkt. Da geht es los, bei Dienstleistungen wie Kindergärten, Schulen und im persönlichen Umfeld wird einfach oft ohne Widerspruch mit den Füßen abgestimmt. Diese Entmischungsprozesse gibt es seit Jahren und Jahrzehnten. Auch eine sozialräumliche Trennung in Städten ist nichts Neues. In den Sechziger- und Siebzigerjahren ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

sind durch bestimmte Filtermechanismen des Wohnungsmarktes zu den Stadtteilen mit schwacher Sozialstruktur noch Migranten mit ihren Familien dazugekommen, damals hießen sie noch Gastarbeiter. Der Grund war oft billiger Wohnraum, und es gab diese Tendenzen. Daraus folgend entwickelten sich auch Abwanderungstendenzen anderer Gruppen.