Protokoll der Sitzung vom 26.04.2012

Es wird aber noch eine andere Sache geben, und deshalb reicht es nicht, darauf zu verweisen, dass wir doch die Lokomotive sind. Frau Dr. Mohr-Lüllmann, Sie müssen genauer hinschauen! Das Problem ist, wenn die Staaten im Süden sparen, dann müssen sie mehr exportieren, sonst geht das gar nicht anders. Wenn sie mehr exportieren müssen, dann müssen wir vor allen Dingen mehr importieren. Das heißt, es geht nicht nur um ein Wachstum in Deutschland, sondern auch um den Abbau dieser vielen Zahlungs- und Handlungsungleichgewichte, die wir in Europa haben.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Ich prophezeie, wenn wir das nicht schaffen, dann werden die Staaten in der Peripherie keine Chance haben. Deshalb muss dieser Pakt einfach um Investition und Wachstum in ganz Europa ergänzt werden. – Danke!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte angekündigt, dass ich zu dem Antrag, den wir zunächst unabhängig vom Fiskalpakt zu den Bund-Länder-Anleihen, den sogenannten Deutschland-Bonds, eingebracht hatten, noch etwas sagen will. Heute ist weltweit der Tag des geistigen Eigentums, deswegen will ich gleich sagen, dass die Idee durch den CDU-Ministerpräsidenten Carstensen aus Kiel wieder richtig in die Debatte gebracht worden ist. Andere in Norddeutschland und Deutschland haben das aufgenommen, auch in Nordrhein-Westfalen.

Die Begründung aus Kiel wie auch in unserem Antrag ist relativ klar und einfach. Inzwischen tragen Bund und Länder – und das würde durch den Fiskalpakt natürlich verstärkt – nach innen im Binnenverhältnis wie nach außen gegenüber den Vertragspartnern in einem gemeinsamen Regelwerk gemeinsam die Verantwortung für die deutschen Staatsschulden. Wir stehen faktisch sozusagen schon füreinander ein, das ist die Realität, und deswegen ist es auch sinnvoll und berechtigt, gemeinsame Anleihen aufzuneh

men, für die wir je nach unserem Antrag gemeinsam haften und dadurch auch Zinsen sparen.

Die Länder machen schon gemeinsame Anleihen, die sogenannten Länder-Jumbos. Seit einiger Zeit machen wir das im Binnenverhältnis auch für Bremerhaven. Es hat ein bisschen gedauert, aber das machen wir jetzt auch gemeinsam. Es spart einfach Zinsen, es spart uns Geld. Angesichts des Übergewichts der Bundesanleihen und der Bonität gegenwärtig wird es insgesamt, davon gehen alle aus, nicht zu einer Anhebung, sondern eher zu einer deutlichen durchschnittlichen Senkung der Zinsbelastung führen, wenn wir gemeinsame Anleihen machen. Das ist eine der sinnvollen Maßnahmen. Wenn man in einem europäischen Vertragswerk schon gemeinsam solche Verpflichtungen eingeht, dann muss man auch gemeinsam die Lasten vernünftig tragen, erst recht, wenn man dabei spart.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Jetzt habe ich noch einige Anmerkungen zu den Beiträgen von vorhin! Frau Dr. Mohr-Lüllmann, es hat mich schon überrascht, Sie sagen, das ist eine große, wichtige, bedeutende Frage, die sich deswegen nicht für Politik eignet. Darüber bin ich jetzt sehr überrascht. Es war Ihre Konklusion, dass Sie gesagt haben, das eignet sich hier nicht für politische Debatten und Auseinandersetzungen.

(Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l m a n n [CDU]: Grabenkämpfe!)

Na ja, Grabenkämpfe! Es ist doch immer so, wenn Sie finden, dass wir die falsche Meinung haben, dann nennen Sie das Grabenkampf, und wenn Sie finden, dass Sie recht haben, dann sagen Sie politische Debatte.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist Politik!)

Es kommt das Gleiche heraus, verehrte Frau Kollegin!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist eine zentrale Debatte, und natürlich spielt sie auch in unserem Verhältnis hier in der Art und Weise, wie wir bremische Interessen vertreten, eine Rolle, das ist doch völlig klar!

Zur Finanztransaktionssteuer! Ich freue mich jedes Mal wieder, wenn die CDU hier auftritt und sagt, wir vertreten das als energischste Partei wunderbar. Ich habe das anders in Erinnerung! Meiner Meinung nach gibt es unter den Euro-Ländern durchaus mindestens neun Länder, die das machen wollen, man muss bloß einmal auf dieses Instrument der verstärkten

Zusammenarbeit setzen. Das hat Herr Schäuble bisher nicht gemacht.

Zu der LINKEN! Wenn Sie der Meinung zustimmen, dass dieser Antrag bedeuten würde, wir lehnen mit dem Antrag den Fiskalpakt ab, dann können Sie das machen, ich will Sie nicht daran hindern. Dieser Antrag sagt das nur nicht, um das klarzustellen. Wir sagen mit diesem Antrag, dass wir die Voraussetzungen klären wollen, die zum Teil vor allem im innerdeutschen Verhältnis noch nicht ganz klar geregelt sind. Wir werfen eine Reihe von zusätzlichen Fragen auf, von denen wir der Meinung sind, dass sie zum Erfolg des Fiskalpakts notwendig sind zu lösen, und das ist etwas anderes. Deswegen freue ich mich, wenn Sie zustimmen, aber der Antrag beinhaltet kein Nein zum Fiskalpakt, um es deutlich zu sagen.

Ich habe in der Tat natürlich auch wirklich eine andere Auffassung über das, was in Europa passiert, wie es der Kollege Gottschalk dargelegt hat. Ich finde es schon ziemlich abenteuerlich, das, was jetzt zum Beispiel über einen längeren Zeitraum mit der Schuldenbremse in Deutschland gemacht wird, in Zusammenhang mit Brüning’scher Politik zu bringen. Ich muss gestehen, das finde ich relativ abenteuerlich. Ich glaube auch nicht, dass es da irgendwelche vernünftigen Parallelen gibt, wenn man sich unsere eigene Politik hier in Bremen ansieht, die wir ja im Zusammenhang mit der Schuldenbremse machen. Es wird nicht nur gespart, sondern wir prktizieren ein abgewogenes Verhältnis, und darauf zielt der Antrag ab!

Wir können uns hier jetzt noch lange in ökonomische Debatten vertiefen. Wesentlich für den Zusammenhang Europas ist, und deswegen ist es eine europäische Debatte, man kann nicht auf der einen Seite sagen, jawohl, wir helfen mit viel Geld und viel Risiko den Ländern, die von uns weit weg sind – Solidarität ist inzwischen weltumspannend –, aber auf der anderen Seite dem Argument nicht entgegentreten, dass diese Länder das vielleicht, weil es auch einfacher ist, als Möglichkeit missverstehen würden, die Fehler, die sie ja nun auch gemacht haben, das darf man auch nicht verschweigen, einfach weiter zu machen. Es muss schon ein Verhältnis auf Gegenseitigkeit sein. Deswegen sage ich, der Fiskalpakt allein genügt nicht, aber der Fiskalpakt ist auch nicht die Ursache einer Entwicklung, die wir dort beklagen, sondern es gehören beide Seiten dazu.

Weil beide Seiten dazugehören, ist unser Antrag genauso aufgebaut, dass wir sagen, weitere Klärungen dieser Fragen, Einbringung von zusätzlichen Maßnahmen im Binnenverhältnis wie auch im Verhältnis zu den Krisenländern, Hilfe dieser Länder, nicht nur aktuelle Hilfe bei Schuldenkrisen, bei der Frage, wie sie Geld bekommen, sondern auch ökonomische Hilfe, Hilfe beim Aufbau etwa von Steuerverwaltungen, alles das wollen wir machen, das gehört dazu, aber es gehört beides dazu.

Ich glaube, wir würden sonst scheitern, und wir würden den Zusammenhalt Europas aufs Spiel setzen. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Piontkowski.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer bestellt, der bezahlt auch, so sollte es jedenfalls sein! Was Sie aber, liebe rotgrüne Koalition, mit Ihrem Antrag wollen, ist, sich vor Ihren eigenen Hausaufgaben zu drücken.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das sagen Sie einmal Herrn Carsten- sen!)

Es ist die Aufgabe der Finanzsenatorin, hier eine verantwortungsvolle Finanzpolitik und einen verantwortungsvollen Haushalt vorzulegen, der das Sparen auch ernst nimmt. Wenn dem so wäre, dann hätten wir hier nicht die Diskussion um gemeinsame Bund-LänderAnleihen.

(Beifall bei der CDU)

Gemeinsame Bund-Länder-Anleihen widersprechen dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit der Länder, das im Grundgesetz verankert ist. In Artikel 109 Grundgesetz heißt es eindeutig: „Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und voneinander unabhängig.“

Eine gemeinsame Kreditaufnahme würde durch die damit verbundene gesamtschuldnerische Haftung dazu führen, dass der Bund bei Zahlungsausfall eines Landes unmittelbar mit entsprechenden haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen auch in Anspruch genommen würde. Bund-Länder-Anleihen sind daher nichts anderes als eine Schuldenteilung. Genau das widerspricht dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit von Bund und Ländern und damit auch unserer Verfassung! Eigentlich könnte ich damit schon Schluss machen, denn für eine Verfassungsänderung brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit, und die hat Rot-Grün im Bund, Gott sei Dank, nicht.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen])

Herr Dr. Kuhn, lassen Sie mich deswegen auch noch inhaltlich auf den Vorschlag eingehen! Bei einer gemeinsamen Kreditaufnahme von Bund und Ländern würde das bedeuten, dass die Bonität der neuen Anleihen schlechter eingeschätzt werden würde als die der ursprünglichen Bundesanleihen. Davor hat sogar schon, das habe ich mir nicht selbst ausgedacht, die Ratingagentur Standard & Poor’s gewarnt.

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Das ist besonders vertrauenswürdig! Beste Qualifizierung!)

Im Ergebnis würden sich also die Kosten der Kreditaufnahme für den Bund erhöhen. Damit käme es letzten Endes zu einer Kostenverschiebung, und auch im internationalen Verhältnis würde ich das durchaus als bedenklich ansehen.

Es kommt hinzu, dass die ökonomische Steuerungsfunktion des Zinses dadurch auch geschmälert würde. Beim gemeinsamen Zinssatz würden sich die Zinskonditionen gerade für solche Länder verschlechtern, die gut gewirtschaftet haben. Das heißt letzten Endes, der Druck auf die Länder, die Haushalte in Ordnung zu bringen, würde dadurch verringert. Am Ende würde das bedeuten, dass keiner mehr den Anreiz hat, durch eine vernünftige Haushaltspolitik und durch Haushaltsdisziplin zu sparen. Das wäre das Ende der politischen Verantwortung auf der Ebene der Länder.

(Beifall bei der CDU)

Wir meinen, es muss bei dem Grundsatz bleiben, jeder muss seine Schulden selbst bezahlen. Lassen Sie mich das vielleicht einmal an einem Beispiel deutlich machen!

Stellen Sie sich vor, in einer Stadt würden alle individuellen Schulden aller Bewohner vergemeinschaftet werden. Wäre das nicht ein Anreiz für jeden, sich ein teures oder schickes Auto – oder für die Grünen – vielleicht ein schickes Fahrrad zu kaufen? Selbst wenn im Gegenzug alle Bewohner weitgehende Kontrollen und Eingriffsrechte in der Haushaltsführung hätten, wer würde das kontrollieren? Welche Sanktionen gibt es, wenn sich der Nachbar ein dickes Auto kauft, das auf Pump finanziert und den Kredit letzten Endes nicht bedienen kann? Da sie selbst dann nicht der Dumme sein wollen, kaufen Sie sich auch ein teures Auto oder – die Grünen – ein teures Fahrrad.

(Abg. B r u m m a [SPD]: Das ist Kinder- kram!)

Es ist ein Beispiel, wie man es am besten erklären kann! Letztlich wäre nämlich die Konsequenz, und das wollen Sie wahrscheinlich nicht hören, dass das Vermögen der Stadt aufgebraucht würde, aber alle sind ein teures Auto oder teures Fahrrad gefahren.

Selbst der finanzpolitische Sprecher, ich bin ja in guter Gesellschaft, der SPD-Landtagsfraktion BadenWürttembergs hat aus diesem Grund öffentlich gemeinsame Bund-Länder-Anleihen abgelehnt, im Übrigen auch der frühere SPD-Finanzminister Hans Eichel.

Ich halte die Diskussion über gemeinsame BundLänder-Anleihen auch vor dem Hintergrund der europapolitischen Position der Bundesregierung für gefährlich, weil sie damit unterlaufen wird. Sie wis

sen selbst, dass Euro-Bonds auf Europaebene von der Bundesregierung abgelehnt werden, da sie Deutschland letztendlich zusätzliches Geld kosten würden. Wir würden uns, wenn wir hier eine solche Diskussion über gemeinsame Bund-Länder-Anleihen anfangen würden, in einen Widerspruch zu dieser Debatte auf Bundesebene begeben.

Sie müssen erst einmal lernen, Frau Senatorin Linnert,

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Sie ist noch nicht da!)

und auch Rot-Grün – ihre Vertreter sind ja da, das kann ich ja auch sagen! –, selbst Verantwortung zu übernehmen. 18 Milliarden Euro Schulden in Bremen, 27 000 Euro – mit steigender Tendenz – für jeden Einwohner Bremens, das sind einfach zu viele Schulden, das muss man einfach einmal feststellen.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Hört, hört!)

Welche Antwort haben Sie denn, um die maroden Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen? Was Sie machen, was Sie können, ist doch eigentlich nur, dass Sie wieder nach dem Bund rufen und sagen, der Bund muss helfen. Nichts anderes ist doch auch dieser Antrag, den Sie hier vorgelegt haben!

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Ist Ihnen die Vereinbarung mit dem Bund bekannt, dass wir das in zehn Jahren in zehn Schritten reduzieren?)