Protokoll der Sitzung vom 08.06.2005

Wie gesagt, inhaltlich sind wir absolut nicht auseinander – nur im Verfahren, wie man miteinander umgeht. Wenn es um die Hessische Verfassung geht, können wir diese Vorschläge von Ihnen nicht mittragen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Als nächster Redner spricht Herr Abg. Dr. Jürgens, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Posch, Sie haben mich angesprochen und gesagt, ich sei erst relativ kurz im Landtag – das räume ich ein –, und deswegen könnte ich keine Ahnung von der Verfassungsdiskussion haben.

Ich weise schon einmal darauf hin: Man muss nicht zwingend Mitglied des Hessischen Landtags sein, um sich mit Fragen der Hessischen Verfassung zu beschäftigen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es gibt durchaus Menschen, die dem Hessischen Landtag nicht angehören und die Diskussion um die Hessische Verfassung auch außerhalb des Landtags wahrnehmen. Das ist gut und richtig so. Sie können sicher sein, dass ich mich mit der Hessischen Verfassung intensiv beschäftigt habe.Aber das ist heute nicht das Thema.

In der vorigen Plenarwoche haben wir über den Bericht der Enquetekommission zur Reform der Hessischen Verfassung diskutiert. Bei dieser wie auch bei verschiedenen anderen Gelegenheiten habe ich mit Blick auf diejenigen, die immer wieder sagen, der historische Gehalt der Hessischen Verfassung ist uns so wichtig, dass wir daran nichts ändern wollen, immer wieder gesagt: Die größte Missachtung einer Verfassung besteht darin, dass man sie ins Museum stellen will. – Deswegen haben wir uns für eine Aktualisierung eingesetzt.

Aber es gibt noch andere Möglichkeiten der Missachtung einer Verfassung. Eine besteht darin, sie zu parteipolitischen Profilierungen in Wahlkampfzeiten zu missbrauchen.

(Nicola Beer (FDP): Herr Kollege, das wird durch dauernde Wiederholung auch nicht wahr!)

Herr Posch, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es genau darum geht: Die Parteitagsrede, die Sie vorhin von diesem Pult aus gehalten haben,hat den Beleg dafür erbracht, dass es Ihnen um parteipolitische Profilierung geht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Genau das ist der Sinn der 17 Gesetzentwürfe, die Sie uns vorgelegt haben. Aus gutem Grund haben wir in der Enquetekommission immer wieder dafür gestritten, dass die Diskussion um die Hessische Verfassung und ihre künftige Gestaltung möglichst weitgehend aus den Fragen der Tagespolitik herausgehalten wird, dass gerade keine tagespolitischen Themen zum Gegenstand der Verfassungsänderung gemacht werden usw.Darüber haben wir uns intensiv unterhalten.

Aus gutem Grund haben wir deswegen beschlossen, eine größere Verfassungsänderung – Herr Wintermeyer hat es schon gesagt:in der Tat möglichst einvernehmlich – mit allen Kräften in diesem Land, nicht nur in diesem Parlament, sondern in diesem Lande, vorzunehmen.

Herr Posch, gerade weil die Verfassung nicht kurzatmig sein, sondern tragende Werte vermitteln soll, geht es darum, dass genau diese Werte von einer möglichst großen Mehrheit tatsächlich getragen werden: als das, was in diesem Hessenlande gelten soll.

Aus dieser Arbeit,die wir sehr intensiv geführt haben – einen Konsens über die Änderung der Hessischen Verfassung zu finden –,ist leider,darüber haben wir beim letzten Mal intensiv gesprochen, die SPD-Fraktion zunächst ausgeschert. Jetzt folgt ihr die FDP-Fraktion. Auch Sie scheren aus der gemeinsamen Arbeit an der Hessischen Verfassung aus, aus dem Bestreben um einen Konsens, wenn Sie jetzt einen Alleingang starten.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wenn es Ihr Anliegen war, Änderungen an der Hessischen Verfassung möglichst zu verhindern, dann war es richtig, was Sie getan haben. Wenn es aber Ihr Anliegen ist, tatsächlich Änderungen an der Hessischen Verfassung durchzuführen, dann haben Sie ihm einen Bärendienst erwiesen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss sich doch einfach nur die Gesetzentwürfe anschauen, die Sie dem Hessischen Landtag vorgelegt haben. Die sind aus einer Reihe von Textbausteinen zusammengeschustert sowie aus dem, was Sie aus dem Bericht der Enquetekommission hineinkopiert haben. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu den einzelnen Vorschlägen – von denen Sie behaupten, es seien diejenigen, die nachher dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden sollen, um ihm die Möglichkeit zu geben, über die Hessische Verfassung zu bestimmen – eine Begründung zu schreiben.

Schaut man sich die Begründungen in Ihren Gesetzentwürfen an, dann erschöpfen die sich darin, dass Sie den Arbeitsprozess der Enquetekommission darstellen.

Dann folgt ein Satz, z. B. in dem ersten Gesetzentwurf. Die Ergänzung der Präambel war einer dieser Vorschläge. Dem Volk als Begründung allein anzugeben, dass eine Kommission des Hessischen Landtags zu einem Ergebnis gekommen ist, und dem Volk zu sagen: „Du kannst zustimmen oder ablehnen“, ihm aber keinerlei Begründung zu liefern,weshalb man eigentlich inhaltlich zu diesem Er

gebnis gekommen ist, das ist nicht Respekt vor dem Souverän, sondern das ist eine Missachtung des Souveräns.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Wir hatten uns in der Enquetekommission sehr intensiv darüber unterhalten, wie wir weiter verfahren wollen. Es war von Anfang an klar, dass das, was in dem Bericht der Enquetekommission steht, nicht sozusagen der Weisheit letzter Schluss sein könne.Wir hatten uns darauf verständigt, in den so genannten Voranhörungen – das ist ein Begriff, weil es einem Gesetzgebungsverfahren vorgelagert sein sollte; es ist völlig gleichgültig, ob man es so oder anders nennt – jedenfalls erst einmal einen öffentlichen Prozess der Diskussion darüber zu organisieren, um die Diskussion über die Werte, die dem zugrunde liegen, zu führen. Jetzt kommt die FDP, nimmt das vorläufige Ergebnis, gibt es als endgültige Wahrheit heraus und sagt: Darüber sollen wir jetzt abstimmen. – Das ist in diesem Prozess kein vernünftiges Vorgehen. Das wird der Hessischen Verfassung nicht gerecht, und das wird auch dem Souverän – dem Volk – nicht gerecht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte jetzt versucht sein, nachzuholen, was Sie in Ihren 17 Gesetzentwürfen leider unterlassen haben,nämlich eine Begründung für das eine oder andere nachzuliefern. Ich könnte zu jedem einzelnen Punkt sagen, was ich richtig finde. Ich könnte zu jedem einzelnen Punkt sagen, wo ich es anders sehe. Ich könnte zu jedem einzelnen Punkt sagen, womit ich Probleme habe. Wir haben darüber in der letzten Diskussion sehr umfassend debattiert. Aber ich will das nicht tun. Ich will das deswegen nicht tun, weil ich immer gesagt habe: Es geht nicht an, dass wir in dem Prozess der gemeinsamen Arbeit an der Hessischen Verfassung einzelne Ergebnisse herausgreifen und zerreden.

Genau das will ich auch nicht tun. Deswegen enthalte ich mich einer Stellungnahme zu den einzelnen Vorschlägen, die Sie hier gemacht haben.Wir lehnen das Vorgehen der FDP ab.Wir halten daran fest, dass möglichst im Konsens eine Verfassungsänderung durchgeführt werden soll. Ich bin guten Mutes, dass wir, wenn wir erst einmal die Wahlkampfzeiten hinter uns haben – also jenseits der Kommunalwahl im nächsten Jahr –, uns noch einmal in Ruhe zusammensetzen und schauen sollten, was man auf der Grundlage des Ergebnisses der Enquetekommission machen und wo man möglicherweise noch zu tragfähigen konsensgetragenen Verfassungsänderungen kommen kann. Das braucht Zeit.

Die Hessische Verfassung wird demnächst 60 Jahre alt. Wir sollten nicht die nächsten 60 Jahre zuwarten.Wir sollten auch nichts überstürzen, und schon gar nicht in der Weise, wie das die FDP hier vorgegeben hat. Der Vorstoß der FDP ist nicht hilfreich. Er wäre eher geeignet, die gemeinsame Arbeit an der Verfassung zu behindern. Deswegen müssen wir auch aus nicht inhaltlichen, sondern formalen Gründen diese Anträge ablehnen. – Schönen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächste Rednerin spricht Frau Abg. Pauly-Bender, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Einbringung der Gesetzentwürfe zur Reform der Hessischen Verfassung kündigt – das haben die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen schon gesagt – die FDP-Fraktion die interfraktionelle Vereinbarung zum Kompromissprinzip in Verfassungsfragen auf. Die Verfassungsenquetekommission hat sich auf keinen einvernehmlichen Vorschlag verständigen können. – Herr Wintermeyer hat vorgetragen: bisher. Damit ist die gemeinsame Geschäftsgrundlage für die Verfassungsänderung entfallen. Das Verhalten der FDP finden wir sehr bedauerlich. Immerhin wurde die Vereinbarung für den Fall getroffen, der gerade eingetreten ist und über den wir heute aus Anlass der eingebrachten Gesetzentwürfe diskutieren.

Meine Damen und Herren, gewisse Episoden in der öffentlichen Debatte der letzten Wochen haben sich mit angeblichen Zerwürfnissen in der SPD-Führung beschäftigt. Herr Wintermeyer hat es hier erneut zitiert und hierin einen Grund für die Kontroverse um die Hessische Landesverfassung erkennen wollen. Die hessische SPD hält dies einer Kommentierung nicht für wert.

(Beifall der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Von meiner Seite hierzu nur so viel: Im Sinne der Sache und im Sinne der Öffentlichkeit wäre es gewesen – dann hätte man vielleicht einen Kompromiss gefunden –, wenn man sich, statt Hinterzimmergemurmel breiten Raum zu geben, verstärkt mit der inhaltlichen Substanz der hessischen Verfassungsdebatte beschäftigt hätte.

(Beifall der Abg. Heike Habermann (SPD))

Die Themen Volksbeteiligung, Arbeitnehmerrechte und Sozialstaat und ganz besonders die Funktion dieser Institutionen wären es jedenfalls wert gewesen. Es waren ausschließlich inhaltliche Gründe,die die hessische SPD in all ihren Gremien mit großem Einvernehmen veranlasst haben, das Beschlusspaket der Mehrheitsgruppierung in der Enquetekommission für sich abzulehnen –

(Beifall bei der SPD)

und dies nicht zu einer Stunde null,wie Herr Wintermeyer häufig suggerieren möchte, sondern von Anfang an. Ich finde es nicht besonders kollegial, dass Sie Frau Faeser und mich als Mitglieder der Enquetekommission nicht mitzählen, denn wir haben von Anfang an dieselbe SPDPosition vertreten, Herr Wintermeyer.

(Beifall bei der SPD – Axel Wintermeyer (CDU): Davon weiß ich aber nichts!)

Rückblickend kann spekuliert werden, ein Konsens mit den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten könnte eigentlich nicht wirklich gewollt gewesen sein, oder eine Verfassungsreform dieses Ausmaßes war nicht gewollt. Aber wir wollen nicht nachkarten. Ich finde, das gehört auch dazu. Herr Posch, man muss auch ertragen können, wenn ein Konsens nicht zustande gekommen ist.

(Beifall der Abg.Andrea Ypsilanti und Jürgen Wal- ter (SPD))

Heute ist es wichtig,zu betonen,dass wir anerkennen,dass sich CDU und GRÜNE zum verabredeten Konsensprinzip in Verfassungsfragen bekennen. Was in der kommenden Legislaturperiode oder, Herr Wintermeyer, wann auch immer, vielleicht doch noch möglich gemacht werden kann, wenn eine neue Enquetekommission einen

glücklicheren Ansatz findet, wird auf diese Weise nicht gänzlich zerschlagen; jedenfalls werden dann auch wieder Spielregeln vereinbart werden. Die hessische SPD steht prinzipiell nach wie vor als konstruktiver Partner für eine konsensuale sinnvolle Modernisierung der Hessischen Verfassung zur Verfügung.

(Beifall bei der SPD)

Dies gilt allerdings so, wie es im interfraktionellen Einsetzungsbeschluss unmissverständlich ausformuliert ist – darüber gibt es keine Interpretationsdivergenzen –: Entschieden wird nur dann, wenn die soziale und demokratische Substanz der Hessischen Verfassung erhalten bleiben und es um die Vitalisierung der Hessischen Verfassung gehen soll.

Meine Damen und Herren, der nächste Bundestagswahlkampf naht. Für die FDP war das geschnürte Kompromisspaket, das so schön auf dem Tisch lag, offenbar allzu verführerisch, hofft doch gerade sie, sich mit seinen Inhalten – Herr Posch, daraus sollten Sie keinen Hehl machen, es geht Ihnen um die Art. 29, 35 und 38 – als Motor des Wirtschaftsliberalismus gegen alle anderen zu profilieren. Darin gebe ich Herrn Dr. Jürgens Recht.

(Beifall bei der SPD)

Die FDP ist nicht wirklich überrascht,dass die SPD hierzu ihre Hand nicht reicht. Immerhin haben wir noch im Ohr, dass Herr Posch der SPD-Fraktion in der letzten Plenardebatte ausdrücklich konzediert hat, dass er die Position der Sozialdemokraten zu dem geschnürten so genannten Kompromisspaket auch als FDP-Politiker persönlich versteht. Auf diese sozialdemokratische Position legen wir Wert.

Die SPD-Fraktion hat sich in diesem Haus monatelang gegen den Versuch gewendet, den Sozialverfassungsteil der Hessischen Verfassung zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Gewerkschaften verschlechternd umzugestalten. Umso weniger dürfen Sie alle heute und auch später erwarten, dass wir durch den jetzigen Wiederholungsversuch, den alleinigen Wiederholungsvorstoß der FDP, uns eines Besseren besinnen – Herr Wintermeyer, in diesen Punkten auch nicht durch Zuraten.

Die einzelnen kritischen Punkte zu den heute von der FDP vorgelegten Gesetzentwürfen zur Reform der Hessischen Verfassung sind in unserem Sondervotum im Einzelnen ausgeführt. Hier sollte aber nochmals unterstrichen werden: Die beabsichtigten Rechtsänderungen sind in politischer Hinsicht besonders verfehlt, weil sie im Arbeitnehmerlager Verunsicherung und Misstrauen säen, Herr Wintermeyer, und dies ohne triftigen oder gar dringenden Grund.