nung mit Begründung. Das teilen wir schon lange nicht mehr, aber wir wissen auch, dass alle diese Schranken nur durch lange Auseinandersetzungen überwunden werden konnten.
In der Stadt Bremen leben 50 000 Menschen, die keinen deutschen Pass, aber auch keinen Pass eines anderen EU-Landes haben. Sie leben in der Regel schon lange hier, die Zahlen liegen irgendwo zwischen 15 und 17 Jahren, sie leben also wirklich schon lange hier. Sie arbeiten in unserer Stadt, sie zahlen Steuern und Versicherungen, sie betreiben Firmen, engagieren sich in Vereinen, in Gemeinden, in Betriebsräten. Sie sind von der Gestaltung der Lebensbedingungen vor Ort, den Kitas, den Schulen, den Verkehrsplanungen unmittelbar betroffen, aber sie dürfen nicht wählen. Sie sind also nur den Regeln, die wir hier aufstellen, unterworfen, ohne sie als Subjekt mitbestimmen zu können. Damit ist ein demokratischer Grundsatz verletzt, meine Damen und Herren!
Das schadet eben auch dem Zusammenleben in der Stadt. Es ist nicht nur eine Beschneidung von Rechten dieser Gruppe, sondern es schadet insgesamt dem Zusammenleben in der Stadt.
Unsere Schlussfolgerung daraus ist, wir wollen diesen Menschen das Recht geben, mitzubestimmen und mitzugestalten und eben zu wählen. Der erste Anlauf, so den gewandelten Verhältnissen des Migrationslandes Deutschland gerecht zu werden, ist, ich sage es noch einmal, im Jahr 1990/1991 durch Verfassungsgerichte gestoppt worden.
Damals – und ich glaube, das war auch unter dem Eindruck der Zurückgewinnung der nationalen Einheit im Jahr 1990 so – hat die Mehrheit der Verfassungsrichter noch einmal den Grundsatz bekräftigt, das Volk in dem Satz, „die Staatsgewalt geht vom Volk aus“, sei eben das deutsche Volk, alle Personen mit einem deutschen Pass. Seitdem gilt die Gleichung „Staatsvolk gleich deutscher Pass gleich das Recht zu wählen“ als Dogma des Verfassungsrechts. Ironischerweise ist dieses Dogma aber gleich danach durch den Vertrag von Maastricht, der das geeinte Deutschland dann in Europa einbinden sollte, faktisch außer Kraft gesetzt worden, denn seither dürfen Menschen aus anderen EU-Ländern die kommunalen Vertretungen mitwählen.
Professor Schwarz versucht, das Dogma damit zu retten, dass diese Ausnahme nur, ich zitiere, „begrenzt und nicht identitätsgefährdend“ sei. Wenn also die Franzosen, die Dänen, die Spanier hier mitwählen dürfen, dann ist das nicht identitätsgefährdend, sollten
aber jetzt die Serben oder die Türken mitwählen, ist das identitätsgefährdend. Das sind haltlose Konstruktionen.
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Irre, das ist vollkommen irre!)
Das Dogma ist praktisch erledigt, und eine Reihe anderer EU-Staaten hat darauf so reagiert, dass sie die kommunalen Wahlen mit Erfolg auch für Drittstaatler geöffnet haben. Das hat auch die Anhörung, wie berichtet, deutlich gezeigt. Professor Preuß hat in seinem Gutachten noch ein anderes Argument entfaltet, das mich sehr überzeugt hat, gerade weil es kein dogmatisches und ein sehr offenes Argument ist. Dieser Gedanke ist, dass der Satz „alle Staatsgewalt geht vom Volk aus“ keine Aussage über den Einschluss oder den Ausschluss derer enthält, die dazugehören, sondern es ist ein Satz über das Prinzip der Volkssouveränität, es ist ein Satz über Demokratie.
Der Satz muss im Zusammenhang mit der Kennzeichnung unseres Staates als demokratischer und sozialer Bundesstaat gelesen werden. Demokratie ist für Professor Dr. Preuß keine rechtliche Regel, unter die man etwas dogmatisch einordnen könnte oder auch nicht, sondern ein rechtliches Prinzip, das der Logik der Angemessenheit folgt. Die Auslegung und Ausprägung sei daher die Aufgabe eines politischen Prozesses, der natürlich auch Änderungen mit sich bringt.
Dieser Gedanke führt erstens zu der Schlussfolgerung, dass die Länder im föderalen Gefüge das Recht haben, eigene Ausprägungen des demokratischen Prinzips in den Grenzen von allgemeinen Grundsätzen zu entwickeln. Das Grundgesetz formuliert ein Minimum an Teilhabe und keine Grenze, so seine Aussage. Es führt zweitens zu der Schlussfolgerung, dass Demokratie auf der Ebene örtlicher Gemeinschaften – und darüber reden wir natürlich bei Beiräten – anders ausgestaltet sein kann als auf der zentralen staatlichen Ebene. Daher haben wir das Recht, das Wahlrecht auf die Beiräte – und zunächst einmal auch nur auf die Beiräte – auszuweiten. Drittens führt dieses Argument zu der Schlussfolgerung, dass sich gesellschaftliche Vorstellungen über die Ausgestaltung der Demokratie ändern können und sich auch tatsächlich ändern.
Herr Professor Preuß sagt nicht, dass seine Meinung die allein richtige sei, er sagt nur, dass die geänderte Auffassung, die geänderte Interpretation eher den politischen Wirklichkeiten und unserem Verständnis von Demokratie angemessen ist. Wir bringen heute mit unseren Beschlüssen eine solche moderne Vor
stellung von Demokratie und damit eine andere Interpretation der Verfassung in die Diskussion, und ich sage es noch einmal, ich finde, mit sehr guten Argumenten und mit breiter gesellschaftlicher Unterstützung. Ich bin sicher – ich weiß, wie gesagt, nicht, wie es ausgeht –, dass die Verfassungsgerichte als andere zentrale Institutionen unserer Demokratie diese Diskussion sehr ernsthaft aufnehmen und auch untereinander führen werden.
Wir sind nicht am Ende, aber wir als Land Bremen stoßen tatsächlich einen Prozess an, der bundesweit sehr stark beachtet wird. Im Ausschuss der Regionen, in dem ich die Ehre habe, Bremen zu vertreten, wird das mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, nicht nur von den deutschen Mitgliedern, den deutschen Ländern, sondern auch von anderen. In vielen Beschlüssen hat der Ausschuss der Regionen darum gebeten, dass die Mitgliedstaaten die Ausweitung von kommunalem Wahlrecht auf Drittstaatler betreiben und unterstützen. Wir machen hier einen Schritt, und auch die Frage, EU-Bürger den Landtag wählen zu lassen, wird sehr aufmerksam beobachtet. Ich glaube, wir haben deswegen eine Chance, diese Diskussion anzustoßen.
Mich begleitet dieses Thema wirklich schon während meiner gesamten parlamentarischen Arbeitszeit, praktisch 20 Jahre lang, und wenn es uns gelingt, hier einen solchen neuen Anstoß zu geben, macht mich das sehr froh, ich bin auch ein bisschen stolz darauf, und ich wünsche mir, dass Sie das heute unterstützen. – Danke schön!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Fast ein Jahr ist es her, dass wir hier in der Bürgerschaft die Debatte über die Ausweitung des Wahlrechts geführt haben und der Landtag einen Ausschuss zur Beratung dieser Thematik eingesetzt hat. Nach einem Jahr mit intensiven Sitzungen und zwei großen Anhörungen – das haben meine Vorredner schon gesagt – liegen uns nun ein Abschlussbericht sowie ein Antrag vor, durch den nach wie vor die Ausweitung des Wahlrechts auf Unionsbürger auf der Landesebene und auf Drittstaatsangehörige auf der Kommunalebene beschlossen werden soll.
Allerdings – das wurde auch schon aus den Wortbeiträgen deutlich – hat sich bisher nichts an der bestehenden Rechtsprechung hinsichtlich des Gesetzesvorhabens geändert, und auch unsere Verfassung enthält immer noch keinen Artikel, der eine derartige Änderung des Wahlrechts legitimieren könnte. Gerade deshalb war für mich die Versuchung groß, heute ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
ich fand sie auch schön, aber ich mache es heute nicht –, denn auch unsere Meinung als Fraktion hat sich dementsprechend innerhalb dieses Jahres nicht geändert; ich glaube, das ist auch im Ausschuss deutlich geworden.
Die vagen Vermutungen darüber, die sich wie ein roter Faden durch das Gutachten von Professor Dr. Preuß ziehen, ob eventuell eine Chance besteht, die Änderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch das Verfassungsgericht selbst zu ermöglichen, überzeugen uns als Fraktion erst recht nicht, das Gesetz als verfassungskonform zu betrachten. Vielmehr erkennen wir die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Staatsgerichtshofs an und wollen uns im Gegensatz zu Ihnen auch nicht anmaßen, darüber zu entscheiden, ob diese überholt und altmodisch ist, da dieses Recht allein der Gerichtsbarkeit selbst zusteht, und die respektieren wir. Das ist so!
(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Nein, nein! Es handelt sich um eine allgemeine Debatte!)
Ich sage nur Thema Gewaltenteilung, das ist schon so. Man kann einmal einen Grundrechtskurs, eine Rechtsvorlesung besuchen, dort lernt man das!
Besonders durch das zweite dem Bericht anhängende Rechtsgutachten von Professor Dr. Schwarz fühlen wir uns in unserer Einschätzung über die Inkompatibilität des Gesetzes mit dem geltenden Verfassungsrecht bestätigt. Wie vor einem Jahr gebietet auch immer noch am 24. Januar 2013 das Homogenitätsprinzip des Artikels 28 Absatz 1 Grundgesetz die verfassungskonforme Ausgestaltung der demokratischen Ordnung der Länder.
Darunter fallen die Definition des Volksbegriffes, das ist klar, und auch die Definition der Ausgestaltung des Wahlrechts. Unsere Verfassung beschränkt den Volksbegriff auf die deutsche Staatsbürgerschaft und misst der Unionsbürgerschaft explizit eine herausgehobene Bedeutung zu. Es ist daher völlig abwegig, in dem vorliegenden Bericht zu behaupten, dass die errichtete Sperre gegen die Freiheit der Länder bei der Gestaltung des demokratischen Prinzips, also auch die Sperre zur beliebigen Ausweitung des Wahlrechts durch das eingeführte Unionsbürgerwahlrecht gemäß Artikel 28 Absatz 1 Satz 3 Grundgesetz, wie es dort debattiert oder als Argument angeführt
wird, aufgehoben wäre. Als Studentin der Politik- und Rechtswissenschaften möchte ich Ihnen das auch gern noch einmal erläutern, weil ich durch mein Alter vielleicht mehr in der Thematik stecke als Sie; ich mache es gern.
(Beifall bei der CDU – Unruhe bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Endlich einmal jemand, der seinem Stu- dium doch vertraut! – Glocke)
Meine Damen und Herren, wir haben den Rednern bisher immer sehr aufmerksam gefolgt, das sollten wir jetzt auch tun!
Ich kann bestätigen, eine verfassungsrechtliche Grenze ist durch die Besonderheit des Unionsbürgerwahlrechts natürlich großzügiger geworden, aber sie ist dennoch vorhanden – ich habe das Gefühl, dass Sie das nicht so ganz verstanden haben –, sodass die Länder einfach keine Gesetze erlassen dürfen, die die verfassungsrechtliche Grenze des Wahlrechts, die sich in Form der ausschließlichen Beteiligung der Unionsbürger bei den Kommunalwahlen ergibt, durchbrechen; es ist einfach nicht möglich.
Ja, schauen wir einmal! Momentan ist es aber faktisch nicht möglich, ich glaube, darüber sind wir uns alle auch einig.
Sie müssen einmal in die Verfassung schauen! Es ist faktisch nicht möglich. Sonst hätten ja bei der letzten Wahl schon mehr Menschen aus anderen Staaten mitgewählt, von daher müssen wir gar nicht darüber reden.
(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie sind jetzt nicht das Bundesver- fassungsgericht!)
Auch Ihre Kritik, dass es eine Frage des Datums sei, ob man zwischen Deutschen, Unionsbürgern oder Bürgern anderer Nationen unterscheidet, können wir nicht nachvollziehen. Sie ziehen ironischerweise nämlich selbst eine derartige Grenze.
Sie sind in Ihrer Forderung zur Ausweitung des Wahlrechts genauso inkonsequent und unabgeschlossen, wie Sie es der Ausgestaltung des Volksbegriffs derzeit vorwerfen. Dies geht im Übrigen sogar aus dem Rechtsgutachten von Professor Dr. Schwarz hervor. Den Mut und die Courage, ein generelles Wahlrecht für alle ohne nationale Kopplung einzuführen, haben Sie auch nicht. Von daher ist es für mich inkonsequent.