Protokoll der Sitzung vom 14.05.2008

Meine Damen und Herren,zu diesen Herausforderungen, vor denen wir stehen, gehört unzweifelhaft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – zum einen aus Gründen der leider immer noch notwendigen Rahmenbedingungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern, zum anderen zur Förderung von Menschen mit Kindern, egal welchen Geschlechts. Denn die neuen Väter brauchen wir mehr denn je, weil die jungen Frauen klüger geworden sind. Sie wollen Kinder, aber nur, wenn die Erziehung gerecht zwischen den Eltern aufgeteilt wird. Dies sollten wir aus frauenpolitischen und gesellschaftlichen Gründen – Stichwort: demografischer Wandel – dringend unterstützen.

Nicht zuletzt hat auch die Wirtschaft ein immanentes Interesse an familienfreundlichen Strukturen; denn gut ausgebildete Menschen werden sich in Zukunft ihren Arbeitsplatz nicht mehr allein nach dem Gehalt, sondern auch nach anderen Kriterien aussuchen.

(Beifall des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Zu diesen Kriterien gehört gerade für jungen Menschen an vorderster Stelle die Familienfreundlichkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb sind wir selbstverständlich dafür, dass kleine und mittlere Unternehmen dabei gefördert werden, betriebsübergreifende Kinderbetreuung zu organisieren. Im Prinzip spricht selbstverständlich auch nichts gegen eine Prüfung, ob dafür Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds genutzt werden können.Schließlich gibt es extra dafür seit Kurzem das gemeinsame Förderprogramm „Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung“ des Bundesfamilienministeriums gemeinsam mit dem Europäischen Sozialfonds in Höhe von 50 Millionen c.

Allerdings gibt es zu diesem Programm Richtlinien und eine Förderfibel. Beides ist seit ungefähr einem Vierteljahr auf der Homepage des Bundesfamilienministeriums abrufbar. Ich gehe davon aus, dass sowohl die geschäftsführende Landesregierung als auch die Unternehmerinnen und Unternehmer des Lesens kundig sind und wie ich zu dem Ergebnis kommen, dass für viele Unternehmen eine Förderung aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds wirklich möglich sein müsste.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist die zentrale Frage zu dem Antrag der CDU, warum er allein einen Prüfauftrag erhält. Ein Prüfantrag ist der Sache nicht angemessen, Frau Müller-Klepper, denn wir alle sind in der Debatte schon einen Schritt weiter. Statt Prüfaufträge zu erteilen, sollten wir die geschäftsführende Landesregierung auffordern, kleine und mittlere Unternehmen bei Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen.

Ich muss sagen, dass der SPD-Antrag ein bisschen in die richtige Richtung geht, weil er konkretere Maßnahmen einfordert. Mir fehlt aber, dass es hier alleine um Kinderbetreuungsmaßnahmen geht. Aber Familienfreundlich

keit von Betrieben misst sich nicht alleine an den Kinderbetreuungsmaßnahmen, sondern geht weit darüber hinaus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu diesen Verbesserungen gehören sicherlich auch die Betreuungsmaßnahmen, und hier möchte ich versuchen, die Brücke zur FDP und auch zur LINKEN zu schlagen, weil wir hier im neuen Landtag sind. Ich fand Ihre beiden Reden dem Antrag und dem Thema nicht so richtig angemessen.

Was Herr Kollege Rentsch angesprochen hat, hat damit zu tun, wie wir nicht nur mehr Kinderbetreuung, sondern vor allem auch ein Mehr an Qualität in der Kinderbetreuung hinbekommen. Ich unterstütze die Ansätze, die er hier vorgetragen hat. Sie gehen in die richtige Richtung. Das ist ein Thema, mit dem wir uns an anderer Stelle schon sehr häufig beschäftigt haben.Aber hier geht es darum, ob und wie wir die Familienfreundlichkeit von Betrieben weiter fördern können. Bei dieser Frage sollten wir bei diesem Tagesordnungspunkt bleiben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Schott hat – wenn man das wohlwollend heraushören wollte –, angesprochen, dass sie findet, dass bei dieser ganzen Problematik die Kinder in den Mittelpunkt gestellt gehören. Frau Kollegin Schott, hier teilen wir Ihre Auffassung.Für uns GRÜNE ist schon lange klar: die Kinder in den Mittelpunkt. Frau Schott, dann sollten Sie aber so konsequent sein, zu sagen, dass es für die Kinder und für deren Eltern Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Betreuung geben muss. Dazu gehören selbstverständlich betriebliche Angebote. Dazu können auch Angebote nicht am Wohnort, sondern am Arbeitsplatz gehören.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Kinderbetreuung kann nur ein Baustein sein. Sie alleine reicht für eine wirkliche Familienfreundlichkeit von Betrieben nicht aus. Das Auditverfahren,das in den hessischen Ministerien und in vielen größeren Betrieben bereits läuft, sollte gerade auch für Klein- und für mittlere Betriebe ohne größeren finanziellen und zeitlichen Aufwand durchführbar sein.

Für eine Erhöhung der Familienfreundlichkeit der Betriebe sind auch andere Maßnahmen nötig, beispielsweise flexiblere Arbeitsbedingungen. Vor allem gehört dazu, dass die Maßnahmen für Mütter und für Väter angeboten werden. So darf sich der Bedarf an Betreuung beispielsweise nicht allein an der Zahl der Frauen mit Kindern in einem Unternehmen ausrichten, sondern es müssen explizit auch die Väter aktiv eingebunden werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Unterstützungsbedarf hinsichtlich der Betreuungssituation in Unternehmen ist sehr, sehr unterschiedlich, je nach Altersstruktur des Personals. Das hat auch mit den Arbeitszeiten und vor allem mit der Lage des Unternehmens zu tun, also damit, wie es mit der Kinderbetreuung rundherum aussieht. Es gibt sehr viele Beispiele dafür, dass junge Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter, die meist selbst Kinder haben, sich von dem Mangel an Betreuungsplätzen betroffen fühlen und versuchen, nicht nur für sich, sondern auch für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Betreuungsangebote in der Nähe des Betriebs zu finden und dort Kontingente zu kaufen. Es gibt natürlich auch die Situation, dass man keine Kontingente kauft, sondern betriebsnah Kinderbetreuungsplätze

schafft. Noch einmal: Der Bedarf an Betreuung darf sich nicht allein an der Zahl der Frauen mit Kindern in einem Unternehmen richten. Das ist uns sehr wichtig, nicht nur aus frauenpolitischen Gründen, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Gründen. Die Zukunft gehört den neuen Vätern, denn nur durch diese neuen Väter entstehen auch Kinder.

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Insbesondere in Gewerbegebieten, in denen keine Kindergärten öffentlicher oder gemeinnütziger Träger vorhanden sind, ist die Organisation einer betriebsübergreifenden Betreuung oft äußerst schwierig. Deshalb gibt es Unternehmen, die Kontakte zu anderen Firmen suchen, um neue Betreuungseinrichtungen zu schaffen – mit allen Problemen der Finanzierung, der Suche nach einer geeigneten Immobilie usw. Auch hier muss selbstverständlich gehandelt werden. Nach dem Hessischen Kinder- und Jugendhilfegesetzbuch besteht, ähnlich wie beim Bundesgesetz, die Möglichkeit, dass Tageseinrichtungen von öffentlichen,von freien gemeinnützigen oder sonstigen geeigneten Trägern betrieben werden können. Voraussetzung ist die Öffnung der Einrichtung an mindesten drei Tagen für mindestens vier Stunden. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen würde hier die Möglichkeit geschaffen, auch private Trägerschaften zuzulassen. Das finden wir richtig, denn es geht hier nicht um Luxuskindergärten, sondern um eine flexible Betreuung in Ergänzung kommunaler und gemeinnütziger Einrichtungen, und es geht um Wahlmöglichkeiten für die Eltern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Müller-Klepper (CDU))

Ich sage es noch einmal: Die Wahlmöglichkeit der Eltern bezüglich der geeigneten Betreuungseinrichtung für ihre Kinder ist für uns ein hohes Gut. Das heißt auch, dass niemand gezwungen werden darf, seine Kinder in die Betriebs- oder betriebsübergreifende Betreuungseinrichtung zu geben, denn es gibt gute Gründe, gerade ältere Kindergartenkinder eher am Wohnort denn am Arbeitsplatz betreuen zu lassen. Bereits vor dem Schulbeginn werden am Wohnort Freundschaften geknüpft, die in der Schulzeit und in der Freizeit gepflegt werden. Oder denken Sie an den Fall, Frau Kollegin Schott hat es schon angesprochen, dass die Eltern nicht am selben Ort arbeiten und sich das In-den-Kindergarten-Bringen und -Abholen aufteilen. Insofern macht es Sinn, ein wohnortnahes Angebot zu haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das kann aber nicht der alleinige Grund sein, denn andererseits macht ein Betreuungsangebot für Kleinkinder – wir reden hier ja auch über unter Dreijährige – gerade da, wo die Eltern sind, natürlich Sinn.

(Eine Gruppe Kinder nimmt auf der Tribüne Platz.)

Ihr seid passend zum Thema hier. Herzlich willkommen.

(Heiterkeit und allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu reinen Betriebskindergärten sagen. Gerade in kleineren Orten mit einem beherrschenden Unternehmen darf es keine „Premiumkindergärten“, Kindergärten mit guter Betreuung auf der einen Seite, und „Dorfkindergärten“ für Kinder von Eltern, die nicht für das Unternehmen arbeiten, geben. Feste Kontingente in existierenden Kinder

gärten sind daher aus meiner Sicht mit Vorteilen für alle Seiten, auch für die Träger, verbunden.Aus der Sicht eines Kindes in einem Betriebskindergarten ist es sicherlich auch nicht schön, bei einem Arbeitsplatzwechsel oder gar Arbeitsplatzverlust die Freunde im Betriebskindergarten verlassen zu müssen.

Um konkret über den Prüfauftrag des Antrags hinauszugehen, wollen wir, dass Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften in Kooperation Leitlinien für eine familienfreundliche Personalpolitik erarbeiten, wie wir GRÜNEN es in der Vergangenheit immer wieder gefordert haben. Das wäre gerade für kleine und mittlere Unternehmen und für die dort Beschäftigten ein guter Orientierungsrahmen. Darüber hinaus sollten regionale Beratungsstellen der Tarifpartner und der Kammern kleinen und mittleren Unternehmen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Unbürokratische Hilfe im Einzelfall, das würde der Familienfreundlichkeit wirklich auf die Sprünge helfen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Abschließend möchte ich Folgendes sagen. Ich habe das Gefühl, dass wir bei dieser Debatte wirklich nicht sehr weit auseinander sind. Ein bisschen ist das also schon der neue Landtag. Ich freue mich, Frau Müller-Klepper, dass Sie hier auch die hohe Erwerbsquote in den skandinavischen Ländern als positives Beispiel angeführt haben. Man merkt, die CDU-Fraktion bewegt sich. Endlich wird nicht jeder unserer familienpolitischen Vorschläge torpediert. Sie gestatten mir aber trotz des neuen Landtags die Bemerkung: Hätte sich die CDU an der Stelle früher bewegt, dann müssten wir jetzt nicht das aufholen, was wir im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern in der Entwicklung der letzten 30 Jahre verloren haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

So viel Kritik müssen Sie sich schon noch anhören. Wir freuen uns aber, dass wir Sie jetzt an unserer Seite wissen. Wir freuen uns insbesondere, wenn es nicht nur um Prüfaufträge, sondern um konkretes Handeln geht und sich wirklich etwas für die Familien verbessern sollte. – Ich habe heute für Frau Kollegin Schulz-Asche gesprochen; ich bin sicher, sie freut sich auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Sorge. – Ich darf zunächst auf der Besuchertribüne Gäste aus den Vereinigten Staaten begrüßen, die im Rahmen der „STAR International Police Exchange“ heute bei uns sind. Es handelt sich dabei um einen Verein, dem amerikanische und deutsche Polizeibeamte angehören. Wir haben Gäste aus verschiedenen amerikanischen Bundesstaaten vom 3. bis 17. Mai bei uns in Hessen. Heute sind Sie Gäste des Hessischen Landtags. Ich darf Sie herzlich begrüßen und Ihnen einen schönen Tag wünschen. Sie fahren nachher in den Rheingau. Bei diesem schönen Wetter beneiden wir Sie alle,dass Sie dort hinfahren dürfen, denn wir dürfen es nicht. Herzlich willkommen.

(Heiterkeit und allgemeiner Beifall)

Das Wort hat der Kollege Rentsch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Sorge, Sie haben gerade gesagt, die Frauen seien heute klüger. Ich würde mir nicht anmaßen, zu beurteilen, ob das so ist. Ich kann Ihnen aber für die Männer sagen: Die Männer sind heute auf jeden Fall klüger, denn sie haben erkannt,dass es sich lohnt,sich um ihre Familien und ihre Kinder zu kümmern und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.Bei den Männern fand auf jeden Fall einen Paradigmenwechsel statt.Wie es bei den Frauen ist, werden Sie mir vielleicht in einem privaten Gespräch noch einmal erklären können.

(Heiterkeit bei der FDP)

Sie haben gesagt, wir hätten uns in der Frage, was wir in dem Bereich wollen, nicht klar ausgedrückt. Ich kann versuchen, es noch einmal klar zu sagen.Wir wollen, dass die Einrichtung von Betriebskindergärten und betriebsübergreifenden Kindergärten gefördert wird – aber nicht durch staatliche Programme, sondern durch eine steuerliche Entlastung der Unternehmen, die sich in diesem Bereich engagieren.

Das unterscheidet uns möglicherweise.Wir,die Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses, haben uns angeschaut, wie diese Modelle in Holland funktionieren.Reisen bildet bekanntlich, und daher sollte man vielleicht das, was man dort als richtig erkannt hat, nach Deutschland mitnehmen und sich überlegen, ob das auch hier möglich ist.

Ist es denn sinnvoller, ein staatliches Zuschussprogramm zu installieren, bei dem eine bestimmte Einrichtung Fördermittel bekommt, oder sollte man nicht sagen: „Ja, wir wollen, dass die Unternehmen, die sich in diesem Bereich engagieren“, – da gibt es überhaupt keinen Dissens; das sehen wir alle so – „auch einen Anreiz bekommen, das zu machen“?

Damit kann ich zu Frau Kollegin Schott überleiten.Wenn ich da oben einen Montessori-Kindergarten sehe, muss ich sagen: Ich bin froh, dass es diesen Kindergarten gibt. Wir Liberale wollen in der Kinderbetreuung nicht nur staatliche Einrichtungen haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das unterscheidet uns von den LINKEN zentral. Wissen Sie, es ist schon erstaunlich: Beim letzten Mal haben Sie hier noch ein Familienbild gezeichnet, das mich wirklich an die Verhältnisse in einem anderen Land erinnert hat, das auch den Namen Deutschland trug.Sie haben das Bild von einem Land gezeichnet, in dem der Staat die komplette Verantwortung für die Erziehung, die Betreuung und die schulische Ausbildung übernehmen sollte. Heute sagen Sie, das alles könne und dürfe nicht privat laufen, der Staat habe hier eine Verantwortung.

Frau Kollegin Schott, es ist an dieser Stelle unbestritten, dass der Staat, die Gesellschaft und dieses Parlament die Standards für die Qualität und die Ausstattung klar definieren müssen, deren Einhaltung wir von einer Einrichtung erwarten. Das ist doch unbestritten. Aber es muss doch nicht alles, was in Deutschland geplant wird, durch den Staat verwirklicht werden. Frau Kollegin Schott, das kann nicht das Gesellschaftsbild dieses Parlaments sein.