Protokoll der Sitzung vom 29.08.2018

Dazu gehört, dass wir uns an die Seite jener stellen, die Opfer der Menschenfeinde geworden sind. Solche Signale sind umso wichtiger, weil der Ungeist der rechten Menschenfeindlichkeit schon erhebliche Resonanz in einigen Bevölkerungsgruppen gefunden hat. Wir sind in der historischen Situation, dass wir uns fragen müssen: Tun wir alles, um zu

verhindern, dass sich die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte jemals wiederholen können? Auf welcher Seite stehen wir und mit welcher Entschlossenheit?

Ein humanitäres Bleiberecht für die Opfer rechter Gewalt erscheint dabei nur als ein, vielleicht kleiner, Baustein der Abwehr. In der Situation der gegenwärtigen Bedrohung des demokratischen Staates von weit rechts ist aber die klare Haltung der Demokraten an der Seite der Opfer die einzig richtige Antwort.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Vielfach handelt es sich bei den Opfern der rassistischen Gewalt um nicht deutsche Staatsangehörige, von denen viele über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen. Asylsuchende und Geduldete sind besonders häufig Opfer rechtsmotivierter Straftaten, insbesondere wenn sie in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Es entspricht einem klaren Schema: rechte Gewalt sucht sich in aller Regel die schutzlosesten Menschengruppen als Opfer aus.

Wir wollen auch den Opfern verdeutlichen: Sie werden nicht alleingelassen. Der Staat darf keinesfalls den Eindruck erwecken, er mache dort weiter, wo die Täter aufhören und schafft die Opfer außer Landes. Wir brauchen das eindeutige Bekenntnis des Staates. Wir brauchen einen besonderen aufenthaltsrechtlichen Schutz der Opfer, wenn diese ausländische Staatsangehörige sind. Bisher gibt es keine spezielle Regelung im Aufenthaltsgesetz, die den Opfern rechter Gewalt ein Aufenthaltsrecht vermittelt.

Die Opfer brauchen aufenthaltsrechtliche Sicherheit, um die Erfahrung der rassistischen Angriffe zu verarbeiten. Zudem wird auch ermöglicht, am Strafverfahren gegen die Täter teilzunehmen. Daran haben wir alle ein großes Interesse. Rechtsradikale und rassistische Gewalt muss konsequent bekämpft werden.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Gerichtsprozesse scheitern nicht selten daran, dass Opfer und Zeugen bereits abgeschoben sind, bevor die Verfahren eröffnet werden. Das können wir uns auch zum Schutz unserer freiheitlichen Demokratie nicht leisten. Ein sicheres Aufenthaltsrecht ermöglicht den Opfern von rechten Gewaltstraftaten mehr Sicherheit. Sie können leichter den Wohnort

wechseln, um nicht mehr Gefahr zu laufen, den Tätern erneut auf der Straße oder in Wohnortnähe zu begegnen.

Besonders wichtig ist dies für Menschen mit einer Duldung oder Asylbewerbern. Ihnen ist ein Wohnortwechsel schon wegen der, in der Regel durch die Ausländerbehörde zu verhängenden, Wohnsitzauflage oft nicht beziehungsweise nur nach längerem Verfahren im Wege des behördlichen Ermessens möglich. Wir müssen den Tätern eines verdeutlichen: Mit ihren Taten erreichen sie das Gegenteil von dem, was sie wollten. Mit ihren schändlichen Taten werden sie keinen Schritt zur Erreichung ihrer demokratie- und menschenfeindlichen Ziele vorankommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, unterstützen Sie unseren Antrag, zeigen Sie gemeinsam mit uns Haltung. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind sehr froh über diese gemeinsame Initiative, die hier Rot-Grün initiiert haben, denn leider gibt es viel Anlass dafür.

Vorangegangen vor dieser Initiative sind Thüringen, Berlin und Brandenburg, deren Migrationsämter inzwischen schon angewiesen sind, alle Ermessensspielräume bei der Erteilung von Duldungen oder humanitären Aufenthaltserlaubnissen auszuschöpfen. Nun auch in Bremen, und ich wünsche, dass es noch mehr werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, denn wie wir sehen, ist die Situation sehr besorgniserregend. Sie ist eine existentielle Bedrohung für viele Menschen, sie ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, in den Schutz des Wohnraums und sie ist auch Psychoterror. Um es klar zu sagen, wir reden hier über Grundrechtseingriffe. Chemnitz führt uns gerade schmerzhaft vor Augen, dass man den Anfängen wehren muss und dass es auch irgendwann zu spät sein kann oder sehr spät ist. Dass Pogrome wie in den 90er Jahren auch wieder aufkommen können und dass sich daran nicht nur Faschisten beteiligen, sondern auch nicht organisierte Bürgerinnen und Bürger mit rechten Ansichten, die bereit sind, sich an Hetzjagden zu beteiligen. Hier ist es gut, wichtig und richtig, sich frühzeitig und entschieden entgegenzustellen, und das tun wir mit diesem Antrag.

(Beifall DIE LINKE)

Denn, wenn Faschisten und Rassisten Geflüchtete oder Menschen anderen Aussehens angreifen, dann muss der Staat die Opfer schützen. Wir stellen uns mit dem Antrag gegen Naziparolen und Taten, die folgen, und gegen die alle, die mit ihrem kruden biologistischen Gesellschaftsbild entsprechend verbannen wollen. Wir belohnen diese rassistischen Taten nicht dadurch, dass die Opfer abgeschoben werden, denn das ist genau das, was die Täterinnen und Täter wollen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wie kurz der Weg von „Ausländer-Raus“-Parolen zu Taten sein kann, sehen wir gerade in Chemnitz und auch in anderen Städten. Die Taten folgen und sie folgen auch schon die ganze Zeit. Wir haben allein in diesem Jahr bis zum Juni 627 Angriffe auf Geflüchtete und 77 Angriffe auf ihre Unterkünfte feststellen müssen. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion ist das hervorgegangen, 120 Menschen wurden bundesweit verletzt. Das bedeutet, jeden Tag werden vier Personen und ihre Unterkünfte angegriffen, sie werden in ihrer Existenz bedroht. Das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Laut Statistik des Verfassungsschutzes und das BKA wurden zum Beispiel im Jahr 2016 1 600 rechte Gewaltdelikte verübt, also Gewalttaten gegen Menschen und Objekte. Auch Bremen ist nicht frei davon, das erscheint manchmal so. Wir hatten im Juni dieses Jahres zwei solcher Straftaten, im Mai sechs, im April zwei, im März eine, im Januar gab es eine Körperverletzung, im Februar einen Landfriedensbruch. Also auch hier ist es leider durchaus für viele Menschen alltäglich. Die Dunkelziffer ist hoch, das müssen wir uns auch klar vor Augen führen. Während die Bundesregierung zum Beispiel bundesweit von 83 Todesopfern, von Opfern rassistischer Tötungen seit 1990 spricht, gehen Opferverbände von 193 rassistischen Tötungen aus. Da sieht man, dass die Zahlen in der Statistik und dem, was Opferverbände feststellen, durchaus auseinandergehen. Das hat auch einen Grund, dass die Dunkelziffer so hoch ist, denn die Betroffenen wenden sich oft nicht an die Sicherheitsorgane, weil sie dann andere Repressionen befürchten. Das ist genau das, was wir hier auch unterbinden wollen, dass wir den Opfern, den potenziellen Opfern, den zukünftigen potenziellen Opfern deutlich machen: Ihr müsst das nicht erleiden, ihr müsst das

nicht ertragen und wenn ihr es ertragen müsst, dann werden wir euch schützen, weil wir euch nicht weiteren Repressalien aussetzen. Das ist genau der richtige Ansatz und der ist auch wichtig.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wie gesagt, ich hoffe, dass noch weitere Bundesländer dieser Initiative folgen und im Bundesrat, das ist auch ein Bestandteil des Antrages, für diese Initiative stimmen, damit es weitere Bundesländer gibt, die das genauso handhaben.

Ich möchte aber auch noch einmal auf die praktische Seite kommen, nicht nur auf die Beschlussseite, sondern es gibt auch die Praxis. Ich denke, dass die Migrationsämter Bremen und Bremerhaven nach diesem Beschluss heute angewiesen werden, auch entsprechend zu verfahren. Im Antrag steht auch, dass mit der Verbesserung des Aufenthaltsstatus eine Gleichstellung des Schutzes dieser Opfer mit den Opfern von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsarbeit und Ausbeutung erfolgt. Da muss ich sagen, da gibt es tatsächlich noch ein bisschen Nachholbedarf. Wir haben im Juni hier in der Bürgerschaft abgefragt, warum die von Ausbeutung betroffenen Arbeiter abgeschoben wurden, die in Bremerhaven bei einer Razzia aufgegriffen wurden. Da hat der Senat geantwortet, sie waren ausreisepflichtig und deswegen wurde die Abschiebung vollzogen. Das ist keine zufriedenstellende Antwort, denn auch die Opfer von Ausbeutung müssen vor einem Richter aussagen können, sie werden aber abgeschoben, bevor überhaupt ein Prozess eröffnet ist. Also auch an anderer Stelle bitte ich die Praxis noch einmal anzupassen, das Gleiche gilt für Opfer von Zwangsprostitution, wo im Gleichstellungsausschuss in einer Anhörung von einem Vertreter des Justizressorts gesagt wurde, dass viele Opfer vor der richterlichen Anhörung abgeschoben werden.

(Glocke)

Ich hoffe, dass hier eine grundlegende Verbesserung der rechtlichen Lage, aber auch der Praxis stattfindet. – Danke schön!

(Befall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her

ren! Der vorliegende Antrag von Rot-Rot-Grün offenbart eine sehr einseitige Betrachtung der tatsächlich vorhandenen Probleme.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Ganz offensichtlich ist das dem ideologischen Weltbild von Rot-Rot-Grün geschuldet. Sie benutzen in Ihrem Antrag die Daten vom BKA falsch, indem Sie erstens alle Delikte von Sachbeschädigungen über Propagandadelikte bis hin zu tätlichen Angriffen nicht differenzieren, sie sprechen von Gewalttaten. Ein Propagandadelikt ist weder strafrechtlich noch kriminologisch ein Gewaltdelikt.

Zweitens unterlassen Sie es, darauf hinzuweisen, dass das Bundeskriminalamt bei zwei Drittel der ermittelten Tatverdächtigen keinen Kontakt zum Rechtsextremismus feststellen konnte. Laut BKA sind diese Tatverdächtigen nämlich nicht nur sogenannte alteingesessene Rechte, sondern auch viele, die bisher nicht als politisch motivierte Straftäter aufgefallen beziehungsweise bisher polizeilich in Erscheinung getreten sind. Das macht es nicht besser, meine Damen und Herren, aber für eine objektive Betrachtung und Analyse – Sie können sich gleich noch einmal zu Wort melden, ich möchte hier diese fünf Minuten nutzen. –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leonidakis?

Nein, das möchte ich gegenwärtig nicht, Sie können sich gleich noch einmal zu Wort melden. Das macht es nicht besser, aber für eine objektive Betrachtung der Analyse und Analyse der Probleme ist das Wissen zwingend erforderlich. Darüber hinaus, sollten nach Ansicht der CDU-Fraktion im Zusammenhang mit diesen Straftaten gegen Flüchtlinge neben den Opfern rechtsextremistischer Straftaten auch die vielen anderen, teilweise sehr schwerwiegenden Straftaten, wie Vergewaltigungen, Zwangsprostitution, Raub, schwere und gefährliche Körperverletzung gegen Minderjährige, Frauen und Männer auf den Flüchtlingsrouten, aber auch nach Ankunft in den europäischen Ländern, thematisiert werden. Sie haben es kurz angedeutet.

(Beifall CDU)

Wenn in Deutschland Mädchen und Frauen ohne dauerhafte Aufenthaltserlaubnis gewaltsam gezwungen werden, für Männer in Bordellen oder sonstigen Absteigen zur Verfügung zu stehen und die Strafverfolgungsbehörden davon überhaupt

keine Kenntnisse haben, dann sollten wir in den Flüchtlingsunterkünften darauf achten, was dort passiert. Wir sollten sehr viel genauer hinschauen, ob dort nicht auch weitere Vergewaltigungen unter Flüchtlingen stattfinden, die in der Regel nicht angezeigt werden, weil natürlich dort diese geschädigten Frauen kaum eine Möglichkeit haben, sich an die Polizei oder Strafverfolgungsbehörden zu wenden. Die Beweisführung ist in solchen Fällen, es gibt viele Beispiele dafür, in der Regel völlig unmöglich. Damit bleiben diese Taten ohne Konsequenz. Diese Erkenntnisse können Sie in allen oder in ganz vielen Dunkelfeldforschungen nachlesen.

Wenn wir das unterstellen, müssen wir erkennen, dass das Problem sehr viel umfangreicher ist, als im vorliegenden Antrag von Rot-Rot-Grün darstellt wird.

(Beifall CDU)

Deshalb gibt es aus Sicht der CDU-Fraktion, völlig zu Recht, viele therapeutische und psychosoziale Maßnahmen, um diesen Opfern hier in Deutschland zu helfen. Dabei arbeitet die Polizei mit den Ausländerbehörden eng zusammen, um traumatisierten Opfern zu helfen und ein humanitäres Bleiberecht zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren von Rot-Rot-Grün, Sie fordern mit Ihrem einseitigen und ich sage hier deutlich auch populistischen Antrag ein humanitäres Bleiberecht nur für Opfer rechtsextremistischer und rassistischer Gewalt.

(Abgeordneter Senkal [SPD]: Dann kommt ein neuer von Ihnen!)

Natürlich, hören Sie doch erst einmal zu, natürlich müssen auch diese Opfer angemessen behandelt werden, keine Frage. Aber damit schaffen Sie Opfer erster und zweiter Klasse und das, lehnen wir von der CDU-Fraktion eindeutig ab.

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Nach dem Aufenthaltsgesetz und der Genfer Flüchtlingskonvention, die sollten Ihnen allen bekannt sein, ist schon mit den bestehenden Gesetzen ein Bleiberecht möglich und wird auch in Deutschland und in Bremen umfangreich praktiziert. Zu Recht! Gemäß § 60a Aufenthaltsgesetz kann nämlich die oberste Landesbehörde – ein Vertreter der obersten Landesbehörde sitzt hier – aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen eine Abschiebung aussetzen und eine Duldung

aussprechen. Dies wird in Bremen auch praktiziert. Für die CDU-Fraktion ergibt es damit keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Wir lehnen deshalb den einseitigen Antrag von Rot-Rot-Grün ab. – Vielen Dank!

(Beifall CDU, FDP, BIW)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir reden über einen Antrag, der überschrieben ist mit: Humanitäres Bleiberecht. Humanitäres Bleiberecht für Personen, die Opfer oder Zeugen von rechtsextremistischen oder rassistischen Gewalttaten geworden sind.