Protokoll der Sitzung vom 11.07.2012

Mitteilung des Senats vom 3. Juli 2012

(Drucksache 18/492)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Stahmann.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Frau Senatorin Stahmann, da wir wissen, dass Sie darauf verzichten wollen, können wir gleich in die Aussprache eintreten.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Große Anfrage, die wir jetzt diskutieren, haben wir im Februar gestellt. Wir wollten wissen, woran wir jetzt eigentlich sind. Wo steht Bremen beim Kita-Ausbau? Das ist eines der großen Rätsel, vor dem die Beteiligten stehen. Die Bundesstatistik hat andere Zahlen als die Landesstatistik, der Presse sagt Frau Senatorin Stahmann andere Zahlen als dem Fachpublikum, in den Ausschüssen werden Zahlen vorgelegt, die noch einmal ganz anders aussehen. Wir wollten uns also einen Überblick über die Situation der Kinder, Eltern und der Beschäftigten verschaffen.

(Vizepräsidentin S c h ö n übernimmt den Vorsitz.)

Der Senat hat fast die Hälfte der Fragen ignoriert und einfach nicht beantwortet, aber dazu komme ich später. Zu diesem Zeitpunkt können wir also nur auf Basis der Informationen diskutieren, die der Senat bisher herausgegeben hat. Dabei geht es um die Fragen, wie viele Plätze es gibt, wie viele Plätze benötigt werden, wie viele Stunden Kinder in den Plätzen betreut werden und welche Qualität die Betreuung hat.

Zur Kernfrage, wie viele Plätze es gibt, hat der Senat geantwortet, dass es in Bremen in Einrichtungen und bei Tagesmüttern zusammen 3 272 Plätze sind. Bezogen auf die 13 309 Kinder unter drei Jahren, die in Bremen leben, ergibt das eine Versorgungsquote von 24,6 Prozent, in Bremerhaven ergibt sich bei insgesamt 460 Plätzen im März 2012 eine Betreuungsquote von 16,6 Prozent.

Gerade bei den Zahlen für Bremerhaven, aber auch für Bremen müssten beim Senat eigentlich die Alarmglocken läuten. Sie haben noch ziemlich genau ein Jahr Zeit, dann haben alle Eltern einen Rechtsanspruch auf Betreuung ihrer Kinder ab dem ersten Geburtstag. Das bedeutet, dass alle Eltern, die keinen Platz finden, den Senat verklagen können. Er muss dann Schadenersatz für Verdienstausfälle zahlen und kann gerichtlich zur Bereitstellung von Betreuungsplätzen verpflichtet werden.

Der Bedarf muss also früher oder später gedeckt werden, und der Bedarf ist hoch. Für Bremen liegt er in diesem Jahr bei rund 45 Prozent, darauf lassen zumindest die 5 600 Anmeldungen für das kommende Kita-Jahr schließen. Im August 2012, wenn das Kita––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Jahr beginnt, wird es 3 366 Plätze für unter Dreijährige in Einrichtungen, in der Tagespflege und, anteilig berechnet, mit den Aufnahmen der vierten Quartalskinder geben, das heißt, es fehlen 2 300 Plätze. Das sind zwei Drittel der bestehenden Plätze und 17 Prozent der Altersgruppe.

Ein Prozent mehr Betreuung bedeuten ungefähr 1,7 Millionen Euro zusätzlich an laufenden Kosten. Umgerechnet auf den Bedarf müsste in Bremen in diesem Jahr 26 Millionen Euro mehr ausgegeben werden, um den Bedarf zu decken. Dies sind keine Zahlen, die wir uns aus den Fingern gesogen haben, sondern dies besagen die Antworten des Senats.

Dies deckt sich ziemlich genau mit dem Änderungsantrag, den wir im Mai für den Haushalt gestellt haben. Wir haben 25,9 Millionen Euro mehr für den U3Ausbau beantragt, aber SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU haben das abgelehnt. Wir haben gefragt, welcher Ausbau noch geplant ist. Die Antwort war, dass in Bremerhaven noch 500 Plätze geschaffen werden müssen. Das bedeutet mehr als eine Verdopplung der vorhandenen Plätze innerhalb nur eines Jahres. Wir sind einmal gespannt, ob das klappt, und ob damit dann der Bedarf gedeckt ist, steht noch auf einem ganz anderen Blatt.

In Bremen kommen bis August 2013 noch einmal 50 Plätze in Einrichtungen, 75 Plätze bei Tagesmüttern und umgerechnet 234 Plätze durch die Aufnahme von jüngeren Kindern in Kindergartengruppen hinzu. Das ergibt zusammen 3 491 Plätze. Das steigert die Betreuungsquote um weniger als zwei Prozent auf 26,2 Prozent. Der Senat behauptet aber wie eine hängen gebliebene Schallplatte, dass es dann für 40 Prozent der unter dreijährigen Kinder einen Betreuungsplatz gibt.

In 11 von 23 Stadtteilen erreichen Sie aber nicht einmal nach Ihrer eigenen Berechnung die Quote von 35 Prozent. Selbst mit Tricks geht Ihre Rechnung nicht auf, und die Tricks werden Ihnen in einem Jahr vor die Füße fallen. Die Eltern sind doch nicht dumm und lassen sich mit einem fünfmonatigen U3-Platz abservieren! Sie verkaufen uns und die Öffentlichkeit mit solchen Aussagen für dumm.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Senat sieht trotzdem keinen weiteren Handlungsbedarf in Bremen, das sagt er in der Antwort zu Frage 18.

In der Verwaltung scheint ja langsam ein Umdenken eingesetzt zu haben, jedenfalls sollen laut einer Vorlage aus der Sozialdeputation von letzter Woche kurzfristig Platzangebote ausgebaut werden. Innerhalb eines Jahres sind die Möglichkeiten, neue Räume zu schaffen, aber begrenzt. Das hätte alles viel früher passieren müssen, dies hat der Senat die ganze Zeit verschlafen. Jetzt sollen endlich die Interessen

bekundungen der Träger berücksichtigt werden, das ist ja schon einmal ein Anfang. Dann haben wir vielleicht im Oktober einen ungefähren Überblick über die Möglichkeiten, wo noch Krippenplätze eingerichtet werden können, wunderbar! Dann müssen sie bewilligt werden, dann ist Dezember – bei Ihren Koalitionsstreitereien ist dies optimistisch gedacht –, dann müssen bauliche Maßnahmen geplant und durchgeführt werden.

(Glocke)

Ich versuche, so schnell wie möglich zum Ende zu kommen!

(Heiterkeit)

Ich habe vier Monate auf die Antwort gewartet, Herr Präsident, bitte geben Sie mir noch ein bisschen Zeit!

(Heiterkeit)

Es kommt alles so auf den letzten Drücker, es ist kaum zu glauben, dass ein Staat so plant! Planung kann man das eigentlich nicht mehr nennen, es ist eher eine Mangelverwaltung.

Der Senat hat ja noch nicht einmal einen Überblick über den bestehenden Bedarf. Bisher wurden immer die Anmeldungen zugrunde gelegt, um einen Bedarf zu schätzen, eine Abfrage hat nie stattgefunden. Jetzt läuft dies in Bremen und Bremerhaven, aber was machen Sie, wenn herauskommt, dass der Bedarf noch höher ist als angenommen? Stellen Sie dann Container irgendwohin und lassen die Kinder von Mitarbeitern des Bundesfreiwilligendienstes betreuen?

(Abg. S c h m i d t m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Jetzt geht es aber los!)

Bisher ist der Senat immer von einem Bedarf von 35 Prozent ausgegangen, alle Ausbauplanungen fanden auf dieser Basis statt. Paragraf 24 a SGB VIII verpflichtet aber zu einjährigen Bedarfsermittlungen. Mit Bedarf ist keine Quote gemeint, sondern die wirkliche Nachfrage nach Plätzen, und die ist immer noch unbekannt. – Schönen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Schlenker.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Nach vier Monaten Wartezeit kann ich verstehen, dass solch eine Rede auch ein bisschen länger dauern muss, zumal die Anfrage, die gestellt wurde, fast 200 Fragen beinhaltete. Es war also keine Gro––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

ße Anfrage, sondern eine riesige Anfrage, wahrscheinlich sogar die größte Anfrage, die hier in diesem Hohen Haus je gestellt worden ist.

(Abg. T u n c e l [DIE LINKE]: Das ist ja er- laubt! – Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: Gut Ding will Weile haben!)

Es ist erlaubt, und ich finde das auch in Ordnung, aber ich wollte nur noch einmal auf die Dimension dieser Anfrage und die Dimension der Diskussionszeit hinweisen, die dazu nötig wurde. Ich hoffe, ich brauche nicht so lange.

Im Prinzip ist es natürlich das gute Recht aller Parlamentarier, solche Anfragen an den Senat zu stellen, auch wir Grünen machen das ja sehr gern. DIE LINKE stellt im Einzelnen circa 200 Fragen, was dann doch, finde ich, ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen ist. Allein der Vorspann von zwei Seiten nimmt viel vorweg von dem, was Sie sich wohl an Antworten gewünscht haben, zum Beispiel die Ausbauplanung, die Sie schon im Voraus als unzureichend betrachten.

Mit der Menge an Fragen wollten Sie wohl besonderen Fleiß demonstrieren, aber leider sind viele Fragen überflüssig oder gar nicht zu beantworten und auch nicht beantwortet worden. Wirklich fleißig wäre es gewesen, finde ich, sich vorher zu überlegen, welche Fragen uns alle weiterbringen. Einfach alles aufzuschreiben, was Ihnen irgendwie einfällt, ist doch etwas simpel. So formulieren Sie gelegentlich Fragen, die beim genauen Lesen sinnlos erscheinen, zum Beispiel Frage vier: Welche Sozialindikatoren weisen Kinder im Land Bremen auf? Die Antwort könnte lauten: Diese Kinder mit Sozialindikatoren tragen Stempel auf der Stirn, auf denen die Sozialindikation festgelegt ist. Dass Sozialindikatoren für Stadtteile gelten und nicht für Kinder, ist Ihnen bei dieser Frage leider entgangen.

Häufig stellen Sie auch Suggestivfragen, wie zum Beispiel in Frage 22: Welche Auswirkungen auf die Betreuung von Kindern über drei Jahre ergeben sich durch den U3-Ausbau? Sie wollen damit wahrscheinlich den Senat dazu verleiten, U3 und Ü3 gegeneinander auszuspielen.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Nein, das machen Sie!)

Die Antwort auf diese Frage ist erfreulich einfach: Auswirkungen auf die Betreuung von Kindern über drei Jahren werden nicht erwartet.

Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie auch einige Fragen gestellt haben, die uns weiterbringen, auch wenn man lange danach suchen muss. So wissen wir jetzt, dass zurzeit voraussichtlich 704 weitere U3-Plätze gebraucht werden, wenn wir die 575 Plätze in sozialpädagogischen Spielkreisen herausrechnen. Hier

erwarten wir ein Konzept der Senatorin, wie Spielkreise in reguläre Betreuungsangebote überführt werden können.

Ein weiterer interessanter Punkt ist die Kindertagespflege. Der Senat bekennt sich in seiner Antwort zur Stärkung dieses Betreuungsangebots, und darüber haben wir hier auch gestern schon einiges gehört. Diese Entwicklung wollen wir konstruktiv weiter begleiten.

Interessant ist auch der Abschnitt zum Personal in den Kindertagesstätten. 74 Prozent der Fachkräfte arbeiten in Teilzeit. Hier wäre bei Fachkräftemangel noch eine gute Quelle anzuzapfen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Dies würde auch die Einkommenssituation der Fachkräfte verbessern.

In Frage 62, Zweisprachigkeit, wird ein Defizit deutlich. Hier erwarten wir, dass die Senatorin reagiert und bald ein Konzept zur Förderung von Zweisprachigkeit bei unter Dreijährigen vorlegt. Wir haben in der letzten Bürgerschaftssitzung einen Antrag beschlossen, in dem wir den Senat bitten, ein Konzept für die verstärkte Teilnahme von Kindern mit Migrationshintergrund an der Kita-Betreuung zu entwickeln, und dazu gehört auch die Förderung von Mehrsprachigkeit.

Für diese Punkte danken wir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN. Der Senatorin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken wir für die Antworten, die uns Anhaltspunkte für unsere weitere Arbeit geben. Die interessanten Fragen mussten wir suchen wie die Nadel im Heuhaufen, und beim nächsten Mal bitten wir um mehr Nadeln und weniger Heu. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)