Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

Seit zehn Jahren haben wir dieses Betreuungsrecht. Die Realitäten haben sich erheblich verändert. Deswegen muss dieses Betreuungsrecht grundlegend überarbeitet werden. Wir müssen die Rechtslage, die wir haben, auf diese realen Änderungen einstellen. Frau Kollegin Hofmann hat vorgetragen, wie rasant sich die Zahlen verändert haben. Wir hatten damals noch 250.000 Erwachsenenvormundschaften. Wir haben heute 1 Million Betreuungsfälle mit einer Explosion der Ausgaben von 7,7 Millionen auf 29 Millionen c im Jahre 2002. Das zeigt, wie dringend der Handlungsbedarf ist. Deswegen halten wir es als CDU-Fraktion für sehr begrüßenswert, dass sich die Landesjustizminister über Parteigrenzen hinweg auf einen Gesetzentwurf geeinigt haben. Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf ausdrücklich, weil das neue Gesetz dazu führen wird, dass das Selbstbestimmungsrecht gestärkt werden wird,

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

dass Bürokratie abgebaut werden wird, dass Kosten für den Staat und insbesondere für die Betroffenen und deren Familien ganz erheblich gesenkt werden können. Der von den Justizministern verabschiedete Gesetzentwurf behält gerade die Konzeption des Betreuungsrechts vollumfänglich bei.

(Nicola Beer (FDP): Na!)

Insbesondere werden der Erforderlichkeitsgrundsatz, die persönliche Betreuung und der Vorrang des Wunsches und des Willens der Betroffenen beibehalten. Deswegen sagen wir Ja zu diesem Gesetzentwurf. Die Stärkung des Instrumentes der Vorsorgevollmachten – das ist einer der umstrittenen Punkte – ist in unseren Augen genau der richtige Weg, weil die gerichtliche Anordnung der Vertretung vermieden wird, weil die Kosten für die Betreuungsverfahren und die entsprechende Bürokratie reduziert werden und weil die Beachtung der eigenen Wünsche der Betroffenen sichergestellt werden kann.Wir halten die im Gesetzentwurf vorgesehene gesetzliche Vertretungsbefugnis insbesondere für Verwandte in gerader Linie für folgerichtig.

(Beifall des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Es ist doch in der Realität so – Frau Kollegin Beer, das werden Sie aus Ihrer anwaltlicher Tätigkeit selbst wissen –, dass viele Familien oft erheblich entsetzt sind, wie kompliziert, wie schwierig und bürokratisch es ist, nahe Angehörige zu Betreuern zu bestellen. Deswegen sagen wir an diesem Punkt ein ganz deutliches Ja.

Herr Dr. Jürgens, ich stimme aber Ihrer grünen Justizministerin Lütkes zu, wenn sie sagt: Missbrauchsgefahren müssen im Auge behalten werden. – Das ist überhaupt keine Frage. Nur sind die Gefahren nicht größer als nach bisherigem Recht. Das ist Tatsache.

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Zudem haben wir erhebliche Sicherungen gegen den Missbrauch, bis hin zu einer jederzeitigen Widerspruchsmöglichkeit.Wenn Sie sagen, das betreffe nur 10 %: Herr Dr. Jürgens, schon diese 10 % wären eine Entlastung, die wünschenswert wäre, die erleichternd wirken würde und die ein großer Fortschritt wäre. Ihren Vorwurf eines erheblichen Grundrechtseingriffes kann ich in gar keiner Weise nachvollziehen.

Die Frage, die Sie zur Pauschalierung gestellt haben, ist interessant. Man kann gut darüber diskutieren. Ich verstehe auch, was Sie vorschlagen. Es ist aber so: Die Pauschalen sind eine natürliche Konsequenz aus der Tatsache, dass drei Viertel der Akten mit Abrechnungsfragen gefüllt sind. Die Höhe der Pauschalen ist in rechtstatsächlichen Untersuchungen festgestellt worden. Sie erfassen überdurchschnittliche Fälle, sie erfassen aber auch unterdurchschnittliche Fälle. Ich halte dieses System im Übrigen für äußerst gerecht.

(Wortmeldung des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Dr. Jürgens, bei fünf Minuten ist es ein bisschen schwierig. – Es besteht auch für die Ausnahme, die Sie fordern – eine kluge Ausnahme, das muss man Ihnen zugestehen –, kein Raum, weil sie dann nach oben und nach unten gelten müsste. Das macht das Problem aus. Dann ergibt sich wieder eine erhebliche Streitanfälligkeit, und das Verfahren würde wieder bürokratischer. Obwohl wir Verständnis für Ihren Vorschlag haben, sagen wir: Das ist nicht machbar.

In Punkt 9 Ihres Antrages fordern Sie die Landesregierung auf, für eine angemessene Ausstattung der Betreuungsvereine und der Betreuungsbehörden zu sorgen. – Das ist bereits Realität. Im Jahre 2003 haben die Vereine insgesamt rund 740.000 c erhalten. Sie werden im Rahmen der „Operation sichere Zukunft“

(Nicola Beer (FDP):Noch mehr abgenommen kriegen!)

eine 10-prozentige Kürzung erfahren. Die Fortführung der Querschnittsaufgaben ist jedenfalls vollumfänglich gesichert. Es besteht dort überhaupt kein Anlass zur Sorge.

Herr Rhein, Ihre fünf Minuten sind abgelaufen.

Herr Präsident, mein letzter Satz kommt umgehend. – In der Frage der Betreuungsbehörden, die Sie auch angesprochen haben, müssen Sie den Diskurs mit den Kommunen führen. Das ist eine rein kommunale Angelegenheit, da es kommunale Behörden sind. Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie der Beschlussempfehlung zu. Ich glaube, es wäre ein guter Weg. – Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Rhein. – Wir setzen die Aussprache mit Frau Beer für die FDP-Fraktion fort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass in diesem Hause Einigkeit darüber herrscht, dass sich die Reform des Betreuungsrechtes von 1992 grundsätzlich bewährt hat. Es ist auch richtig, wenn hier festgestellt wurde, dass sich seitdem die Kosten für diesen Bereich erheblich erhöht haben, gerade auch für das Land, da in 80 % der vorliegenden Fälle die Betreuten mittellos sind, sodass die Kosten der Verfahren zulasten der Staatskasse gehen.

Herr Kollege Rhein, es ist richtig, dass Sie auf den großen Bürokratieaufwand und die damit verbundenen anhängigen Gerichtsverfahren zu Fragen der Abrechnung hingewiesen haben. Von daher war es im Ausschuss auch einhellige Meinung, dass eine moderatere Reform des Betreuungsrechtes sinnvoll ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss für meine Fraktion aber darauf hinweisen, dass für uns der wichtigste Punkt bei einer entsprechenden Reform des Betreuungsrechtes ist, dass das Ziel, das auch der Änderung 1992 zugrunde lag, beibehalten wird, nämlich dass die Selbstbestimmung der Betreuten weiterhin im Mittelpunkt steht. Bei der Änderung ging es damals darum – es muss auch bei den heutigen Änderungen darum gehen –, Hilfestellung bei Defiziten zu geben, aber weiter die Führung eines mündigen Lebens zu ermöglichen und zu flankieren.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb unterstützen wir als FDP-Fraktion auch die Stärkung der Vorsorgevollmacht.Wer sich rechtzeitig Gedanken darüber macht, wie er im Fall der Fälle leben will, wo er leben will und vor allem auch, Herr Kollege Rhein, welche Vertrauensperson er als Bevollmächtigten einsetzen will, der vermeidet in sinnvoller Weise Betreuungsfälle. Deshalb ist es wichtig, hier eine stärkere Information über die Möglichkeit der Vorsorgevollmacht zu publizieren. Es ist auch sinnvoll, hier eine zentrale Registrierung vorzusehen, damit Vorsorgevollmachten nicht verloren gehen.Allerdings lehnen wir es unter dem Ansatz „mündiges Leben und Hilfestellungen“ ab, dass diese Selbstbestimmung weiter eingeschränkt wird, nämlich durch die vorgesehene gesetzliche Vertretungsmacht, die durch dieses Gesetz für Ehegatten und Lebenspartner eingeführt werden soll.

(Beifall bei der FDP)

Diese gesetzliche Vertretungsmacht ist ein tiefer Eingriff in die Rechte jedes Einzelnen von uns. Herr Kollege Dr. Jürgens hat schon darauf hingewiesen: Nur 10 % der Betreuten sind überhaupt verheiratet.Aber es ist ein Eingriff in die Rechte von 100 % der deutschen Bevölkerung, den wir ablehnen.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Kordula Schulz- Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Auch wenn Sie, Herr Kollege Rhein und Frau Kollegin Hofmann, darauf hingewiesen haben, welche Vereinfachungen damit verbunden wären, muss ich Ihnen noch einmal vor Augen führen, dass auch bei der Vorlage eines ärztlichen Attests über den Gesundheitszustand des Betroffenen überhaupt nichts darüber ausgesagt wird, ob die familiäre Situation vor Eintritt des Betreuungsfalles so war, dass davon ausgegangen werden kann, dass der Lebenspartner oder der Ehegatte als Vertrauensperson eingesetzt werden sollte.

Herr Kollege Rhein, Sie haben meine anwaltliche Tätigkeit und meine dortigen Erfahrungen angesprochen. Ge

rade die Erfahrungen im rechtsanwaltlichen Bereich zeigen nämlich, dass in dieser Situation oft familiäre Auseinandersetzungen aufkommen, insbesondere dann, wenn Vermögen vorhanden ist, und dass dann die Angehörigen überfordert sind und professionelle Hilfe benötigen.

Darüber hinaus muss man darauf hinweisen, dass es für jeden Einzelnen von uns keine wirklich praktikable Möglichkeit gibt, seinen Willen deutlich zu machen, die gesetzliche Vertretungsmacht durch entsprechende schriftliche Äußerung außer Kraft zu setzen, da selbst dann, wenn er diese entgegenstehenden Vollmachten erteilt, diese im Betreuungsfall oft nicht an den notwendigen Stellen vorliegen und – dann allerdings im Rahmen eines Rechtsverstoßes – solche Vollmachten häufig von interessierten Angehörigen unterdrückt werden.

Unserer Meinung nach sollte es deshalb dabei bleiben, dass gemeinsam mit den Angehörigen der mutmaßliche Wille des Betroffenen ermittelt wird und für diesen nach bestem Wissen und Gewissen die Angelegenheiten unter Einbeziehung des Gerichts geregelt werden.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ferner muss unserer Meinung nach auch bei dem System der Vergütung der Betreuer nachgebessert werden. Es ist grundsätzlich richtig, auf eine Pauschalierung umzustellen. Herr Kollege Jürgens hat schon darauf hingewiesen.Allerdings sind die Beschränkungen, die dieses geplante Pauschalierungssystem vorsieht, insbesondere die Beschränkung auf den Aufenthalt zum Zeitpunkt der Betreuung und auf die Länge der Betreuung, unangemessen und werden damit den Aufwendungen, die die Betreuer haben, nicht gerecht werden.

Frau Beer, auch Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Insbesondere bei lang anhaltenden Krankheitsbildern, wie Demenzkranken oder Psychotikern, sind Betreuungszeiten von zwei respektive dreieinhalb Stunden nicht ausreichend. Hier besteht die große Gefahr, dass wir durch eine reine Schreibtischbetreuung wieder zur Entmündigung zurückkehren. Dieser Gefahr muss unserer Meinung nach durch eine Nachbesserung in diesem Bereich vor allem deshalb begegnet werden, da die Zusammenarbeit sich in der Zukunft mit einer Vielzahl von Einrichtungen noch schwieriger gestalten wird, da die CDU-Landesregierung die Sozialstruktur in diesem Land durch die „Aktion unsichere Zukunft“ dermaßen zusammengestrichen hat.

(Beifall des Abg. Roland von Hunnius (FDP))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Fazit für die FDPFraktion dieses Hauses lautet: Die Reform ist notwendig. Dies darf aber nicht um den Preis erfolgen, dass die weitgehende Selbstbestimmung der Betreuungsbedürftigen wieder abgeschafft wird. Von daher muss der vorgelegte Entwurf noch an entscheidenden Stellen verbessert werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Beer, vielen Dank. – Für die Landesregierung darf ich Herrn Justizminister Dr.Wagner das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mich kurz fassen. Ich kann es, weil sowohl Herr Abg. Rhein als auch Frau Abg. Hofmann alles Wesentliche vorgetragen haben, was zu dem Gesetzentwurf zu sagen ist. Ich schließe mich dem inhaltlich voll und uneingeschränkt an.

Ich will einige wenige Sätze auf die Beiträge von Herrn Dr.Jürgens und Frau Beer verwenden.Verehrte Frau Kollegin,verehrter Herr Kollege,damit sich das gar nicht festsetzt, möchte ich Ihnen zunächst einmal sagen: Das Land Hessen wird, ausweislich unseres Haushaltsplans, im Jahre 2004 für die Unterstützung der Arbeit der Betreuungsvereine 700.000 c ausgeben. Das sind fast 1,4 Millionen DM. Wir haben hier nur ganz maßvoll gekürzt. Dies geschah gerade im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Tätigkeit dieser Vereine. Wir stehen im Bundesvergleich ausgezeichnet da. Das sollte man dann vielleicht, um der Wahrheit willen, in Zukunft einvernehmlich in der Öffentlichkeit so auch sagen.

Zweitens. Herr Kollege Dr. Jürgens, es ist natürlich nicht ganz redlich, dass Sie jetzt behaupten, die Tatsache, dass wir in Hessen zu viele Berufsbetreuer hätten, sei ein Problem, das hausgemacht sei. Sie haben dann einen Zusammenhang zu den von mir gerade angesprochenen wirklich ganz geringfügigen Kürzungen hergestellt. Diese Kürzungen können noch gar keine Folgen haben.Wir haben jetzt gerade erst einmal den Monat Januar. In den letzten Jahren,auch während der Regierungszeit von RotGrün, wurde für die Betreuungsvereine immer ordentlich Geld ausgegeben. Es ist nicht ganz korrekt, dass Sie schon nach vier Wochen irgendwelche Konsequenzen im Hinblick auf die Höhe der Zahl der Berufsbetreuer ziehen wollen. Das will ich hier feststellen.

Herr Dr. Wagner, Herr Dr. Jürgens möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?

Am Ende meiner Rede gestatte ich das sehr gerne. Herr Präsident,auch ich will mich darum bemühen,im Rahmen der fünf Minuten Redezeit zu bleiben.

Ich will generell etwas zu den Kosten sagen. Völlig zu Recht wurde von Frau Hofmann und Frau Beer auf die Kostenexplosion hingewiesen. Es wurde auch zu Recht darauf hingewiesen, dass es hier bedauerlicherweise eine Fehlentwicklung gegeben hat. Denn inzwischen wird mit den Gerichten nicht nur die rechtliche Betreuung, sondern auch die soziale Betreuung abgerechnet. Das, was Herr Boris Rhein vorgetragen hat, ist völlig richtig. Die Betreuungsakten sind inzwischen zu drei Vierteln mit Abrechnungsvorgängen gefüllt.

Ich will Ihnen einen besonderen Abrechnungsvorgang vortragen, mit dem sich ein hessisches Gericht zu beschäftigen hatte. Da hat ein Berufsbetreuer folgenden Sachverhalt abrechnen wollen. Er hat den zuckerkranken Hund des Betreuten wöchentlich zweimal zum Tierarzt führen

müssen. Er hat dann gesagt: Angesichts dieses Aufwands möchte ich dann auch dafür Geld vom Gericht haben. – Denn der Betreute war mittellos. Inzwischen ist das eine richtig dicke Akte. An diesem sehr sinnfälligen Beispiel wird deutlich,dass wir eine erhebliche Fehlentwicklung zu beklagen haben.

Ich will noch etwas zu den besonderen Kritikpunkten anmerken, die Frau Beer und Herr Dr. Jürgens im Hinblick auf die gesetzliche Vertretungsmacht der Ehegatten vorgetragen haben. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einfach aus der Praxis berichten. In fast allen Fällen bestellen die Gerichte jetzt schon die Ehegatten als Betreuer. Es wird also gesetzlich nur das nachvollzogen werden, was jetzt schon Praxis ist. Zweitens gibt es jederzeit eine Widerspruchsmöglichkeit des betreuten Ehegatten. Darauf haben die beiden Redner von der CDU und der SPD zu Recht hingewiesen. Ein Rechtsmissbrauch ist also so gut wie ausgeschlossen.

(Nicola Beer (FDP): Bis dahin ist die Kohle weg!)

Lassen Sie mich zum Schluss meiner Rede noch Folgendes festhalten. Die grüne Justizministerin aus SchleswigHolstein steht voll und ganz hinter diesem Entwurf. Dies zeigte sich sowohl in der Justizministerkonferenz als auch im Bundesrat. Herr Dr. Jürgens, das gibt mir die Gelegenheit, ganz zart darauf hinzuweisen, dass unsere Position nicht so völlig abwegig sein kann. Denn es gibt in den Reihen Ihrer eigenen Partei Befürworter dieses Gesetzentwurfs der Regierung.