Protokoll der Sitzung vom 14.11.2013

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserer Kritik daran, dass seit der Erstellung des Armutsund Reichtumsberichts im Jahr 2009 nicht viel passiert ist, sind wir ja nicht alleine. Ich möchte aus der Einladung zitieren, die ergangen ist und die auch viele hier im Raum zur Armutskonferenz des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes erhalten haben. Da heißt es, ich

zitiere wörtlich: „In Bremen steigt die Armut Jahr für Jahr. Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem die Jüngsten, in Bremen bald jedes dritte Kind. Die Hinweise auf die Haushaltsnotlage bezahlen gerade die Schwächsten, und zwar mit eingeschränkten Zukunftschancen. Die seit 2009 vorliegenden Erkenntnisse aus dem Armuts- und Reichtumsbericht des Senats müssen endlich in ein Gesamtkonzept zur Armutsreduzierung einfließen. Es fehlt außerdem eine koordinierte Armutsprävention zwischen den Senatsressorts, den Verwaltungen und den Einrichtungen.“

Meine Damen und Herren, und ich sage: Ja, der Paritätische Wohlfahrtsverband hat völlig recht. Die Analyse ist hundertprozentig zutreffend, die 2009 mit dem Armuts- und Reichtumsbericht des Senats aufwendig aufgearbeitet worden ist. Aber, meine Damen und Herren, was hat sich seitdem für die Menschen in Bremen und Bremerhaven eigentlich konkret verbessert? Nichts hat sich für die einzelnen Menschen verbessert! Sie werden in ihrer sozialen Armut mit den Maßnahmen alimentiert, die hier aus den Haushaltsmitteln finanziert werden. Meine Damen und Herren, damit bekämpfen Sie jeden Tag – das rechnen wir Ihnen auch hoch an – die tatsächliche Lebenslage dieser Menschen.

Aber in einer verantwortlichen Gesellschaft muss es doch darum gehen, dass wir diesen Menschen nicht nur über den jeweiligen Tag helfen, sondern dass wir ihnen und ihren Kindern eine Perspektive geben, dauerhaft aus dieser Armut herauszukommen.

(Beifall bei der CDU und bei der BIW)

Das ist politische Verantwortung, meine Damen und Herren. Deswegen sage ich – in meinem ersten Beitrag habe ich das bewusst nicht als Schuldzuweisung verstanden wissen wollen –: Alle Maßnahmen, die wir in den letzten Jahren teils gemeinsam, teils mit politischer Mehrheit der Großen Koalition, teils mit politischer Mehrheit der neuen Koalition hier beschlossen haben – ich habe nicht gesagt, dass alle diese Maßnahmen erfolglos geblieben sind – , haben den Menschen geholfen, meine Damen und Herren, aber sie haben das Armutsrisiko und die Zementierung von Armut in unserer Gesellschaft nicht beseitigen können. Deswegen hilft ein einfaches „Weiter so!“ den Menschen eben nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass außer der täglichen Bewältigung von Armutsfolgen, die Armutsursachen in Bremen und Bremerhaven wirksam bekämpft werden.

(Beifall bei der CDU)

Das haben wir mit dem bisherigen Instrumentarium unserer Strategie der Armutsbekämpfung nicht geschafft, und wenn wir das nur fortsetzen, werden wir das wieder nicht schaffen. Dann hilft uns auch der nächste Armuts- und Reichtumsbericht nicht weiter. Ich glaube und bin der festen Überzeugung,

dass mit einer ressortübergreifenden, vom Parlament getriebenen Neubesinnung in der Strategie zur Bekämpfung von Armut in Bremen und Bremerhaven mehr geleistet werden kann, als wir das bisher konnten.

Mein Selbstverständnis als Parlamentarier ist übrigens auch, dass ich diese Aufgabe nicht dem Senat überlassen möchte. Die Auswirkungen der breiten Verteilung von Armut in Bremen und Bremerhaven sind nicht nur eine Aufgabe der Regierung, sondern auch eine Aufgabe des souverän gewählten Parlaments.

Deswegen möchte ich Sie in einem zweiten Schritt, wenn Sie schon mit unterschiedlich qualifizierten Begründungen sagen, dass Sie die Enquetekommission jetzt nicht wollen – so habe ich die Kollegin Wendland, der ich für ihren sachlichen Beitrag sehr dankbar bin, weil er die Punkte noch einmal sehr gut aufgelistet hat, verstanden: „Wir wollen jetzt nicht über eine Enquetekommission reden.“ –, wenigstens bitten, darüber nachzudenken, ob wir es nicht so machen können, wie es im Bund und in einigen anderen Ländern auch getan wird.

Eigentlich ist die Frage der Einsetzung einer Enquetekommission ein Minderheitenrecht. Im Deutschen Bundestag genügen 25 Prozent der Abgeordneten, um einen Beschluss über die Einsetzung einer Enquetekommission zu fassen. Wenn wir in 34 Jahren so eine Kommission noch nie gehabt haben – übrigens unbeschadet der Frage, wer wann wo regiert hat –, dann sicherlich immer deswegen, weil die Regierungsmehrheit jeweils gesagt hat: Das wird sowieso schon gemacht, dafür gibt es keinen Bedarf, das macht unsere Regierung, das machen wir mit unserer Mehrheit.

Meine Damen und Herren, wer sich den grundsätzlichen Fragestellungen unserer Gesellschaft stellen will, der muss akzeptieren, dass es abweichende und auch Minderheitenmeinungen gibt. Wenn Sie also heute mit politischer Mehrheit diesen Antrag nicht mittragen, dann ist meine herzliche Bitte: Öffnen Sie sich der Idee – auch weil die LINKE der Einsetzung einer solchen Enquetekommission zustimmen wird –, ob es nicht ein Ausdruck von Souveränität dieses Parlaments ist zu sagen: Auch wenn die Mehrheit dagegen ist, eine qualifizierte Minderheit reicht vielleicht, um solche Themen auf unsere Tagesordnung zu setzen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU und bei der BIW)

Als nächster Redner hat der Abgeordnete Erlanson das Wort, Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe zu Anfang recht viel zur CDU gesagt und möchte jetzt, nach den bisherigen Reden, doch noch das ein oder andere zur Koalition sagen.

Ich finde, Frau Wendland hat zu Recht gefragt, welchen Einfluss denn eigentlich die Bundespolitik auf die Politik in den Ländern oder speziell in diesem Fall auf die Armut in Bremen hat. Ich finde, das ist eine richtige Frage. Ich würde diese Frage allerdings gerne an die Koalition zurückgeben und darauf hinweisen, dass wir nach der Bundestagswahl eine Situation haben, in der es im Parlament im Grunde eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün gibt.

Es gibt einen Vorschlag unserer Parteivorsitzenden, Katja Kipping, die ganz deutlich gesagt hat: Wenn es Ihnen so ernst mit der Armutsbekämpfung ist, dann lassen Sie uns doch jetzt im Parlament den Mindestlohn beschließen. Wir hätten die Mehrheit dafür, und wer danach regieren will, der soll regieren. Auch das haben wir als LINKE deutlich gemacht: Na gut, wenn ihr eine andere Koalition wollt, könnt ihr das machen. Aber wenn es euch wirklich so wichtig ist dann, bitte schön, haben wir jetzt die Mehrheit. – Ich finde, dann muss man endlich auch einmal Nägel mit Köpfen machen.

(Beifall bei der LINKEN – Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie wissen doch, dass das Mätzchen sind!)

Wir alle wissen, wie es ausgegangen ist, nachdem der große Gabriel gesagt hat, dass es mit den LINKEN vielleicht doch irgendwann einmal gehen könne. Mal gucken, vielleicht kommt da noch Bewegung ins Spiel. Ich will damit einfach nur sagen – auch an Sie muss man das deutlich sagen –: Wenn Sie es ernst meinen, dann setzen Sie mit uns gemeinsam durch, was wir alle für die Basis einer Armutsbekämpfung halten wie zum Beispiel Mindestlohn, sichere Rente und so weiter und so fort.

Ich möchte aber auch noch einmal zur CDU zurückkommen. Ich sage hier noch einmal in aller Deutlichkeit: Wir werden Ihrem Antrag zustimmen!

Ich sage hier auch noch etwas anderes. Wir nehmen Sie mit Ihrem Anliegen ernst, und deshalb machen wir – es scheint ja so zu sein, dass SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf keinen Fall mitmachen wollen – der CDU das Angebot: Lassen Sie uns die Formalien vergessen. Wir laden Sie zu gemeinsamen Arbeitsgruppen zur Armutsbekämpfung ein. Wenn es Ihnen wichtig ist, dann machen wir das mit Ihnen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle, SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Röwekamp, der Trick ist alt, aber unwirksam.

(Beifall bei der SPD)

Sie arbeiten sich an Behauptungen ab, die angeblich von mir stammen, die ich so aber gar nicht gemacht habe. Weder habe ich gesagt, dass die Bundesregierung Schuld hat,

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Doch!)

noch habe ich gesagt, dass alles gut ist.

Es gibt ein Zusammenspiel von Landes- und Bundesebene. Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, dass der arme Ein-Euro-Jobber das befristet machen muss, sei ein Drama. Dazu sage ich Ihnen, dass das genau an der Stelle durch die Bundespolitik verhindert worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt, das Teilhabepaket! Wir waren froh, dass wir Bundesmittel bekommen haben. Wir waren überhaupt nicht begeistert von der Bürokratie und dem Misstrauen, die dieses Teilhabepaket sozusagen mittransportiert hat. Wir haben in Bremen am Rande des gesetzlich Möglichen die blaue Karte installiert. Wir sind froh, dass Bremen die Gelder weitestgehend abrufen konnte. Auch das ist ein Teil der Armutsbekämpfung, mal nebenbei gesagt. Ich glaube, dass Sie gerade sehr aggressiv auf das reagiert haben, was ich gesagt habe, hat damit zu tun, dass Sie noch nicht richtig ernsthaft mit der Frage beschäftigt sind. Sie sprechen mir sozialpolitischen Verstand oder sozialpolitisches Herz ab.

Wir versuchen, in Bremen eine Armutspolitik zu machen, die tatsächlich dazu führt, dass die Menschen selbstständig, selbstbewusst in diesem Land leben können.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dafür haben wir über all die Jahre ein umfangreiches Netz entwickelt.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Mit welchem Erfolg?)

Ich sage Ihnen einmal eines: Ich gehe durch die „Sozialgemeinden“ und stelle die Frage der Wirkungsanalyse immer wieder neu. Jedes Einzelprojekt hinterfrage ich. Ich frage, was es für die Leute bringt. Ich mache mich damit nicht überall beliebt, um das auch gleich einmal zu sagen. Manche Träger wollen die Frage nicht so gestellt wissen. Das weiß ich, das wissen wir, das weiß auch die Sozialsenatorin. Wir sind aber bereit, die Fragen offen zu stellen – das ist gar nicht das Problem –, aber was hilft uns dabei eine Enquetekommission? Wozu brauchen wir sie denn an der Stelle?

Und dann sage ich ehrlich noch etwas. Wir haben in Bremen – gerade auch in Bremen – eine gut ent

wickelte Diskussionskultur, die weit über die Parteien und das Parlament hinaus die Fragen der Armut diskutiert. Nicht zuletzt möchte ich in diesem Zusammenhang auch noch einmal deutlich auf die erste Armutskonferenz am nächsten Dienstag hinweisen. Die haben Sie, glaube ich, auch schon erwähnt. Das ist eine gute Gelegenheit, sich mit Experten auszutauschen. Das machen wir auch. Aber wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, dass Sie eine Enquetekommission wollen, weil Sie glauben, dass man dem Senat die Tätigkeit nicht überlassen könne, dann klingt daraus die heimliche Sehnsucht des Mitregierens heraus.

(Beifall bei der SPD – Abg. R ö w e - k a m p [CDU]: Och!)

Ich sage Ihnen ganz klar: Wir als Parlament lassen den Senat nicht einfach machen. Im Gegenteil, wir begleiten – genau das ist die Aufgabe des Parlaments – den Senat in seiner Arbeit extrem kritisch. Dabei kommt es dann gelegentlich hier und da zu Reibereien, aber im Großen und Ganzen einigt man sich doch auf bestimmte Maßnahmen.

Jetzt sage ich Ihnen noch einmal, warum ich so beharrlich an der Frage, welche Verantwortung eigentlich die Wirtschaft trägt, festhalte. Bremen – das wissen Sie genauso gut wie ich – hat einen Strukturwandel hinter sich, der sich gewaschen hat. Es geht nicht nur um die AG Weser, nicht nur um die Vulkan-Werft, nicht nur um die Wollkämmerei, sondern um viele, viele industrielle Kerne, die weggebrochen sind. Es dauert Jahrzehnte, bis man sich aus diesem Tal der Tränen rausgearbeitet hat. Inzwischen haben wir, wie ich finde, in Bremen eine vielschichtige Wirtschaft, die in der Lage sein könnte, ihren Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten.

(Beifall bei der SPD)

Das hat immer auch etwas damit zu tun, wie bereit die Unternehmen eigentlich sind, Leute einzustellen; Leute mit Behinderung, Leute mit Handicaps. Warum sagt die Wirtschaft nicht offenherzig: Wir stellen auch ältere Menschen ein. Warum ist das nicht so? Genau da liegt die Verantwortung der Wirtschaft, und ich finde, man darf die Wirtschaft nicht aus der Verpflichtung lassen. Es gibt Ansätze. Auch das will ich nicht verschweigen. Einige Unternehmen sind da vorbildlich. Aber im Großen und Ganzen gilt immer noch: Der wenigste Lohn ist der beste Lohn. Und das ist ein Teil des Problems Armut.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Sinne hoffe ich, dass wir uns alle auf der Armutskonferenz nächste Woche wiedertreffen. – Danke schön!

(Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Wendland, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Röwekamp, wir haben keine Angst vor Experten und Expertinnen. Ich kann für unsere grüne Truppe sagen: Wir treffen uns wöchentlich mit Experten, wir beraten uns, und wir führen Fachveranstaltungen und Fachtagungen durch. Weil wir keine Angst vor Experten haben, reden bei uns Grünen – auch bei der SPD und bei der LINKEN – heute die Fachpolitikerinnen

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Zuruf des Abg. M ö h l e [SPD]: Und Fachpolitiker!)

und -politiker. Entschuldigung, Klaus Möhle!