Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Buhlert, ich werde Sie nicht enttäuschen: Sie werden nicht eins zu eins das von mir hören, was Sie heute Morgen in der Pressemitteilung gelesen haben. Es muss ja interessant bleiben.
Als ich den Antrag der FDP gesehen habe, da habe ich ja erst einmal gedacht, wow, die FDP hat ihre soziale Ader entdeckt, sie tut jetzt hier einmal etwas für die Studierenden, das ist doch richtig super! Ich bin dann trotzdem ein bisschen stutzig geworden. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber wenn ich FDP und soziale Gerechtigkeit höre, dann habe ich immer so das Gefühl, dass da irgendetwas nicht zusammenpasst.
Trotzdem kann ich ja einmal sagen, was an dem Antrag gut ist: Es ist richtig, dass Sie in Ihrem Begründungstext benennen, dass Studierende,
die aus Haushalten mit Eltern kommen, die ein mittleres Einkommen haben, ganz oft durch das Raster fallen und nicht in die BAföG-Förderung kommen, obwohl sie eigentlich da hineingehören, da haben Sie recht. Sie haben auch damit recht, dass eine Klage für viele Studierende natürlich keine Option ist, weil man die Eltern nicht verklagt, auch wenn sie nicht das zahlen, was einem rechtlich zusteht. Sie sagen deswegen, man brauche ein elternunabhängiges BAföG. Ja, auch das ist richtig, aber wir sagen, man braucht ein bedarfsdeckendes elternunabhängiges BAföG, und das ist der entscheidende Unterschied!
Ich habe ja eigentlich darauf gehofft, dass Sie, wenn Sie schon so einen ganz schwammigen Antrag einbringen, vielleicht wenigstens in Ihrer Rede einmal sagen, über wie viel Geld wir denn hier sprechen. Sprechen wir über ein BAföG von 200 Euro, 300 Euro, oder meinen Sie vielleicht auch, dass das von der LINKEN vielleicht doch gut ist, und wir sprechen von 1 050 Euro? Das haben Sie ja eben schon negiert.
Ich habe mir dann die Mühe gemacht und noch einmal im Wahlprogramm der FDP nachgelesen; darin wird davon gesprochen, dass es um eine Förderung von 500 Euro geht.
(Abg. Gottschalk [SPD]: Gehen Sie sich schä- men, Herr Buhlert! - Abg. Frau Dr. Müller [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Das deckt ja kaum die Miete!)
Daran halte ich mich jetzt einmal und schaue mir an, was dieses FDP-Modell im Vergleich zum jetzigen Status quo eigentlich verändern würde.
Erster Punkt: Studierende, die aus einem reichen Haushalt kommen - -. Jetzt ist Herr Buhlert weg, das verunsichert mich!
Studierende, die aus reichen Haushalten kommen, sind auf jeden Fall erst einmal bessergestellt, denn momentan profitieren vor allem die Eltern durch die Steuerfreibeträge. Durch dieses Modell würden auch Studierende aus reicheren Haushalten profitieren, sie würden nämlich 500 Euro bekommen.
Zweiter Punkt: Studierende mit mittlerem Einkommen, was würde da passieren? Da ist jetzt ganz entscheidend, welche Höhe Sie ansetzen, Sie haben sich ja hier überhaupt nicht festgelegt. Wenn Sie da Herrn Lindner folgen und sagen, okay, 500 Euro, dann könnte es sein, dass
das für Studierende aus Haushalten mit mittlerem Einkommen eine leichte Verbesserung zum Status quo wäre, aber es kommt dann, wie gesagt, entscheidend auf die Höhe an.
Was passiert mit Studierenden, die aus ärmeren Haushalten kommen? Da wird es spannend, da benachteiligt die FDP nämlich im Vergleich zum Status quo!
Es sieht nämlich so aus, wenn man über fünf Jahre BAföG bekommt - drei Jahre für das Bachelorstudium, zwei Jahre für das Masterstudium -, dann liegt die Grenze momentan auch bei einem Höchstsatz von 735 Euro bei 10 000 Euro. Mehr muss man nicht zurückzahlen, und das ist zinsfrei, auch ein großer Unterschied! Wenn man jetzt einmal dieses Modell mit den 500 Euro von Ihnen nimmt, dann haben wir da eine Differenz von 235 Euro monatlich. Wenn man das auf fünf Jahre hochrechnet, dann kommen wir auf einen Schuldenberg von 14 100 Euro. Das sind 4 100 Euro mehr als bei dem jetzigen Satz. Wir sagen, Ihr Modell benachteiligt ärmere Studierende, und dem können wir nicht zustimmen!
Die Studierenden sind nicht dafür verantwortlich, wie viel ihre Eltern verdienen. Deswegen sagen auch wir, Studierende aus reicheren Haushalten sollten ebenfalls vom BAföG profitieren können, weil man nie genau weiß, wie die Familienverhältnisse sind, ob die Studierenden wirklich das Geld bekommen oder nicht. Wir sagen aber, das muss dann auch bedarfsgerecht sein, und wir sagen: 1 050 Euro für alle Studierende, für die reicheren, für die Mittelklasse und auch für die ärmeren Studierenden, denn nur das ist gerecht und ermöglicht ein schuldenfreies Studium, meine Damen und Herren!
Jetzt haben Sie schon gesagt, das mit den 1 050 Euro wäre irgendwie ein Wunschkonzert. Ich möchte Ihnen gern noch einmal erläutern, dass das kein Wunschkonzert ist. Gerade liegt der Höchstsatz bei 735 Euro. Darin sind 400 Euro beziehungsweise 399 Euro für den Grundbedarf, interessanterweise 10 Euro weniger als bei Hartz-IV-Empfängern. Wir müssen uns, glaube ich, nicht darüber streiten, dass dieser Grundbedarf erst einmal schon zu niedrig bemessen ist.
was kann ich denn damit machen? Davon bekomme ich eine halbe Wohnung, drei Viertel eines WG-Zimmers, aber ein ganzes WG-Zimmer oder eine ganze Einzimmerwohnung bekomme ich für 250 Euro nicht. Das heißt, auch hier muss erhöht werden.
Dann gibt es noch 86 Euro Zuschuss für die Krankenversicherung. Sagen wir 100 Euro mehr bei den Wohnkosten, denn wir brauchen 350 Euro! Sagen wir 150 Euro mehr bei den 450 Euro, dann sind wir schon bei 985 Euro, und wenn wir dann noch sagen, Studierende haben besondere Bedarfe, zum Beispiel für Druckkosten oder für Fachbücher, und legen dann noch 65 Euro darauf, dann sind wir bei 1 050 Euro! Das ist kein Wunschkonzert, sondern das ist angemessen.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über dieses Thema sprechen, sollten wir uns zunächst noch einmal vor Augen führen, welch grundlegender Gedanke hinter dem BAföG steht. Der grundlegende Gedanke besteht nicht darin, möglichst weitgehend die Unabhängigkeit vom Elternhaus zu fördern, sondern der grundlegende Gedanke ist, auch denjenigen ein Studium zu ermöglichen, denen ihr Elternhaus dazu nicht die finanziellen Möglichkeiten bietet.
Wenn man jetzt darüber nachdenkt, ob man in dieses System mehr Geld hineingibt, dann sollte man sich natürlich in erster Linie einmal anschauen, inwieweit dieses Ziel überhaupt erreicht wird. Es liegt dazu aktuell aus dem Sommer eine neue Studie des Instituts für Bildungs- und Sozialökonomie vor, das für das Deutsche Studentenwerk drei verschiedene Studien ausgewertet hat, und zwar die Sozialerhebung des Studentenwerks, die Einkommens- und Verbrauchssteuererhebung und das sozialökonomische Panel. Die Ergebnisse dieser Auswertungen führen dazu, dass der notwendige Ausgabenbedarf für Studierende deutlich oberhalb des heutigen BAföG-Höchstsatzes liegt.
Der Höchstsatz beträgt im Augenblick 735 Euro. Das, was gewissermaßen als durchschnittlicher notwendiger Anspruch festgestellt worden ist, liegt in einer Größenordnung von circa 870 bis 880 Euro. Dann wird das noch weiter differenziert, und man kann feststellen, dass
diejenigen, die älter sind, noch einen höheren Bedarf haben, wenn sie das 25. Lebensjahr überschritten haben. Wenn in Zukunft Kinder zu versorgen und zu betreuen sind, dann führt das auch zu einem höheren Bedarf. Das ist die erste Feststellung.
Ich denke, dass wir, wenn wir uns darüber Gedanken machen, was in diesem Bereich getan werden muss, in erster Linie dafür sorgen müssen, dass wirklich auskömmliche BAföG-Sätze gezahlt werden. Das ist das A und O!
Zweitens haben wir uns dann vielleicht auch dem Problem zu widmen, auf das Herr Dr. Buhlert hingewiesen hat. Vielleicht hat er nicht gerade nachdrücklich darauf hingewiesen, aber seine Worte haben mich in der Tat zu einem Nachdenken angeregt. Nach den Untersuchungen nehmen 40 bis 60 Prozent der eigentlich Berechtigten diese Möglichkeiten nicht in Anspruch, und zwar nicht, dass sie nicht studieren und sie deshalb nicht in Anspruch nehmen, sondern sie studieren, Herr Dr. Buhlert, und nehmen sie nicht in Anspruch.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es daran liegt, dass sie die Formulare nicht ausfüllen können. Ich glaube, darüber muss man sich noch einmal intensiv Gedanken machen. Dieses Problem nun heranzuziehen, um sagen zu können, es sei das Kernproblem, dass man die Formulare nicht ausfüllen könne oder die Eltern nicht bezahlen wollten, und deshalb die Einführung des elternunabhängigen BAföG für alle zu fordern, dann muss man in der Tat - wie Frau Strunge das auch angesprochen hat - einmal hinterfragen, welche Zahlen dahinterstehen.
Die Quote derjenigen, die gefördert werden, liegt gegenwärtig bei 18 Prozent. Herr Dr. Buhlert möchte sie auf 100 Prozent erhöhen. Wenn man nur die im Augenblick geltenden Sätze nehmen würde, dann müsste man den fünffachen Betrag in das System geben. Das will er natürlich nicht, sondern er möchte gleichzeitig die Sätze, so hat es Frau Strunge aus dem Parteiprogramm entnommen, auf 500 Euro senken. Der Rest soll dann zur Bank gehen. Dort ist das Ausfüllen von Formularen einfacher, und die Abhängigkeit von den Eltern tauscht man gegen die Abhängigkeit von der Bank. Bravo, das ist natürlich eine liberale Idee höchster Ordnung!
Ich bin überrascht gewesen, Herr Dr. Buhlert, dass Sie diesen Antrag so schnell und auch noch als Dringlichkeitsantrag in das Plenum eingebracht haben. Ich habe mich gefragt, ob ich irgendetwas verpasst habe, ob vielleicht in der nächste Woche irgendeine Entscheidung im Bund zum BAföG ansteht. Dann fiel mir aber ein, dass wir am Sonntag noch irgendetwas haben, das die ganze Sache dringlich gemacht hat.
Ich denke, wir müssen uns darauf konzentrieren - und das ist unsere Absicht -, dass wir im weiteren Verlauf dieser Legislaturperiode versuchen, aus der Mitte des Hauses heraus einen Antrag zur BAföG-Anhebung zu formulieren, der möglichst gemeinsam von allen getragen wird und eine Anhebung zum Gegenstand haben muss. Er wird vor allem auch eine Verbreiterung der Berechtigtenbasis mit sich bringen müssen. Wir müssen uns Gedanken machen, auf welche Weise wir die hohe Grauzone beseitigen können, in der heute kein BAföG in Anspruch genommen wird.
Wenn es um etwas Elternunabhängiges geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann habe ich einen Vorschlag: Lassen Sie uns das doch einmal für diejenigen machen, die in der Selbstverwaltung der Studenten mitarbeiten, in den AStAs! Das wäre auch ein Beitrag, um dort sozusagen Anreize in Demokratie zu geben. Ich glaube, damit tun wir etwas Gutes. - Danke schön!
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde, es ist eine hochinteressante Debatte. Ich bin sehr gespannt, welches Modell in den nächsten Wochen in irgendwelchen Sondierungsgesprächen diskutiert werden wird, denn wir haben ja diverse Modelle vorliegen.
Mir ging es wie Frau Strunge, als ich den FDPAntrag sah und das Stichwort elternunabhängig las. Ich habe gejuchzt und gedacht: Obacht, Obacht! Es ist in der Tat für Grüne keine Option, wenn die Elternabhängigkeit durch die Bankenabhängigkeit ersetzt wird.