Protokoll der Sitzung vom 20.11.2014

„Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) unterstreicht: Die Entwicklung der Jüdischen Gemeinde ist ein wichtiger Teil der religiösen Vielfalt, der nicht zuletzt aus historischer Verantwortung auch zukünftig unserer Unterstützung und unseres besonderen Schutzes bedarf.“

Ich glaube, dass diese Nummer vier des Antrags den gesamten Zwiespalt der heutigen Debatte aufzeigt. Wir haben Ihr Bekenntnis zu Aufklärung, zu Toleranz. Das ist ohne Alternative. Die Nummer vier sagt uns im Grunde genommen: Wir haben ein Problem. Als Innensenator bin ich mitverantwortlich für die Sicherheit unserer Jüdischen Gemeinde. Ich habe mir schon häufig die Frage gestellt: Muss im Jahr 2014 ein erhöhter Polizeischutz wie vor 50 Jahren wirklich sein?

Ich habe einmal die Hoffnung gehabt, dass die Entwicklung eine positive Wende nimmt. Ich hatte gehofft, dass die alten Nazis irgendwann einmal

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Aussterben!)

sterben und dass die Zeiten, die ich aus meiner Jugend und später noch kenne, vorbei sind, dass Friedhöfe verwüstet und geschändet wurden. Das ist in früheren Jahrzehnten immer ein Thema gewesen. Ich kann mich noch sehr gut an die vielen Gebäude, an die Synagogen erinnern, bei denen es Alltag war, Hakenkreuze anzubringen. In der Tat: Heute sind nur noch ganz wenige alte Nazis unter uns. Aber wenn

ich die Bilder aus Köln, aus Hannover und die neue Rechte mit Springerstiefeln, mit Glatze sehe, habe ich kein gutes Gefühl. Ich weiß, dass diese Entwicklung noch nicht beendet ist. Ich kann die Sorge der jüdischen Gemeinschaft und ihrer Mitglieder verstehen.

Das ist nicht die einzige Bedrohung. Sie haben es angesprochen. Wir erleben den Krieg zwischen Israel und den Palästinensern seit Jahrzehnten: ohne Perspektive, mit immensen Verlusten auf beiden Seiten, Toten, verletzten Kindern, Verwüstung! Nach dem Krieg kommt der Wiederaufbau. Wir fragen uns: Wo endet das Ganze? Der Siedlungsbau, die Gewalt gehen weiter. Die Ereignisse der letzten Tage lassen auch nichts Gutes erahnen. Wir stehen ratlos da.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass unsere jüdischen Mitbürger in dieser Stadt, die genauso wenig wie wir irgendeinen Einfluss auf diese Entwicklung haben, dafür abgestraft werden, dass man sie in die Schuld, in die Verpflichtung für das, was im Nahen Osten passiert, nimmt. Das ist die zweite Herausforderung, mit der wir umgehen müssen.

Es kommt eine dritte Herausforderung hinzu, ein neues Problem: Salafismus! Salafismus ist auch in Bremen sehr stark vertreten, bisher aber eher nach innen gewandt. Wir haben seit dem letzten Jahr eine neue, radikalere Entwicklung. Wir sehen, dass viele Menschen, junge Männer, aber auch viele Frauen mit ihren Kindern, nach Syrien ziehen, weil sie dort ihr Heil suchen und weil sie glauben, in diesem Krieg eine Zukunft zu finden. Wir erleben, dass diese Menschen radikalisiert zurückkehren, dass sie wieder einreisen oder über Frankfurt nach Brüssel weiterreisen, wo sie dann für den Anschlag und die Toten im jüdischen Museum in Brüssel verantwortlich sind. Das ist die dritte Bedrohung, die ich sehe.

Aus alledem folgt, dass der Beschluss und die Empfehlung der Bürgerschaft ernst genommen werden müssen, das heißt, ich sehe hier nicht, dass wir eine Chance haben, die jüdische Gemeinschaft so, wie andere zu behandeln. Es ist beschämend, aber es ist so, dass es keine Alternative dazu gibt. Wir müssen aufpassen, die Zahl der Gegner ist groß, und deswegen ist der Appell an die Vernunft, an die Aufklärung wertvoll.

Ich glaube, bei alle dem müssen wir sehen, dass wir auch in dieser Stadt Menschen haben, die dies nicht akzeptieren und die ihren Hass und ihre Wut an der jüdischen Bevölkerung und an den Mitgliedern der Gemeinde ausleben würden, wenn wir sie nicht davon abhalten. Deswegen müssen wir diesen Weg weitergehen, ohne dass ich Ihnen heute sagen kann, wo er endet. – Danke sehr!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 18/1628 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Entschließungsantrag einstimmig zu.

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich auf der Besuchertribüne Studierende der Universität Bremen des Masterstudiengangs „Komplexes Entscheiden“ herzlich begrüßen.

Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Mehr Einbürgerungen im Land Bremen

Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vom 10. Juli 2014 (Drucksache 18/1481)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 12. August 2014

(Drucksache 18/1522)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bremischen Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, Herr Senator Mäurer, dass Sie darauf verzichten wollen, sodass wir direkt in die Aussprache eintreten können.

Die gemeinsame Aussprache ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Große Anfrage ist vor fast einem halben Jahr gestellt worden, aber ich freue mich, dass wir heute doch noch die Gelegenheit haben, sie zu diskutieren.

Wenn Fragen der Integration debattiert werden, steht immer auch die Forderung nach die Identifikation mit Deutschland im Raum. Von Migrantinnen und Migranten wird Identifikation mit der staatlichen Ordnung und dem gesellschaftlichen Wertesystem gefordert, das ist in Ordnung. Die Identifikation darf

aber nicht einseitig gefordert werden, sie muss wie die Integration gegenseitig sein. Dem Individuum muss vermittelt werden, dass ihm ein vollwertiger Platz im Gemeinwesen eingeräumt wird, und dieser Zusammenhang unterstreicht die Bedeutung der Einbürgerung für eine erfolgreiche Integrationspolitik.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn der Staat den Migrantinnen und Migranten die Einbürgerung ermöglicht, dann tut er etwas, das selbstverständlich sein sollte. Er zeigt, dass er sich auch mit seinen Bürgerinnen und Bürgern identifiziert, er macht den entscheidenden Schritt auf sie zu. Ob aber dieser Hintergrund in der Politik und teilweise auch in der Verwaltung so richtig erkannt wird, bezweifle ich. Mir fehlt dieser entscheidende Schritt auf die Menschen zu, mir fehlt in den Unterlagen das Herzblut, mit dem dieses Thema behandelt werden sollte, denn wir führen hier keine Diskussion zu abstrakten staatrechtlichen Fragen. In dieser Debatte geht es um das Leben von Bremerinnen und Bremer, deren Kinder hier aufwachsen und zur Schule gehen, und die selbst durch ihre Arbeit zur Entwicklung und zum Wohlstand des Landes beitragen und hier Steuern zahlen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN – Vizepräsidentin S c h ö n übernimmt den Vorsitz.)

Die deutsche Staatsbürgerschaft ist die Voraussetzung für die volle uneingeschränkte Mitgliedschaft und die Partizipation in der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist die Antwort des Senats auf unsere Große Anfrage zur Entwicklung der Einbürgerungszahlen nicht wirklich befriedigend. In der Bundesrepublik Deutschland sind die Einbürgerungszahlen rückläufig, das wissen wir.

Die magische Zahl ist die Einbürgerungsquote, die im europäischen Vergleich in Deutschland aber erschreckend niedrig ist, sie betrug in den letzten Jahren im Durchschnitt nur 1,1 Prozent. In anderen europäischen Mitgliedsländern erreicht sie in der Regel 5 bis 6 Prozent. Am höchsten liegt die Quote mit 9 Prozent in den Niederlanden. Laut Vorlage lag unsere Einbürgerungsquote in Bremen im Jahr 2013 bei 1,73 Prozent. Damit stand Bremen im Vergleich der anderen Bundesländer auf dem sechsten Platz. Platz 6 unter vielen Schlusslichtern ist nicht gerade ein Platz auf dem Treppchen. Wir müssen uns also fragen, woran das liegt.

Bremen hat im Jahr 2010 eine Einbürgerungskampagne durchgeführt, 10 große Flächen, 25 Stadtteilplakate warben unter dem Motto „Lass Dich einbürgern, Bremen will Dich!“, das fand ich sehr schön. Postkarten wurden in den Umlauf gebracht, mit denen ebenfalls dazu aufgerufen wurde, Einbürgerungsanträge zu stellen. Radio Bremen gab Werbehinweise,

und auf den begleitenden öffentlichen Veranstaltungen wurde die Absicht verfolgt, die Informationen an diese Zielgruppe heranzubringen, auch an einem Internetauftritt hat es nicht gefehlt. Die Botschaft ist aber nicht so angekommen, wie zumindest wir es uns gewünscht haben.

Warum hatten diese Anstrengungen nicht mehr Erfolg, als wir erwartet haben? Warum haben sie nicht zu einer nachhaltigen Erhöhung der Einbürgerungszahlen geführt? Die Antwort des Senats enthält leider wenige Informationen zu diesen Fragen, zu dem schlechten Abschneiden bei den Einbürgerungszahlen. Inzwischen wissen wir, dass im Oktober eine zweite Kampagne, ich würde sagen eine Mini-Kampagne, unter dem Motto „Ja, ich will!“ gestartet wurde. Ich hoffe, dass diese Kampagne erfolgreicher sein wird beziehungsweise dass sie besser von der Zielgruppe wahrgenommen werden wird als im Jahr 2010, denn damals haben nur 45 Prozent der Zielgruppe die Kampagne überhaupt wahrgenommen.

Ein paar kritische Anmerkungen zu dieser neuen Kampagne werde ich in meinem zweiten Redebeitrag machen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Senkal.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Senat hat die Große Anfrage zur Einbürgerung umfassend beantwortet. Vielen Dank dafür! Inhaltlich haben mich die Antworten nicht überrascht. Insbesondere die geschilderte Problematik der hohen Fluktuation des Personals in zuständigen Abteilungen stellten die Mitarbeiter bei der Bewältigung der Arbeitsflut immer wieder neu vor große Herausforderungen. Mittlerweile ist wieder ein Mindestmaß an Stabilität eingekehrt.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtamts haben es durch hohe Einsatzbereitschaft und durch teilweise Aufstockungen in einzelnen Abteilungen nun geschafft, die Bugwellen von Anträgen nach und nach abzubauen. Während noch vor kurzer Zeit Anträge bearbeitet wurden, die bereits ein Jahr zuvor gestellt wurden, konnte diese Zeit nun halbiert werden. Das ist ein großer Erfolg. Hier dient mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Stadtamt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Damit sind auch die Voraussetzungen entstanden, wieder eine Einbürgerungskampagne, wie es bereits 2009 der Fall war, ins Leben zu rufen. Diese Kampagne macht schlussendlich nicht die Plakate und an

dere Werbemaßnahmen aus, sondern wird am Erfolg gemessen, nämlich die Zahl der Anträge auf Einbürgerung.