Protokoll der Sitzung vom 23.02.2005

Meine Damen und Herren, auch das, was Sie an Bundesratsinitiativen in Ihrem Antrag fordern, beruht im Prinzip entweder auf Unkenntnis oder auf bewusster Irreführung der Bevölkerung. Herr Jung, Kinderlärm ist nicht schädlich – ein kurzer Satz mit kurzer Wirkung.Wenn man sich in der CDU-Fraktion etwas informiert hätte – offensichtlich reichten ganze Ministerien nicht aus, um sich vernünftig zu informieren –, wüssten Sie: Die Baunutzungsverordnung fördert nicht die Trennung von Wohnen und Arbeiten und Erholung, sondern, wenn man genau hinsieht, tun es die Eigenheimzulage und die Pendlerpauschale. Zweitens verbietet die Bundes-Immissionsschutzverordnung keinen Kinderlärm.

Wenn Sie sich anständig informiert hätten, bevor Sie hier wieder versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen, dann wäre Ihnen genau wie uns ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts – es gibt übrigens zwei zu diesem Thema – vom 11. Februar 2003 in die Hände gefallen, in dem es auf Seite 6 ausdrücklich heißt:

Jedenfalls kleinräumige Anlagen der in Rede stehenden Art,

hier geht es um Bolzplätze –

die ausschließlich für die körperliche Freizeitbetätigung von Kindern bis zum Alter von 14 Jahren bestimmt sind, können nicht als Sportanlagen im Sinne der Verordnung eingeordnet werden.

Weiter heißt es:

Das ergibt sich ohne weiteres aus der wörtlichen, systematischen und historischen Auslegung.

Meine Damen und Herren, für das Verwaltungsgericht ja, für die hessische CDU leider nein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, bringen Sie das bitte ein. Machen Sie bitte eine Bundesratsinitiative. Wir unterstützen das auch. Wenn der Satz hinein soll, unterstützen wir das. Hauptsache, Sie tun endlich einmal etwas, dann unterstützen wir das auch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn das für die Kinder und Familien im Land gut ist, dann helfen wir Ihnen auch dabei. Aber tun Sie es um Himmels willen. Stattdessen verschweigen Sie, dass im Jahre 2003 die seit 1977 geltende hessische Spielplatzverordnung von Ihnen außer Kraft gesetzt worden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit haben Sie den Anspruch von Kindern auf Kinderspielplätze ausgehebelt und haben stattdessen in der Hessischen Bauordnung den belanglosen § 8 eingeführt,

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

der im Prinzip die Spielmöglichkeiten überhaupt nicht mehr sicherstellt. Das ist die Realität Ihrer Politik. Entweder ist es heiße Luft, oder es ist eine reelle Verschlechterung für die Kinder in diesem Lande.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es fehlen in Ihrem Antrag so viele Themen. Das zeigt, dass Sie das komplexe Thema Kinder in unserer Gesellschaft überhaupt nicht begriffen haben. Es fehlt das Thema Schutz von Kindern vor Lärm. Es fehlt der Schutz von Kindern vor Umweltbelastungen. Es fehlt die Gesundheitsförderung gerade von Kindern aus den Unterschichten und mit Migrationshintergrund. Mittel für Familienbildung und Erziehungsberatung haben Sie gestrichen, auch für das Zusammenleben und die individuelle Förderung von Kindern.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur CDU-Fraktion: Was Sie produzieren, ist heiße Wurst!)

Das Fazit: Wenn Sie handeln können, dann wollen Sie nicht; wenn Sie handeln wollen, dann können Sie es nicht. Aber das Hauptproblem ist, dass Sie das Grundproblem in unserer Gesellschaft überhaupt nicht verstanden haben.

(Rudi Haselbach (CDU): Das stimmt!)

Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist eine kindergerechte Gesellschaft, in der Männer und Frauen, die Politik,die Kommunen und die Unternehmen zusammenwirken, dass sich tatsächlich ein Kind in unserer Gesellschaft vernünftig und entsprechend seinen Möglichkeiten entwickeln kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Deshalb ist auch die neue Frauenpolitik und die neue Familienpolitik der CDU keine Offenbarung. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist keine Frauenfrage, sondern ist eine Gesellschaftsfrage. Wenn ich den „HessenKurier“ einmal anschaue – ich lese in letzter Zeit öfter Ihre Publikation; da lernt man immer etwas – –

(Ulrich Caspar (CDU): Da können Sie auch viel lernen!)

Herr Caspar, Sie werden gleich etwas lernen. Sie gehören auch zu der Truppe, die noch viel zu lernen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die glauben auch noch, was darin steht! Das ist das Problem!)

Der „Hessen-Kurier“ vom Dezember 2004/Januar 2005. Sie sehen auf dem Titelbild

(Die Rednerin hält eine Zeitschrift hoch.)

Sie sehen es schlecht, deswegen erzähle ich kurz, was man da sieht – einen Computerarbeitsplatz, eine Frau mit einem offensichtlich unter dreijährigen Kind. Ich vermute, es geht da irgendwie um Ihre Familienpolitik, vielleicht wird aber auch der E-Mail-Verteiler der Landesregierung erstellt.Aber viel deutlicher ist eigentlich das Bild auf Seite 7. Da sehen wir eine junge Frau an einem Arbeitsplatz. Sie hat am linken Ohr einen Telefonhörer eingeklemmt. Mit der rechten Hand versucht sie, eine Adresse zu finden. Vor ihr liegt ein Kind auf einer

Wickelmatte. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Frauenbild?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Es ist unglaublich! – Weitere Zurufe von der CDU)

Wir wollen doch keine Arbeitsplätze zu Wickeltischen machen. Was wir wollen, sind familienfreundliche Arbeitsplätze. Neben dem Bild steht sozusagen als Lob: „Deswegen muss die Partei dafür gelobt werden, dass sie in einer wichtigen Frage aufgewacht ist: Müttern mit Kindern muss geholfen werden.“ – „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 15. November 2004.

(Lachen des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Nein, Müttern und Vätern muss geholfen werden. In dieser Gesellschaft brauchen wir mehr Geld für die Kinder. Wir brauchen mehr Zeit der Eltern für diese Kinder, damit sich Kinder entwickeln können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, eine kindergerechte Gesellschaft entsteht nicht durch eine bessere Organisation der dreifachen Belastung von Frauen. Nein, wir brauchen keine Wollmilchsäue, sondern wir brauchen Frauen,

(Zurufe von der CDU)

die ihre berufliche und ihre familiäre Karriere verbinden können. Wir brauchen Männer, die das können. Dafür brauchen wir ein Zusammenwirken von Unternehmen,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

die bereit sind, in ihrer Personalpolitik darauf Rücksicht zu nehmen, dass sich zunehmend auch junge Männer um ihre Familien kümmern können. Wir brauchen Arbeitszeitgestaltung.

(Zurufe von der CDU)

Wenn Sie so schreien, warum haben Sie diese Bilder in Ihrer Zeitung, die genau das alte Bild beweisen, eine Frau muss alles können? – Nein, diese Gesellschaft muss die Mütter und die Väter unterstützen.Das haben Sie bei weitem noch nicht verstanden. Deswegen erleben wir hier solche Auftritte, wie den heute Morgen von Herrn Reißer und Herrn Rhein. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren,ich habe zwei Wortmeldungen zur Kurzintervention vorliegen. Zunächst erteile ich das Wort für eine Kurzintervention Frau Kollegin Lannert von der Fraktion der CDU.

(Frank Gotthardt (CDU):Was war mit der Kollegin Kühne-Hörmann? Eine Woche nach der Geburt musste sie hierher kommen! Das war rot-grüne Solidarität!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schulz-Asche, haben Sie irgendwann einmal etwas davon gehört: „Wer schreit, hat Unrecht“?

(Heiterkeit bei der CDU – Lachen bei der SPD – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schwere Kritik an Boris Rhein! – Jürgen Walter (SPD): Zerstrittenheit in der CDU!)

Es ist schon unverfroren und peinlich, was Sie heute Morgen hier abliefern. Das kann man wirklich nicht unwidersprochen im Raum stehen lassen.Ich glaube auch,dass Sie bei dem, was Sie hier zum Besten gegeben haben, tatsächlich an Realitätsverlust leiden.

(Beifall bei der CDU)

Ich will es Ihnen einmal in aller Deutlichkeit sagen: Bis 1999 herrschte in Hessen der absolute Stillstand in Sachen Kinder- und Familienpolitik.