Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Frau Ahrens, wir kennen einander gut. Ich verstehe auch etwas von der Thematik. Auch ich sehe Probleme, ich denke, die sehen alle Fachleute. Herr Münder ist ein Mann von Gewicht. Er hat maßgeblich am SGB VIII mitgeschrieben.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Genau!)

Er hat viele Gutachten geschrieben und ist einer der wichtigsten Sachverständigen in der Republik. Aber es gibt auch andere Haltungen in dem Bereich. Es gibt auch Möglichkeiten, Dinge juristisch zu regeln. Die sieht der Senat auch.

Das Artikelgesetz, das wir heute hier vorlegen, ist praktisch die Handlungsgrundlage, damit das Bildungsressort seine Arbeit machen kann. Wir als Sozialressort möchten den Bereich jetzt auch gern abgeben. Heute Morgen haben wir gehört, was die Senatorin Stahmann nicht alles zu tun hat! Wir geben diesen Bereich gern ab und unterstützen die Kolleginnen und Kollegen im Ressort Kinder und Bildung bei der Übergabe.

Wir haben eine Senatskommission eingerichtet, die mit den zuständigen Senatorinnen und Senatoren bestückt ist, an der auch der Bürgermeister und die Staatsräte teilnehmen. Zudem gibt es Arbeitsgruppen, die das Thema eng begleiten.

Heute ist sozusagen der Aufruf des Themas, die erste Lesung. Jetzt geht es in die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. Ich glaube, man muss sich die Schnittstellen ansehen. Es werden jetzt alte Schnittstellen geschlossen, das ist positiv. Es entstehen neue Schnittstellen, man muss es im Jugendhilfeausschuss diskutieren und sehen, wie die Lösung aussieht, aber ich glaube, dass wir da sehr pragmatische und auch gute Lösungen finden werden.

Ich kann schon sagen, dass Claudia Bogedan zur zweiten Lesung hier stehen wird, damit wir es auch in der Bremischen Bürgerschaft vollziehen, dass der Bereich übergegangen ist. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Gesetz zur Neuregelung von Zuständigkeiten für die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, ALFA, Abg. Ravens [parteilos], Abg. Tassis [AfD])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen CDU, FDP)

Stimmenthaltungen?

(DIE LINKE)

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in erster Lesung.

Es ist vereinbart worden, nach der ersten Lesung den Gesetzesantrag zur Beratung und Berichterstattung an die staatliche Deputation für Kinder und Bildung und die staatliche Deputation für Soziales, Jugend und Integration zu überweisen.

Wer dieser Überweisung seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Handzeichen!

Ich stelle fest, das ist einstimmig, und die Bürgerschaft (Landtag) überweist dementsprechend.

(Einstimmig)

Patientenberatung muss unabhängig und bürgernah bleiben! Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 15. September 2015 (Drucksache 19/69)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Professor Dr. Quante-Brandt.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Kappert-Gonther.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben es möglicherweise der Presse entnommen, die Ereignisse zum Thema unabhängige Patientenberatung überschlugen sich in den letzten Tagen. Vorgestern hat die Firma Sanvartis den Zuschlag bekommen, ab dem 1. Januar 2016 die Geschäfte der UPD, der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, zu übernehmen, und gestern hat die Unabhängige Patientenberatung Bremen mitgeteilt, dass sie ihre Arbeit dann zum Jahresende niederlegen wird. Das sind schlechte Nachrichten.

Worum geht es im Kern? Stellen Sie sich vor, Sie kommen von Ihrem Arzt und sind durch eine Therapieempfehlung verunsichert, oder sie finden, dass Ihre Krankenkasse eine notwendige Behandlung nicht bezahlt, oder sie haben sogar die Befürchtung, sie könnten falsch behandelt worden sein! Wohin wenden Sie sich, was brauchen Sie in einer solchen Situation? Die meisten Menschen wünschen sich einen persönlichen Ansprechpartner, die meisten Patienten tun sich mit einem solchen Schritt sehr schwer. Sie fürchten, dass die Stelle, an die sie sich wenden, vielleicht voreingenommen gegen sie sein könnte, ohnehin aufseiten der Ärzte oder der Krankenkassen, sie keine unabhängige Meinung erhalten könnten und es deshalb sowieso vergebens sei.

Bisher war das nicht so. Bisher war diese Unabhängigkeit sichergestellt. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland und die Unabhängige Patientenberatung Bremen, die ja nicht unter dem Dach der UPD firmierte, sondern eine eigene Stelle war, leisten bis heute eine hervorragende Arbeit, unabhängig und am Wohl der Patienten und orientiert. Wir finden, so muss das auch bleiben!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Nach der Entscheidung vom Montag, nun die Aufgaben der UPD, eines unabhängigen deutschlandweiten Netzwerkes, an Sanvartis zu übertragen, haben wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner große Zweifel, ob diese Unabhängigkeit bestehen bleiben wird. Bedenken wir auch, dass Menschen in aller Regel zu ihren Ärzten ein gutes und vertrauensvolles Verhält

nis haben und sich auch von ihren Krankenkassen kompetent und zugewandt versorgt fühlen! Das ist berechtigt und gut so, und gerade in Bremen haben wir sehr gute Erfahrungen mit den ortsansässigen Krankenkassen, es ist mir auch wichtig, das an dieser Stelle zu sagen. Was ist aber, wenn es nicht klappt mit dem Vertrauensverhältnis? Gerade dann brauchen wir doch alle eine unabhängige Stelle!

Vorgestern nun haben der Spitzenverband der Krankenkassen Deutschlands und der Patientenbeauftragte der Bundesregierung entschieden, dass ab Beginn des kommenden Jahres die Trägerschaft der Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands auf das Duisburger Unternehmen Sanvartis übergehen soll. Sanvartis arbeitet – Sie alle haben das der Presse entnommen – privatwirtschaftlich und hat bisher eng mit Krankenkassen und der Pharmaindustrie zusammengearbeitet. Nun wird eine eigenständige GmbH gegründet, aber dahinter steht natürlich dieses Unternehmen Sanvartis.

Diese Entscheidung hat im Vorfeld zu ganz viel Kritik seitens der Beschäftigten der UPD, von Patientenvertretern bundesweit und auch von Mitarbeitern der hiesigen UPD in Bremen geführt. Sie waren damit nicht allein: Auch die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben sich kritisch und ablehnend geäußert, ich zitiere: „Hier soll eine etablierte, anerkannte und mitunter den Krankenkassen unbequeme Patientenberatung zu einem willfährigen Dienstleister auf der Lohnliste der Krankenkassen umfunktioniert werden.“

Sanvartis steht stark in der Kritik, aus vielfältigen Richtungen, von Patienten, Ärzten, Beschäftigten der unabhängigen Patientenberatung deutschlandweit und in Bremen, und alle befürchten das Gleiche, Verlust oder Einschränkung der Unabhängigkeit und Verlust der persönlichen Beratung vor Ort. Sanvartis äußert sich natürlich genau gegensätzlich, gestern ist ja durch die Presse gegangen, dass sie die Beratung vor Ort ausbauen wollten. Sie machen ganz hervorragende Versprechungen, dass sogar zu Hause aufgesucht werden sollte. Wenn das so sein sollte, ist das erst einmal gar nicht so verkehrt, Sanvartis sagt aber zum Beispiel auch, man würde mit den ortsansässigen Volkshochschulen kooperieren – so steht es auch in dem Konzept –, aber die Volkshochschulen wissen davon gar nichts!

Ich will ganz deutlich sagen, unser politisches Interesse ist nicht, einer Firma irgendetwas zu unterstellen, aber unser politisches Interesse ist es, für Ratsuchende ein qualitativ hochwertiges, niederschwelliges und tatsächlich von den Kostenträgern unabhängiges Beratungsangebot abzusichern.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, DIE LINKE)

Wir wollen, dass Patienten im Gesundheitssystem gestärkt werden.

Ich möchte mein Bedauern ausdrücken, dass die Unabhängige Patientenberatung Bremen ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen wird. Ich bedauere diese Entwicklung kolossal, und ich möchte an dieser Stelle danken und meinen großen Respekt für die Arbeit der UPB in den letzten Jahren äußern.

Man könnte sich fragen, wieso jetzt noch der Antrag, es ist doch alles erledigt, wir können sowieso nichts mehr tun, aber so ist es nicht! Wir müssen jetzt besonders darauf achten, wenn Sanvartis nun auch die Patientenberatung in Bremen übernimmt, dass diese Patientenberatung wirklich unabhängig und den Patienten gerecht wird. Dazu fordern wir den Senat auf, und wir fordern in unserem Antrag einen weiteren Punkt – ich komme dann gleich zum Schluss –, denn in sieben Jahren wird die Trägerschaft wieder ausgeschrieben werden: Innerhalb dieser nächsten sieben Jahre muss unserer Meinung nach Paragraf 65 b SGB V verändert werden, damit in sieben Jahren die Entscheidung über die Vergabe der Patientenberatung unabhängig von den Krankenkassen erfolgen kann. Ich bitte Sie um Zustimmung! – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dehne.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir wollen starke Rechte für Patientinnen und Patienten. Wir wollen informierte Patientinnen und Patienten, die mündig entscheiden können und zu einer sehr guten und aufgeklärten Entscheidung kommen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Deswegen ist die unabhängige Patientenberatung so wichtig, Frau Dr. Kappert-Gonther hat das bereits ausgeführt. Es geht ja nicht nur um Fragen zu Krankengeld und zu Arztrechnungen. Es geht auch um Probleme bei der Bewilligung von Leistungen von Krankenkassen. Das heißt, am Ende geht es auch um Geld, um Behandlungsfehler und viele andere Dinge. Wer sich dafür interessiert, kann dazu zum Beispiel im Tätigkeitsbericht der Unabhängigen Patientenberatung Bremen viel nachlesen. Die Beratungsleistungen sind für Ratsuchende kostenfrei. Es wird nicht unterschieden, ob jemand privat oder gesetzlich oder ob er überhaupt versichert ist.

Die Unabhängige Patientenberatung Bremen existiert schon seit Ende der Neunzigerjahre. Sie ist bislang anders und eigenständig finanziert, bisher eben nicht unter dem Dach der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland. Das hätte jetzt geändert werden sollen. Dann gab es die europaweite Ausschreibung, auch das haben wir eben schon gehört. Vorgestern bekam San

vartis den Zuschlag. Am Montag wurde das Konzept von Sanvartis vorgestellt.

Auf dem Papier liest es sich erst einmal ganz gut. Wenn man allerdings genau hinschaut, wird auch da wieder von einem Callcenter als allererstem Schritt in der Beratung ausgegangen. Das heißt, man hat irgendwo in Deutschland den Standort eines Callcenters, in dem nach diesem Konzept auch Expertinnen und Experten sitzen sollen, aber das ist eben nicht vor Ort, sondern zentral an einem Ort. Wenn jemand einen Termin möchte, muss er erst einmal über die Schwelle der Callcenters hinauskommen. Das heißt, im Callcenter bekommt er dann vielleicht, wenn ihm dort nicht mehr weitergeholfen werden kann, vor Ort einen Termin. Das ist aber etwas anderes, als wir es bislang hier hatten, dass man nämlich zu bestimmten Sprechzeiten einfach so vor Ort erscheinen kann. Das sehen wir sehr kritisch.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Sanvartis, das hat Frau Dr. Kappert-Gonther eben auch gesagt, war für Krankenkassen und Pharmaunternehmen tätig. Darum sagen Kritiker, es kann nicht angehen, dass jetzt Beschwerden über die eigene Arbeit – selbst wenn die Patientenberatung eine andere Rechtsform hat – entgegengenommen werden.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben die Sorge, dass die notwendige Neutralität und Unabhängigkeit in der Beratung nicht mehr gewährleistet werden kann. Das wird mit dem Antrag formuliert. Das formulieren viele Experten in ganz Deutschland, zum Beispiel der Gesundheitsexperte Thomas Isenberg, der das Konzept für die Unabhängige Patientenberatung Deutschland mit entwickelt hat. Er kritisiert diese Entscheidung sehr und sagt, schon jetzt zerre jeder mit seinen Interessen am Patienten. Ich zitiere weiter: „Die UPD... ist... ein Stachel im Fleisch des Gesundheitswesens“. Nun ist die Frage: Kann sie das unter den gegebenen Umständen in Zukunft überhaupt noch sein?