Ja, doch, weil, der Zaun ist ja trotzdem da. Es sind 150 in diesem Demenzdorf in der Nähe von Amsterdam untergebracht. Aber man muss dazu sagen: Sie haben dafür 240 Hauptamtliche und 150 Ehrenamtliche, die für diese 150 Personen zuständig sind.
Ich will damit einfach nur sagen: Selbst, wenn man so ein Demenzdorf baut, braucht man wahrscheinlich eine Ein-zu-Eins- oder eine Eins-zu-Zwei-Betreuung, wenn man tatsächlich will, dass sich diese Menschen in ihrer Umgebung einigermaßen frei bewegen können. Wer dann sagt, wir wollen so einen Zustand in den Stadtteilen herstellen, dann bin ich davon begeistert, Frau Kappert-Gonther, aber dann würde auch fragen, wie wir das denn hinbekommen wollen.
Dann hilft auch kein „Karotten essen“ und Bewegung und so weiter. Das wirkliche Problem – das haben wir in diesem Haus des Öfteren diskutiert – ist im Grunde genommen: Wir haben eine entsprechende demografische Entwicklung und die Menschen werden immer älter. Da scheint es einen Zusammenhang zu geben, denn je mehr Menschen immer älter werden, desto häufiger tritt offensichtlicher so etwas wie Demenz auf. Das mag vielleicht einen kausalen Zusammenhang haben, aber es ist, glaube ich, noch nicht bewiesen.
Aber es steht doch immer die Frage: Wie wollen wir das in unserer Gesellschaft organisieren und vor allen Dingen, wie wollen wir es bezahlen? Das ist die Frage, vor der wir uns, meine ich, permanent drücken. Das zeigt sich für mich sehr deutlich bei den Demenzkranken. Wenn man gesagt, man will sie nicht in speziellen Einrichtungen „abschließen“, wenn man sagt, man will ihnen möglichst größtmögliche Freiheit geben, dann muss man dafür auch die entsprechende Betreuung organisieren.
Diese Betreuung, die man dann organisieren muss, kostet Geld. Mit unserem momentan existierenden Sozialsystem werden wir das nicht bezahlen können. Ich wäre nicht Linker, wenn ich nicht sagen würde: Natürlich müssen wir schauen, wo wir die öffentlichen Einnahmen weiter erhöhen können. Erhöhung der öffentlichen Einnahmen – das wissen wir alle, zumindest wir Linke – bedeutet,
wir müssen schauen, dass die Reichen in dieser Gesellschaft mehr auf ihren Schultern tragen müssen als andere. Das passiert zurzeit nicht. Das ist aber Voraussetzung dafür. Es ärgert mich manchmal, wenn wir hier über die Frage diskutieren, ob nun in einem Dorf oder in einem Stadtteil, wissen aber nicht, wie wir es bezahlen wollen. Das ist doch der entscheidende Punkt.
Wir als Gesellschaft müssen darauf hinwirken, dass es eine gesellschaftliche Diskussion wird. Ich will nicht sagen, dass ich dafür eine entsprechende Lösung habe. Aber das ist ein Punkt, über den in dieser Gesellschaft endlich einmal diskutiert werden muss. Wenn wir es nicht diskutieren – damit komme ich zum Abschluss –, dann wird eine Entwicklung einsetzen, indem die Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land – wie wir es kennen – immer weiter auseinandergehen wird. Das würde bedeuten, dass sich 30 Prozent der Besserverdienenden oder Reichen ein Leben mit Demenz in Würde leisten können und anderen nicht. Das genau ist unser Problem als Linke. – Danke!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste! Wir diskutieren die Große Anfrage der CDU. Frau Kollegin Grönert hatte es noch einmal herausgearbeitet, dass wir darüber vor einigen Wochen schon einmal eine Debatte in der Fragestunde hatten.
Man kann dem Vorspann der Großen Anfrage entnehmen, dass wir im Jahr 2012 in Bremen-Stadt ungefähr 8 000 Betroffene hatten. Ich habe versucht, die Zahlen zu recherchieren. Es gibt eine Publikation des Deutschen Ethikrates, der von ungefähr 1,2 Millionen Betroffenen für Deutschland spricht. Er spricht aber von einer Unschärfe und führt in dem Bericht aus, dass die Anzahl der Betroffenen jedes Jahr um ungefähr 200 000 bis 300 000 Betroffene steigt. Er rechnet bis zum Jahr 2050 mit mehr als drei Millionen Betroffenen in diesem Gesundheitsfeld. Bei anderen Schätzungen oder in anderen Publikationen spricht man von zwei Millionen Betroffenen.
Es wird ausgeführt – auch das ist schon gesagt worden –, dass Familienangehörige und Angehörige mit der Pflege von derartig Betroffenen sehr schnell überfordert sind, weil es ein schwieriges Bild ist. Das wurde gerade dargestellt.
Besonders der Bewegungsdrang – auch das ist gesagt worden –, der dazu führt, dass sich die Menschen entfernen und dann eventuell zu Schaden kommen, ist ein Problem. Hier könnte man – deswegen finde ich das Thema als jemand, der sich mit Software beschäftigt, so interessant – eventuell dafür Sorge tragen, mit geeigneten Mitteln etwas tun. Es gibt eine Art Armbänder, die man anlegen kann. Damit kann man das Bewegungsverhalten von Personen aufzeichnen. Zum Beispiel, diese Person steht jeden Morgen um 7.30 Uhr auf und macht dann irgendetwas, und wenn das irgendwann nicht passiert, könnte man entsprechend reagieren. Man kann anrufen oder vielleicht die Wohnung aufsuchen.
Man kann zum Beispiel Elektrogeräte überwachen, wenn ein Herd eingeschaltet wird. All das ist heute schon möglich. Man kann die Leute mit Systemen ausstatten, dass man jederzeit über GPS sehen kann, wo sie sich aufhalten. Warum sage ich das? Ich glaube, Ziel – darin sind wir Sozialdemokraten uns mit den Grünen einig – muss es sein, Menschen, die davon betroffen sind, möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung zu belassen, möglichst lange im Stadtteil zu halten. Es muss gelten: alt werden im Stadtteil, krank werden im Stadtteil, auch sterben im Stadtteil. Das ist ganz wichtig.
um nicht zu sagen, stehen diesen Dörfern ablehnend gegenüber. Wir möchten, dass die Menschen möglichst lange in ihrem Stadtteil bleiben.
Frau Dr. Kappert-Gonther hatte es angesprochen. Das ist eine Herausforderung für den Stadtteil und für uns alle. Es muss einen Paradigmenwechsel geben von einem verkehrsgerechten Menschen hin zu einem menschengerechten Verkehr.
Nur so ist es möglich, dass Personen, die vielleicht keine oder weniger Leistungsfähigkeit haben, sich in dem Stadtteil bewegen können, ohne dass sie gefährdet werden. Ich nenne hierzu ausdrücklich solche Dinge wie Ampelanlagen – ich nenne jetzt keine Straße, über die wir in den letzten Monaten schon einmal gesprochen haben –, Tempo-30-Zonen und Ähnliches. Das alles sind Maßnahmen, die nicht Ideologie sind, sondern dafür Sorge tragen, die Aufenthaltsqualität für nicht mehr ganz so fitte Menschen in den Stadtteilen sicherzustellen und sie nicht in irgendwelche Dörfer abzuschieben.
Ich habe bei der Recherche dazu einen Beitrag im „Spiegel“ aus März 2014 gefunden. Dort wird Michael Schmieder, Leiter eines Pflegeheimes in der Schweiz, zitiert. Er spricht in diesem Beitrag über diese Dörfer – ich zitiere –:
„Die Menschen haben viel Platz, drinnen und draußen, sie können viel entscheiden. Aber der Name ‚Demenzdorf‘ ist Augenwischerei... Das Schlimme ist: Die pflegerische Beziehung wird auf einer Lüge aufgebaut. Man tut das vermeintlich, um den Kranken zu schonen... Die Pflegenden, die den Kranken belügen, suchen eine Lösung für sich – nicht für den Kranken.
An dieser Stelle sagt Schmieder als jemand, der in diesem Bereich tätig ist, ausdrücklich, dass er damit Schwierigkeiten hat. Das entnehme ich auch der Antwort auf die Große Anfrage.
Frau Dr. Kappert-Gonther hat auf die Prävention hingewiesen. Darauf brauche ich nicht mehr einzugehen. Herr Senator hat eine andere Meinung gehabt, ein wenig habe ich es verstanden. Der richtige Weg ist noch nicht ausgeforscht. Aber, ich glaube, Ernährung und Bewegung sind Schlüsselpunkte, um diesbezüglich vorzubeugen. Wir sollten also lernen, unser Verhalten zu ändern, und Menschen, die krank sind, nicht irgendwohin abzuschieben, sonst diskutieren wir auch noch über Dörfer für weitere Krankheiten.
nen bis zum Jahr 2050 und wir in Bremen haben immer diesen 1-Prozent-Anspruch –, dann sind das circa 30 000 Personen. Wo wollen wir diese dann unterbringen? Wie soll das alles funktionieren? Wie viele Dörfer wollen Sie errichten? Wir müssten dann einen halben Stadtteil umbauen und den als Gated Community machen. Das kann nicht unser Ziel sein. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Hamann, ich habe nicht gesagt, dass alle diese Menschen jetzt in solch ein Dorf ziehen sollen, sondern es geht einfach um die Möglichkeit, überhaupt darüber nachdenken zu dürfen, dass so etwas auch in Bremen als Angebot denkbar wäre. interjection: (Beifall bei der CDU)
Ja, es gibt in Bremen natürlich bereits verschiedene gute Angebote für Menschen mit Demenz, für die ich sehr dankbar bin, und es gibt auch hervorragende Unterstützungs- und Beratungsangebote für die Angehörigen, denn diese leiden meistens ebenso unter der Demenz wie die Betroffenen selbst, doch leider reichen diese Angebote mit Blick auf die demografische Entwicklung noch lange nicht aus. Vielen Initiativen, die sich in den Stadtteilen um eine Sensibilisierung der Bewohner bemühen, wie Frau Dr. Kappert-Gonther es auch gesagt hat, fehlen die finanziellen Mittel und die Ressourcen, um wirklich nachhaltig erfolgreich arbeiten zu können.
Wer aber wie der Senat hochgesteckte Ziele hat, sollte diese auch zielstrebig umsetzen, doch der Senat weiß bis heute nicht, wie Bremen strategisch und zielgerichtet zu einem demenzfreundlichen Bundesland werden könnte, so steht es jedenfalls ganz deutlich in der Antwort zu Frage 7 auf unsere Große Anfrage. Mit Blick auf jetzt schon 8 000 bis 12 000 Betroffene in unserem Bundesland ist das aber ein Armutszeugnis, denn wie lange soll die Entwicklung konkreter Ideen und Maßnahmen noch dauern? Den Hinweis auf begleitete Besuche auf realen Wochenmärkten im Stadtteil, die von einer Einrichtung durchgeführt werden, werte ich als Versuch, davon abzulenken, dass außer einzelnen, sicher tollen Aktionen bislang nicht viel möglich ist. Welche Angebote außerhalb der Einrichtung gibt es denn für Bewohner an den restlichen Tagen?
Nur eines scheint für den Senat schon vor der Entwicklung einer Strategie ganz sicher: Laut der Antwort auf Frage 5 wird es in Bremen aus ideologischen Gründen ganz bestimmt keine Genehmigung für ein Demenzdorf geben. Ich will solch eine Möglichkeit
auch nicht idealisieren, aber wenn ich sehe, was für die meisten dementen Menschen bis heute Realität ist und dass es in Bremen keine zielgerichteten strategischen Maßnahmen für die Zukunft gibt, dann sehe ich dort durchaus eine Not. Die 152 Bewohner in Hogeweyk zum Beispiel leben in Häusern, die eine nach außen abgeschlossene Siedlung bilden – ohne Zaun, Herr Erlanson! –, und den Bewohnern in der Anlage ist dadurch die größtmögliche Bewegungsfreiheit gefahrlos ermöglicht.
Diese Bewegungsfreiheit gibt es in der Stadt und in den bisherigen Bremer Einrichtungen einfach nicht, und ich sehe auch nicht, dass wir das in den nächsten drei bis fünf Jahren erreichen werden, Herr Erlanson hat dazu den Beitrag von Frau Dr. KappertGonther auch bereits entsprechend kommentiert.
Der Senat antwortet übrigens auf Frage 3, wo wir nach Menschen fragen, die nach dem Verlassen einer Einrichtung orientierungslos aufgegriffen wurden, Folgendes: „Weder auf diesem noch auf anderen Wegen hat die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht Kenntnis davon erlangt, dass eine Bewohnerin oder ein Bewohner infolge eines orientierungslosen Verlassens einer Einrichtung zu körperlichem Schaden gekommen ist.“ Das hört sich gut an, aber wenn man wie ich direkten Kontakt zu einer Familie hat, in der ein 72-jähriger Mann hier in Bremen Ende 2013 aus einer Bremer Einrichtung nicht nur einen körperlichen Schaden erlitten hat, sondern zu Tode gekommen ist und erst Wochen später aufgefunden wurde, dann wundert es mich, dass das hier nicht aufgefallen ist, sondern dass hier geschrieben steht, so etwas sei in Bremen niemals passiert. So viel zum Thema Selbstbestimmung, Teilhabe und Öffnung der Einrichtungen nach außen in dem Stadtteil!
Frau Dr. Kappert-Gonther, Demenz ist doch keine Behinderung, für die man es einfach mit einem Tempo-30-Schild oder irgendeinem barrierefreien Straßenbild eine menschenfreundliche Stadtentwicklung schaffen kann, dass die Menschen vielleicht nicht drei Schritte auf die Straße, wieder vier Schritte zurück und wieder fünf Schritte vor gehen und sie dann, selbst wenn es längere Ampelphasen gibt, über die Straße gehen können. Dann kommen sie aber trotzdem nicht zurück in die Einrichtung, weil sie sich verlaufen. Die Fremd- und die Eigengefährdung bleibt doch dann einfach bestehen!
Seitdem ich vor einiger Zeit das hier schon erwähnte Demenzdorf besichtigt habe, kann ich mir sehr gut vorstellen, auch in solch einer Einrichtung zu leben, wenn ich einmal an Demenz erkranken sollte. Wie man ein solches Dorf dann aufbaut und wie man es einrichtet, ob es dann so sein muss, dass man die
Fehler übernimmt, die vielleicht in der Schweiz in der Einrichtung gemacht wurden, ist doch jedem selbst überlassen. Man kann sich doch dann auch an guten Beispielen und gut laufenden Einrichtungen orientieren. Ich möchte mich jedenfalls draußen bewegen dürfen und nicht nur in einem Gebäude im Kreis laufen, wo der Flur als Rundlauf angelegt wurde, damit die Bewohner wenigstens so die Möglichkeit haben, ein wenig am Stück laufen zu können. Es könnte zwar auch sein, dass die Unterbringung in solch einer Anlage nicht zu finanzieren ist, weil wir ganz andere Versorgungssysteme haben als die Niederländer, aber ich will mir trotzdem ganz bestimmt nicht politisch ideologisiert vorschreiben lassen, wie es für mich richtig zu leben wäre, wenn ich einmal an Demenz erkranken sollte.
Ich bitte den Senat, allen voran Herrn Staatsrat Frehe, der heute leider nicht anwesend ist, von der vehementen Ablehnung gegenüber bestimmten Lebensformen Abschied zu nehmen. Menschen sind verschieden und haben verschiedene Bedürfnisse. Niemand sollte für den anderen entscheiden, was gut oder schlecht für ihn ist, solange Dritte dadurch nicht beeinträchtigt werden. Wir brauchen vielfältige Angebote, damit jeder für sich entscheiden kann, wie er oder sie einmal leben möchte. Wenn sich der Senat wünschenswerterweise hoffentlich bald auf den Weg macht, Bremen wirklich strategisch und zielgerichtet zu einem demenzfreundlichen Bundesland zu entwickeln, dann bitte ich darum, die unterschiedlichen Wünsche der Bürgerinnen und Bürger zu berücksichtigen und nicht nur den eigenen, doch sehr eingeschränkten Vorstellungen Rechnung zu tragen. – Danke!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ein paar Bemerkungen zu den verschiedenen Redebeiträgen machen! Herr Erlanson, Sie sagen, wir bräuchten eine gesellschaftliche Debatte. Ja, natürlich, genau das machen wir hier, das haben wir beispielsweise im Rahmen unserer Fachveranstaltung „Auf dem Weg zu einer demenenzfreundlichen Kommune“ getan, und diese Debatte muss natürlich nicht nur im politischen Raum stattfinden, sondern überall und genau dort, wo Menschen mit Demenz unter uns leben, davon sind wir nicht ausgeschlossen, aber natürlich findet sie nicht nur im politischen Raum statt.