Protokoll der Sitzung vom 18.10.2012

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn man Frau Ahrens hört, könnte man meinen, auf den Bremer Straßen liegen irgendwie neun Millionen Euro herum, die man jetzt nur noch aufheben müsste, und dann wäre die Welt in Ordnung.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

So einfach ist die Welt aber nicht!

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Komisch, dass der Rechnungshof das anders sieht!)

Hören Sie doch bitte erst einmal zu, verehrte Frau Ahrens! Ich kann hier genauso meine Ausführungen machen wie Sie auch! ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Wir haben offene Rückforderungen von 7 733 Fällen, davon können aber 5 086 Fälle nicht zahlen, weil sie kein entsprechendes Einkommen haben. Allein darüber einmal nachzudenken, warum wir eigentlich so viele Menschen in dem Bereich haben, die nicht in der Lage sind, für Unterhalt zu sorgen, wäre auch eine echte Debatte hier im Haus wert. Da können Sie sich sicher sein, dass ich nicht verstanden habe, was Sie meinen! Sie meinen, man könnte oder müsste wenigstens bei denen, die zahlen können, aber nicht zahlen wollen oder es aus irgendwelchen Gründen nicht zahlen, ansetzen und das Geld eintreiben. Das finde ich auch, das muss man. Diejenigen, die zahlen können, stehen auch in der Verantwortung, das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Auf die entfallen aber ja die neun Millionen Euro!)

Das Problem ist nur, dass sich Lebenslagen unglaublich schnell ändern können. Heute kann jemand in der Lage sein zu zahlen, übermorgen schon nicht mehr. Ich sage nur einmal, um das nicht einfach nur auf der statistischen Ebene abzuhandeln: Sie haben völlig recht, wenn Sie Ihre Logik auf Mathematik beziehen, aber sozialpolitisch ist das unlogisch, was Sie sagen, weil Sie eine Vielzahl von Einzelschicksalen haben, die auch einzeln durchleuchtet werden müssen. Sie müssen in jedem einzelnen Fall schauen, ob derjenige jeweils in der Lage ist zu zahlen oder nicht. Ich glaube, Sie machen sich das hier viel zu leicht. Ich habe im Übrigen auch noch einmal nachgesehen, das ist auch so ein Antrag, der alle Jahre wieder fast wortgleich gestellt wird, das ist nicht sehr sinnvoll.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Nein, der ist ergänzt worden!)

Doch, die Anträge aus dem letzten Jahr hörten sich genauso an!

Wir haben auch über die Frage nachgedacht, was eigentlich in dem Bereich mit Inkassounternehmen ist. Sie sagen einmal eben so einfach, das wäre eine gute Methode, die würde unheimlich gut helfen. Erstens, Inkassounternehmen machen so etwas, um Geld zu verdienen, die machen das nicht, um irgendwie sozial verträglich vorzugehen. Die Stadt Wiesbaden hat das im Jahr 2007 mit Inkassobüros probiert.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Das Wies- badener Modell ist neu!)

Das ist wegen Erfolglosigkeit eingestellt worden und war am Ende teurer als das alte Verfahren.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

In Hamburg hat die CDU das im Jahr 2001 einmal probiert, vollmundig angekündet, und inzwischen ist das sang- und klanglos eingeschlafen. Auch da hat es tatsächlich in der realen Welt nicht funktioniert.

Bevor man also solche Vorschläge macht, das extern an Inkassoverbände oder Inkassobüros zu geben, was zudem meistens spezialisierte Anwaltskanzleien sind, die das eben für nicht wenig Geld machen, sondern die damit Geld verdienen wollen, und bevor man das alles nicht einmal geprüft hat, sondern hier einfach nur zu fordern, dass die das machen sollen, würde ich Ihnen raten, kommen Sie in der wirklichen Welt an, schauen Sie sich die Länder oder Kommunen an, die das probiert haben und die damit gescheitert sind! Ich habe rate davon wärmstens ab. Außerdem würde ich den datenschutzrechtlichen Aspekt nicht so von der Hand weisen. Sie haben sehr sozialsensible Daten in der Frage zu bewerten, ob jemand zahlungsfähig, zahlungspflichtig ist oder nicht.

Zusammengefasst komme ich zu dem Ergebnis, wie gesagt, alle Jahre wieder, es ist nichts Neues, wir sind aber daran interessiert – und auch das sage ich Ihnen sehr deutlich –, die Einnahmesituation zu verbessern. Wir glauben nur, dass Ihre Vorschläge ins Leere führen. Wir werden aber weiter an der Frage arbeiten und tatsächlich ernsthaft prüfen, wie man die Einnahmeverbesserung erreichen kann. In diesem Sinne lehnen wir den Antrag ab. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Herr Möhle hat eben auch schon erwähnt, die CDU holt dieses Thema gefühlt jedes halbe Jahr wieder heraus. Besser wird es davon aber auch nicht, im Gegenteil, denn in der letzten Legislaturperiode wollte die CDU immerhin, dass die öffentliche Hand die Forderungen mit Hilfe von Personal aus dem Finanzressort eintreibt. Jetzt sollen das nach Willen der CDU auch private Inkassounternehmen machen, und das obwohl die Datenschutzbeauftragte dagegen Einspruch erhoben hat. Das hat der Senat der CDU auch in seiner Mitteilung vom März gesagt. Wir verstehen wirklich nicht, warum die CDU das weiterhin fordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Ressort wollte schon im Jahr 2009 ein Inkassounternehmen mit dem Eintreiben von offenen Rückforderungen für Unterhaltsvorschüsse beauftragen. Davon wurde sie glücklicherweise von der Daten––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

schutzbeauftragten abgehalten. Jetzt scheint auch der Senat erkannt zu haben, dass die Übermittlung – auch das haben meine Vorredner schon erwähnt – sensibler Sozialdaten an Inkassobüros ein Problem ist, ganz abgesehen davon, wie Inkassobüros teilweise arbeiten. Wie viele Berichte von Bedrohungen, Einschüchterungsversuchen, Hausbesuchen und so weiter sind schon bekannt geworden! Es ist doch eine Bankrotterklärung der Verwaltung, darauf zurückgreifen zu müssen.

Auch wir sind der Meinung, dass Eltern, die nicht bereit sind, für ihre Kinder Unterhalt zu zahlen, dazu verpflichtet werden müssen. Soweit sind wir uns hier, glaube ich, alle einig. Das war es dann aber auch schon mit der Einigkeit. Wir interpretieren die Zahlen anders als die CDU. Wir schlagen auch andere Konsequenzen vor. Das Land Bremen springt mit Unterhaltsvorschüssen ein, wenn Elternteile nicht selbst Unterhalt für ihre Kinder zahlen können oder wollen.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Genau, wol- len! Darauf liegt der Schwerpunkt!)

Diese Vorschüsse kann das Land dann zurückverlangen. Die CDU tut so, als wäre eine große Mehrheit der Unterhaltspflichtigen einfach unwillig zu zahlen. Sicher gibt es auch solche, aber zwei Drittel der nicht zahlenden Elternteile sind finanziell überhaupt nicht in der Lage, Unterhalt zu bezahlen, zum Beispiel weil sie Sozialleistungen beziehen.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Von denen reden wir doch gar nicht!)

Von ihnen kann die Verwaltung auch keine Rückzahlung verlangen, solange sich deren finanzielle Situation nicht ändert. Auch von den restlichen 2 600 säumigen Unterhaltzahlern können einige aus finanziellen Gründen nicht zahlen. Das muss im Einzelfall geprüft werden. Dazu ist der Einblick in die finanzielle Situation eines Elternteils nötig. Das kann kein Inkassobüro machen, sondern das muss die Verwaltung berechnen und zurückfordern.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Wenn sie es denn täte!)

Das ist natürlich ein Aufwand, für den auch Personal notwendig ist. Die CDU tut so, als wäre die öffentliche Hand schlicht nicht in der Lage, konsequent Unterhaltsvorschüsse zurückzufordern. Wir denken, dass sie das sehr wohl kann, aber nur wenn dafür auch genug Personal zur Verfügung steht. Das ständige Personal aber hat hier sicher nicht geholfen. Meine Kollegin Frau Ahrens hat das auch schon erwähnt, zwischen Oktober 2007 und April 2008 wurde das zuständige Referat im Amt für Soziale Dienste von 6,75 Stellen auf 10,07 Stellen aufgestockt. Innerhalb eines halben Jahres hat sich damals die Rückholquo

te um 1,5 Prozent verbessert. Mittlerweile ist die Personalausstattung wieder auf 7,39 Beschäftigungsvolumina zurückgegangen.

Diese acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich nicht nur um den Unterhaltsvorschuss, sondern auch noch um Kostenbeiträge zur Hilfe zur Erziehung. Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter haben eine Fallzahl von über 1 700 Fällen, Frau Kollegin, auch das haben Sie erwähnt. Dass so nicht effektiv Unterhaltsvorschüsse zurückverlangt werden können, ist doch klar. Deswegen ist unsere Antwort nicht Privatisieren, sondern unsere Antwort lautet, mehr Personal im zuständigen Referat einstellen! Mehr Personal einzustellen lohnt sich sogar richtig, denn dann erhöhen sich auch die Einnahmen.

Wir lehnen den Antrag der CDU ab, weil er die falschen Antworten gibt. – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Ahrens zur Kurzintervention.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte eine Sache klarstellen, und zwar habe ich mich nicht auf die über 5 000 zahlungsunfähigen Eltern, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zahlen können, die Sie hier aufgeführt haben, bezogen, sondern auf die laut Senat grundsätzlich zahlungsfähigen, aber aktuell nicht leistungsfähigen beziehungsweise zahlungsunwilligen Eltern und auf die Zahlungsunwilligkeit. Es kann doch nicht sein, dass wir es als Staat zulassen, dass der Ehrliche der Dumme ist! Es kann doch nicht sein, dass wir die Frauen, die sich das Ganze nach sechs Jahren selbst vor Gericht einklagen müssen, an der Stelle nicht mit der uns gebotenen Macht als Staat unterstützen, denn sie haben hinterher die Möglichkeit, auf diese Daten zuzugreifen, und damit bessere Möglichkeiten, ihren weiteren Unterhalt einzuklagen. Auf diese Personen haben wir uns bezogen, sie haben aber keine Lust zu zahlen!

(Beifall bei der CDU)

Zum Wiesbadener Entwurf möchte ich nur sagen, es geht uns nicht darum, das Inkassobüro auf zahlungsunfähige Menschen zu hetzen, sondern es ist bei dem, was hier im Wiesbadener Entwurf gelaufen ist, nach klaren Vorgaben, nach Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten der Fall gewesen. Wir müssen feststellen, dass es Bremen nicht schafft, die rote Laterne abzugeben. Da müssen wir eine Verbesserung erzielen. Bremerhaven ist jedes Jahr zwei Prozentpunkte besser. Es wird doch hier im Hohen Hause wohl keiner behaupten, dass Bremerhaven eine bessere Sozialstruktur als Bremen hat. – Danke!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Stahmann.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Völlig wahrheitswidrig könnte ich jetzt behaupten, die Bremerhavener seien ein bisschen brutaler. Das ist natürlich nicht der Fall. Ich möchte aber ernsthaft mit Ihnen über das Thema „Unterhaltsvorschüsse konsequent einfordern“ debattieren. Wir müssen an der Stelle besser werden,

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

diese Einschätzung teile ich. Deswegen halte ich das auch für ausgesprochen richtig. Frau Ahrens, Sie fordern uns auf, jetzt immer regelmäßig zu berichten. Diese Aufforderung brauchen wir nicht, weil der Haushalts- und Finanzausschuss sich das längst zu einem regelmäßigem Thema gemacht hat, und das auch zu Recht.

Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Wir haben in Bremen eine ehrgeizige Personaleinsparquote beschlossen, das trifft auch die sozialen Dienste, und wir müssen dafür sorgen, dass wir trotz der Personaleinsparungen unsere Aufgaben erfüllen, und dazu gehört auch das Einholen von Unterhaltvorschüssen dort, wo Eltern zahlen können. Das machen wir auch, dafür haben wir Vorschläge entwickelt.

Wir wollen beispielsweise das zuständige Referat Unterhalt und Forderung – das bei uns liebevoll UFo genannt wird –, das derzeit auf vier Standorte über die Stadt verteilt ist, mit einem größeren Personalstamm an einem Standort zusammenführen, damit die Vertretung in Krankheits- und Urlaubsfällen besser wird, weil es auch aufgrund der erfolgten Dezentralisierung an manchen Stellen dann doch zu einer Atomisierung von Teams kommt, die einfach zu klein sind, um solche Krisenzeiten auch zu schultern. Deswegen halte ich eine Zentralisierung des Forderungsmanagements auch für richtig. Wir wollen so gut wie Berlin und Hamburg werden. Berlin erreicht eine Rückholquote von 13 Prozent, Hamburg sogar von 14 Prozent.

Es gibt einige spektakuläre Fälle bei den zahlungsunwilligen Vätern. Meistens sind es Väter, nicht die Mütter, die sich davongemacht haben, aber es sind Einzelfälle. Das sind die, über die dann in den Medien berichtet wird. Der Vater sagt, er kann nicht zahlen, und dann taucht er trotzdem im Fernsehen in irgendwelchen Sendungen als Einrichtungsberater oder Fitnesstrainer einer Millionärsfamilie auf. Solche spektakulären Fälle kennen alle Bundesländer, wir haben da richtig schwarze Schafe. Der Verband der alleinerziehenden Mütter und Väter hat mir bei einem Besuch auch wirklich haarsträubende Geschichten erzählt. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Ich finde, dass darf man auch nicht durchgehen lassen, Frau Ahrens. Väter, die mithilfe von Arbeitgebern und falschen Einkommensbescheiden tricksen! Da müssen sich aber auch solche Arbeitgeber fragen lassen, was sie da machen. Es ist Urkundenfälschung, und es sind auch Straftaten, und das ist nicht in Ordnung, weil im Grunde die Väter, die sich an ihren Exfrauen oder Expartnerinnen rächen wollen, eigentlich nur diejenigen treffen, die am wenigsten dafür können, nämlich ihre Kinder. Das halte ich auch für absolut verwerflich.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Deswegen müssen wir die doch unterstüt- zen!)

Deswegen greifen wir aber auch durch. Wir arbeiten nicht ohne Gesetzbücher, sondern wir haben ein ziemlich durchgeregeltes Sozialgesetzbuch, das sagt, wie wir dort vorgehen. Da werden auch die Unterhaltsvorschüsse eingefordert.

Auf ein Inkassobüro greifen wir in Bremen nicht zurück. Wir haben uns die Erfahrungen aus anderen Bundesländern angeschaut. Offenbach hat als Modell auch ein Inkassobüro beauftragt, hat Forderungen im Wert von 50 000 Euro dort hingegeben und gesagt, bitte holt uns das Geld. Am Ende hat das beauftragte Inkassobüro 500 Euro geholt. Es war vereinbart, dass das Inkassobüro 50 Prozent behalten darf, Offenbach blieben 250 Euro von einer Gesamtforderungssumme von 50 000 Euro. Da hat es sich nicht bewährt, und andere Kommunen haben ähnliche Erfahrungen gemacht.