Es geht aus unserer Sicht – deswegen konnten wir das mittragen – auch nicht um eine Entscheidung in der Sache, für oder gegen Tarifautonomie, für oder gegen Bürgerversicherung, sondern es geht um eine Rechtsbereinigung. Was immer die Hessische Verfassung hier vorschreibt, ist ein virtuelles Recht.
Wir wollen, dass die Hessische Verfassung keine Versprechungen macht,die der Gesetzgeber und die hessische Politik nicht einhalten können.
Deshalb hatten wir aus meiner Fraktion vorgeschlagen – Sie können es im Bericht der Enquetekommission nachlesen –, die Vorschrift über die Sozialversicherung gänzlich zu streichen. Nicht, weil wir die dort enthaltene Verpflichtung, eine das gesamte Volk umfassende Versicherung zu schaffen, inhaltlich für falsch hielten – die GRÜNEN waren die Ersten, die sich für eine Bürgerversicherung ausgesprochen haben und das auch immer im Hessischen Landtag vertreten haben.
Wenn Sie denn Recht hätten, und es ginge der Sache nach um ein Pro oder Kontra für die Bürgerversicherung, wären wir die Ersten, die für die Bürgerversicherung und gegen die Verfassungsänderung wären. Aber wo ist der Gesetzentwurf der SPD? Wo ist der Parteitagsbeschluss oder auch nur ein Antrag, eine hessische Bürgerversicherung einzurichten? Sie wissen doch genau, es geht nicht. Sie wissen genau, der hessische Gesetzgeber hat sich hier zu enthalten. Deswegen ist das aus unserer Sicht keine inhaltliche Entscheidung, sondern eine Rechtsbereinigung.
Allerdings räume ich ein – deswegen kann ich den Ärger der SPD zum Teil verstehen –: Ich habe in der Stellungnahme der FDP zu dem Kompromissvorschlag lesen müssen, dass sie meint, ihre politische Ablehnung der Bürgerversicherung sei durch die Änderung der Verfassung berücksichtigt. Ich weise die Kolleginnen und Kollegen von der FDP darauf hin:Auch diese Äußerung ist nicht im Interesse eines Konsenses. Das gilt im Übrigen auch für das Tarifrecht.
Aus meiner Sicht – deswegen können wir das mittragen – gilt hier das gleiche Problem. Was immer in der Hessischen Verfassung steht, entscheidet nicht darüber, wie die Tarifverträge gelten. Herr Wintermeyer, da bin ich auch mit Ihnen nicht einverstanden, dass Sie so tun, als könnte das hessische Verfassungsrecht Aussagen hierzu machen.
Meine Damen und Herren,erstmals in der Geschichte des Landes Hessen war eine Erneuerung der Verfassung in greifbare Nähe gerückt, bei aller Unvollkommenheit des Projekts, das räume ich ein. Das Ziel, eine gemeinsame Verfassungsreform im Konsens hinzubekommen, setzt aber Kompromissbereitschaft und vor allem Ehrlichkeit beim Austausch der Argumente voraus.
Das ist offenbar gegenwärtig nicht zu erreichen. Deswegen wird der Reformstau in Sachen Verfassung auch zunehmen.
Ich möchte mich abschließend dem Dank von Herrn Wintermeyer anschließen. Ich möchte allen danken, die sehr engagiert an der Arbeit in der Verfassungsenquetekommission mitgewirkt haben. Das sind zunächst unsere vier Sachverständigen, die schon namentlich genannt worden sind und die immerhin ehrenamtlich ihre Zeit geopfert haben.
Dann ist das die Kanzlei des Hessischen Landtags, vor allem Frau Reitzmann und Herr Zinßer, die sich weit überobligatorisch für die erfolgreiche Arbeit der Enquetekommission eingesetzt haben.
Ich danke auch ganz herzlich Herrn Vizepräsidenten Quanz, der als Vorsitzender die Sitzungen umsichtig geleitet und die Arbeit immer wieder vorangetrieben hat. Ich danke den Obleuten der anderen Fraktionen, Herrn Wintermeyer, Frau Pauly-Bender und Herrn Posch, für die sehr ertragreiche Diskussion, die im Abschlussbericht nur zum Teil zum Ausdruck kommt. Ich hoffe, der eine oder andere nutzt die Gelegenheit, das eine oder andere nachzulesen. Man wird sehen, auf welchem teils hohem Niveau die Diskussion stattgefunden hat, bei der wir alle viel gelernt haben.
Schließlich darf ich mich bei allen Mitgliedern der Kommission bedanken und bei den Mitarbeitern, vor allem den Mitarbeitern der Fraktionen, die ebenfalls viel Arbeit in das Projekt gesteckt haben.
Meine Damen und Herren, im Augenblick sieht es nicht so aus, als würden wir am heutigen Tage zu einem vernünftigen, gemeinsam getragenen Abschluss finden.Aber ich hoffe, dass die Arbeit der Enquetekommission, vielleicht in einem gewissen Abstand zum heutigen Streit betrachtet, nicht ganz vergeblich war und das eine oder andere in der Verfassungsgeschichte des Landes Hessen doch einmal Realität werden wird. – Danke schön.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Abg. Jürgens, genau da unterscheiden wir uns von Ihnen. Für uns ist die Hessische Verfassung nicht irgendeine Zitatensammlung.
Herr Dr. Jürgens, wenn Sie das als Zitatensammlung bezeichnen, dann frage ich mich schon, mit welchem Recht Sie in dieser Enquetekommission gesessen haben.
Die Hessische Verfassung ist nicht irgendein Regelwerk, sondern sie ist eine Werteorientierung für das hessische Volk.
Genau so wird in den verschiedenen Veranstaltungen darüber diskutiert. Die Hessische Verfassung ist nicht irgendeine Zitatensammlung. Ganz viele Menschen haben uns während unserer Verfassungsdebatte auf die Grundwerte der Hessischen Verfassung angesprochen. Wir fühlen uns verpflichtet, die Grundwerte der sozialen Demokratie in der Verfassung zu erhalten.
Wenn in dieser Verfassung steht,dass es eine für alle Menschen geltende Sozialversicherung geben soll,können und müssen wir an dieser Stelle über eine Bürgerversicherung diskutieren. Wir beziehen uns darauf. Wir haben die Einführung einer Bürgerversicherung auf Parteitagen beschlossen, und sie wird auf Bundesebene kommen. An dieser Stelle stehen wir zu der Verfassung. Das ist ein Teil unserer Argumentation.
In Zeiten, in denen wir wieder von Unternehmens- und Wirtschaftsverantwortung sprechen – gerade in diesen Tagen –,wären wir doch vom Teufel geritten,wenn wir Ihnen erlaubten, mit Ihren Ideen von einer liberalen Wirtschaftsdemokratie in der Hessischen Verfassung in Vorderhand zu treten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Ypsilanti, meine Berechtigung, in der Enquetekommission zur Reform der Hessischen Verfassung mitzuarbeiten, ergibt sich aus dem Vertrauen,das meine Fraktion mir geschenkt hat. Sie hat mich zu dieser Arbeit delegiert.
Im Übrigen haben Sie völlig Recht – das ist auch unser Ansatz –: Die Verfassung sollte die Werteordnung eines Staates, des Landes Hessen, vorgeben. Ich glaube nicht, dass die Todesstrafe zur Werteordnung des heutigen Landes Hessen gehört.
Ich glaube aber, dass die Rechte von Kindern Bestandteil der Werteordnung des heutigen Landes Hessen sind und deshalb in die Verfassung gehören.
Ich glaube, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Bekenntnis zu Europa ebenfalls zur Werteordnung gehören. Genau aus diesem Grund wollten wir die Hessische Verfassung ändern.