Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

Anfragen wie die hier vorliegende sind deswegen auch problematisch, weil sie dieser Gruppe einen Sonderstatus zuschreiben, sehr vielen Menschen, die einen bestimmten Nachnamen haben, eine Integration in unsere Gesellschaft unmöglich machen.

(Abg. Frau N e u m e y e r [CDU]: Nichts erreicht!)

Viele haben aus diesem Grund schon ihren Namen geändert. Viele Kinder werden aufgrund ihrer Namen von ihren Mitschülern gemieden und zum Teil vollkommen sozial isoliert, meine Damen und Herren von der CDU! Diese Probleme müssen auf den Tisch.

Ich sehe in dem Status Duldung den Grund für das Drängen dieser Menschen in die Kriminalität, anstatt ihnen eine reelle Chance zu geben, sich hier ein normales Leben aufzubauen. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir, wenn wir von der Kriminalität der Mhallamiye sprechen, sehr viele Kinder und Frauen und weitere Hunderte Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit zu Kriminellen stigmatisieren und so zu einem weiteren erheblichen Teil dazu beitragen, dass sie keine Chance bekommen, sich in die Gesellschaft zu integrieren, meine Damen und Herren!

Herr Möhle, das Angebot nehme ich natürlich sehr gern an, dass wir uns fraktionsübergreifend gemeinsam hinsetzen und Gedanken machen.

(Abg. K a u [CDU]: Ja, macht ihr mal!)

Im Gegenteil zu den anderen arbeite ich eigentlich täglich mit den Menschen aus dieser Gruppe. Es gibt sehr viele Menschen, die hier wirklich gerne leben und sich integrieren wollen. Diese Anfragen tragen nicht dazu bei, dass sie die Möglichkeit erhalten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN – Abg. K a u [CDU]: Pfui! – Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Ein völlig verklärtes Bild, was Gewalt angeht! Gewalt ist nicht zu rechtfertigen!)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Fecker.

Meine sehr verehrte Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Anlass, den die CDU für diese Große Anfrage genommen hat, ist ja in der Tat einer, der uns alle, glaube ich, in dem Moment, in dem wir ihn erfahren haben, erst einmal ziemlich geschockt hat, weil man sich schon fragt: Wo ist eigentlich die Hemmschwelle für den Einsatz von Gewalt? Der Einsatz von Gewalt – das wissen Sie – ist eigentlich nie zu rechtfertigen. Aber ist es jetzt schon das Überqueren einer gesperrten Baustelle und das Daraufhinweisen

auf Fehlverhalten, das Gewalt rechtfertigt? Da kann man nur sehr deutlich sagen: Nein, das ist es nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Es ist in der Tat die spannende Frage in dem Spagat, den wir jetzt in dieser Debatte zu machen haben, zwischen den auf der einen Seite offensichtlich bestehenden und ja auch durch Zahlen dokumentierten Problemen und auf der anderen Seite eben nicht in diesen Reflex zu verfallen, eine Stigmatisierung oder eine Vorverurteilung zu machen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Unter diesem Gesichtspunkt würde ich diese Debatte auch gerne – sicherlich nicht hier heute, aber dann in den weiteren Beratungen – führen wollen, weil wir eben beides haben. Wir haben – das ist vollkommen klar, das geben die Zahlen auch her – ein relativ großes Problem im Bereich der Straftaten und gerade der sogenannten Indexstraftaten – ich sage jetzt mal etwas salopp: der etwas schwereren Straftaten – bei den Mitgliedern der Mhallamiye. Punkt! Darüber brauchen wir nicht reden, da haben wir Strukturen organisierter Kriminalität, und da haben wir auch – ganz deutlich gesagt – ein Bewusstsein, dass die Gesetze dieses Landes überhaupt keine Rolle spielen. Das muss man an dieser Stelle so offen und deutlich sagen. Aber wir haben auf der anderen Seite auch viele Mitglieder dieser Familie – das dürfte man ja sozusagen durch mathematische Kenntnisse bei der Anfrage ausrechnen können –, die eben nicht diesen Weg gehen, der ihnen in ihrem Umfeld vorgeführt wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Deswegen bin ich dem Kollegen Klaus Möhle auch ganz dankbar, dass er noch einmal klargemacht hat, dass wir da tatsächlich unterscheiden müssen. Ich will jetzt die ganzen Fakten, die der Kollege Hinners korrekt aufgeführt hat, gar nicht wiederholen. Das wissen Sie alles. Wir können auch gar nicht von kriminellen Ausländern sprechen. Es sei der Hinweis gestattet: 924 davon haben einen deutschen Pass. Das heißt ja, dass wir wirklich keine Diskussion führen können, die in diese Richtung geht.

Festzuhalten ist doch auch, dass dieses Thema von den Sicherheitsbehörden unseres Landes ernst genommen wird. Wir haben jetzt die ISTEC, die Informationssammelstelle ethnischer Clans. Wenn Sie da einmal vorbeigehen, kann Ihnen der Leiter des LKA auf einer großen Wandtapete die einzelnen Familienzusammenhänge klarmachen. Das zeigt ja deutlich, welche vernetzten Strukturen es nicht nur in Bre

men gibt, sondern auch weit über unsere Stadt hinaus, sowohl ins Ruhrgebiet als auch nach Berlin. Das ist für mich dann eigentlich keine Frage mehr des Familiennamens, sondern das ist organisierte Kriminalität, wie wir es sonst vielleicht von der Mafia oder von den Hells Angels kennen, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)

Unsere spannende Frage wird doch jetzt sein: Wie schaffen wir es, kriminelle Karrieren zu unterbrechen oder zu verhindern? Denn wir wissen alle aus der Forschung, aus eigenem Erleben, dass in dem Moment, in dem ich in eine kriminelle Familie – entschuldigen Sie, dass ich das so holzschnittartig jetzt sage –, in kriminelle Strukturen hineingeboren werde, die Chance, aus diesen Verhältnissen auszubrechen, um ein vielfaches geringer ist. Deswegen sind die Ansätze, die der Senat auch beschreibt, nämlich das Konzept „Stopp Jugendgewalt“ genauso wie die Frage „Wie komme ich eigentlich zu guter Bildung, wie machen wir das jetzt eigentlich mit den Perspektiven?“, keine Fragen, die man als Sozialgewäsch beiseiteschieben kann, sondern sie sind sozialer Bestandteil der Lösung dieses Problems. Uns allen muss klar sein, dass wir versuchen müssen, den Nachwuchs wirklich zu schützen.

Ich sage Ihnen auch deutlich – es ist ein bisschen länger her, dass ich zu dem Thema in der Polizeiinspektion Süd war –: Ich kann mir auch vorstellen, dass wir gegebenenfalls junge Menschen aus diesen familiären Strukturen herausholen müssen. Auch das kann ein möglicher Weg sein, sie davor zu schützen, von ihrer eigenen Familie – manchmal ja auch ganz bewusst – in Straftaten geschickt zu werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Herr Kollege Hinners, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass es eben kein alleinig polizeiliches Problem ist. Sie haben ganz bewusst die Rolle auch anderer Ressorts angesprochen. Ich glaube, dass wir auf diesem Weg weitergehen müssen und dass wir uns für die Zukunft vereinbaren – gerne auch ganz konkret –, in welcher Form wir uns dieses Themas annehmen, und zwar so, wie ich eigentlich die Mehrheit hier im Parlament verstehe, nämlich sachlich, mit der gebotenen Sorgfalt und ohne Stigmatisierung irgendwelcher Gruppen! – Ganz herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Hinners.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will ganz kurz auf Herrn Möhle und Herrn Fecker eingehen! Ich danke Ihnen sehr für die objektive und sachliche Betrachtung. Herr Möhle, natürlich nehmen wir das Gesprächsangebot sehr gerne an. Auch wir sind natürlich der Meinung, dass es eine ganz entscheidende Bedeutung hat, diesen Personenkreis, diese Volksgruppe an unsere Gesellschaft heranzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Tuncel, Ihr Beitrag hat meine Meinung ganz eindeutig dahin gehend bestätigt, dass diese Große Anfrage wichtig war, um in dieser Bremischen Bürgerschaft dieses Thema vernünftig und sachlich zu diskutieren und nicht so einseitig, wie Sie das hier wieder dargestellt haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es fast anmaßend, wenn Sie behaupten, dass die Tatsache der Duldung, die zweifelsohne viele Menschen in diesem Bereich staatsangehörigkeitsmäßig zu ertragen haben, ein Motiv dafür sein soll, dass sie so kriminell werden. Das würde nämlich bedeuten, dass viele andere, die nicht zu dieser Volksgruppe gehören und ebenfalls den Duldungsstatus haben, genauso kriminell sein müssten. Das zu behaupten, ist eine Frechheit! – Danke!

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Hat er aber nicht gesagt!)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Möhle.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mich machen ein bisschen ratlos diese Versuche zu erklären, warum jemand kriminell ist. Ich kann nachvollziehen, dass man sagt: Wenn ich wenig Geld habe, versuche ich, mir was zu beschaffen. Ich kann aber nicht nachvollziehen, dass ich, wenn ich über eine Baustelle gehen will und jemand sagt: „Das darfst du nicht“, dann ein Messer zücke und gewalttätig werde.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der CDU)

Das ist für mich überhaupt nicht verständlich. Ehrlich gesagt, aus meinem moralischen Verständnis kann ich das überhaupt nicht ableiten. Man kann ganz viel Verständnis haben. Ob die richtige Konsequenz ist, Diebstahl zu begehen, weil man arm ist, will ich damit überhaupt nicht sagen – nicht, dass ich falsch verstanden werde! –, aber dem kann ich irgendwie inhaltlich folgen. Diese brutale Gewaltaktion aber ist gar nicht mehr herleitbar. Deswegen muss man auf

hören zu versuchen, das sozial oder irgendwie herzuleiten, sondern man muss sich die Frage stellen: Was kann man als Allererstes dagegen tun?

Ich will nicht, dass in dieser Stadt, in unserem Bundesland Bremen solche Art Gewalt stattfindet. Auch der Kollege Fecker hat gesagt – das sagen ja auch alle –: Man muss sehr genau gucken, wen man damit meint. Ich habe auch gesagt, ich will nicht, dass die Familie mit dem Namen M. immer schon Schwierigkeiten hat, weil sie den Namen hat. Das ist nicht in Ordnung, das stimmt. Aber es gibt für mich überhaupt keine Herleitung oder Rechtfertigung für Mord und Totschlag, um es an dieser Stelle einmal ganz deutlich zu sagen. So gesehen wäre ich froh, wenn es uns gelänge, Handlungsoptionen zu entwickeln, die das, was hier im Wesentlichen gemeinsam getragen wird, aufgreifen, mit denen wir ein Stück weiterkommen.

Die Zahlen sind auch ein bisschen heruntergegangen. Das ist auch so, und das ist ja auch in Ordnung, und das finde ich auch gut und erfolgreich. Im Kern, glaube ich, sind wir noch nicht sehr viel weiter, diese Frage zu lösen. Daran müssen wir auch gedanklich weiterarbeiten, weil ich glaube, die Konzepte, die einfach Lösungen bringen, gibt es derzeit schlicht und ergreifend nicht. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Kollegin Vogt.

Frau Präsidentin, lieber Herr Hinners! Ich habe nicht herausgehört, dass mein Kollege Tuncel begründen wollte, warum Menschen in einer Duldung zwangsläufig kriminell werden oder Diebstähle begehen,

(Zuruf von der CDU: Das klang aber so!)

ich möchte hier aber einmal einen Hinweis geben. Ich werde jetzt einmal sehr persönlich. Ich habe diese ganze Geschichte mit Menschen, die aus dem Libanon gekommen sind, hier eine Aufenthaltserlaubnis hatten, 1998, als eine bundesweite Diskussion in der Innenministerkonferenz losging – sind es Türken, sind es Libanesen? – hautnah mitverfolgt, und das hatte dramatische Konsequenzen.

Ich gehe hier jetzt wirklich einmal ins Persönliche, und ich möchte damit deutlich machen, was mein Kollege Tuncel eigentlich meinte.

(Abg. Frau N e u m e y e r [CDU]: Eigent- lich!)

Nein, was er meinte! Ich kann mich dem Kollegen Möhle anschließen: Niemand von uns rechtfertigt

Mord und Totschlag und Gewalt, überhaupt nicht! Das finden wir genauso verabscheuenswürdig, und es ist für uns genauso ein No-Go wie für Sie auch. Ich möchte einfach einmal deutlich machen, in was für einer schwierigen Situation bestimmte Menschen, die in Bremen leben, sind.

Ich mache einmal am Beispiel einer Familie, die ich kenne, die ich aus meiner aufenthaltsrechtlichen Praxis kenne, deutlich, welche Auswirkungen das hatte! Diese Familie hatte eine Aufenthaltserlaubnis, der Vater war selbstständig und hatte einen Gemüseladen. Dann gab es diese Diskussion, losgetreten durch die IMK – man muss fairerweise sagen, dass zwei Innensenatoren oder Innenminister damals federführend diese Diskussion begleitet und forciert haben, das war nämlich insbesondere NRW, das war aber auch Bremen –, es gab diese Auseinandersetzungen, es gab die aufenthaltsrechtlichen Verfahren: Diese Menschen haben ihre Aufenthaltserlaubnis und ihre Duldung verloren. Damit durfte der Familienvater nicht mehr ins Bremer Umland zum Großmarkt und musste sein Geschäft nach einem halben Jahr aufgeben und fiel in den Kreis des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Die dramatischen Folgen waren aber für die Kinder der Familie spürbar. Hier wird es zunehmend absurd: Eine meiner Freundinnen ist nachweislich in einem deutschen Krankenhaus geboren, hat eine deutsche Geburtsurkunde mit einem Geburtsdatum im Frühjahr. Nachdem sie einen türkischen Pass erhalten hat beziehungsweise nachdem die Bremer Ausländerbehörde gesagt hat, sie ist eigentlich Türkin, hat sie einen Geburtsort in einem Ort der Türkei erhalten, den sie nie zuvor gesehen hat – sie spricht auch überhaupt kein türkisch, nur arabisch und deutsch, also in erster Linie deutsch, in zweiter Linie arabisch –, und ein zweites Geburtsdatum und einen zweiten Namen gekriegt.

Die Perspektive für diese Jugendlichen waren aber eben auch: Sie waren in der Schule und auf einmal in der Duldung, zwei oder drei dieser Jugendlichen waren schon auf der Ausbildungsplatzsuche. Wir wissen alle aus Erfahrung, was das heißt, wenn man mit ganz kurzfristigen Duldungen – die Menschen haben ganz kurzfristige Duldungen gekriegt – einen Ausbildungsplatz suchen will: Man kriegt ihn nämlich nicht, und das hat dramatische Folgen gehabt. Das hat nämlich etwas mit Entwurzelung und mit Nichtidentifikation in dieser Gesellschaft zu tun. Das ist eine politische Fehlentscheidung Ende der Neunzigerjahre gewesen, an denen leider auch die Bremer Ausländerbehörde und der damalige Innensenator beteiligt waren. Die Folgen müssen wir jetzt wieder auffangen. Da hat sowohl der Kollege Möhle als auch der Kollege Fecker recht: Das ist furchtbar schwierig.