Protokoll der Sitzung vom 17.03.2005

Herr Kollege Dr. Jürgens, wünschen Sie das Wort zu einer persönlichen Erklärung?

(Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das, was mir vorgeworfen wurde, habe ich nicht gesagt!)

Das ist nicht der Fall. – Dann habe ich es so verstanden, dass beantragt wird, den Ältestenrat einzuberufen.

Ich unterbreche die Sitzung. Wir treffen uns in Raum 304 zur Sitzung des Ältestenrats.

(Unterbrechung von 10.08 bis 10.57 Uhr)

Ich eröffne die Sitzung wieder und erteile Herrn Kollegen Dr. Jürgens das Wort zu einer Erklärung.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte von hier vorne erklären, dass ich in keinem Falle meine Äußerungen als persönliche Beleidigung irgendeiner einzelnen Person, schon gar nicht eines Abgeordneten dieses Hauses verstanden wissen wollte. Das war weder meine Absicht, noch habe ich dieses gewollt. Wenn dieser Eindruck entstanden sein sollte, so bedaure ich dies außerordentlich, und es tut mir sehr Leid.

Herr Kollege Dr. Jürgens, ich darf hier festhalten, dass der Ältestenrat die Angelegenheit besprochen hat, insbesondere zwei Passagen Ihrer Rede, die ich hier zitiere. Die erste:

Im tiefsten Innern der schwarzen Seele halten Sie es für das gute Recht eines Menschen, andere zu diskriminieren. Nur so lässt sich auch erklären, dass Sie das Antidiskriminierungsgesetz als Angriff auf die Freiheit empfinden.

Und das Zweite:

Weil das so ist, missverstehen Sie gerade das Antidiskriminierungsgesetz als Angriff auf die Freiheitsrechte. Uns geht es um die Freiheitsrechte aller Bürger, nicht nur der Steuerhinterzieher, wie z. B. bei der FDP.

Diese beiden Äußerungen liegen uns hier so vor. Wir haben im Ältestenrat darüber gesprochen, und ich erteile Ihnen nach § 75 unserer Geschäftsordnung für diese Äußerungen einen Ordnungsruf. Damit ist dieser Vorgang erledigt.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Nein! – Weitere Zurufe von der CDU: Nein!)

Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung? – Herr Gotthardt.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gestehe sehr freimütig, dass nach der Geschäftsordnung der Vorgang damit vielleicht erledigt ist,ich will aber darauf hinweisen,dass es jenseits der beiden zitierten Passagen eine weitere gibt, die aus meiner Sicht nicht so stehen bleiben kann.Das ist nämlich die Passage,wo der Kollege Jürgens ausführt: „Sie müssen begründen, warum Sie es für richtig halten, dass weiterhin Frauen, Behinderte, Schwulen und Lesben benachteiligt werden dürfen.“ Denn dies hat kein Redner gesagt, das ist nicht das Ziel.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch diese Passage kann man so nicht stehen lassen.

Ich sage in aller Deutlichkeit: Es reicht nicht, Herr Dr. Jürgens, hier zu sagen, Sie wollten niemanden beleidigen. Vielmehr war auch der Ältestenrat der Auffassung, dass Sie diese Passagen zurücknehmen müssen und sich nicht nur für das, was Sie gesagt haben, entschuldigen.

(Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)

Insofern ist dieser Punkt politisch nicht erledigt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zur Geschäftsordnung Frau Kollegin Wagner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sie haben die beiden Sätze im Wortlaut gehört, die der Präsident hier zitiert hat. Ich möchte noch einmal sagen, dass hier nicht jemand persönlich von Herrn Jürgens beleidigt wurde, wie er eben insinuiert hat, sondern er hat behauptet, dass Abgeordnete dieses Hauses, die dem Grundgesetz und der Hessischen Verfassung verpflichtet sind, im Tiefsten ihres Innern Diskriminierung für das gute Recht der Menschen halten.Dafür haben Sie sich bisher nicht entschuldigt,und ich erwarte von Ihnen, dass Sie das zurücknehmen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sie haben zweitens behauptet, auch wenn da ein „wie z. B.“ dazwischen geht, dass die FDP sich für Steuerhinterzieher einsetzt bzw. die Partei der Steuerhinterzieher ist.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat er nicht gesagt! Hören Sie auf zu lügen! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Aufmerksamkeit.

Herr Kollege Al-Wazir, der Zwischenruf „Ich bitte Sie, aufzuhören, hier zu lügen“ wird von mir ausdrücklich gerügt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Sie haben behauptet: „Uns geht es um die Freiheitsrechte aller Bürger“. Ich sage, es geht allen vier Fraktionen darum. Sie haben dann gesagt: „... nicht nur der Steuerhinterzieher, wie z. B. bei der FDP“, und Sie haben – auch gestern schon – insinuiert, wir seien die Steuerhinterzieherpartei.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Verehrter Herr Tarek Al-Wazir, die Liberalen des 18. und 19. Jahrhunderts haben sich eingesetzt für ein tiefes Recht, nämlich die Indemnität des Abgeordneten, dass er nicht wie in früheren Zeiten verfolgt wurde für das, was er in einem Parlament sagt. Das gehört für uns sozusagen zum Grundbestand unserer Verfassungen. Deshalb kann, wenn jemand hier nicht nur Beleidigungen, sondern den Vorwurf erhebt, dass unsere Partei eine Partei von Straftätern, eine kriminelle Vereinigung ist, das nicht unwidersprochen bleiben.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Tarek Al-Wa- zir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ach, hören Sie doch auf!)

Wenn Sie das – und Herr Kaufmann hat das eben im Ältestenrat angedeutet – an einem Stammtisch einer Wiesbadener Wirtschaft sagen würden, würde ich Ihnen einen Strafantrag an den Hals hängen.

Meine Damen und Herren, ich verlange von Ihnen, dass Sie auch das zurücknehmen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat er doch gar nicht gesagt! – Dr.Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann nicht zurücknehmen, was ich nicht gesagt habe!)

Verehrter Herr Al-Wazir, Sie wissen, dass auch ich Zwischenrufe mache. Aber vielleicht könnten Sie einmal zuhören. Sie haben behauptet, allen anderen gehe es um die Freiheitsrechte der Menschen,nur die FDP würde sich für Steuerhinterzieher einsetzen. Das war der Wortlaut. Damit insinuiert Sie – das haben Sie auch gestern schon getan –, wir seien Kriminelle. Das kann in einem deutschen Parlament nicht durchgehen.

(Anhaltender Beifall bei der FDP und bei Abge- ordneten der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hören Sie doch auf!)

Es liegen noch zwei Wortmeldungen zur Geschäftsordnung vor. Das Wort hat der Kollege Kaufmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten eine Ältestenratssitzung, nachdem es hier turbulent war. Nachdem wir von der Ältestenratssitzung zurückkamen, hat der Kollege Dr. Jürgens hier eine Erklärung abgegeben. Die Erklärung entsprach offensichtlich nicht dem, was im Ältestenrat erwartet worden ist. Daraufhin hat der Herr Präsident einen Ordnungsruf ausgesprochen. Dabei hat er sich auf § 75 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung bezogen. Ich zitiere:

Verletzt eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter die Würde oder die Ordnung des Hauses, soll die Präsidentin oder der Präsident sie oder ihn zur Ordnung rufen. Der Ordnungsruf und der Anlass hierzu dürfen von den nachfolgenden Rednerinnen und Rednern nicht behandelt werden.

Ich bedanke mich.

Das Wort hat der Kollege Kahl.

(Reinhard Kahl (SPD): Das hat sich erledigt!)

Da die Wortmeldung zurückgezogen wurde, gibt es jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Damit ist die Angelegenheit beendet.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch Folgendes sagen. Es gab die interne Vereinbarung, dass die Diskussionen in der Aktuellen Stunde auch vom Präsidium etwas liberaler gehandhabt werden.Wir werden jetzt auch in der Aktuellen Stunde – das ist mit dem Präsidenten und den Vizepräsidenten abgesprochen – die Sitzungsleitung restriktiver handhaben. Ich bitte alle, sich daran zu halten – auch alle diejenigen, die planen, Zwischenrufe zu machen.

(Heiterkeit)

Wir kommen zu der Debatte zu den Tagesordnungspunkten 68 und 69 in der Aktuellen Stunde zurück. Das Wort hat Herr Kollege Wintermeyer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach der Debatte, die wir eben hatten, fällt es mir sehr schwer, zum Thema zurückzukommen. Ich habe mir in der Pause gedacht: Wer Toleranz predigt, sollte nicht intolerant handeln.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Das scheinen offensichtlich nicht alle erkannt zu haben. Ich sage sehr deutlich, weil ich mich persönlich angegriffen fühle: Ich lasse mich nicht zum Helfeshelfer von Diskriminierern machen.