Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

Mitteilung des Senats vom 17. September 2013

(Drucksache 18/1056)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer.

Herr Senator, ich frage Sie auch hier wieder, ob Sie die Antwort vorlesen wollen! – Das ist nicht der Fall.

Ich gehe davon aus, dass wir in eine Aussprache einsteigen. – Das ist der Fall.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als Erster hat das Wort Herr Kollege Hinners.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die in Bremen lebenden Mitglieder der Volksgruppe der Mhallamiye haben uns hier im Haus in den letzten Jahren schon mehrfach beschäftigt. Aktueller Anlass für unsere Gro

ße Anfrage war der Vorfall vom 8. August 2013 in der Bremer Neustadt, wo eine circa 30-köpfige Großfamilie aus dieser kurdisch-libanesischen Volksgruppe mehrere Arbeiter auf einer Baustelle angegriffen und einige davon verletzt hat. Nach Meinung der CDU-Fraktion ist solch ein Verhalten in keiner Weise zu tolerieren.

(Beifall bei der CDU)

Aus der Antwort des Senats geht hervor, dass dieser Volksgruppe im Land Bremen 2 590 Bürgerinnen und Bürger zuzurechnen sind. Von diesen hatten 924 die deutsche, 1 311 die türkische und 257 die libanesische Staatsangehörigkeit, die restlichen hatten unterschiedliche Staatsangehörigkeiten und 65 hatten eine ungeklärte Staatsangehörigkeit. Der größte Teil hat also eine geklärte Staatsangehörigkeit – ich hatte sie eben aufgezeigt –, was nach schweren Straftaten im Rahmen möglicher Ausweisung durchaus von Bedeutung sein kann.

Aus der Antwort des Senats geht weiter hervor, dass es im Jahre 2011 insgesamt 918 Straftaten von 417 Tatverdächtigen aus diesem Bereich und im Jahre 2012 insgesamt 816 Taten gab – also ein leichter Rückgang. 404 Tatverdächtige sind bei der Polizei, da gibt es eine Informationsstelle, die sogenannte Informationssammelstelle ethnischer Clans, abgekürzt ISTEC, registriert worden sind.

Meine Damen und Herren, besorgniserregend ist nach Ansicht der CDU-Fraktion nicht nur die hohe Anzahl der Delikte und Tatverdächtigen, sondern insbesondere die Tatsache, dass die sogenannten Indexdelikte seit 2010 von 320 deutlich auf 462 im Jahre 2012 zugenommen haben. Zu diesen Indexdelikten gehören Tötungsdelikte, gefährliche und schwere Körperverletzung, Sexualstraftaten, Verstöße gegen das Waffengesetz, Raubdelikte, Diebstahlsdelikte unter erschwerenden Umständen, also die typischen Einbrüche sowie Delikte im Bereich der Betäubungs- und Arzneimittelkriminalität.

Schauen wir uns die Antwort des Senats weiter an: Wer sind die ermittelten Tatverdächtigen, und zwar zunächst nach Alter? Während sich bei den Kindern zwischen 7 und 13 Jahren die Entwicklung der Fallzahlen von 2010 auf 2012 nach Angaben des Senats glücklicherweise verringert hat, sind die Fallzahlen bei Jugendlichen von 14 bis 17 Jahren leicht angestiegen. Einen erheblichen Anstieg hat es in diesem Zeitraum allerdings bei den 18- bis 20-Jährigen gegeben. Dieser Anstieg gibt einem natürlich zu denken, weil wir wissen: Bei 18- bis 20-Jährigen sind Maßnahmen der Resozialisierung schon bei Weitem nicht mehr so erfolgreich anzuwenden wie bei deutlich jüngeren. Bei den Jungerwachsenen zwischen 21 und 24 Jahren – so wird dort differenziert – dagegen ist die Anzahl der Straftaten relativ gleich geblieben. Allerdings gibt es bei den Erwachsenen von 25 und älter dagegen wiederum einen starken Anstieg. Wir ha

ben also kein einheitliches Bild, aber bei den eher Älteren eine noch deutlich ansteigende Tendenz.

Nach Angaben des Senats werden kontinuierlich etwas mehr als 90 Prozent der kriminellen Handlungen – das überrascht uns jetzt nicht so sehr – von männlichen Tatverdächtigen vorgenommen. Aus der Antwort des Senats geht weiter hervor, dass die meisten Straftaten von Tatverdächtigen aus dieser Volksgruppe am meisten im Bereich der Polizeiinspektion Mitte/West – das geht bis Oslebshausen, beginnend im Steintor – und am wenigstens – obwohl wir in Bremen-Nord ganz häufig Diskussionen dazu haben – im Bereich der Polizeiinspektion Bremen-Nord begangen werden.

Meine Damen und Herren, auch wenn aus der Antwort des Senats abzuleiten ist, dass von 2011 bis heute ein Rückgang der kriminellen Aktivitäten – ich hatte darauf hingewiesen –, dieser Tätergruppen zu konstatieren ist, bleibt nach Ansicht der CDU-Fraktion angesichts des eingangs erwähnten Überfalls auf die Bauarbeiter und aufgrund der aktuellen Erkenntnisse zur mangelnden Integrationsbereitschaft dieser Volksgruppe in Bremen-Nord – dort gibt es ja umfangreiche Erkenntnisse dazu –, aber auch aufgrund der mangelnden Integrationsbemühungen seitens des Senats, auf die ich noch eingehen werde, noch viel zu tun.

Auf die von der eingesetzten ressortübergreifenden Arbeitsgruppe festgestellten Defizite im Bereich Bildung – jetzt komme ich auf die aus unserer Sicht mangelnden Integrationsbemühungen des Senats – sowie den erhöhten Bedarf an sozialpädagogischer und sozialer Hilfe und Interventionsbedarf muss nach Ansicht der CDU-Fraktion deutlich besser als in der Vergangenheit reagiert werden. Denn viele dieser Menschen leben seit über 20 Jahren in unserer Gesellschaft. Trotzdem müssen wir immer wieder feststellen, dass es erhebliche Integrationsprobleme gibt.

Insofern kann nach Ansicht der CDU-Fraktion nicht die Polizei und Justiz allein das Problem der hohen Kriminalitätsentwicklung lösen, sondern vielmehr müssen die Ressorts Bildung und Soziales deutlich stärker als bisher die Mitglieder der Volksgruppe der Mhallamiye in ihre Bildungs- und Präventionsbemühungen einbeziehen! – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ich als ein Sozialpolitiker zu diesem Thema rede, hat genau damit zu tun, dass wir sehr genau wissen, dass es nicht einfach mit polizeilichen Mitteln zu bewerkstelligen ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich will ich an dieser Stelle einmal ganz ehrlich sagen: Der Fall in der Neustadt macht mich ratlos. Mit welcher Gewalt da reagiert wird, nur weil ihnen der Durchgang über eine Baustelle verwehrt wird! Ich will die Diskussion auch überhaupt nicht so führen und sagen, die Zahlen sind zu hoch, die Zahlen sind zu niedrig. Die statistischen Zahlen sind in der Antwort gut aufgearbeitet. Das kann man alles nachlesen. Aber ich frage mich allen Ernstes, ob unsere Ansätze, darüber zu reden, darüber zu denken und zu handeln, wirklich angemessen sind. Gelegentlich habe ich das Gefühl, dass wir da nicht ganz ehrlich mit uns selbst sind.

Ich sage das in der ganzen Offenheit. Ich habe mich nämlich seit zwei Jahren, seitdem ich das Amt des sozialpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion habe, intensiv auch mit diesem Thema beschäftigt. Ich war bei dem Landeskriminalamt, habe mit den entsprechend zuständigen Menschen geredet.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Da war ich auch schon einmal!)

Jetzt haben wir diesen Modellversuch „Pro Düne“ in Vegesack.

(Zurufe: Grohn! – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Nicht jeder weiß, dass die Grohner Düne in Vegesack ist!)

Aber die Grohner Düne ist als Modellprojekt. Da sind ein Kulturmittler und ein Quartiersmanager extra für diese Fragen eingestellt worden. Dann liest man in der Zeitung, dass eine Journalistin, die sich in der Szene ausgesprochen gut auskennt, sagt: Die erreichen die entsprechende Volksgruppe nicht. Ich will jetzt gerne noch das Ergebnis dieses Modellversuchs abwarten. Aber wenn man die nicht erreicht, frage ich: Wie kann man es eigentlich hinkriegen, die zu erreichen? Wenn ich „die“ sage – das will ich an dieser Stelle ganz deutlich sagen –, muss man sehr genau differenzieren. Es gibt da eben auch Menschen, die ganz friedlich, ganz normal, ganz vernünftig und anständig hier leben wollen.

(Beifall bei der SPD)

Über die rede ich jetzt aber nicht. Ich rede an dieser Stelle – nur damit da kein falsches Licht darauf kommt – über diejenigen mit hoher krimineller Aktivität. Es geht mir um sie und darum, wie man das in den Griff kriegt! Nebenbei will ich an dieser Stelle sagen, dass man sehr deutlich aufpassen muss. Man ist immer sehr schnell mit dem Vorwurf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zur Hand. Das hat für mich überhaupt nichts damit zu tun. Ich will nicht, dass sich ein Mensch, egal, welcher Herkunft und Hautfarbe, hier in diesem Land kriminell betätigt. Wir müssen sehr genau darauf achten, dass man eben nicht immer

Unterschiede macht, sondern dass man einfach sagt: Es gibt da ein Clanstruktur, die im Grunde genommen hierarchisch, patriarchal strukturiert ist und gleichzeitig Tendenzen zu mafiösem Handeln hat.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Genau diese Mischung macht es so gefährlich, weil unser System mit dieser Art von Kriminalität eigentlich nicht wirklich richtig offen und ehrlich umgehen kann. Wir müssen aus meiner ganz tiefen inneren Überzeugung anfangen, noch einmal neu darüber nachzudenken. Ich als Sozialpolitiker sage: Wir brauchen soziale Hilfen, aber ich glaube nicht, dass wir sozialpädagogische Hilfen brauchen. Ich brauche mit diesen Menschen keinen Stuhlkreis zu machen, und ich muss sie auch nicht auffordern, ein bisschen selbstreflektiver zu sein.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Allein die Frage selbstreflektiv! Wenn es da auch nur einen Ansatz von Selbstreflexion gäbe – das wüsste ich sofort –, wäre klar, dass man nicht mit dem Messer auf einen Bauarbeiter zugeht, und zwar obendrein wegen einer Nichtigkeit.

So gesehen glaube ich, dass wir soziale Hilfsmaßnahmen anbieten müssen, übrigens aus meiner Sicht vor allem und zu allererst für die Kinder,

(Beifall bei der SPD)

dass man da anfängt, diese Kette zu durchbrechen. Einige der Jugendlichen sind ja für die Kleinen die Heroes, die Helden. Davon muss man wegkommen, da muss man ganz klar versuchen, die Kinder aus diesem kriminellen Sog herauszukriegen. Da sind soziale Hilfsmittel angebracht, da sind soziale Mittel auch notwendig und vielleicht an der einen oder anderen Stelle sogar noch mehr. Ich wünsche mir, dass die ressortübergreifende Arbeitsgruppe der Staatsräte eben nicht nur das statistische Material aufarbeitet – das mag ja auch wichtig und richtig sein –, sondern dass sie auch noch einmal darüber nachdenkt: Welche Methoden können eigentlich helfen, in dieser Frage weiterzukommen?

Ich sage an dieser Stelle aus meiner Sicht ganz ehrlich: Ich bin ziemlich ratlos. Ich wüsste jetzt kein Konzept: So und so müssen wir das machen, und dann klappt das schon. Ich glaube nur, dass wir an dieser Stelle nicht einfach mit einer Argumentation des „Weiter so!“ Politik machen dürfen. Deswegen glaube ich, dass wir eine offene, ehrliche Diskussion darüber brauchen: Welche Methoden können eigentlich helfen, im Vorfeld die Kinder und Jugendlichen aus dem Strudel der Kriminalität herauszubekommen, und was machen wir eigentlich mit denen, die Intensivtäter sind? Da sind unsere Konzepte derzeit noch nicht wirklich zu Ende gedacht. Da wünsche ich mir eine Of

fenheit und biete an – das würde ich sogar, um ehrlich zu sein, auch fraktionsübergreifend versuchen –, dass wir gemeinsam nach Lösungen suchen: Wie kann man damit eigentlich umgehen? – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Tuncel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier die Große Anfrage der CDU-Fraktion zu der Gruppe der Mhallamiye – so wird es ausgesprochen – im Lande Bremen. Der Grund für die Anfrage ist eine Gewalteskalation an einer Baustelle in der Neustadt, bei der Personen aus der Gruppe der Mhallamiye mit gewalttätigen Handlungen aufgefallen sein sollen.

(Abg. Frau N e u m e y e r [CDU]: Sollen oder sind?)

Dass Personen aus der Gruppe der Mhallamiye kriminelle Straftaten begehen, ist in Bremen bekannt. Diese Gruppe hat aus diesem Grund eine sehr große Bekanntheit erreicht. Aber genau hier liegt das Problem. Nur weil man einen bestimmten Familiennamen hat, ist man doch nicht gleich kriminell.

(Abg. K a u [CDU]: Sagt doch keiner!)

So ist aber die Anfrage der CDU-Fraktion aufgebaut. Es geht hierin fast ausschließlich um die Kriminalität dieser Gruppe. Eine wichtige Frage, die in der Anfrage gestellt wird, kann leider vom Senat nicht beantwortet werden. Es ist die Frage nach dem ausländerrechtlichen Status. Viele, sehr viele der Gruppe der Mhallamiye leben in dem Status der Duldung. Dieser Status, den wir als LINKE in seiner jetzigen Form gern abschaffen würden, ist ein Türöffner für kriminelle Handlungen. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden. Ich bin nicht der Meinung, dass der Status einer Duldung Körperverletzung rechtfertigt. (Abg. K a u [CDU]: Das ist ja doll!)

Es gibt in der Gruppe durchaus gewaltbereite Personen. Es gibt aber auch kriminelles Verhalten insbesondere bei jungen erwachsenen Männern, welches durchaus mit einer sehr problematischen finanziellen Situation begründet werden kann, die wiederum der Tatsache eines Lebens im Duldungsstatus geschuldet ist.

(Abg. K a u [CDU]: Doch nicht im Rechts- staat!)

Anfragen wie die hier vorliegende sind deswegen auch problematisch, weil sie dieser Gruppe einen Sonderstatus zuschreiben, sehr vielen Menschen, die einen bestimmten Nachnamen haben, eine Integration in unsere Gesellschaft unmöglich machen.