Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

(Beifall bei der CDU)

Wir hatten in den vergangenen zehn Jahren rund 1.000 Direktwahlen. Wir hatten sage und schreibe – es ist erwähnt worden – ganze vier Abwahlverfahren. Nicht ein einziges der vier Verfahren – sowieso eine verschwindend kleine Zahl – ist an einem Quorum gescheitert, sondern die Abwahlen sind zweimal daran gescheitert, dass sich das Volk mit ausreichender Mehrheit dafür ausgesprochen hat, dass der Amtsinhaber im Amt bleiben soll. Zweimal war es andersherum.Das muss man akzeptieren. Es gibt also bei der Zahl der Vorgänge, was die Direktwahlen betrifft, von der Sache her wenig Argumente, warum man das Verfahren ändern sollte.

Es gibt zum Zweiten nach meiner festen Überzeugung keinerlei Anlass, von einem Quorum abzugehen. Es gibt überhaupt kein Bundesland,das kein Quorum hat.Es gibt aber eine ganze Reihe von Ländern, in denen man die Mandatsträger überhaupt nicht abwählen kann, z. B. in Baden-Württemberg und Bayern. In diesen Ländern gibt es seit 50 Jahren Direktwahlen. Der Kollege Beuth hat es erwähnt: Als unter Ihrer Regierungsverantwortung die Landesregierung dieses Gesetz vorgelegt hat, hatten auch Sie keine Abwahlregelung vorgesehen – genau aus diesen Gründen.

(Günter Rudolph (SPD): Man kann doch dazulernen! Auch Sie!)

Herr Kollege Rudolph, das würde ich gerne aufnehmen. Sie haben natürlich Recht: Man kann immer dazulernen.

(Volker Hoff (CDU): Nein, der Rudolph nicht!)

Das ist auch gut so.Bedenklich wird die Sache aber immer dann,wenn all das,was die SPD früher für richtig gehalten hat, plötzlich nach dem Motto „Was interessiert mich das, was ich vor ein paar Jahren für richtig gehalten habe“ in sein Gegenteil verkehrt wird. Genau das ist bei Ihnen der Fall. Ich könnte Ihnen hier zitieren, was der Kollege Günther dem Landtag damals vorgetragen hat. Ich mache es kurz. Er hat ausgeführt, ein Quorum von 30 % sei ein vernünftiger Kompromiss zwischen zwei Überlegungen. Wenn eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger der Auffassung ist und entscheidet, dass der oder die direkt Gewählte das Amt nicht mehr versehen sollte, dann muss die Amtsinhaberin, der Amtsinhaber gehen.

Man will aber vermeiden – das halte ich für richtig – dass bestimmte Stimmungen in der Bevölkerung und Situationen dazu führen,dass auch eine geringe Zahl von Bürgern einen Bürgermeister, eine Bürgermeisterin aus dem Amt wählen können.Wir haben in Hessen 426 Städte und Gemeinden. Wir haben auch viele kleinere Einheiten. Wenn Sie überhaupt kein Quorum einführen, werden Sie bei so spannenden Themen wie den Abwassergebühren und Ähnlichem, die in aller Regel vor Ort wenig Freude bringen, in der Sache aber gegebenenfalls notwendig sind, die Sorge nicht bestreiten können, dass die Handlungsfähigkeit derer, die berufen sind, ihre Arbeit zu tun, mit einer entsprechenden Quotierung abgesichert werden muss. Man kann darüber streiten,ob das 25 oder 30 % sein müssen.Aber dass es sein muss, davon bin ich überzeugt.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Der Kollege Beuth hat das Beispiel Brandenburg genannt. Dort hatte man kein Quorum eingeführt. Die Bürger haben die Bürgermeister reihenweise in den Ruhestand abgewählt. Dann hat man Quoren von 15 bis 25 % eingeführt – je nach Größe der Städte. Das zeigt doch, dass die Dinge nicht mit leichter Hand erledigbar sind.

(Beifall bei der CDU)

Ich warne Neugierige vor der Aussage, die sich scheinbar gut macht: Es müssen mehr Leute nötig sein, jemanden in ein Amt zu wählen, als erforderlich sind, jemanden aus einem Amt zu wählen. Das ist Ihre Forderung. Das werden Sie im Endeffekt nicht hinbekommen, zumindest nicht in allen Fällen. Was machen Sie denn eigentlich bei einer Stichwahl, wenn nur noch vergleichsweise wenige zur Wahl gehen? Es könnte sein, dass das weniger Leute sind, als für ein Quorum zur Abwahl erforderlich sind. Das ist nichts Neues. Das ist im Kommunalrecht immer so gewesen. Die Abwahl war immer an höhere Kriterien gebunden als die Wahl. Wenn Sie sich das vergegenwärtigen, dann werden Sie sehr schnell feststellen, dass dieser Spruch, der gut klingt, in der Praxis gelegentlich versagt.

Am Schluss muss eines ganz klar sein.Wenn wir dem Volk gesagt haben: „Ihr entscheidet, ob ihr jemanden wählt oder abwählt“, dann mag einem die Entscheidung im Einzelfall gefallen oder nicht gefallen. Man muss sie aber akzeptieren. Der Gesetzgeber, der den Grundschritt getan hat, Direktwahlen einzuführen, sollte in diesen Fragen nach meinem Dafürhalten sehr zurückhaltend agieren. Deshalb plädiere ich dafür, das Thema im Ausschuss intensiver miteinander zu besprechen.

Eines will ich für die Landesregierung hier aber festhalten: Es gibt aus meiner Sicht nicht den geringsten Anlass, das Verhalten der Landesregierung in irgendeiner Weise zu kritisieren.Im Gegenteil,ich glaube,dass die Dinge,die zu geschehen hatten, geschehen sind.Allgemeine Ausführungen zur Parteipolitik sind nicht Sache der Landesregierung. Im Übrigen werbe ich als Kommunalminister dafür: Wir sollten frei von den Emotionen des Tages solche Fragen diskutieren, denn viele Menschen sind nachher von unseren Entscheidungen abhängig. Deshalb werbe ich hier für Vernunft und für weniger Polemik.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Das Wort hat Frau Abg. Hofmann für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Bouffier, Sie haben es selbst gesagt oder zumindest darauf hingewiesen: Für die Gemeindevertretungen gilt ein Zwei-Drittel-Quorum.

Ich möchte in meinem Part aber noch einmal auf den Skandal hinweisen, den Herr Kaufmann schon schön beschrieben hat, der die Affäre Härtel umrankt, nämlich dass dieser Justizminister erneut versucht hat, auf ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren und sein Ergebnis Einfluss zu nehmen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

Frau Beer, ich nehme an, wir waren in der gleichen Ausschusssitzung. Es ist schon sehr verwunderlich, dass die Hanauer Staatsanwaltschaft in einem sehr knappen Zeitraum, nämlich zwischen dem 28. November 2002 und dem 23. April 2003, ganze 14-mal gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft und dem Hessischen Justizministerium berichten musste.

(Gerhard Bökel (SPD):Wie oft? – Günter Rudolph (SPD): Unglaublich!)

Zusätzlich zu diesen umfänglichen Berichten wurde die Staatsanwaltschaft am 17. Februar 2003 nebst Generalstaatsanwalt beim Hessischen Justizministerium zum Rapport einbestellt. Bei diesem Vorgang waren – Frau Beer, ich zitiere Ihre eigenen Worte – nur „Insider-Juristen“ tätig.

Schwer zu erklären ist auch der anschließende Schlingerkurs der Hanauer Staatsanwaltschaft, einer sonst routiniert arbeitenden Behörde. Wollte sie das Verfahren gegen Frau Härtel zunächst nach § 123a StPO einstellen, beantragte sie dann einen Strafbefehl beim Amtsgericht Hanau und musste erst dazu gebracht werden, Anklage vor dem Landgericht Hanau zu erheben.

(Zurufe von der CDU)

Offenbar beurteilten die unabhängigen Richter den Fall Härtel anders als die Staatsanwaltschaft, die von Staatssekretär Landau beraten worden ist.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU) – Weitere Zurufe von der CDU)

Ich möchte noch auf einen Vorgang näher eingehen, der von meinen Vorrednern bei der Aufzählung vergessen worden ist. Über den Tisch des Staatssekretärs lief auch folgender Vorgang, der ebenfalls Gegenstand der Einstel

lungsverfügung gewesen ist, nun gerichtlich überprüft wird und einen Untreuetatbestand darstellt.

(Volker Hoff (CDU): Was sie den Staatsanwälten unterstellt, ist eine solche Frechheit! – Weitere Zurufe von der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident!)

Herr Kollege, wir können es dann nachlesen. – Bitte schön, Frau Hofmann.

(Volker Hoff (CDU): Wenn man politische Justiz will, wie das Herr von Plottnitz gemacht hat, der Staatsanwälte abgelöst hat, kann man das machen, aber nur dann!)

Oberbürgermeisterin Härtel soll, jenseits eines Vergabeverfahrens, die mit Schwarzgeld finanzierte Firma Cicero mit der Kampagne „Saubere Stadt“ beauftragt und die Kosten für diese Kampagne mit ihren eigenen Wahlkampfkosten, die sie noch schuldete, verrechnet haben. Daran möchte ich noch einmal erinnern.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört! – Weitere Zurufe von der SPD)

Herr Justizminister, natürlich werden Sie sich hierhin stellen und sagen, dass Sie nur Ihrem Recht und Ihrer Pflicht Genüge getan und die Aufsicht über die Staatsanwaltschaft wahrgenommen hätten. Aber Sie wissen ganz genau: Egal ob aus parteipolitischen Gründen Einfluss genommen worden ist oder nicht – bereits der bloße Anschein genügt, der Justiz einen Schaden zuzufügen. Herr Landau, ich bin auch persönlich enttäuscht, dass Sie aus den Erfahrungen der letzten Legislaturperiode anscheinend nicht gelernt haben – Herr Kaufmann hat schon zahlreiche Beispiele genannt –, dass die Staatsanwaltschaft als unabhängiges Strafverfolgungsorgan von jeglicher Einflussnahme ausgenommen sein sollte.

(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist eine Frechheit!)

Zum Abschluss möchte ich Ihnen ein Beispiel aus dem Nachbarland Nordrhein-Westfalen nennen, wo das Justizministerium zwar auch eine Anordnung über Berichtspflichten in Strafsachen und Bußgeldsachen getroffen hat, wo sich aber der dortige Justizminister die Selbstbeschränkung auferlegt hat, nicht auf laufende Ermittlungsverfahren und deren Ergebnisse derart Einfluss zu nehmen.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):Aha!)

An diesen Nachbarländern sollten Sie sich ein Beispiel nennen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Volker Hoff (CDU): Unglaublich!)

Das Wort hat der Kollege Wintermeyer für die CDUFraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Hofmann, das, was Sie sich eben hier geleistet haben, war der eigentliche Skandal bei der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Hofmann, das, was Sie hier gesagt haben – wir werden es nachher im Protokoll nachlesen können –, gehört sich für eine Juristin nicht. Sie haben mit Ihrer Rede der Unabhängigkeit der Justiz – auch der Staatsanwaltschaft – meiner Meinung nach einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Es kann doch nicht sein, dass Sie alles so drehen, wie Sie es gerne haben möchten und wie Sie glauben, dass es ist. Vielmehr müssen Sie auf dem Boden der rechtsstaatlichen Tatsachen bleiben.

Meine Damen und Herren, was ist denn der Grund für Ihren Missbilligungsantrag? Wenn die SPD ehrlich wäre, würde sie zugeben, dass es kein öffentliches Interesse an einer öffentlichen Sitzung des Rechtsausschusses gab. Die Öffentlichkeit und die Presse waren nicht anwesend. Deswegen musste das heute im Plenum noch einmal hochgezogen werden nach dem Motto „Was ihr nicht hören wollt, das bekommt ihr zweimal geboten“.

(Zuruf von der SPD: Sitzungsunterbrechung! Ältestenrat!)

Bezeichnend ist, dass der Dringliche Antrag der SPD in der öffentlichen Sitzung des Rechtsausschusses ohne Öffentlichkeit minutiös beantwortet worden ist, unter Hinweis auf alle Fragen der Rechtsordnung. Lediglich drei Nachfragen wurden gestellt, mehr nicht. Insofern gab es auch keinen großen Informationsbedarf. Jetzt wird hier so getan, als ob es diesen Informationsbedarf gäbe bzw. es wird alles falsch ausgelegt, was in der Rechtsausschusssitzung, an der die Kollegin Beer, einige andere Kollegen und ich teilgenommen haben, gesagt worden ist.

Uns fiel in der Rechtsausschusssitzung allerdings auf, dass sich ein prominentes Mitglied der SPD-Fraktion im Ausschuss sogar über den Ablauf eines Strafbefehlverfahrens belehren lassen musste. Ihm ist nun bekannt, dass ein Strafbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch ein Gericht ergeht.

Sie haben allerdings anscheinend immer noch nicht verstanden – oder Sie wollen es nicht verstehen, obwohl das Protokoll dieser Rechtsausschusssitzung mittlerweile vorliegt –, dass nach § 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes die von Ihnen angegriffene oberste Justizverwaltung das Recht und, ich betone ausdrücklich, die Pflicht hat, die Dienstaufsicht auszuüben. Diese gesetzliche Verpflichtung wird zudem noch in einer Anordnung über die Berichtspflichten in Strafsachen haarklein ausgeführt. In dieser Anordnung heißt es – ich werde es, da mir nur wenig Zeit zur Verfügung steht, kurz machen –:

Dem Ministerium der Justiz ist auch ohne Anforderung möglichst frühzeitig und