Nun könnte man sagen, Bremen ist eine so demokratische und aktive Stadtgesellschaft, wir regeln sowieso alles direkt mit dem Volk zusammen. Ich sage, ein bisschen Wahrheit ist daran. Wir als Abgeordnete der Bremischen Bürgerschaft sind sicherlich dichter an dem, was die Menschen vor Ort bewegt, weil wir alle in den Stadtteilen leben, im Verhältnis zu anderen Bundesländern für weniger Einwohnerinnen und Einwohner zuständig sind und die Menschen in einem solchen Ballungsraum wie Bremen und Bremerhaven natürlich ohnehin dichter an politischen Geschehensabläufen sind. Ich glaube aber, auch das ist keine ausreichende Erklärung auf die Frage, warum der von uns erwünschten direkten Demokratie sozusagen noch immer nicht durch den Souverän gefolgt wird.
Vielleicht liegt es an dem aus meiner Sicht dritten Erklärungsversuch, der im Übrigen auch für die Antwort auf die Frage, was wir in Zukunft machen, aus Sicht der CDU-Fraktion Folgen hat. Vielleicht entsteht es nicht von selbst. Wenn man sich anschaut, dass es beispielsweise in Bayern oder auch in Hessen eine ganz andere Tradition gibt, wann man Volksentscheide und Volksbegehren durchführt, dann, glaube ich, muss der Impuls für diese direkte Beteiligung der Bevölkerung in Bremen und Bremerhaven an unseren Entscheidungen von uns selbst kommen. Wir haben von den uns eingeräumten Möglichkeiten, die Bevölkerung an unseren Entscheidungsprozessen zu beteiligen, bisher keinen Gebrauch gemacht. Bei all dem, was wir hier miteinander beraten und beschlossen haben, haben wir uns nie die Frage gestellt oder zumindest nicht positiv beantwortet, ob wir das, was wir hier entscheiden, nicht am Ende des Verfahrens auch einem Volksentscheid zuführen wollen. Deswegen möchte ich die Beratung zum Anlass nehmen, dafür zu werben.
Lassen Sie uns gemeinsam den Mut haben, in der Zukunft selbst eine unserer Entscheidungen dem Souverän zur Legitimierung vorzulegen! Die CDUFraktion möchte, dass wir den nächsten Volksentscheid aus dem Parlament heraus organisieren, damit die Menschen an einem Beispiel spüren, wie viel Spaß es machen kann, wie erfolgreich es sein kann und wie wertvoll ihre eigene Meinung auch in politischen Entscheidungsprozessen ist. Wir brauchen endlich ein Beispiel für diese direkte Demokratie.
Damit bin ich beim zweiten Punkt. Es ist natürlich immer schwer zu entscheiden, welche Frage wir ihm vorlegen. Wenn man sich die Tagesordnung der Bremischen Bürgerschaft für diese Sitzungsperiode anschaut, bietet sich nicht jedes Thema an, aber wenn man sich die Beratungen unseres Ausschusses anschaut, dann bietet sich vielleicht ja doch ein Thema an. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir zum Beispiel die Frage, ob und welche Quoren wir in Zukunft für die Volksgesetzgebung vorsehen, vielleicht dem Volk selbst zur Entscheidung vorlegen, denn unser Auftrag leitet sich aus seinem Verhalten ab, aber die Chance haben wir vertan. Die Chance, die wir als CDU-Fraktion in die Beratungen eingebracht haben, nämlich das, was Sie als Privatisierungsbremse bezeichnen, dem Volk zur Entscheidung vorzulegen, wollen Sie auch nicht machen.
Ja, was macht schon Spaß? Sie kommen auch jeden Tag hierher, obwohl es Ihnen vielleicht auch nicht jeden Tag gleich viel Spaß macht!
Wir diskutieren ja an vielen Stellen über die Frage, was machen wir als Staat selbst, und was wollen wir uns als Staat nicht machen, sondern ist Aufgabe der privaten Wirtschaft oder privater Initiativen. Wir diskutieren heute über die Privatisierungsbremse, wir haben in dieser Wahlperiode über die Rekommunalisierung von Abfallentsorgung geredet, und wir geben viel Geld für Gutachten aus, um die Rekommunalisierung der Netzinfrastruktur zu prüfen. Ja, ich sage einmal, vielleicht ist es tatsächlich sinnvoll, den Bürgern einmal zur Entscheidung vorzulegen, was machen wir als Staat selbst, welche Daseinsvorsorge gewähren wir selbst, und welche Daseinsvorsorge können wir privat organisieren lassen. Deswegen hätte ich mir sehr gewünscht, dass Sie den Mut gehabt hät
ten, die Bürger zu der von Ihnen vorgeschlagenen Privatisierungsbremse zu hören und ihre Entscheidung zu akzeptieren.
Deswegen will ich – ohne jetzt die Privatisierungsbremse im Einzelnen zu beleuchten, das wird sicherlich die weitere Debatte ergeben – auch noch einmal kritisch die Stringenz hinterfragen. Wenn man sagt, die Frage, was wir als Staat machen und was wir nicht als Staat machen, ist von solch existenzieller Bedeutung, dass ich dieser Regelung Verfassungsrang einräumen will, zu dem Ergebnis kommen Sie ja, Sie sagen, das Parlament soll mit der gleichen Zweidrittelmehrheit, mit der es die Verfassung ändert, mit der es über die Gleichstellung von Mann und Frau, mit der es über die Würde des Menschen und mit der es über unseren Staatsaufbau entscheidet, entscheiden, dann muss das Parlament mit dieser Mehrheit in Zukunft auch entscheiden, wenn es Gesellschaftsanteile an öffentlich beherrschten Unternehmen veräußern will. Sie stellen also sozusagen einen größtmöglichen Schutz für öffentliche Beteiligungen her.
Natürlich ist dann umgekehrt die Frage zu stellen, wenn das für Sie so wichtig ist, ist dann die Antwort auf die Frage, welche Leistungen zukünftig vielleicht wieder rekommunalisiert werden sollen, weniger wichtig? Ich sage, wer dieses Verhältnis zwischen Staat und freier Wirtschaft grundsätzlich nur mit Volksentscheiden oder mit qualifizierten Mehrheiten im Parlament lösen will, der muss es in beide Richtungen tun, Herr Tschöpe. Wenn es für uns wichtig ist zu wissen, was die Bürger über die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen denkt, dann, finde ich, ist es auch wichtig zu wissen, was die Bürger über den Erwerb von unternehmerischer Tätigkeit denken. Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass wir diese Frage den Bürgern zur Entscheidung vorlegen.
Die Chance ist leider auch vertan, aber eine haben wir noch, und das ist mein Appell zum Schluss der ersten Debatte zur direkten Demokratie.
Wir debattieren noch das Neuverschuldungsverbot. Dieses Neuverschuldungsverbot ist für das zukünftige Verhältnis zwischen dem Staat zu seinen Bürgerinnen und Bürgern, dem Parlament und den vom Parlament vielleicht beschlossenen Zumutungen und finanzpolitischen Entscheidungen von so großer Bedeutung, dass ich schon heute dafür werben will – egal, was am Ende unseres Verfahrens dabei herauskommt, egal, ob und welches Neuverschuldungsverbot wir in Zukunft in unsere Landesverfassung schreiben und für verbindlich erklären und an dem wir uns in Zukunft ausschließlich orientieren wollen –: Meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie den Mut, die Bürger zu befragen!
Ich habe die herzliche Bitte, dass wir bei all den unterschiedlichen Beratungsgegenständen im Ausschuss zu der Frage des Inhalts eines Neuverschuldungsverbots nicht nur bei einer Entscheidung hier im Parlament verbleiben. Ein Neuverschuldungsverbot hat so weitreichende Konsequenzen, dass ich darum bitte, für diese Frage ein Votum der direkten Demokratie, die wir heute erleichtern wollen, einzuholen. Wir haben als Parlament die Möglichkeit dazu. Wir können beschließen, dass wir diese Frage dem Souverän vorlegen, und ich finde, wir sollten den Mut haben, diese Entscheidung abzufragen, und die Souveränität haben, das Ergebnis dieser Entscheidung auch hinterher zu beachten. Ich sage es einmal so: Wenn das Volk gar kein Neuverschuldungsverbot will,
(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Dann sind wir noch an das Grund- gesetz gebunden!)
dann sind wir noch an das Grundgesetz gebunden, aber es wird auf den Inhalt unserer zukünftigen politischen Entscheidungen sehr wohl Einfluss haben. Deswegen, glaube ich, ist es richtig und vernünftig, dass wir hier im Parlament, sehr geehrte Frau Hoppe, nicht nur theoretisch über mehr Demokratie miteinander reden und die Hürden immer niedriger senken. Lassen Sie uns gemeinsam den Mut haben, dieses Mehr an Demokratie auch selbst zu leben! – Vielen Dank!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss ehrlich sagen, man steht selten hier und hat das Gefühl, dass das, was wir hier debattieren und heute entscheiden, gut für das Land Bremen und die beiden Stadtgemeinden ist. Ich sehe das so, dass die Entscheidungen, die wir heute treffen, die Verfassungsänderungen, für beide Stadtgemeinden und für das Land tatsächlich von großer Bedeutung sind. Wir beschließen nämlich heute drei Änderungen der Landesverfassung, mit denen diese Verfassung auch demokratischer wird. Auf Ihre Einwände, die Sie eben gemacht haben, warum die Bevölkerung zu wenig Gebrauch von den Instrumenten macht, die wir vorher hatten, werde ich in der zweiten Runde noch einmal eingehen, weil es in der Tat schon etwas mit den hohen Hürden und mit den Bevorteilungen von großen Organisationen zu tun hat, die das Arbeitskräftepotenzial haben, über––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
haupt die nötigen Quoren, die wir bislang erreichen mussten, auch zu erreichen. Es ist auch nicht so, dass es überhaupt keine Initiativen gibt. Die Kollegin Hoppe hat eben darauf hingewiesen, es gibt zurzeit die Initiative zu einem Bürgerantrag zur Entgeltgerechtigkeit. Die Initiatoren wissen, wie schwierig und kompliziert das ist und dass man auf halbem Weg stecken bleiben kann – diese Erfahrung haben viele gemacht –, und deshalb warten sie auf die heutigen Änderungen. Ein ganz kurzer Satz, den ich noch einmal sagen möchte zu Ihrem Vorschlag, die Schuldenbremse zum Thema eines Volksentscheids zu machen: Ich fände es spannend, das kann ich hier vorwegnehmen, aber ich glaube auch, dass das Ergebnis Sie vielleicht verblüffen würde, denn schon als die Schuldenbremse eingeführt und in das Grundgesetz geschrieben worden ist, hat DIE LINKE in Hessen einen Volksentscheid durchgeführt, und die Zustimmung war nicht so groß, wie sich das die anderen erdacht haben, und die Zustimmung zu unserem Antrag, die Schuldenbremse abzulehnen, war enorm groß. Ich glaube, heute, wo die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt merken, was die Schuldenbremse bedeutet, was das im konkreten Alltag bedeutet in Bezug auf Lehrerinnen und Lehrer, auf Kitas und die ganze Versorgung, die die Bürgerinnen und Bürger hier nötig haben, wäre das Ergebnis vielleicht nicht so, wie es hier die Mehrheit dieses Hauses erwartet. Daher sind wir dafür offen, das muss ich ganz ehrlich sagen! (Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte aber auch noch einmal zu dem Punkt kommen, der hier tatsächlich kontrovers diskutiert wird, bevor ich noch einmal zu dem Bürgerantrag und dem Volksentscheid komme, nämlich zur Privatisierungsbremse! Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn ich mir die letzten 20 Jahre ansehe, hätte es Bremen gutgetan, wenn es diese Privatisierungsbremse schon in den Neunzigern gegeben hätte.
Die Liste der öffentlichen Unternehmen, die aus kurzfristigen, oft kameralistischen Überlegungen heraus veräußert worden sind oder auch, weil es damals, ich sage es einmal knallhart, neoliberaler Zeitgeist war, ist lang. Man dachte, alles Private bringe aufgrund der Konkurrenz mehr Rendite und günstigere Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger, das hat sich in der Vergangenheit als fataler Irrtum erwiesen. Wir wissen, wozu das geführt hat: zu schlechteren Arbeitsbedingungen, zu höheren Preisen für die Verbraucherinnen und Verbraucher und zu schlechteren Bedingungen, insbesondere bei den Wohnungsbaugesellschaften. Wir hatten den Verkauf der Bremischen Wohnungsgesellschaft mit einem Bestand
von 18 000 kommunalen Wohnungen, und die könnten wir heute – es ist ständig Gegenstand der Debatten hier – dringend gebrauchen.
Es gab den Verkauf der swb, der Stadtwerke, und um deren Rekommunalisierung wird heute gerungen. Da gibt es schon die ersten Ansätze zu einem Volksbegehren, weil die Wichtigkeit schon erkannt wird. Die Frage des Rückkaufs der Netze steht in den nächsten Jahren an, da wird man schauen müssen, wie sich die Bevölkerung vielleicht die erleichterten Bedingungen zu Volksentscheiden und Bürgeranträgen dann auch zu eigen macht. Es gab immer wieder – ich kann mich sogar noch genau an den Wahlkampf im Jahr 2011 erinnern – den Versuch, die GEWOBA zu privatisieren. Hier liegen alle drei Verfassungsänderungen, die wir heute beschließen, ziemlich nah beieinander, dieser Verkauf wurde in letzter Minute infolge eines Bürgerantrags verhindert.
Es sind vor allem zwei Unternehmen, über deren Privatisierung immer gern einmal spekuliert wird. Zum einen ist das, wie schon erwähnt, die GEWOBA. Die GEWOBA ist ein starkes Unternehmen mit derzeit 41 000 Wohnungen in Bremen und Bremerhaven, das viele private Investoren gern übernehmen würden. Hier ziehen wir heute eine klare Grenze, dass darüber in Zukunft nicht mehr einfach spekuliert werden kann, sondern die Bevölkerung mitentscheiden muss, wenn es der Fall sein wird. Zum anderen sind es die kommunalen Kliniken. Krankenhäuser sind in den letzten Jahren bundesweit in riesigem Umfang meistens für sehr wenig Geld verkauft worden – das Klinikum Offenbach im Mai dieses Jahres für einen Euro –, weil die Kommunen sich ihrer finanziellen Verantwortung dafür entledigen wollten. Auch hier ziehen wir heute eine klare Grenze. Der kommunale Klinikverbund, die GeNo, ist ein öffentliches Unternehmen, und wenn öffentliche Unternehmen in dieser Größenordnung, in dieser Wichtigkeit für die Bevölkerung, veräußert werden sollen, dann hat die Bevölkerung da ein Wort mitzureden, und das finden wir richtig!
Um diesen Punkt haben wir in der Bürgerschaft und auch im Ausschuss lange gerungen, insofern kann ich auch hier sagen, auch wir sind heute froh, dass dieser Ausschuss so konstruktiv gearbeitet hat, denn im ursprünglichen Antrag von SPD und Grüne für die Privatisierungsbremse waren die Kliniken ausgenommen. Wir haben in der Debatte vor einem Jahr von Anfang an gesagt, eine Privatisierungsbremse muss
gerade die öffentliche Gesundheitsversorgung enthalten, die öffentliche Gesundheitsversorgung ist nämlich ein Bereich der Daseinsvorsorge, für die die kommunalen Kliniken einfach gebraucht werden. Wir brauchen sie als Rückgrat. Wir wissen, wie das ist, wir haben diese Situation erlebt. Wenn im Umland die Kliniken verkauft werden, bestimmte Krankheitsbilder nicht mehr behandelt werden und die Bevölkerung aus dem Bremer Umland mit Hubschraubern in unsere kommunalen Kliniken eingeflogen werden, dann merkt man auch, wohin das führt, wenn Kommunen aus finanzieller Not oder aus anderen Überlegungen heraus die öffentliche Gesundheitsversorgung nicht mehr wahrnehmen oder nicht mehr wahrnehmen können. Wir sind sehr froh, dass wir uns in dieser Frage in den Beratungen im Ausschuss durchsetzen konnten. Die Debatte, ob die Stadt Bremen weiter zu ihren kommunalen Kliniken steht oder sie vielleicht doch lieber verkaufen soll, ist jetzt in die Privatisierungsbremse mit aufgenommen worden. Eine Privatisierung der GeNo wird es ohne Volksentscheid nicht geben.
Warum ist die Privatisierungsbremse so wichtig? Der Kollege Tschöpe hat hierzu schon einiges gesagt. Es gibt aber auch noch einen ganz anderen Grund: Regierungen und Fraktionen denken in Legislaturperioden, sie denken in Zeiträumen von vier, in anderen Landtagen von fünf Jahren. Die schädlichen Wirkungen von Privatisierungen treten aber meistens erst später auf, manchmal sogar erst zehn Jahre später. Wir haben das in vielen Kommunen erlebt, kommunale Wohnungsbestände – der Kollege Tschöpe hatte darauf eben schon hingewiesen – wurden verkauft. Das spült erst einmal vordergründig eine Menge Geld in die Kasse und erleichtert die angespannte Haushaltslage. Die privaten Investoren übernehmen dann die Wohnungen und machen erst einmal nichts, dann machen sie ein paar Jahre weiter und machen ein paar Jahre weiterhin nichts. Die Wohnungsbestände verfallen, einige Wohnungen werden teuer saniert und weiterverkauft, aber große Teile geraten in einen immer schlechteren Zustand, während die privaten Unternehmen, die die kommunalen Wohnungsbestände aufgekauft haben, eine maximale Rendite abschöpfen, und irgendwann kann eine Kommune, eine Stadt gar nicht mehr anders, als einen Teil zurückzukaufen oder in anderer Weise viel Geld in die Hand zu nehmen, um den baulichen Verfall ganzer Ortsteile wieder rückgängig zu machen. Das werden wir mit der Änderung, die wir heute verabschieden wollen, verhindern können, denn ich glaube nicht, dass die Bevölkerung ein Interesse daran hat, dass in Bremen die GEWOBA verkauft wird. Viel zu viele Leute sind auf die GEWOBA angewiesen.
Die Regierungen, die in der Vergangenheit auch in Bremen das Tafelsilber verschleudert haben, sind nicht mehr im Amt, sie spüren die Folgen nicht mehr.
Teilweise schon, aber es sind nicht mehr die handelnden Personen, das muss man auch einmal ganz ehrlich sagen!
Die Bevölkerung merkt das aber auch noch 10 oder 15 Jahre später, deswegen ist es so wichtig, diese Entscheidungen, die etwas mit öffentlicher Daseinsvorsorge und mit Dingen, die für die Bevölkerung extrem wichtig sind, zu tun haben, auch den Bürgerinnen und Bürgern zur Entscheidung zu überlassen.
(Beifall bei der LINKEN – Abg. R ö w e - k a m p [CDU]: Aber Herr Böhrnsen ist im- mer noch dabei, glaube ich!)
Bei den Kliniken ist es ähnlich gelaufen. Auch hier sind Regierungen oft in Versuchung, kurzfristig zu handeln und zu verkaufen. Da geht es dann oft weniger um den eigentlichen Verkaufspreis, im Gegenteil, manchmal bleiben die Kommunen bei dem Verkauf von kommunalen Kliniken auf einem hohen Schuldenberg sitzen. Es geht meistens darum, dass man die Kosten nicht mehr tragen kann oder will und dass man sie so loswerden will. Das ist eben ein Boomerang, denn die Kosten kommen zurück!
Als die Linksfraktion in ihrer Anfrage zu den Kliniken gefragt hatte, wo es denn bitte einen Klinikneubau gäbe, der zu 100 Prozent aus dem laufenden Betrieb finanziert wird, gab es in der Antwort des Senats zunächst kein Beispiel. In der Debatte fiel dem Senator dann noch das Beispiel Berlin-Buch ein. Das ist folgender Fall: Berlin-Buch war eine kommunale Klinik, die absolut sanierungsbedürftig war. Sie wurde an den Helios-Konzern verkauft, und der Kaufpreis bestand im Wesentlichen darin, dass Helios den Neubau zugesichert hatte. Das Land Berlin hat beim Verkauf mehrere Millionen Euro an Helios für einen Beschäftigungssicherungsvertrag gezahlt, der Helios, ehrlich gesagt, wenig interessiert hat. Nach der Privatisierung wurden 1 000 Stellen abgebaut und die Löhne der Beschäftigten gesenkt. Auch hier ist der Versuch der Privatisierung gescheitert. Die schädlichen Folgen der Privatisierung irgendwie vertraglich auszuschließen, funktioniert in der Realität nämlich meistens nicht!
Um die textliche Fassung der Privatisierungsbremse ist lange gerungen worden. Ein Volksentscheid findet jetzt nicht mehr obligatorisch statt – auch ich hätte das als sinnvoller angesehen, da mache ich hier aus meinem Herzen keine Mördergrube –, sondern nur dann, wenn das Parlament nicht mit einer Zweidrittelmehrheit entschieden hat. Ich muss an dieser Stelle sagen, mich freut, dass hier zusätzlich der Vorschlag
der Arbeitnehmerkammer aufgegriffen worden ist, auch ein Minderheitenquorum zu verankern. Der Volksentscheid kann nämlich jetzt von einer Minderheit im Parlament erzwungen werden, und zwar mit der gleichen Stimmenzahl, die auch für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erforderlich ist. Er kann auch von einem Zwanzigstel der Wählerinnen und Wähler erzwungen werden. Deswegen ist es für uns wichtig, dass das jetzt so gefasst ist, dass eine Privatisierung nur über ein Gesetz möglich wird, das in diesem Fall erst nach einem Volksentscheid wirksam wird. Es gab auch Beispiele von Privatisierungen, wo Volksbegehren ins Leere gelaufen sind, weil die Objekte schon verkauft waren, bevor überhaupt abgestimmt werden konnte. Das wird mit dieser Neufassung der Verfassung geändert, und darüber sind wir sehr froh.
Die Erleichterung des Bürgerantrags klingt demgegenüber ziemlich unspektakulär, aber Bürgeranträge haben große Wirkungen. Wie ich schon erwähnt habe, wurde der Plan, die GEWOBA zu privatisieren, aufgegeben, das war eine direkte Folge eines entsprechenden Bürgerantrags. Es ist deshalb nötig, dass die Bürgeranträge auch der heutigen Zeit angepasst werden und dass zukünftig auch eine elektronische Unterzeichnung möglich ist.