Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

(Abg. Röwekamp [CDU]: Oder mit dir! – Heiterkeit)

Gern auch mit mir! Dies allerdings in diesen Kontext zu stellen, Herr Schäfer, ist völlig unangemessen und verfehlt den Ernst der Debatte, die wir versuchen zu führen.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Eine dritte Bemerkung zur Türkei: Ich stehe häu fig mit offenem Mund vor dem, was dort seit dem Sommer passiert. Ich gebe das offen zu. Bei man chen Meldungen ist man fassungslos. Wenn man aber in einem Antrag Kritik äußert, Frau Leonidakis, muss man sich später an den Worten messen lassen und schauen, ob man das, was man in einen Antrag schreibt, hundertprozentig belegen kann. Deshalb finde ich es klug, dass CDU, SPD und Grüne gestern für ihren Antrag diese Formulierungen gewählt ha ben. Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, dass jeder Parlamentarier

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Wenn alle verhaftet wurden, dann – –!)

Herr Dr. Buhlert, hören Sie doch einfach zu, ich habe doch Herrn Zenner gerade auch ganz entspannt zugehört! –, der im türkischen Parlament sitzt,

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen! – Abg. Röwekamp [CDU]: Verurteilen wir jetzt nach Wahrscheinlichkeit?)

der entsprechend vorgeladen wurde, wirklich keine Verbindung zu einer terroristischen Vereinigung hat.

(Zuruf Abg. Dr. Buhlert [FDP])

Deshalb ist es gut und richtig, dass wir den Antrag so formuliert haben, wie wir es in diesem Dreierbündnis getan haben. Ich wäre froh gewesen, wenn es uns möglich gewesen wäre, den Antrag einstimmig zu verabschieden, aber in diesem Fall scheitert es leider an der Linkspartei und der FDP.

(Widerspruch DIE LINKE)

Ich glaube, wir werden die Entwicklung, so, wie wir es im August und in der Sommerpause gemacht ha ben, in der Türkei sehr kritisch weiterbegleiten. Ich bin dem Bürgerschaftspräsidenten außerordentlich dankbar, dass er auf einem Empfang zum türkischen Jahrestag eine deutliche Rede gehalten hat. Das sind die Wege, die wir gehen müssen. Aber bei Urteilen, die wir fällen, müssen wir uns hundertprozentig sicher sein, dass wir hinter dem stehen, was wir zu Papier bringen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall CDU, SPD)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Müller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mein Manuskript für die Menschenrechtsdebatte, die sich auf die Todesstrafe und ihre Bekämpfung konzentrieren sollte – vielen Dank für die Initiative, Kollegin Grotheer! –, an meinem Platz gelassen, weil ich die wenigen Minuten Redezeit lieber für eine Stellungnahme zu den Entschließungsanträgen benutzen möchte.

Zuvor möchte ich Folgendes sagen: Ich bin froh, dass der Menschenrechtsantrag, um den es heute eigentlich geht – auch, um auf die Aktion in der Mittagspause auf dem Marktplatz aufmerksam zu machen und sie zu unterstützen –, von den großen Fraktionen in diesem Hause gemeinschaftlich getragen wird.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, DIE LINKE, FDP)

Angesichts der aktuellen Ereignisse in der Türkei bin ich davon ausgegangen, dass in der heutigen Debatte jeder, der zu Menschenrechten allgemein spricht, auch Worte zur Lage in der Türkei findet, wie wir es in diesem Hause schon mehrfach getan haben. Ich möchte für meine Fraktion sagen: Natürlich verur teilen wir die Inhaftierung von Abgeordneten einer Oppositionspartei des türkischen Parlaments, auch die von Journalistinnen und Journalisten.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Frau Leonidakis, ich teile nicht die Unterstellung, dass der Menschenrechtsantrag, der mit breiter Mehrheit von diesem Hause getragen wird, im Grunde sym bolischen Charakter habe und wir, wenn es darauf ankomme, unseren Willen nicht zeigen würden. Ich habe – nicht mit Verwunderung, aber doch mit Erstaunen – zur Kenntnis genommen, dass von der Fraktion der LINKEN in so kurzer Zeit ein Entschlie ßungsantrag eingebracht wurde. Ich betone das Wort Entschließung, das ja uns andere Fraktionen auffordert, darüber nachzudenken, ob wir den Antrag mittragen oder umformulieren.

Wir hatten gestern parallel zu einer vollen Tagesord nung einen Tag Zeit, uns mit Ihrem Entschließungs antrag auseinanderzusetzen.

(Zuruf DIE LINKE)

Das haben wir, Frau Leonidakis, gestern auch in aller Ernsthaftigkeit getan. In aller Ernsthaftigkeit!

Es liegt nun ein Antrag von der CDU, von den Grü nen und von der SPD – nicht in dieser Reihenfolge, aber von diesen drei Fraktionen – vor, der auch aus Sicht meiner Fraktion nicht in Gänze gelungen ist; das muss ich betonen. Es sind unterschiedliche Auf fassungen zu dem, was wir gestern verschriftlicht haben, vorhanden Es gibt in meiner Fraktion aber auch unterschiedliche Auffassungen zu dem, was Sie im ursprünglichen Entwurf Ihres Entschließungsan trages verschriftlicht haben.

Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir in diesem Hause – wir alle sind Demokratinnen und Demo kraten mit einem festen Fundament, das auf den Menschenrechten, ihrer Einhaltung und Förderung basiert – schnell zu einer gemeinsamen Haltung zur Lage in der Türkei gelangen sollten.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU)

Die gestrigen Verhandlungen, aber auch jene vor zwei oder drei Monaten zu einem Türkei-Antrag zeigen, wie schwierig die Thematik für viele Abgeordnete hier im Hause ist. Ich verstehe das auch, weil es eine klare, allumfassende Ich-habe-Recht-Haltung zur Situation in der Türkei bisher nicht gibt. Wir haben vorgestern die Debatte zur Städtepartnerschaft mit Izmir nicht führen können, sie wird aber nachgeholt.

Damit wir nicht alle vier Wochen eine Schnellschussde batte zur Lage in der Türkei führen müssen, wünsche ich mir, dass wir uns alle in nächster Zeit ernsthaft und schnell um eine gemeinsame Positionierung bemühen, die aussagt: Wie gehen wir weiter mit einem Partner um, der, das muss man so deutlich sagen, nicht mehr nach den rechtsstaatlichen Prinzipien arbeitet, die wir von einem Partner erwarten?

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU)

Ich wäre sehr froh, wenn es aus den Fraktionsvor ständen die Initiative an die Fraktionen geben würde, dass wir gemeinsam irgendwie einen Arbeitsrahmen – Arbeitsgruppen oder Untergruppen sollen wir ja nicht bilden – finden, der dafür sorgt, dass wir schnell eine gemeinsame Haltung des Hauses entwickeln können. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, CDU)

Bevor Herr Dr. Buhlert das Wort zu einer Kurzintervention erhält, teile ich Ihnen mit, dass interfraktionell vereinbart wurde, dass wir vor der Mittagspause noch Tagesordnungspunkt sechs aufrufen. – Bitte schön, Herr Dr. Buhlert!

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich gemeldet, weil Herr Eckhoff auf die Frage des Freilassens der Abgeordneten, die dort verhaftet worden sind, eingegangen ist.

Wir fordern das, denn aus unserem Verständnis eines Immunitätsrechts, wie wir es für einen demokratischen Staat für angebracht halten, folgt, dass Abgeordnete nicht einfach verhaftet werden dürfen, es sei denn, sie haben eine Straftat begangen, die eine kriminelle Handlung, abbildet, keine politische Meinungsäuße rung oder eine andere Haltung. Deshalb appellieren wir an alle, sich für ein solches Verständnis des Im munitätsrechts einzusetzen.

Wir wollen auch unser Immunitätsrecht ändern. Das sollte eine Blaupause für andere demokratische Staa ten sein. – Vielen Dank!

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Als Nächste hat das Wort Frau Staatsrätin Hiller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist ein besonderes Verdienst und Merk mal unseres Landes und unserer Zivilgesellschaft, immer wieder verlässlich und hörbar die Stimme für die Einhaltung der essenziellen Grundlagen jeder Demokratie zu erheben. Dass sich alle Fraktionen auf einen gemeinsamen Antrag zu Menschenrechten und zur Demokratie verständigen konnten, bestätigt einmal mehr den Grundkonsens der demokratischen Parteien in diesem Land.

In vielen Teilen der Welt erleben wir derzeit alar mierende Veränderungen. Kriege werden wieder vermehrt geführt, um Macht und Machtansprüche zu demonstrieren. Nationalisten entdecken in vie len europäischen und außereuropäischen Ländern einen willkommenen Nährboden für ihre Hetze, für Panikmache und die Spaltung der Gesellschaft. De

magogen nutzen die Situation, um mit Polemik und menschenverachtender Hetze Wahlen zu gewinnen. Anstatt die Todesstrafe endlich weltweit abzuschaf fen, erleben wir Versuche, sie wieder hoffähig zu machen. Grundrechte wie Pressefreiheit, freie Mei nungsäußerung und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist an der Zeit, diese negativen Entwicklungen weltweit nicht mehr als nur vereinzelte, vorübergehende Er scheinungen abzutun. Nein, man muss sie in ihrer Gesamtheit wahrnehmen. Man muss ihre Folgen abschätzen. Man muss sich ihnen stellen und ihnen etwas entgegensetzen, und zwar wirkungsvoll.

In unserer Freien Hansestadt Bremen sind dazu viele wertvolle Impulse vorhanden. Ich nenne insbesondere die Nacht der Jugend, die gestern Abend im Rathaus zum Thema Heimat Europa stattgefunden hat, aber auch die lange Tradition im Kampf gegen die Todes strafe, die Verleihung des Bremer Solidaritätspreises sowie die Kooperation mit unseren Partnerstädten, gerade auch in Ländern, in denen Menschenrechte und Freiheit nicht immer umfassend garantiert sind. All dies ist bekannt und hat sich bewährt und wird selbstverständlich fortgesetzt.

Der Senat wird ebenso die ihm zustehenden Mög lichkeiten nutzen, sich in Gesprächen mit internati onalen Partnern für die Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte sowie der internationalen Menschenrechtsabkommen einzusetzen und sich auf bundes- und europapolitischer Ebene entsprechend zu verhalten.

Aus meiner Sicht ist allerdings Weiteres notwendig! Die Einhaltung der Menschenrechte kann nur in einem Umfeld gelingen, das auf Demokratie, Trans parenz und Pressefreiheit basiert, einem Umfeld, in dem der Mensch als Mensch mit all seiner Würde wahrgenommen wird – ein bisschen Menschenrechte gibt es nicht –,

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

einem freiheitlichen und solidarischen Umfeld, in dem Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit beachtet werden. Dass dies in möglichst vielen Ländern der Welt gelingen kann, dafür setzt sich der Senat ein. Deshalb engagiert er sich, obwohl wir ein kleines Bundesland sind, häufig für globale Themen.

Wir laden am Montag zu einer großen Städtepartner schaftskonferenz ein – ich würde mich freuen, wenn viele aus dem Hause kommen –, auf der es um die UN-Nachhaltigkeitsziele geht, 17 von den Vereinten Nationen im September 2015 beschlossene soziale, wirtschaftliche Ziele und Umweltziele, denn das sind die Grundlagen für Demokratie und ein gutes, freies Leben. Zu diesen Nachhaltigkeitszielen versuchen wir mit unseren Städtepartnerschaften ins Gespräch zu kommen, um die Themen in den nächsten 15

Jahren weiterzuentwickeln. Dabei spielen selbstver ständlich Fragen zur Freiheit, zu Menschenrechten, zur Gerechtigkeit und zum Frieden eine große Rolle.

Auf der Bundesebene und der europäischen Ebene setzt sich der Senat für gerechte und menschenwür dige Lebensverhältnisse weltweit ein. Auf Initiative Bremens hat die Europäische Kommission beispiels weise angekündigt, einen europäischen Wettbewerb für eine europäische Stadt des fairen und ethischen Handelns auszurufen. Über diesen Erfolg und die Maßnahme der Kommission freuen wir uns sehr.

Im Bundesrat hat sich der Senat deutlich für eine zukünftige europäische Handels- und Investitions politik ausgesprochen, bei der Werte wie nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte, fairer und ethischer Handel sowie die Bekämpfung der Korruption stär ker in den EU-Handelsabkommen und globalen Handelssystemen verankert werden. Wann immer es Gelegenheit gibt, sich mit bremischer Stimme zu Menschenrechtsthemen zu äußern, werden wir es tun, genauso wie es von Ihnen auch in diesem Hause passiert.

Ich möchte noch kurz etwas zur Situation in der Türkei sagen. Ich zitiere unseren Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der am 4. Oktober sagte: