Protokoll der Sitzung vom 09.05.2008

Das hat aber auch zur Folge, dass, um das Subsidiaritätsfrühwarnsystem nicht ins Leere laufen zu lassen, der Hessische Landtag rechtzeitig darüber informiert werden muss, inwieweit Belange des Gesetzgebers tangiert sein

könnten. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Sie, Herr Hoff, wie in Ihrer Regierungserklärung angekündigt, das Thema Subsidiarität in den nächsten Monaten zum Schlüsselthema machen wollen. In der Tat ist die Frage, wie die Subsidiaritätskontrolle praktisch vonstatten geht, von eminenter Bedeutung.

Wir haben im Hessischen Landtag zwei Anläufe unternommen, dieses Problem anzugehen. Es gibt den einstimmigen Beschluss des Hessischen Landtags vom 14. Juli 2005, der aber meines Erachtens zu kurz greift. Da gefällt mir der Ansatz im FDP-Gesetzentwurf vom 27. August des letzten Jahres besser, über den aber nicht mehr im Landtag abgestimmt werden konnte. Auch wenn dieser Vorschlag bei den Kolleginnen und Kollegen in Schleswig-Holstein abgeschrieben wurde, sollten wir diesen Ball wieder aufnehmen und erneut ins Spiel bringen. Oder wir sollten uns – darauf haben Sie hingewiesen, Herr Minister Hoff – ein Beispiel an anderen Bundesländern nehmen, wo man Vereinbarungen zwischen Landesregierung und Landtag abschließen will oder bereits abgeschlossen hat. Ich erinnere an Baden-Württemberg und RheinlandPfalz. Hierüber müssen wir in der Tat in der nächsten Zeit im Europaausschuss unbedingt reden.

Wichtig ist uns dabei, um in Ihrem Fahrradbild zu bleiben, Herr Minister, dass nicht das Parlament hinten auf dem Gepäckträger sitzen muss und die Regierung vorne lenkt. Herr Hoff, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung von Testläufen gesprochen. Für meine Fraktion ist in der Tat die Einbindung des Parlaments in europäischen Fragen der Lackmustest, inwieweit den Worten auch Taten folgen werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir schon in einer öffentlichen Debatte und nicht in der von der Öffentlichkeit abgeschotteten Welt des Ausschusses über Europa reden, so sei es mir gestattet, einige Ausführungen darüber zu machen, inwieweit globale, also europäische Vorgaben mit lokalem, also hessischem Handeln kompatibel sind und wo für uns als SPD-Landtagsfraktion die Schwerpunkte auch unter Einschluss der europäischen Förderinstrumente für die Zukunft liegen.

Wir müssen die Chancen, die uns Europa bietet, produktiv umsetzen. Wer Wettbewerb will, muss dafür sorgen, dass er fair ausgetragen wird und nicht zu Dumpingpraktiken, zu Abwärtsspiralen bei Löhnen, Umweltbedingungen und Sozialleistungen führt. Wir wollen die Spielräume, die uns das EU-Recht bietet, mit einem hessischen Tariftreuegesetz konsequent nutzen, mit welchem man mehr als bisher Dumpingpraktiken verhindern kann. So wollen wir unter anderem bei öffentlichen Ausschreibungen Qualität zu fairen Preisen und anständige Löhne sicherstellen.

(Beifall bei der SPD)

Eines ist aber auch deutlich zu machen: In einer immer mehr globalisierten Welt werden soziale Standards, z. B. zum Schutz der abhängig Beschäftigten, nur dann greifen, wenn diese Standards europaweit gelten. Hier liegt noch ein weiter Weg vor uns.

Das soziale Europa ist für uns kein Schlagwort, sondern ein Auftrag, der mit Leben gefüllt werden muss. Wir meinen, dass es nach einer Zeit, in der Deregulierung, Privatisierung und dem Marktradikalismus in Europa das Wort geredet wurde,nun höchste Zeit wird,dass ein Europa der sozialen Marktwirtschaft,der sozialen Verantwortung,der

gestärkten demokratischen Institutionen, der Mitwirkung und der Solidarität endlich Wirklichkeit wird.

Wenn man bedenkt, dass aus dem Europäischen Sozialfonds 9,4 Milliarden c bis zum Jahr 2013 nach Deutschland fließen werden,ist dies auch für uns in Hessen Anlass und Auftrag genug, für Geringqualifizierte, Langzeitarbeitslose, Schulabbrecher und Einwanderer entsprechende Hilfestellungen zu schaffen.Wir sollten das, was in Europa längst Standard ist, nämlich die Mindestlöhne, z. B. mittels einer Bundesratsinitiative endlich in die Tat umsetzen.

(Beifall bei der SPD)

So wie es Kurt Beck in seiner Rede vor dem Bundestag ausgesprochen und wir es in unserem Antrag zitiert haben:Wir wollen,

dass alle Bürgerinnen und Bürger zu anständigen Bedingungen arbeiten können und die Chance haben, mit ihrer Arbeit sich und ihre Familien zu ernähren.

Herr Minister Hoff, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung betont, dass eine größere Gemeinsamkeit in einer nachhaltigen Klima-, Energie- und Umweltpolitik auf der europäischen Agenda steht. Dem kann man nur zustimmen. Herr Hoff, gilt diese Aussage aber auch für Ihre Partei in Hessen? Die Botschaft höre ich wohl,allein mir fehlt der Glaube – sagt, glaube ich, Goethes Faust im ersten Akt. Mal sehen, wie lange es dauert, bis bei der HessenCDU die grünliche Farbe wieder ab ist und die Kohlekraftwerk- und Atomkraftbefürworter wieder das große Sagen haben werden.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Horst Klee (CDU))

Wir werden jedenfalls darauf drängen, dass in diesem Bereich mehr als bisher europäische Fördergelder auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung, des Klimas, der Umwelt und der Natur in Hessen zukunftsgerichtet eingesetzt werden. Dies schont und schützt unsere Umwelt und schafft oder sichert Arbeitsplätze auch in Hessen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Elisabeth Apel (CDU))

Ich komme zum Schluss. Meine Fraktion wird dem Vertrag von Lissabon zustimmen, weil durch diesen die große historische Chance besteht,dass in Zukunft Europa handlungsfähiger, demokratischer, bürgernäher und transparenter werden wird, wie es zutreffenderweise in einer Bundestagsdrucksache formuliert wird, und dass, wenn es nach uns als SPD-Landtagsfraktion geht, Europa in Zukunft sozialer werden wird.– In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall bei Abge- ordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Abg. Hammann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir GRÜNEN begrüßen den Vertrag von Lissabon

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

und demzufolge natürlich auch die Ankündigung der geschäftsführenden Landesregierung, am 23. Mai im Bundesrat für diesen Vertrag zu stimmen und den sich anschließenden Prozess positiv zu begleiten.

Meine Damen und Herren, eine Zustimmung des Landtags zu unserem Dringlichen Antrag mit dem Titel „Vertrag von Lissabon – transparentere, demokratischere und handlungsfähigere EU verwirklichen“ wird der geschäftsführenden Landesregierung die parlamentarische Legitimation für ihre Zustimmung geben.

Nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden sowie einer langen Debatte um die Neuordnung der EU-Strukturen befand sich die EU in einem wirklich desolaten Zustand, regelrecht in einem Formtief. Man kann vielleicht sagen, das war Teil einer Sinnkrise in der EU. Man hatte den Eindruck, alle Welt spricht vom Klimawandel, aber auf EU-Ebene redet man leider nur über die EU-Bürokratie. Damit hat sich die EU natürlich selbst lahmgelegt und war nur noch mit sich selbst beschäftigt.

Ich darf Sie an Folgendes erinnern. Die Erweiterungsrunde der EU vor vier Jahren, die Integration der neuen Mitgliedstaaten,war ein weitestgehend unterschätzter politischer Kraftakt. Das alles ging an dem jungen Staatengebilde Europäische Union nicht spurlos vorbei. Zur Überraschung vieler EU-Skeptiker hat die Union daraus mehr Kraft geschöpft, als Federn gelassen, und ein durchaus sehenswertes Comeback hingelegt.

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben sich unter der deutschen Ratspräsidentschaft ein ehrgeiziges Ziel im Bereich der Umwelt-, Energie- und Klimaschutzpolitik auferlegt,aber die jeweiligen nationalen Debatten, z. B. die Debatte über die Einführung eines Tempolimits in Deutschland, zeigen, dass noch sehr viel Arbeit im Sinne einer einheitlichen europäischen Politik vor uns liegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, gerade die Auseinandersetzungen um die richtigen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel haben doch gezeigt: Nationale Maßnahmen allein reichen nicht mehr aus,denn CO2 ist „grenzenlos“. Am 23. Januar 2008 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag zur Änderung der Europäischen Emissionshandelsrichtlinie veröffentlicht. Diese Richtlinie soll dafür sorgen, dass besonders starke CO2-Produzenten – z.B.Kohlekraftwerke – auf die Dauer unrentabel werden und dass die ökonomische und ökologische Vernunft den Umstieg auf erneuerbare Energien enorm beschleunigt.

Handlungsbedarf ist doch wirklich mehr als gegeben. In Deutschland muss noch erheblich am Umsetzungswillen gearbeitet werden. Es darf nicht so sein, dass man darüber nur redet und redet, aber am Ende nicht das vollzieht, was in diesem Bereich notwendig wäre.Ich mache es an einem Beispiel deutlich. Es kann nicht sein, dass man auf EUEbene darüber redet, wie man den CO2-Ausstoß senken kann, während auf der Ebene der Bundesregierung darum gefeilscht wird, wie viele Verschmutzungszertifikate noch ausgeschöpft werden können. Das ist der falsche Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt aber auch in der europäischen Umweltpolitik noch vieles zu verbessern. Wer sich mit dem Thema Gentechnik befasst, der weiß: Seit Wochen betreibt die AgroGentechnikindustrie eine massive Öffentlichkeitskampagne auf EU-Ebene, und zwar bei der Europäischen Kommission und beim EU-Parlament. Die Protagonisten der Agro-Gentechnik missbrauchen die Diskussion um Rohstoffe und um die Preise zur Durchsetzung ihrer Wirtschaftsinteressen und zur Ausweitung dieser Risikotechnologie. Absolut absurde Argumente werden dabei ins Spiel gebracht, so z. B. die Behauptung, die Kühe in Deutschland müssten verhungern, die Lebensmittelpreise würden steigen, weil kein Gentech-Soja als Futtermittel importiert werden könne.

Was steckt wirklich dahinter? Dahinter steckt, dass Exportländer wie die USA und Argentinien die Kosten der Trennung der Warenströme von gentechnisch veränderten und gentechnikfreien Futtermitteln nicht akzeptieren wollen. Die Agro-Gentechnikindustrie will erreichen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher problematische Gentechnikprodukte serviert bekommen.Wir akzeptieren in diesem Zusammenhang auch die Diskussion nicht, dass die Null-Toleranz-Schwelle für derartige Produkte aufgehoben werden soll. Dies würde die gentechnikfreie Erzeugung in Europa gefährden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Beschlüsse, die wir vor Kurzem im zuständigen Ausschuss des Hessischen Landtags gefasst haben, weisen darauf hin, dass wir eine gentechnikfreie Landwirtschaft in Hessen haben wollen. Das bedeutet, dass sich der geschäftsführende Europaminister auch auf europäischer Ebene dafür einsetzen muss.Auch der Landwirtschaftminister muss sich dafür einsetzen. Sie wissen, dass MON 810 vor der Wiederzulassung steht. Da heißt es, auch im Hinblick auf die Beschlusslage des Hessischen Landtags, sich energisch gegen die Wiederzulassung von MON 810 auszusprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es muss endlich eine Verbesserung der Risikofolgenabschätzung, vor allem unter Berücksichtigung bodenökologischer Aspekte, stattfinden. Hier erwarten wir auch die Landesregierung an vorderster Stelle, dass sie das Ganze umsetzt und mit einfordert. Meine Damen und Herren, es muss endlich gewährleistet werden, dass die an den Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen mitwirkenden Experten unabhängig sind – nicht an der Forschung beteiligt sind, nicht mit der Wirtschaft verflochten sind und in diesem Arbeitsfeld keine wirtschaftlichen Interessen wahrnehmen.

Meine Damen und Herren, Sie werden aufgrund dessen, dass wir europäische Gesetzesentscheidungen mitgestaltet haben, verstehen, dass für uns Europa ein ganz wichtiges Konstrukt ist.Wir wollen,dass damit ganz starke übernationale Impulse in der Umweltpolitik einhergehen, auch wenn sich die geschäftsführende Landesregierung noch im Kampf gegen die Windmühlen befindet, das Zentrum ihrer Europapolitik bisher im Kampf um die Abschaffung der FFH-Richtlinie gesehen hat und versuchte, sich im erbitterten Widerstand gegen die REACH-Verordnung als Chemie-Lobbyist zu profilieren. Dazu sagen wir ganz deutlich:So,wie Hessen einen Wechsel in der Europapolitik mit neuen, anderen Schwerpunkten braucht, braucht auch die Europäischen Union eine Chance, sich zu reformieren. Durch den Vertrag von Lissabon können

nun wesentliche Reformen des Verfassungsvertrags vollzogen werden.

Ich möchte an dieser Stelle vier Punkte des Reformpakets hervorheben. Die Ratifizierung des Vertrages macht die Grundrechtecharta rechtsverbindlich. Das Europäische Parlament erhält mehr Rechte. Es wird ein Mehr an europäischer Außenpolitik geben. Das Mehrheitsprinzip löst das bisher geltende Prinzip der Einstimmigkeit im Rat ab, und die Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente werden auf diese Weise gestärkt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die demokratische Legitimation der EU wird erhöht, und auch die Beteiligung der europäischen Bürgerinnen und Bürger wird möglich. Dies kann doch nur in unser aller Sinne sein. Wir GRÜNEN sehen es als Verpflichtung an, mit dazu beizutragen, die Europäische Union transparenter und handlungsfähiger zu gestalten.

Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Es stünde Hessen gut an, wenn sich alle Fraktionen im Hessischen Landtag dafür einsetzen würden. Umso mehr sind wir über die Haltung der Fraktion DIE LINKE enttäuscht. Die linke Fraktion lehnt die Zustimmung zum Vertrag von Lissabon kategorisch ab. Sie hat einen Antrag dieses Inhalts vorgelegt.

(Michael Boddenberg (CDU): Die reden mehr in Richtung Osten als in Richtung Westen!)

Damit lehnt sie – auch das muss man deutlich machen – die Erweiterung der Bürgerrechte ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Ein Blick auf den Antrag der LINKEN offenbart in der Ablehnung viele kraftvolle Aussagen wie „neoliberale Wirtschaftspolitik“, „fehlende Sozialstaatlichkeit“, „militärische Verpflichtung“. Es ist wirklich höchst bedauerlich, dass die LINKEN im Hessischen Landtag die Chancen des Vertrages offensichtlich ignorieren und das Vertragswerk mit falschen Argumenten ablehnen.

Lassen Sie mich dies durch drei Zitate widerlegen. Ich komme erstens zu Ihrem Vorwurf fehlender Sozialstaatlichkeit. Dazu ist festzuhalten – ich zitiere –:

Sozialpolitisch bedeutsam ist, dass der Vertrag von Lissabon eine Klausel enthält, die zwingend vorschreibt, künftig alle EU-Richtlinien auf ihre Sozialverträglichkeit hin zu überprüfen – ein scharfes Schwert, wenn man es zu gebrauchen versteht.