Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

Berichterstatterin ist Frau Beer. Frau Beer, erstatten Sie uns Bericht?

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das brauchen wir nicht!)

Es geht ohne Berichterstattung.Meine Damen und Herren, dann kommen wir gleich zur Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Hofmann zu Wort gemeldet. Bitte, Frau Hofmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das 1992 in Kraft getretene Betreuungsrecht wurde zu Recht als eine Jahrhundertreform bezeichnet. Ziel des Gesetzes war die Stärkung der Selbstbestimmung der Betroffenen.

Jedoch lagen dem Gesetz und der damit verbundenen Konzeption einige Mängel zugrunde. Ich möchte sie in einigen wenigen Punkten darstellen.

Erstens.Seit dem In-Kraft-Treten sind die Betreuungsfallzahlen stetig gestiegen.Vor dem 1. Januar 1992 bestanden bundesweit ca. 250.000 Erwachsenenvormundschaften und -pflegschaften. Trotz dieses Gesetzes bestanden am 31.12.2002 bundesweit mehr als 1 Million Betreuungen für die Bürger. Diese Steigerung ist weder mit der demographischen Entwicklung noch mit dem Zerbrechen familiärer Strukturen zu erklären, sondern vielmehr in den Umsetzungsdefiziten des Betreuungsgesetzes selbst zu sehen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Das Abrechnungsverfahren der Betreuer und dessen Kontrolle sind zu bürokratisch geregelt. Die Berufsbetreuer müssen heute sehr minutiöse Übersichten über ihre Tätigkeit erstellen, die wiederum von den Gerichten überprüft werden. Sie ermöglichen aber nicht eine an Qualität bzw. an Qualitätssteigerung ausgerichtete effiziente Einzelfallkontrolle.Ich finde,hier werden unnötig Ressourcen verschwendet, die den betroffenen Menschen viel besser zugute kommen könnten.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Die Kosten im Betreuungsrecht sind seit InKraft-Treten des Betreuungsgesetzes explodiert. Ich möchte hier die Zahlen für Hessen nennen: 1996 lagen sie noch bei 7,7 Millionen c, im Jahr 2002 bei 29 Millionen c.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass viele sozialarbeiterische Tätigkeiten in die rechtliche Betreuung mit hineingerechnet werden – allerdings ohne dass dies zulässig ist.

Aus den genannten Gründen begrüßen wir als SPD-Fraktion ausdrücklich das zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz, das derzeit auf Bundesebene parlamentarisch beraten wird. Allerdings teilen wir nicht die von den GRÜNEN im Rechtsausschuss vorgetragene Bedenken.

Zu den maßgeblichen Verbesserungen des Gesetzentwurfs zählen aus unserer Sicht die Stärkung des Rechtsinstituts der Vorsorgevollmacht, das Vorhaben des Gesetzentwurfs,ein gesetzliches Vertretungsrechts für Ehegatten zu implementieren,

(Nicola Beer (FDP): Oje, dann sollte man besser nicht mehr heiraten!)

und die Pauschalierung der Vergütung von Berufsbetreuern. Gerade mit der gesetzlichen Vertretungsmacht, die dieses Gesetz vorsieht, können – wie ich finde – viele Familien vor dem vormundschaftlichen Verfahren, das die Familien dann überzieht, bewahrt werden.

Außerdem ist es so, dass bis zum Nachweis einer ärztlich diagnostizierten schweren Erkrankung oder Behinderung nur der Ehegatte bestimmte Rechte hat – wie z. B. die Abgabe einer gemeinsamen Steuererklärung oder das Recht auf die Entgegennahme von bewilligten Leistungen, beispielsweise aus der Kranken- oder der Rentenversicherung. Der Zugriff auf das gemeinsame Girokonto ist auf einen Betrag von monatlich 3.000 c begrenzt.Diese Höhe wurde im Rechtsausschuss von den GRÜNEN kritisiert, aber es entspricht eben den Erfahrungen aus dem Vormundschaftsrecht, die sich bewährt haben. Außerdem ist der Ehegatte nicht berechtigt, einen negativen Saldo des Kontos herbeizuführen.

(Nicola Beer (FDP): Das ist Klasse!)

Ich gebe zu, dass es bestimmt familiäre Beziehungen gibt, bei denen es besser ist, wenn ein Außenstehender als Betreuer bestellt wird.Aber wir haben ein Netz der sozialen Kontrolle durch Familienangehörige und Nachbarn; außerdem besteht die Verpflichtung des Vormundschaftsgerichts, Hinweisen auf mögliche Missstände nachzugehen.

Im Übrigen stehen bestimmte Rechtsgeschäfte – z. B. der Abschluss eines Heimvertrages – weiter unter dem Genehmigungsvorbehalt des Vormundschaftsgerichts.

Als weiteren Punkt möchte ich die im Gesetz vorgesehene Pauschalierung der Berufsbetreuer ausdrücklich be

grüßen. Denn die vorgesehene Pauschalierung dient gerade dazu,staatliche Mittel effektiv einzusetzen und Missbräuche zu verhindern.

Die vorgesehenen Pauschalen sind aufgrund einer Mischkalkulation entstanden, die eine repräsentative Untersuchung des Bundesjustizministeriums ergeben hat. Ich denke, dass mit diesen angesetzten Zahlen die Betreuungstätigkeit auch in Zukunft auskömmlich sein wird.Die Schaffung von Ausnahmetatbeständen, wie sie die GRÜNEN vorgeschlagen haben, würde gerade den Vereinfachungseffekt von Pauschalierung konterkarieren.

Wenn Sie sich im Übrigen einmal mit den Kritikern unterhalten, was ich getan habe, dann wenden die sich nicht gegen das pauschalierte System, sondern fordern nur einen höheren Differenzierungsgrad und ein Mehr an Stunden, das mit eingerechnet wird. Diesen beiden Aspekten wird im parlamentarischen Verfahren noch Rechnung getragen werden.

Frau Hofmann, die Redezeit ist abgelaufen. Bitte zum Schluss kommen.

Dann habe ich das genau abgepasst. Ich komme zu meinem Schlusssatz.

Als SPD-Fraktion begrüßen wir ausdrücklich das zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz und werden uns den Bedenken, die die GRÜNEN vorgetragen haben, nicht anschließen. Wir werden uns dementsprechend bei dem Antrag der GRÜNEN enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke Frau Hofmann. – Ich darf Herrn Dr. Jürgens für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteilen. Herr Dr. Jürgens, ich bin nach der Reihenfolge der Wortmeldungen vorgegangen. Ich bitte um Entschuldigung.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Betreuungsrecht, 1992 in Kraft getreten, hat sich insgesamt bewährt. Darüber waren wir uns im Ausschuss alle einig. Die Betreuung behinderter, psychisch kranker und älterer Menschen konnte dadurch gegenüber dem vorher geltenden Vormundschaftsrecht deutlich verbessert werden. Ebenfalls unstreitig ist die Entwicklung der Betreuungskosten. Die steigen jährlich nach wie vor um ungefähr 10 %, wobei man schon sagen muss, dass eine Verbesserung in den Betreuungsbereichen von vornherein ohne zusätzliche Kosten nicht zu erwarten war. Aber immerhin, dass der Gesetzgeber gefordert ist und einschreiten muss, ist ebenfalls unstrittig.

Allerdings möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ein Teil dieser Kostensteigerung durchaus hausgemacht ist.Wer, wie die Landesregierung, den Betreuungsvereinen die Zuschüsse streicht, ihnen damit die Möglichkeit nimmt, ehrenamtliche und damit sozusagen preiswertere Betreuer entsprechend zu unterstützen, ist dafür verantwortlich, dass andererseits teurere Berufsbetreuer be

stellt werden müssen. Das ist davon die zwangsläufige Folge. Das heißt, ein Teil der Kosten ist hausgemacht. Wenn der Justizminister in einer Presseerklärung vom 16. Januar dieses Jahres die besondere Bedeutung der Betreuungsvereine hervorhebt, denen er gerade die Zuschüsse gestrichen hat, dann ist das ein besonderer Grad an Zynismus, der hier spricht.

Ich habe wegen der Kürze der Zeit nur die Möglichkeit, auf zwei Punkte einzugehen, die aus unserer Sicht an dem Gesetzentwurf für das zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz besonders problematisch sind. Man könnte noch eine Reihe von anderen nennen, aber diese sind es besonders. Das eine ist die vorgesehene gesetzliche Vertretungsmacht. Frau Hofmann, ich bin schon etwas verwundert, dass die SPD-Fraktion ein so unterentwickeltes Problembewusstsein hat.

(Beifall des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der FDP)

Es ist vorgesehen, wenn ein Ehegatte betreuungsbedürftig wird, dann kann der andere ihn in weitem Umfang vertreten, wenn er nur ein ärztliches Attest vorlegt, aus dem sich die mangelnde Handlungsfähigkeit des anderen ergibt. Man muss sich darüber im Klaren sein, wenn man dieses anfängt, dass damit die Ehe insgesamt völlig neu konstruiert wird. Ich darf daran erinnern, seit dem Ende des patriarchalischen Ehebildes, wo der Ehemann selbstverständlich seine Ehefrau vertreten konnte,haben wir eigentlich immer übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass jeder Ehegatte mit der Heirat nicht seine Eigenständigkeit aufgibt, sondern selbstständig für sich selbst handeln kann,wenn man einmal von der gesetzlichen Vertretungsmacht für die gemeinsame Lebensführung absieht; für den gemeinsamen Haushalt ist es vernünftig, aber ansonsten immer nur mit Zustimmung des anderen Ehegatten.

Wenn jetzt eine sehr weit gehende gesetzliche Vertretungsmacht für den Fall der Krankheit und Behinderung eingeführt wird, dann bedeutet das, wir fallen nicht nur hinter das jetzige Betreuungsrecht zurück, sondern auch noch weiter hinter die Regelung im alten BGB der vorletzten Jahrhundertwende. Bisher war immer völlig klar, dass die Bestellung eines gesetzlichen Vertreters einen weit gehenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person bedeutet, die einen Vertreter bekommt, der für sie z. B. in Operationen einwilligen kann. Es sind keine Kleinigkeiten, die da vorgesehen sind.

Es war immer klar, dass nur in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren Derartiges geregelt und durchgesetzt werden kann. Mit diesem Gesetzentwurf soll allein mit der Vorlage eines ärztlichen Attestes aus eigener Machtvollkommenheit der eine Ehegatte für den anderen handeln können. Das ist eine grundsätzliche Änderung des Rechts der Ehe. Darüber muss man sich im Klaren sein: Nur 10 % der Betreuten haben einen Ehegatten, sodass wir in etwa 5 % der Betreuungsfälle eine Einsparung zu erwarten haben.Aber wir ändern 100 % aller Ehen,um mal eben einen gewissen Einspareffekt zu haben.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Man kann wollen, dass man die Rechte und Pflichten in der Ehe neu regelt. Es mag ja gute Gründe dafür geben. Aber dann muss man einen breiten gesellschaftlichen Diskurs darüber führen und kann dies nicht eben so bei einem Sparprogramm in Sachen Betreuungsrecht mit erledigen. Das halte ich für völlig unangemessen.

Den zweiten Punkt hat Frau Hofmann angesprochen. Er ist in der Diskussion immer wieder als neuralgischer Punkt angesprochen worden: die Pauschalierung der Betreuervergütung. Natürlich ist Pauschalieren geeignet, zu Einsparungen zu kommen, allein schon, weil die Betreuer nicht minutengenau alles aufschreiben müssen, die Rechtspfleger nicht alles nachprüfen müssen, die Streitigkeiten darüber weniger werden, und, und, und – ein unglaublich großes Einsparpotenzial. Deswegen bin ich mit der Pauschalierung an sich als Konzept durchaus einverstanden.

Wenn man es sich genauer anschaut, geht die Pauschalierung, die vorgesehen ist, von einem gewissen Leitbild der betreuten Personen aus, und zwar von dem alten Menschen, der betreuungsbedürftig wird, einen Berufsbetreuer bekommt, das heißt also jemandem, der in erheblichem Umfang Betreuungsbedarf hat, einen Berufsbetreuer bekommt, der erst einmal einen relativ hohen Aufwand hat, sich einzuarbeiten, Unterlagen zu sichten usw. Der Betreuerbedarf sinkt über die Zeit, um schlussendlich nach einiger Zeit auf relativ niedrigem Niveau zu bleiben. Das ist das Leitbild, das im Grunde genommen für viele der Fälle zutrifft. Deswegen ist die Pauschalierung da nicht zu beanstanden. Wir wissen aber, dass es eine Reihe von geistig behinderten und psychisch kranken Menschen gibt, wo dieses Leitbild schlicht und ergreifend aufgrund der Erkrankung, aufgrund der psychischen Behinderung nicht stimmt.

Herr Dr. Jürgens, die fünf Minuten Redezeit sind um. Bitte zum Schluss kommen.

Es ist unzutreffend, dass die Pauschalierung sozusagen das Leitbild richtig wiedergibt. Der Aufwand nimmt mit der Betreuung teilweise sogar zu. Deswegen haben wir vorgeschlagen, eine Möglichkeit zu finden, eine abweichende Pauschale festzusetzen. Wir wollen nicht das alte Individualisierungsprinzip wieder einführen, sondern wir wollen, dass hier z. B. durch eine Verordnung, in der festgelegt wird, bei welchen Erkrankungen andere Pauschalen greifen, eine verträgliche Regelung eingeführt wird. Auch hier sollten wir nicht etwas pauschalieren, was an sich nach einer individuellen Hilfe verlangt. Der Rechtsausschuss hat leider mit seiner Beschlussempfehlung unseren Bedenken nicht Rechnung getragen, sodass wir in diesen Punkten nicht zustimmen können. Wir bleiben bei unseren Bedenken und werden sie auch weiterhin verfolgen. – Schönen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nicola Beer (FDP))

Vielen Dank. – Ich darf Herrn Rhein für die CDU-Fraktion das Wort erteilen.

(Frank Gotthardt (CDU): Ein bisschen sachlich, wenn es geht!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

ist insoweit voll zuzustimmen, als die Einführung des Betreuungsrechts im Jahre 1992 eine der vielen guten und notwendigen Reformen der Regierung unter Helmut Kohl war.

(Beifall bei der CDU)

Wenn ich das an dieser Stelle sagen darf: Ich weiß, wenn ich Ihre 14 % für Gerhard Schröder sehe, dass sich viele Menschen diese Regierung zurückwünschen. – Aber zur Sache.

Seit zehn Jahren haben wir dieses Betreuungsrecht. Die Realitäten haben sich erheblich verändert. Deswegen muss dieses Betreuungsrecht grundlegend überarbeitet werden. Wir müssen die Rechtslage, die wir haben, auf diese realen Änderungen einstellen. Frau Kollegin Hofmann hat vorgetragen, wie rasant sich die Zahlen verändert haben. Wir hatten damals noch 250.000 Erwachsenenvormundschaften. Wir haben heute 1 Million Betreuungsfälle mit einer Explosion der Ausgaben von 7,7 Millionen auf 29 Millionen c im Jahre 2002. Das zeigt, wie dringend der Handlungsbedarf ist. Deswegen halten wir es als CDU-Fraktion für sehr begrüßenswert, dass sich die Landesjustizminister über Parteigrenzen hinweg auf einen Gesetzentwurf geeinigt haben. Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf ausdrücklich, weil das neue Gesetz dazu führen wird, dass das Selbstbestimmungsrecht gestärkt werden wird,