Protokoll der Sitzung vom 15.06.2017

Das sehe ich anders. Auch die Zahlen sprechen eine andere Sprache, denn von 2007 bis 2017 hat sich die Gesamtzahl der von Demenz betroffenen Menschen in Bremen von rund 7 000 auf circa 13 000 erhöht. Das ist in 10 Jahren eine Steigerung von ungefähr 100 Prozent. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Wenn diese Menschen aber in ein Pflegeheim einziehen, dann gehören sie stets zu den Bewohnern, die am wenigsten für sich selbst und für ihre Rechte einstehen können.

Über die Häuser, wo es gut läuft, brauchen wir hier auch gar nicht zu reden. Außer, dass ich denen, die alles Nötige für das Wohlergehen ihrer Bewohner tun, einfach Danke sagen möchte. Aber es läuft eben nicht überall gut. Es gibt zunehmend Pflegeheime, in denen Arbeitsklima und auch die Pflege- und Betreuungssituation schlecht aufgestellt sind. Zusätzlich erschwerend wirkt sich dann aus, dass Menschen mit Demenz durch ihren Bewegungsdrang und auch durch einen veränderten Schlaf-/Wachrhythmus überaus anstrengend sein können. Deshalb brauchen wir ja auch eine gut funktionierende Wohn- und Betreuungsaufsicht, die stets wach gute Pflege einfordert. Denn jeder einzelne Mensch hat absolut ein Recht auf

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Würde, Achtung, Zuwendung und angemessene Versorgung seiner grundlegenden Bedürfnisse.

(Beifall CDU)

Die Senatorin sagt, dass sie neben der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen und dem Wohn- und Betreuungsgesetz keinen weiteren Einfluss auf die Pflegelandschaft hätte. Die Zahl der Ausbildungsplätze hat sie dankenswerterweise auch stark erhöht. Aber sonst hört man von ihr und auch von der Regierungskoalition eigentlich nur, oder hauptsächlich, den Ruf nach zum Stadtteil geöffneten Einrichtungen. Doch das reicht mir nicht, dahinter steckt kaum etwas. Es klingt oftmals einfach nur gut. Von Angeboten wie einem Mittagstisch oder einem Café, die auch Menschen aus dem Stadtteil offenstehen, haben die schwächsten Pflegeheimbewohner wie Menschen mit Demenz meistens doch gar nichts. Auch Gruppen oder Einzelpersonen, die zum Singen oder anderen Nettigkeiten kommen, hat es schon immer gegeben. Begleitete gemeinsame Marktbesuche oder Ähnliches außerhalb der Einrichtung gibt es vielleicht einmal als Highlight, aber bestimmt nicht als ein Angebot mehrfach in der Woche.

Wie viel ist für Menschen mit Demenz bei einer Öffnung zum Stadtteil wirklich darin, meine Damen und Herren? Reden wir von offenen oder von geschlossenen Türen? Wo kann denn Personal spontan mitgehen, wenn ein orientierungsloser Bewohner das Haus verlassen will? In Wirklichkeit reden wir doch über Medikamente mit starken Nebenwirkungen für Nachtaktive, weil bei einer Besetzung von einem Pflegenden für 50 Bewohner keine Zeit für Extraeinsätze ist. Wir reden bereits über Transponder in der Kleidung oder in den Schuhen und schon lange über Türen, die geschickt getarnt werden, damit sie von dementen Bewohnern nicht entdeckt werden.

In den Jahren 2015 und 2016 wurden überdies zehn Fälle gemeldet, wo Menschen zu größerem Schaden kamen, weil sie ihre Einrichtung orientierungslos verlassen hatten. Vier von ihnen kamen dabei sogar ums Leben. Eine weitere Person stürzte kurz nach ihrem Einzug in ein Pflegeheim aus dem Fenster. Warum? Wie konnte das passieren? Wer fragt danach? Wo sind die, die sich darüber aufregen? Ja, es stimmt, wir brauchen in Bremen keine Debatte über die Gesamtzahl der Plätze in den Pflegeheimen, denn davon haben wir im Moment sogar mehr als wir brauchen. Aber wir brauchen eine Qualitätsdebatte, und dazu werde ich gleich noch mehr sagen. - Danke!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. KappertGonther.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist so, jeder und jede von uns kann dement werden, und das ist eine große Sorge, die viele Menschen haben. In Bremen leben zurzeit etwa 12 000 Menschen, die dement sind. Das ist also etwa einer von 50. Es kann jeder selbst beurteilen, ob das jetzt viel oder wenig ist.

Was in der Debatte immer ein bisschen zu kurz kommt, ist, dass es auch Präventionsmöglichkeiten gibt. Das bedeutet nicht, dass jeder, der präventiv tätig ist, auch garantiert nicht dement wird. Aber die Wahrscheinlichkeit, wenn Menschen sich ausreichend und gut bewegen und sich gesund ernähren, also gemüse- und getreidebetont, dass man eher nicht dement wird, die ist relativ hoch. Das ist auch etwas, das man immer wieder mit in die Debatte einbringen muss und bedenken sollte. Nämlich auch wegen der Frage, wie entwickeln wir eigentlich unsere Infrastruktur? Wie sieht es mit Bewegungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum aus? Auch das sollte eine Rolle spielen, wenn wir darüber nachdenken, wie wir in Bremen mit Menschen mit Demenz umgehen.

Jetzt lautet ja die Anfrage der CDU, macht Bremen das richtig mit den dementen Menschen? Verfolgt Bremen den richtigen Ansatz? Die Fragen der CDU richten sich allein auf den stationären Bereich. Ich finde es sehr gut, dass der Senat vor der Beantwortung dieser Fragen mit diesem doch, wie ich finde, engen Fokus auf den stationären Bereich, eine Präambel vorangestellt hat. Aus dieser Äußerung des Senats geht die generelle Haltung dieses Senats und dieser Regierung hervor, die nämlich besagt, es geht darum, das Leben im vertrauten Umfeld so lange wie möglich zu ermöglichen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Es geht bei allen Menschen, aber eben auch bei Menschen mit demenziellen Entwicklungen, um Teilhabechancen. Es geht darum, was eine Stadtgesellschaft dafür tut, dass Menschen, auch wenn sie dement werden, möglichst viel teilhaben können, möglichst viele Freiheitsgrade haben können? Es geht darum, Bremen und Bremerhaven zu demenzfreundlichen Kommunen weiterzuentwickeln. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ich genau den richtigen Ansatz.

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Es geht auch um Aufklärung, es geht darum, in der Bevölkerung mehr Wissen darüber herzustellen, wie ein Zusammenleben mit dementen Menschen möglich sind. Es geht auch um mehr gezielte Ausbildung im Bereich der Altenpflege. Es ist wichtig, dass die Curricula sowohl in der Alten- als auch in der Krankenpflege gezielt darauf eingehen: Was bedeutet es, mit Dementen umzugehen? Wie macht man es, dass man den Betroffenen Halt gibt, ohne sie zu sehr einzuengen?

Generell gilt für stationäre Bereiche aus Sicht meiner Fraktion der Grünen, dass eine Bündelung von Menschen mit demenziellen Entwicklungen in größeren Einheiten immer problematisch ist, dass es schwierig ist, auch für das Pflegepersonal ganz, ganz viele Menschen zu versorgen, die allesamt dement sind. Wir halten es für einen richtigeren Weg, da für eine gewisse Balance und eine Durchmischung zu sorgen. So funktioniert es in Bremen auch in aller Regel.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ich möchte jetzt exemplarisch auf ein paar Fragen aus der Großen Anfrage noch konkret eingehen. Das eine ist die Frage drei: Wie viele freie Plätze haben wir in Bremen für Menschen mit demenziellen Entwicklungen, und braucht man noch zusätzliche Plätze? Da ist die Antwort ganz klar, sie besagt, die Nachfrage nach diesen spezialisierten Plätzen ist im Moment geringer als die Plätze, die vorgehalten werden. Ich vermute, das liegt eben auch daran, dass ambulante Angebote deutlich besser geworden sind, dass der Weg in die demenzfreundliche Kommune langsam an Fahrt aufnimmt. Von daher braucht man im Moment kein zusätzliches Angebot. Das Angebot reicht aus, und das ist eine gute Nachricht.

Dann Frage fünf, in der geht es um etwas, wie ich finde, sehr Wichtiges. Ich freue mich, dass Sie nach der Balance zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz gefragt haben, denn jeder Mensch hat ja das Recht auf Selbstbestimmung, ob nun dement oder nicht. Darauf wird seitens des Senats sehr differenziert geantwortet. Es wird gesagt, Kontrollen sind immer wichtig, damit Menschen nicht zu sehr eingeengt werden, aber Schutzmaßnahmen sind eben im Einzelfall auch erforderlich.

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Gewalt in der Pflege ein riesiges Problem ist, das in der Debatte, nicht nur heute in dieser Debatte, sondern generell in der Gesellschaft, nach wie vor zu kurz kommt. Immer aus der Angst heraus, es könnte eine Stigmatisierung

und eine Vorverurteilung der Pflegenden geben. Meine Fraktion und ich halten es für dringend notwendig, dass man diesen ganzen Bereich der Gewaltprävention in der Pflege stärker in den Fokus nimmt.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Wir gehen davon aus, dass Gewalt fast immer ein Ausdruck von Überforderung ist. Sei es im häuslichen Bereich oder im stationären Bereich. Es ist ja nicht so, dass Menschen sich hinstellen und sagen, ich will jetzt einmal besonders ungeübt mit denen umgehen, die ich zu pflegen habe, sondern in aller Regel ist es eben eine große Überforderung, weil entweder Wissen nicht vorhanden ist, oder, und da komme ich jetzt auf den stationären Bereich, weil schlicht und ergreifend die Anzahl Personal pro Bewohnerin, pro Bewohner zu gering ist. Wir Grünen meinen, man braucht flächendeckende Personalbemessungsstandards und klare Personalmengenverordnungen, die flächendeckend gelten, auch im Pflegebereich.

(Glocke)

Sie haben schon geklingelt, Herr Präsident, dann komme ich gleich noch einmal wieder. - Danke für den Moment!

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dehne.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vieles ist schon gesagt worden, aber ich glaube, es ist gut, dass wir hier auch in aller Ausführlichkeit über das Thema Demenz sprechen.

Was mich gefreut hat, ähnlich wie die Kollegin Frau Dr. Kappert-Gonther, waren diese Vorbemerkungen in der Antwort des Senats, dass wir vor allem Aufklärung, Informationen über Demenz und einen gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandel brauchen. Ich glaube, das ist wirklich ganz zentral.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich war im vergangenen Jahr sehr begeistert von einer Ausstellung im Bremer Rathaus, die der Senat initiiert hatte, „Gesichter der Demenz“. Das war wirklich etwas, das mich sehr beeindruckt hat, was auch eine große Resonanz in der Bevölkerung hatte, wo wirklich riesige Gemälde hingen, Porträts von an Demenz erkrankten Menschen, wo man sozusagen im Gesicht lesen konnte, was das auch mit einem Menschen macht, so eine Krankheit, so eine Veränderung, die ja nicht von heute auf morgen plötzlich sprunghaft da ist, sondern eben auch

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manchmal sehr langsam voranschreitet. Ich glaube, genau das ist das Richtige, Menschen auch mit diesem Thema zu konfrontieren, weil es natürlich mit Angst besetzt ist. Was mache ich, wenn ich vielleicht einmal dement werde oder wenn es meine Eltern, Verwandte, Freunde betrifft? Darum finde ich es richtig gut, dass der Senat eine Bremer Aktionswoche ausgerufen hat, „Demenzfreundliches Land Bremen“.

Es gab eine Veranstaltung im Rathaus, die hieß „Bremen unvergesslich - wenn die Stadt zur Familie wird“. Das macht, finde ich, auch gerade die Orientierung in den Sozialraum hinein sehr deutlich, dass es eben nicht nur darum geht, dass der demente Mensch mit Familie und Freunden, die manchmal auch im Laufe des fortschreitenden Alters immer weniger werden oder vielleicht gar nicht in der eigenen Stadt leben, zu tun hat, sondern dass es der gesamten Gesellschaft bedarf, die einen solchen Menschen stützt und ihn in seiner Krankheit begleitet.

Wir haben schon gehört, es gibt viel, was Bremen tut. Es gibt unter anderem die lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz in den Stadtteilen, Frau Grönert ist auch schon auf die DIKS eingegangen, die dabei, glaube ich, eine ganz wichtige Rolle spielt. Daher glaube ich, dass zumindest ein guter Ansatz besteht und auch schon gute Aktionen gemacht wurden.

Es müssen sich natürlich auch zunehmend Einrichtungen der Altenpflege mit diesem Thema auseinandersetzen, das haben wir eben auch schon gehört. Es gibt immer mehr Bewegungsmöglichkeiten für Menschen mit Demenz, die oft auch ein gesteigertes Bedürfnis nach körperlicher Bewegung haben. Es gibt Rundläufe, es gibt geschützte Gärten, geschützte Innenhöfe, Aufenthaltsräume und Flure, die eben diesem Bedürfnis auch Rechnung tragen.

Was eben auch schon kurz angesprochen wurde, war die Novelle des Wohn- und Betreuungsgesetzes. Darin ist ja gerade diese Öffnung der Heime in den Sozialraum verankert worden, sodass eben auch mehr Transparenz und Kontrolle durch das soziale Umfeld bestehen, sodass eben nicht der Mensch in dieser Einrichtung und sozusagen abgekapselt von der Außenwelt ist, und die Außenwelt bekommt vielleicht gar nicht mit, was da passiert, sondern gerade die Öffnung in den Sozialraum, in den Stadtteil hinein, der Kontakt mit anderen Menschen, das ist doch das Wichtige und, wie ich finde, ein ganz richtiger Ansatz, den wir hier auch verfolgen.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Das Thema Gewalt war eben schon angesprochen worden, was ja immer wieder auch Thema in der Öffentlichkeit und in den Medien ist, weil es natürlich auch immer wieder Vorfälle von Gewalt in Einrichtungen gibt. Auch da setzt diese Novelle an, nämlich mit einem Paragrafen zur Gewaltprävention. Das finde ich genau richtig, dieses Thema an der Stelle so zu verankern.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wichtig ist natürlich auch die Heimaufsicht, eben weil es nicht immer überall richtig gut läuft. Wie wir der Antwort des Senats entnehmen können, gab es im letzten Jahr vier Verstöße, darunter auch verbale und körperliche Grobheit, Teilfixierung, dass also jemand dann auch einmal festgebunden wurde, und zum Teil hochgestellte Bettgitter. Die Bewohnerinnen und Bewohner solcher Einrichtungen müssen sich natürlich sicher sein können, dass es immer ein Auge auf sie gibt, gerade wenn Verwandte und Freunde vielleicht nicht zur Verfügung stehen.

Ich glaube, in dieser ganzen Debatte über Gewalt ist auch wichtig, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zwingend so handeln, weil sie eine böse Absicht haben, sondern manchmal auch, weil sie hilflos sind, weil sie fachlich unsicher sind, weil sie dann vielleicht das Gefühl haben, lieber binde ich jemanden einmal kurz irgendwo fest, damit er nicht wegläuft. Manchmal ist es eher, glaube ich, wirklich etwas, was gegebenenfalls gut gemeint, aber dann eben nicht gut gemacht wird. Darum ist es auch so wichtig, dass man mit diesem Thema sehr offen umgeht.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Die Wohn- und Betreuungsaufsicht ist künftig erste Anlaufstelle beim Verdacht auf Mängel und Beschwerden, auch bei ambulanter Pflege und im häuslichen Bereich. Auch das ist ja ein Thema, da es nicht immer nur zu Gewalt oder eben auch verbalen Auseinandersetzungen im stationären Bereich kommt, sondern durchaus auch in anderen Zusammenhängen. Darum finde ich auch diesen Punkt sehr, sehr wichtig.

Wir haben in Bremen 27 Wohngemeinschaften für ältere Menschen mit Pflegebedarf, und neun Wohngemeinschaften sind in der Stadt Bremen ausschließlich auf pflegebedürftige Menschen mit Demenz spezialisiert.

(Glocke)

Wenn ich mit Menschen spreche, wie sie sich ihre Lebenssituation und Wohnsituation im Alter vorstellen - ich komme gleich zum Schluss -,

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nehme ich schon wahr, dass ein Bedürfnis ist, eben nicht unbedingt in einer größeren Einrichtung zu leben, sondern in solch einer Wohngemeinschaft, und da finde ich es gut, dass wir hier schon ein sehr gutes Angebot haben. - Vorerst herzlichen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)