Ich gehe davon aus, Herr Staatsrat, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nicht noch einmal vorlesen wollen, sodass wir gleich in die Aussprache eintreten können.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute – und das ist hier selten – der zweite Tagesordnungspunkt, der sich mit dem Tierschutz beschäftigt. Das finde ich sehr schön. Es ist sehr selten, dass wir uns diesen Geschöpfen hier einmal widmen. Ich freue mich, dass es das Thema industrielle Massentierhaltung nach unserer Anfrage und der Antwort des Senats nun auf die Tagesordnung der Bremischen Bürgerschaft geschafft hat, erlebt es doch derzeit eine erschreckende, aber zum Teil auch erfreuliche Aktualität.
Erschreckend ist sie, weil nach wie vor Millionen von Tieren, vor allem Masthähnchen, Puter und Schweine, täglich in den großen Megamastställen gequält und gefoltert werden. In der kurzen Zeit, die sich das Parlament heute für das Thema nimmt, sind es bundesweit 2 000 Tiere, die auf unwürdige Wei––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
se getötet werden, jede Sekunde eines. Noch nie waren es so viele wie jetzt, da sich seit den Sechzigerjahren der Fleischkonsum mehr als verdoppelt hat, Tendenz steigend! Bundesweit ist derzeit der Bau von 900 weiteren Großmastställen geplant, fast ein Viertel davon allein in unserem Nachbarland Niedersachen, wo sich ohnehin schon die Tierfolterkammer der Republik befindet.
Das ist nicht nur aus tierethischen Gründen erschreckend, sondern auch für uns Menschen und unsere Gesundheit beängstigend, da in der industriellen Massentierhaltung eine Quelle der multiresistenten Keime zu finden ist, die uns in Bremen aktuell große Sorgen bereiten.
Vor dem Untersuchungsausschuss „Krankenhauskeime“ haben Expertinnen und Experten immer wieder auf die multiresistente Gefahr, die aus der Massentierhaltung kommt, hingewiesen.
Aktuell sind aber auch erfreuliche Entwicklungen zu beobachten. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher werden sensibler, fragen nach der Herkunft der Lebensmittel und wollen genau wissen, welche Form der Tierhaltung ihr Konsumverhalten unterstützt und finanziert. Das ist, finde ich, auch eine erfreuliche Entwicklung.
Ein in diesem Sinne erfreuliches Ereignis war die Großdemonstration während der „Grünen Woche“ im Januar in Berlin, bei der 23 000 Menschen eindrucksvoll gemeinsam für eine andere Form der Agrarwirtschaft, für eine Ernährungswende demonstrierten. Meine Hoffnung ist, dass das der Beginn einer neuen, großen Bewegung ähnlich der Anti-AKW-Bewegung werden könnte.
Der erste Schritt dorthin ist, dass wir aufhören, die Augen vor der Tierqual zu verschließen, die in den Mastbetrieben Alltag ist! Nach wie vor werden Schweinen, obwohl es eigentlich verboten ist, die Schwänze kupiert, damit sie sich nicht selbst aufgrund von Platzmangel kannibalisieren, Hühnern kürzt man aus demselben Grund die Schnäbel, Ferkel werden häufig ohne Betäubung kastriert, das wird gemacht, damit das Fleisch besser schmeckt. Ist das nicht richtig pervers? Da ist es bequemer, die Augen zu verschließen, damit das nächste Schnitzel vielleicht doch nicht schlecht schmeckt. Ich empfehle an dieser Stelle den Film „Meet Your Meat“, den es auf YouTube gibt.
Augen zu auch bei unserem eigenen Anteil daran! In der Vorbereitung auf diesen Tagesordnungspunkt fragte mich eine Zeitung, was Bremen denn
mit der Massentierhaltung zu tun hätte, es gebe hier ja gar keine Tierfabriken. Das stimmt, es gibt hier keine Tierfabriken und keine Massentierhaltung, aber selbstverständlich werden in Bremen wie überall unzählige Tiere aus Massentierhaltung konsumiert, und natürlich ist Bremen mit seinen vielen öffentlichen Einrichtungen, Mensen, Kantinen und Cafeterien Großverbraucher und damit auch mitverantwortlich für die Tierqual. De facto weiß der Senat nichts über die Herkunft der Produkte, und Daten zur Haltung werden nicht erhoben oder können nicht erhoben werden. Wir nehmen deshalb einen üblichen Anteil von 90 Prozent des Gesamteinkaufs an.
Nicht zu unterschätzen sind auch die Folgewirkungen für unsere Gesundheit und für das Klima durch die massive Tiervernichtung. Die multiresistenten Keime habe ich bereits erwähnt. Sie alle kennen zudem die verschiedenen Seuchen und Krankheiten, die periodisch wiederkehrend die Schlagzeilen bestimmen: Schweinepest, Vogelgrippe oder Rinderwahn mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit! Die Spur führt dabei immer wieder in die großen Mastställe!
Hinzu kommen all die Zivilisationskrankheiten durch übermäßigen Fleischkonsum, und zwar egal, ob bio oder konventionell, das macht da wirklich keinen Unterschied, man darf nicht meinen, dass bio da gesünder ist als konventionell, wenn man zu viel Fleisch isst. Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Herzinfarkte, Schlaganfälle! Übermäßig ist der Fleischkonsum auch deshalb, weil Fleisch historisch einzigartig günstig ist, und günstig ist Fleisch, weil und wenn es aus den Mastfabriken kommt.
Auch der Hunger in der Welt hat mit unserem Fleischkonsum zu tun. Eine Einheit Fleisch wird mit 20 Einheiten Getreide produziert, das den Ärmsten der Armen dann fehlt.
Dazu weist der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, darauf hin, dass wir den Hunger auf der Welt durch den Umstieg auf eine fleischärmere oder fleischlose Ernährung deutlich senken können. Wenn man dann noch die Auswirkungen der industriellen Tierproduktion auf das globale Klima hinzunimmt – das sind 20 Prozent aller Emissionen –, ergibt sich die gesamte Tragweite des Themas, global, aber auch ganz konkret hier für uns im küsten- und meeresnahen Bremen.
Die nächstliegende Möglichkeit, etwas zu tun, ist der Umstieg auf Fleisch aus tiergerechter Haltung oder, wie es auch in der Antwort angesprochen wird,
nach den Modellen Demeter oder Neuland. Das wäre sehr konsequent und löblich, wenn das passierte. Bei dem derzeitigen Fleischkonsum kann das tiergerechte Angebot oder gar Bio-Angebot die Nachfrage allerdings nicht bedienen, sondern es bedarf einer größeren Verhaltens- und Gewohnheitsänderung.
Wenn wir das bisher Gesagte ernst nehmen, kommen wir um eine deutliche und dramatische Reduzierung unseres Fleischkonsums nicht herum: Weniger Fleisch – ich erinnere an den berühmten Sonntagsbraten, damals gab es Fleisch noch ein- oder zweimal in der Woche statt jeden Tag, dafür hatte man eine Wertschätzung und eine Demut dem Tier gegenüber –, dafür aber von besserer Qualität und tunlichst ohne Tierqual erzeugt!
Liebe Freundinnen und Freunde des Schnitzels, der Currywurst und des Döners – das hat jetzt nichts mit den Grünen zu tun, die mit ihren Weltverbesserungsideen den Leuten den Spaß am Leben nehmen wollen, ganz im Gegenteil! –: Wie viel spaßiger wäre die Welt ohne BSE, mit gesünderen Menschen, besserem Klima, weniger Welthunger und vor allem glücklicheren Tieren?
Wenn wir das ernst nehmen, gibt es einfach keinen anderen Ausweg als eine dramatische Reduzierung unseres Fleischkonsums.
Lieber Senat, wir verabschieden hier heute leider keinen Antrag, der Sie auffordert, die entsprechenden Schritte zu tun, aber es ist ja keine Verpflichtung, nur auf Aufforderung der Bürgerschaft zu handeln. Deshalb möchte ich Sie bitten, sich trotzdem dafür einzusetzen, dass auf den Tellern in den bremischen Einrichtungen künftig immer mehr und irgendwann nur noch Produkte landen, für die sich unser Bundesland nicht schämen muss.
Wenn wir schon Tiere für uns auf die Welt kommen lassen, um sie wenige Wochen oder Monate später für unsere Ernährung töten zu lassen, dann sollten wir ihnen wenigstens ein Leben vor dem Tod gewähren. Von Bremen könnte nach der Ablehnung der Tierversuche an der Universität und dem Verbot der Wildtiere im Zirkus ein Signal ausgehen, dass wir auch den Tieren eine Würde zusprechen und dass auch diese Würde unantastbar ist. – Danke!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich diese Anfrage gelesen habe – und wen wird es verwundern? –, habe ich mich schon ziemlich geärgert, denn sie steht unter dem Motto „Back to the Eighties“. Warum steht sie unter diesem Motto? In den Achtzigerjahren war es gang und gäbe, dass Bio und konventionelle Landwirtschaft gegeneinander ausgespielt wurden. Diese Zeit sollte doch eigentlich schon lange vorbei sein, weil ein Nebeneinander gut funktioniert und wir beide Arten der Landwirtschaft brauchen, aber dazu später mehr!
Die Grünen sprechen hier von Massentierhaltung, und sicherlich kann man über Herdengrößen reden. Müssen es Herden von 500 oder mehr Kühen, Hähnchenställe mit 40 000 Hähnchen oder Schweinemastbetriebe mit vielen Tausend Mastplätzen sein?
Ich persönlich finde einen Kuhstall mit 1 000 Kühen oder einen Hähnchenstall mit 40 000 Hähnchen auch nicht toll,
aber für mich steht auch fest, wenn Landwirte, Familienbetriebe zukünftig von 150 Kühen oder 2 000 Mastschweinen nicht mehr leben können, dann läuft in unserem Land und unserer Gesellschaft irgendetwas verkehrt, aber richtig verkehrt!
Wenn man an einem Mastschwein nur noch einige Euro, an einem Liter Milch nur einen Cent oder zum Beispiel an einer Färse, die man drei Jahre lang aufzieht, nur 100 oder 150 Euro verdient – Sie müssen sich das einmal vorstellen, drei Jahre lang jeden Tag füttern, misten und sich kümmern –, dann muss man sich nicht wundern, wenn die Tierzahlen steigen, damit der Landwirt noch sein Auskommen hat, denn der Ertrag am einzelnen Tier ist so gering, dass die Landwirte praktisch dazu getrieben werden, so zu reagieren. Deswegen sind auch nur noch 300 000 Landwirte in Deutschland übrig geblieben.
Wenn man diese Entwicklung nicht will, muss man sich fragen, wie es dazu kommen konnte und wie man es ändern kann, wenn man es denn will. Dazu gekommen ist es, weil den Landwirten seit Jahrzehnten, egal wer regiert hat, gepredigt wird, sie müssen günstig Lebensmittel produzieren, am besten zu Weltmarktpreisen. Darauf war auch die Politik ausgerichtet, denn der Verbraucher sollte noch genügend Geld für die Konsumgüter und für Reisen ausgeben ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
können. Das bestätigt auch der europäische Vergleich, denn in keinem anderen EU-Staat wird anteilig so wenig Geld für Lebensmittel ausgegeben wie in Deutschland.
Die Discounter tun ihr Übriges dazu. Die Kunden werden mittlerweile mit Fleisch- und Milchprodukten in die Läden gelockt, und jeder von uns hört es täglich in der Werbung: Dauertiefpreis! Billiger! Günstiger! Mega-Sonderangebot! Mir kommt es dabei jedes Mal sauer hoch, das sage ich Ihnen.
Die Politik – also auch wir, egal von welcher Partei – wollte und will immer den landwirtschaftlichen Familienbetrieb schützen und stützen, doch die Realität sieht anders aus: Die landwirtschaftlichen Familienbetriebe sterben langsam aus! Was müsste man also ändern, wenn man diese Entwicklung in der Landwirtschaft nicht will? 100 Prozent Bio ist nicht die Antwort. Bio ist gut, davon bin ich überzeugt, und Bio hat auch seinen Marktanteil, doch es ist eben auch so, dass die Mehrheit der Bevölkerung immer noch kein Bio kauft, weil sie es sich nicht leisten kann oder das Geld lieber für etwas anderes ausgibt.
(Abg. D r. S c h a e f e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, weil sie das Geld für etwas an- deres ausgeben!)
Ich meine, die Politik muss die Rahmenbedingungen für die Lebensmittelerzeugung und -vermarktung verändern. Anstatt hier solche Anfragen zu starten, wäre es doch viel sinnvoller gewesen, dem Senat in einem Antrag aufzufordern, eine Bundesratsinitiative zu starten, dass in Zukunft Fleisch- und Milchprodukte nicht mehr als Ramschware von Discountern angeboten werden dürfen.
Das wäre doch eine Maßnahme mit positiven Folgeeffekten für unsere Nutztiere und unsere Umwelt. Doch solche Anträge stellen die Grünen nicht.
Auch die letzte rot-grüne Bundesregierung und die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin, Frau Künast, haben in die Richtung keine Vorstöße gemacht. Der Einzige, der einmal solch einen Ansatz in diese Richtung hatte, etwas zu verändern, war der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Herr Funke.