Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Münch. Die gemeinsame Beratung ist eröffnet. Als erste Rednerin hat das Wort Frau Dr. Mohammadzadeh.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass ich noch Ihre Aufmerksamkeit in der letzten Bürgerschaftssitzung in diesem Jahr für dieses wichtige Thema gewinnen kann. Es geht um die Integrationskurse für Flüchtlinge. Was ist Integration, und welche Bestandteile sind für ihren Erfolg wesentlich? Um diese Kernfrage geht es im Grunde bei allen integrationspolitischen Maßnahmen, die wir diskutieren. Gerade bei diesem Thema, der Öffnung der Integrationskurse für Flüchtlinge und Asylsuchende, liegt die Antwort auf der Hand. Das Erlernen der deutschen Sprache und auch die gesellschaftliche Orientierung dürfen nicht durch Aufenthaltstitel gestoppt werden. Genau das Gegenteil wäre wünschenswert. Diejenigen, die in der schwächsten Position sind, sollten, solange sie Menschen in Deutschland sind, unterstützt und gefördert werden, anstatt sie sich nur selbst und ihrer Community zu überlassen.
Das impliziert keine bestimmte Frist, die den Bemühungen zur Integration gesetzt wird, es mag ein ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
Leben lang sein, es mögen einige Jahre sein, es mag nur kurzfristig sein. Menschenwürde lässt sich nicht dosiert zuteilen. Wenn es stimmt, dass der Zweck der Integration die Ermöglichung eines menschenwürdigen Hierseins ist, dann muss sie prinzipiell ermöglicht werden, selbst dann, wenn der Aufenthalt absehbar relativ kurz sein wird. Ein gewisses Maß eines Integrationsangebots, und sei es auch noch so elementar, muss von Anfang an gelten.
Es ist unbestritten, dass eine Vielzahl von Faktoren Integration sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann. Zu den sozialen Faktoren zählt der Kontakt zu Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft genau so wie der Rückhalt durch die eigene Gruppe. Zu den kulturellen Faktoren zählt der Erwerb der deutschen Sprache ebenso wie der Rückhalt durch die Herkunftssprache. Integration ist also ein Prozess der Kulturen, der psychischen und sozialen Veränderungen, der beiderseits durch die Beziehungen zwischen der eigenen Kultur und der fremden Kultur genährt wird,
der sich vor allem auch aus den Kontakten zwischen Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen entwickelt.
Das Resultat des Integrationsprozesses hängt also wesentlich davon ab, ob diese Kontakte positiv oder eher negativ verlaufen. Diesen Prozess können wir nicht verhindern, aber wir können dazu beitragen, dass er positiv verläuft.
Asylsuchende und Geduldete sind Menschen, die eine Vielzahl von eher negativen Erfahrungen machen. Sie leben zum Teil viele Jahre lang in einer Art Niemandsland der Lebensplanung, viele Bereiche der Gesellschaft stehen ihnen faktisch nicht offen, sie haben es unendlich schwer, ihren Alltag einigermaßen menschenwürdig zu gestalten. Deutschland tut sich schwer mit ihrer Integration.
Wir wollen, dass Asylsuchende und Geduldete bessere Möglichkeiten bekommen, die deutsche Sprache zu erlernen. Wir wollen, dass sie möglichst frühzeitig lernen, sich in dieser Gesellschaft zurechtzufinden. Sie sollen die Kulturtechniken dieses Landes kennenlernen und verstehen, im doppeldeutigen Sinne, wie diese Gesellschaft eigentlich „tickt“.
Mit deutschen Sprachkenntnissen können sie ihren Alltag besser bewältigen und haben es leichter, für die grundlegenden Dinge der Existenzsicherung selbst zu sorgen. Sie sollen ihre Ängste vor den Behörden ablegen können. Sie sollen mit den Einrichtungen und Menschen, von denen sie ja noch abhängig sind, besser kommunizieren können. Asylsuchende und Geduldete dürfen ja nach einem Jahr arbeiten. Ich frage mich, welchen Sinn diese Erlaubnis hat, wenn sie noch nicht die Kenntnisse über diese
In Deutschland leben einige 100 000 Asylsuchende beziehungsweise Geduldete, im Land Bremen dürfte es sich um mehrere 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner handeln, alles in allem eine Bevölkerungsgruppe, deren Chance, ein menschenwürdiges Leben führen zu können, durch die Teilnahme und Teilhabe an den Integrationskursen des Bundes erheblich erweitert wird. Dazu können wir mit unserem Antrag, mit einer Bundesratsinitiative, beitragen. Ich bitte um Ihre Unterstützung!
Ich möchte zwei, drei Sätze zu dem Antrag der CDU, der vorgestern eingereicht worden ist, sagen. Wir werden diesen Antrag ablehnen, und zwar aus folgenden Gründen: Dieser Antrag beschäftigt sich nicht mit Integrationskursen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, und es geht bei den Integrationskursen auch nicht nur um den Spracherwerb, sondern es geht um mehr als nur den Spracherwerb. Wenn man sich kurz die Homepage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge anschaut, dann sind es 900 Stunden, die systematisch von Anfang an den verschiedenen Gruppen der Migranten, ob Aussiedlerinnen und Aussiedler, Migranten, die eingebürgert sind, Menschen, die im Rahmen des Ehegattennachzugs nach Deutschland gekommen sind, auch andere Einwanderergruppen, Zugang zu diesen Integrationskursen bieten.
Das, was Sie ansprechen, gibt es in Bremen. Volkshochschule, Asta, Lagerhaus und viele andere Einrichtungen bieten solche Kurse an, aber wir wollen einen systematischen Zugang der Asylsuchenden und Geduldeten zu Integrationskursen. – Herzlichen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Thema Asylpolitik ist aktuell. Aktuell sind es besonders die Konflikte im Nahen Osten. Wie den syrischen Asylsuchenden geht es vielen anderen in Deutschland und Bremen, und glücklicherweise ist es in Bremen gelungen, die Zahl der Menschen mit Duldung deutlich zu verringern. Nach wie vor betrifft dies aber noch viele Menschen.
Oft zieht sich das Asylverfahren über Monate und Jahre in die Länge. Einerseits befinden sich die Betroffenen damit in einem Zustand der Ungewissheit, andererseits werden wirkungsvolle integrationspolitische Maßnahmen verhindert. Obwohl diese Menschen oft jahrelang in Deutschland leben, bleibt ihnen der Zugang zu den Integrationskursen verwehrt, die eigentlich gewünschte Integration in unsere Gesellschaft findet nicht oder nur kaum statt, selbst, wenn hier Kinder geboren und Familien gegründet werden.
Das widerspricht nicht nur dem Ziel einer frühen Integration und Hilfe für die Betroffenen, sondern eigentlich auch dem gesunden Menschenverstand. Die Defizite, die sich in der ersten Zeit nach der Ankunft aufbauen, lassen sich später, wenn überhaupt, nur mühsam wieder beheben. Es muss das Ziel sein, den Asylsuchenden und allen nach Deutschland zugewanderten Menschen von Beginn an die Möglichkeit zu geben, für sich und ihre Familien möglichst selbstständig zu sorgen und ihnen eine Perspektive zu bieten. Damit werden ohne Not Menschen am Ankommen in der Gesellschaft gehindert, Parallelwelten geschaffen und Ressourcen verschwendet. Das ist nicht das, was wir uns unter einer modernen Integrationspolitik vorstellen.
Ich will kurz etwas zu dem Antrag der CDU sagen. Ich finde, der Ablauf, das hat meine Vorrednerin schon gesagt, war etwas unglücklich. Der koalitionäre Antrag liegt hier bereits seit zwei Monaten vor, und Sie hatten genügend Zeit, das Thema zu bearbeiten. Ich zitiere aus dem Antrag Ihre Forderung: „Die Bremische Bürgerschaft fordert den Senat auf, bis zum 1. März 2013 eine koordinierende Stelle für Deutschunterricht für Asylsuchende und Geduldete im Land Bremen bei der Sozialsenatorin zu schaffen, die alle für die Betroffenen kostenfreien Angebote zusammenfasst und sich gezielt für die Zusammenführung von bürgerschaftlichem Engagement und Geduldeten einsetzt.“
Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, das Engagement von Ehrenamtlichen ist auch in diesem Bereich wertvoll und hoch willkommen.
Es wäre aber vollkommen illusorisch zu glauben, dass ehrenamtlich ein ähnliches Niveau vor allem im Umfang gewährleistet werden kann, wie dies bei den normalen Integrationskursen der Fall ist. Beim Sprachkurs reden wir immerhin von 600 Unterrichtsstunden, bis das Sprachniveau B1 erreicht ist. Wenn Ihnen an einer wirklichen Verbesserung der Situation von Asylsuchenden gelegen ist, machen Sie sich bitte innerhalb Ihrer Partei auf Bundesebene für eine entsprechende Änderung stark, anstatt hier vor Ort die Last auf Ehrenamtliche abwälzen zu wollen! Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Es liegt nun an der Bundesregierung, diese Forderungen in die Tat umzusetzen. Ich wünsche mir vom Senat, dass er möglichst bald auf der Bundesebene aktiv wird beziehungsweise entsprechende Initiativen im Bundesrat eingebracht oder unterstützt werden. Ich bitte um die Unterstützung unseres Antrags. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Schritt ist längst überfällig. Es kann nicht sein, dass immer noch Politiker Gehör finden, die von angeblichen Integrationsunwilligen sprechen, und gleichzeitig solche Barrieren fortbestehen. Integrationskurse sind zwar auch nicht das Gelbe vom Ei, die Vergütung ist mit 2,35 Euro pro Teilnehmer zu niedrig, deshalb werden Dozenten oft prekär beschäftigt. Der Zwang zu Integrationskursen ist auch fragwürdig, vor allem bei alten Menschen. Trotzdem sind die Integrationskurse zurzeit fast die einzige Möglichkeit, kostenlos oder günstig Sprachkenntnisse zu erwerben. Dass es gerade denen, die das besonders benötigen, vorenthalten wird, ist schon absurd.
Zurzeit können nur Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis Integrationskurse besuchen, und auch dabei gibt es noch Einschränkungen. Gemäß Paragraf 44 Aufenthaltsgesetz können nur diejenigen teilnehmen, die eine Aufenthaltserlaubnis zum Arbeiten, zum Familiennachzug oder als anerkannte Flüchtlinge haben. Diejenigen mit einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 25 Absatz 3, 4 oder 5 haben noch keinen Anspruch auf eine Teilnahme. Das sind Menschen, die zum Beispiel einem Abschiebeverbot unterliegen. Dennoch haben sie im Gegensatz zu anderen Aufenthaltsberechtigten keinen Anspruch darauf, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Sie können nur teilnehmen, wenn irgendwo freie Plätze vorhanden sind, das aber auch nur, wenn die Aufenthaltserlaubnis länger als ein Jahr gilt. Geduldete von Integrationskurse auszuschließen, ist reine Schikane!
Der Ausschluss von Integrationskursen wird mit dem nur vorübergehenden Aufenthalt begründet. In der Praxis leben Geduldete aber meistens jahrelang ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
hier, 45 Prozent der Geduldeten leben bundesweit länger als sechs Jahre in Deutschland. Dennoch werden sie gezielt an der gesellschaftlichen Teilhabe gehindert.
In Bremen klaffen Theorie und Praxis noch weiter auseinander: 60 Prozent der insgesamt 1 717 Menschen, die im Rahmen einer Duldung in Bremen leben, sind schon über sechs Jahre hier. Das ist bundesweit die höchste Quote. Die Quote der Asylsuchenden, die schon länger als sechs Jahre eine Aufenthaltsgestattung haben, ist in Bremen bundesweit am höchsten. Das gibt Anlass zum Handeln, und das tun SPD und Bündnis 90/Die Grünen jetzt.
Wir unterstützen den Antrag, weil wir es richtig finden, allen Menschen, die hierher kommen, die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Wir haben in den Haushaltsberatungen 2010 800 000 Euro für Sprachkurse für Asylbewerber und Geduldete beantragt. Damals haben Sie das noch abgelehnt.
Dass Sie jetzt doch Sprachkurse für diese Gruppe einrichten wollen, finden wir gut. Wir regen allerdings an, dass auch Menschen mit einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 25 Absatz 3, 4 oder 5 teilnahmeberechtigt sind. Herr Kollege Tschöpe, Sie sind ja Anwalt, das wäre begrüßenswert. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Angebot der Integrationskurse wurde 2005 mit dem Anspruch eingerichtet, dass Ausländer mit mindestens einer zeitlich befristeten Aufenthaltsgenehmigung oder einem sogenannten gesicherten Aufenthaltsstatus unter bestimmten Voraussetzungen kostenfrei die deutsche Sprache erlernen können.
In Ihrem Antrag schreiben Sie, Frau Dr. Mohammadzadeh und Frau Tuchel, dass der Ausschluss von der Möglichkeit zur Teilnahme an den Integrationskursen für Asylsuchende und Geduldete dem Anspruch an einer an den Menschenrechten orientierten Integrations- und Flüchtlingspolitik widerspricht. Dazu möchte ich doch erst einmal festhalten, dass der von Ihnen beschriebene Ausschluss aus den Kursen, von dem auch Herr Tuncel soeben gesprochen hat, in Wahrheit gar kein Ausschluss ist.
Wenn Sie sich hier für etwas einsetzen, dann sicher nicht gegen einen Ausschluss, sondern allenfalls für eine Öffnung der Kurse, und das hat auch Frau Dr. Mohammadzadeh in ihrer Rede gesagt. Die bisherige Zielsetzung der Kurse ist aber erst einmal auch nicht gegen die Menschenrechte. Da Sie jedoch in Bezug auf den von Ihnen im Antrag sogenannten Ausschluss von den Integrationskursen von Menschenrechtsverletzung sprechen, möchte ich darauf hinweisen, dass Deutschland, verglichen mit den anderen europäischen Ländern, eines der Länder ist, das sich mit Blick auf die hier gelebte Flüchtlingspolitik am ehesten an die Menschenrechte hält.
Trotz Ihres jetzigen Engagements für Geduldete und Asylsuchende haben Sie, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen, selbst noch im Oktober in der Debatte über die Ausstellung der B-Scheine oder auch Wohnberechtigungsscheine einen großen Unterschied zwischen Asylsuchenden und Geduldeten gemacht. Letztere bekommen die B-Scheine, aber Asylsuchende bekommen sie weiterhin nicht. Ihre Begründung lag darin, dass der Aufenthaltsstatus eines Asylsuchenden zu unsicher sei, und die Frage, wer bei einer schnellen Aufenthaltsbeendigung die Folgekosten trägt, hat selbst Ihnen Kopfschmerzen bereitet. Jedenfalls haben Sie sich nicht zur Ausstellung des B-Scheins für Asylsuchende durchringen können.
Genauso wie ich Ihr Handeln verstehen kann, kann ich aber auch verstehen, dass die Bundesregierung mit einer Öffnung der Integrationskurse zumindest für Asylsuchende Probleme hat. Das wären große Summen, die ausgegeben werden müssten, obwohl ein Großteil der Asylsuchenden nicht in Deutschland bleiben wird. Die Zulassung der Geduldeten zu den Integrationskursen wird auf Bundesebene auf Initiative der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer debattiert, und es wird nach Lösungen gesucht. Ihrem Antrag entnehme ich, dass Sie die Zulassung zu den Kursen ab dem ersten Tag für alle möchten, damit die Menschen schon nach dem ersten Jahr deutsch können, wenn sie ein Beschäftigungsverhältnis aufnehmen dürfen. Auf Bundesebene setzen sich die Grünen allerdings für eine Zulassung nach einer nicht näher definierten Mindestaufenthaltszeit für Asylsuchende ein.