Große Anfrage zu entnehmen, dass es ein Desinteresse des Landes in vielen kinder-, jugend- und familienpolitischen Fragen gibt. Sie folgen dem Motto: Wir wissen es nicht, und wir wollen es auch gar nicht wissen.
Das ist der Punkt, den man hier aufführen muss. Es wird aus diesen Antworten einmal mehr deutlich, dass das Land keinerlei Interesse an einer eigenständigen Landesjugendhilfeplanung hat und dementsprechend auch über keinerlei Kompetenz oder Kapazität verfügt.
Frau Kollegin Wiesmann, es ist richtig, dass es nicht einen Plan gibt. Natürlich müssen sehr viele verschiedene Pläne zusammenwirken. Natürlich müssen sie auf kommunaler oder regionaler Ebene entwickelt werden. Aber gar keinen Plan zu haben, ist ja nun auch nicht die Antwort auf die Frage, um die es hier geht.
Die Frage, um die es hier geht, ist, ob das Land bei der Ausbauplanung und bei der Steuerung der Prioritätensetzung eine Rolle spielen will oder nicht. Das Land will es offenkundig nicht, weil es sowohl auf die Steuerungsressource Recht als auch auf die Steuerungsressource Finanzierung – das sind ja die zwei großen Steuerungsressourcen, die ein Land hat – verzichtet, und das mit einer gewissen halsstarrigen Konsequenz. Das ist so.
Viertens. Ich bin auch deswegen unbehaglich, weil die Zahlen, die trotzdem vorgelegt worden sind, zum Teil bereits wieder überholt sind. Das hat natürlich auch etwas mit dem Zustand der Kinder- und Jugendhilfestatistik zu tun. Das ist richtig. Es hat auch etwas mit einer gewissen dynamischen Entwicklung zu tun, die in den letzten zwei Jahren – ich könnte jetzt sagen: trotz der Landesregierung, das lasse ich jetzt einmal, weil ich anerkenne, dass das eine oder andere passiert ist – stattgefunden hat, sodass jetzt jede Zahl, die statistisch geäußert wird, in dem Moment, in dem sie veröffentlicht wird, schon fast wieder überholt sein muss.
Fünftens. Das ist der zentrale Punkt. Die Zahlenhuberei, die wir teilweise auch unter meiner Beteiligung betrieben haben, zur Betreuungsquote, zur Versorgungsquote, zum Anteil Tagespflege gegen Kindertagesstätten, zu Stichtagen und Berichtszeit und vielem anderen mehr
ja, Sie haben auch viel Arbeit gemacht –, hat auch ein paar Erkenntnisse gebracht. Die Ergebnisse führen aber um einen Punkt nicht herum: Das maßgebliche Datum bei all dem, was wir hier diskutieren, ist, dass es im nächsten Jahr einen individuellen Rechtsanspruch für alle Ein- bis Dreijährigen gibt. Der Hinweis darauf, dass die einen 39 %, die anderen 25 % Versorgungsquote haben, wird nichts helfen. Wir werden alle Anstrengungen zusammennehmen müssen, um diesen Rechtsanspruch zu erfüllen.
In den wenigen Sekunden, die mir noch bleiben, will ich davor warnen, weil es Schwierigkeiten geben wird – auch das wird aus der Großen Anfrage deutlich –, weil wir immer noch hinter den Ausbauzielen ein gutes Stück zurück sind.
Angesichts dieser Situation können wir uns keine Debatte leisten, die erstens den Rechtsanspruch infrage stellt, von wem auch immer, die zweitens verschiedene Betreuungsangebote gegeneinander ausspielt, also etwa U 3 gegen Kindertagesstätten oder U 3 gegen Hortplatz- und Ganztagsschulangebote, und die drittens Quantität gegen Qualität ausspielt.
Ich warne vor dem Hintergrund der Entwicklung, die absehbar ist, davor, an der Qualität der Kinderbetreuung zu drehen, etwa bei den Gruppengrößen oder bei den Personalschlüsseln. Davor warne ich. Wir werden sehen, was das Kinderförderungsgesetz in diesem Zusammenhang bringt. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns nicht zum ersten Mal mit diesem Thema. Ich glaube, wir haben uns bereits im März und im Mai damit beschäftigt. Es geht immer um die Frage, wie wir diesen Rechtsanspruch im August 2013 umsetzen können. Es ist gut, dass wir uns mehrfach damit beschäftigen, weil es ein sehr wichtiges Thema ist. Gerade diese Große Anfrage lädt dazu ein, alles reinzupacken, was man da hineinpacken möchte.
Frau Schott hat jetzt das Betreuungsgeld angesprochen. Ich denke, das hat mit diesem Punkt nichts zu tun; denn wir reden jetzt darüber, wie es das Land schaffen kann, die Ausbauziele zu erreichen. Das war der Kern dieser Großen Anfrage. Insofern sollten wir uns hüten, alle möglichen Dinge hineinzupacken. Wir sollten uns mit dem wesentlichen Inhalt der Anfrage beschäftigen.
Dazu muss man schon sagen: Es ist immer die gleiche Argumentation. Herr Merz ist es fachlicher angegangen, aber Frau Schott hat die „Baukasten“-Argumentation verwendet, die man in den Reden der Fraktion DIE LINKE öfter hört. Erster Baukastenstein: Das Betreuungsgeld ist falsch. Zweiter Baukastenstein: Höhere Steuern, dann ist alles gut. – Das ist mir für dieses Thema ein bisschen zu dünn.
Vor allem überdeckt das den Punkt, der bei dieser ganzen Debatte doch recht wichtig ist, dass wir uns nämlich hinsichtlich der Notwendigkeit und der Verbesserung des Ausbaus der U-3-Betreuung doch eigentlich einig sind. Das sollte Anlass für eine produktive Diskussion sein, statt dass wir uns hier gegenseitig die alten Textbausteine um die Ohren hauen.
Im Rahmen der Szenarien werden immer auch schlimme Situationen aus einzelnen Städten geschildert. Insbesondere wird die Situation in Frankfurt am Main angesprochen, weil dort die Probleme sehr drängend sind. Das möchte ich gar nicht verschweigen. Ich möchte dieses Beispiel aber zum Anlass nehmen, um an einigen Punkten darzustellen, was z. B. die Stadt Frankfurt als Kommune macht,
Es gibt – Frau Wiesmann hat es angesprochen – in Frankfurt für U-3-Plätze keine zentrale elektronische Verwaltung, sondern Wartelisten, was dazu führt, dass sich alle Eltern in den ersten vier Wochen nach der Geburt ihres Kindes bei zig U-3-Einrichtungen anmelden. Ich weiß, wovon ich rede, das habe ich nämlich auch so gemacht. Wenn die Leute, die auf diesen Listen stehen, einen Platz bekommen, werden sie auf den anderen Wartelisten nicht gelöscht. Das führt dazu, dass alle U-3-Einrichtungen ellenlange Wartelisten haben. Eine zentrale Verwaltung würde das Problem zwar nicht vollständig aus der Welt schaffen, aber die Verantwortlichen haben die Notwendigkeit erkannt. Eine zentrale Stelle ist geplant. Diese zentrale Verwaltung wird mehr Transparenz schaffen.
Ein zweiter Punkt. Die Stadt Frankfurt am Main leistet sich ein Raumprogramm, das absolut luxuriös ist und dazu geführt hat, dass Kita-Neubauten in Frankfurt am Main doppelt so teuer sind wie im Bundesdurchschnitt. Die Verantwortlichen sind, glaube ich, noch nicht so weit, dass dieses Programm aufgegeben wird.
Das sind zwei Beispiele, die zeigen, dass die Kommunen vor Ort es in der Hand haben, etwas zu tun, und dass es nicht das Land ist, dem Sie immer die Schuld dafür in die Schuhe schieben dürfen, dass die Situation noch nicht so ist, wie wir uns alle das wünschen.
Der Herr Minister hat es betont, und es ist richtig: Der Ausbau der Kinderbetreuung ist in erster Linie eine kommunale Aufgabe. Der Bund und das Land geben aufgrund der Wichtigkeit dieser Aufgabe Geld dazu. Auch das ist vollkommen richtig. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass das Ganze nicht nur eine Geldfrage ist. Wenn Sie am Dienstag in die „FAZ“ geschaut haben, werden Sie gesehen haben, dass die Bundesagentur für Arbeit z. B. bemängelt, dass noch nicht alle Länder beim Thema Erzieherinnenausbildung und Nachqualifikation von Erzieherinnen so weit sind, wie sie sein wollten. Herr Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, wirft den Ländern vor, nicht genügend Engagement an den Tag zu legen. Er führt z. B. aus, dass es bei der vorgeschriebenen Zertifizierung der staatlichen Schulen zur Erzieherinnenausbildung hakt. Nur vier Länder, nämlich Hessen, Rheinland-Pfalz, NRW und Bremen, haben das bis jetzt in Angriff genommen. In zwölf anderen Ländern ist das noch gar nicht angegangen worden oder noch nicht abgeschlossen. Das zeigt doch, dass es andere Stellschrauben als immer nur das Geld gibt, und es zeigt auch, dass wir uns an diesem Punkt in Hessen in einer Spitzengruppe der Bundesländer befinden. Ich finde, das sollte hier nicht unerwähnt bleiben.
Es zeigt übrigens auch, dass das keine parteipolitisch motivierte Diskussion ist. Es gibt offenbar engagierte und wenig engagierte Länder. Ich möchte darauf hinweisen, dass GRÜNE, Rote und LINKE auch in weniger engagierten Ländern teilweise mit an der Regierung sind. Ich denke, das sollte auch Ihnen Gelegenheit geben, ein bisschen demütiger an die Sache heranzugehen und sich hier nicht immer so aufzuplustern.
Ich möchte noch einmal betonen, dass wir uns in der Sache einig sind und dass das Thema sehr wichtig ist. Es ist in der Tat – Herr Merz, da haben Sie recht – eines der drängendsten Probleme der aktuellen Politik. Ich bin wirklich weit davon entfernt, hier in Jubelarien auszubrechen und Vollzug zu melden. Es ist richtig: Es geht nicht so schnell voran, wie wir alle uns das wünschen. Trotzdem muss man doch sagen, dass das Land hier erhebliche Anstrengungen unternimmt. Es stört mich schon, dass hier immer der Eindruck erweckt wird – das war diesmal Gott sei Dank nicht der Fall –, wenn Sie am Ruder wären und wenn es nur mehr Geld gäbe, dann wäre das Problem morgen gelöst. Das ist aber nicht der Fall. Da müssten Sie ein bisschen ehrlicher sein.
2005 lag der Versorgungsgrad für die U-3-Betreuung in Hessen gerade einmal bei 7,4 %. Mittlerweile sind wir bei deutlich über 30 %. Das ist doch eine Leistung, die man anerkennen muss. Das Anfang dieses Jahres aufgelegte Investitionsprogramm wurde erst vor Kurzem nochmals aufgestockt, und zwar auf 100 Millionen €. Damit zeigen wir deutlich, dass wir die Sorgen der Eltern in Hessen ernst nehmen, dass wir eine gute Familienpolitik betreiben, dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ernst nehmen.
Ich bin davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, mit diesen erheblichen Anstrengungen die Ausbauziele im August 2013 zu erreichen. Wir stehen für eine gute Familienpolitik. Wir stehen für Wahlfreiheit, wir stehen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darauf können sich die Familien in Hessen verlassen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Vorbemerkung sei mir gestattet. Wir haben jetzt noch elf Monate bis zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs für Kinder unter drei Jahren. Ich mache keinen Hehl daraus, dass meine Fraktion die Situation nicht auf die leichte Schulter nimmt, wie es Herr Mick eben angedeutet hat, sondern ich glaube, dass die die Betreuungssituation für Kinder unter drei Jahren angesichts der realen Zahlen in vielen Gemeinden tatsächlich dramatisch ist.
Wenn man eine Große Anfrage stellt und darin über 25 Fragen formuliert, dann ist es im Interesse aller Fraktionen hier im Hause, dass man auf alle 25 Fragen eine Antwort bekommt. Ich will es einmal so formulieren: Ich finde es einen schlechten Stil, wenn von 25 Fragen zehn nicht beantwortet werden. In dieser Feststellung sollten wir uns – zumindest wir von der Opposition – einig sein.
Frau Wiesmann, wenn Sie sagen, es sei zuvorderst eine kommunale Aufgabe, dann haben Sie zwar nicht unrecht,
aber Sie haben die Zeichen der politischen Diskussion völlig verkannt. Die Bundesregierung, die Landesregierung und die kommunalen Gebietskörperschaften haben gemeinsam festgestellt, dass die Kinderbetreuung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Dann, wenn es eine Krisensituation gibt, zu sagen, es sei eine kommunale Aufgabe, ist politisch natürlich völlig falsch.
Eine zweite Vorbemerkung. Wenn Sie davon sprechen, es gehe Ihnen um einen Wettstreit der Modelle, welche Betreuungsform die richtige sei, und der jeweils anderen Seite vorwerfen, sie habe das falsche Modell, dann muss ich sagen: Nein, darum geht es nicht. Frau Wiesmann und Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, es geht hier nicht um Modelle der besseren Betreuung, sondern um die Umsetzung der Wahlfreiheit für alle Eltern in diesem Land. Davon sind wir meilenweit entfernt.
Mir ist völlig egal, welches Modell die Eltern wählen. Sie brauchen aber die Wahlfreiheit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Jetzt komme ich noch einmal zu den Fakten. Wir haben – Stand Juni 2012 – rund 46.500 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Nachdem mich der Minister im März noch der „geistigen Armut“ bezichtigt hat, weil ich davon sprach, dass wir 58.000 Betreuungsplätze brauchen – Sie können es im Wortprotokoll nachlesen, ich habe es mitgebracht –, sagt er heute, man brauche 58.000 Plätze. Damals hat er gesagt, wir brauchten 52.000 Plätze. Wenn dem so ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, befinden wir uns elf Monate vor Inkrafttreten des Rechtsanspruchs in einem „Loch“ von 11.000 Plätzen. Nehmen Sie die Fakten doch einmal zur Kenntnis. Insoweit müssten wir eigentlich einer Meinung sein. Es fehlen rund 11.000 Plätze, und es sind noch elf Monate. Dann müssen wir doch auch zur Kenntnis nehmen, dass in den letzten Jahren die Steigerungsrate beim Aufwuchs von Betreuungsplätzen zwischen 1,9 und 3,4 % lag.
Das sind, großzügig gerechnet, ungefähr 1.000 Plätze. Da Sie es sind, gehen wir einmal von 2.000 Plätzen aus. Aber um auf 11.000 Plätze zu kommen, muss man schon verdammt optimistisch sein. Das Verhandeln dieser Landesregierung gefährdet die Umsetzung dieses Rechtsanspruchs massiv, und wir kritisieren das energisch.
Ich will auch sagen, warum sich die Landesregierung nicht eben elegant vom Acker machen kann. Ich habe das schon einmal betont und sage es hier noch einmal: Für eine Kommune, die die Kinderbetreuung umsetzen muss – die Betreuung unter Dreijähriger, die Betreuung Drei- bis Sechsjähriger und sogar die Betreuung in den Horten –, ist es eine existenzielle Frage, ob sie genügend Mittel zur Verfügung hat.