Protokoll der Sitzung vom 18.11.2009

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Genau um diese Führerschaft der Mitte in unserer Gesellschaft geht es, wenn wir GRÜNEN von der linken Mitte sprechen. Es geht darum, ob das teilweise reaktionäre Weltbild, das Sie heute hier präsentiert haben, die Mehrheit in unserer Gesellschaft repräsentiert

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

oder ob es um ein aufgeklärtes Bürgertum geht, das weiß, dass man den Einzelnen stärken muss, aber dass wir auch einen handlungsfähigen Staat brauchen, um denen zu helfen,die sich nicht oder noch nicht aus eigener Kraft helfen können. Herr Kollege Rentsch, Sie können die Führerschaft für das Spießbürgertum in diesem Land gerne haben. Die Führerschaft für die linke Mitte werden andere einnehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben das Wort, Herr Rentsch.

Herr Präsident! Herr Kollege Wagner, es gibt den Satz: „Getroffene Hunde bellen.“ Bei Ihnen heißt es richtig,getroffene Dackel bellen; aus der Vergangenheit wissen wir das.

(Beifall bei der FDP – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Besser als der Zwergpinscher der CDU!)

Ich will drei Bemerkungen machen:

Erstens. Es ist doch schön, dass auch Sie sich zu den westlichen Werten bekennen. Das ist ein Erkenntnisgewinn aus dieser Debatte.

(Zuruf von der SPD: Unverschämtheit!)

Zweitens. Herr Kollege Wagner, ich finde es sehr spannend, dass Sie das für sich und für die Kollegen der SPD in Anspruch genommen haben, aber an der Stelle die LINKEN vergessen haben.Wie hätte das eine Regierung geben sollen, wenn nur zwei für westliche Werte sind und die Dritten für östliche Werte? Das macht doch gar keinen Sinn.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Wir treten für die Menschenrechte ein! – Janine Wissler (DIE LINKE): Was sind denn „westliche Werte“?)

Ein letzter Satz, weil ich das beim Kollegen Al-Wazir in letzter Zeit so oft bemerkt habe. Es gibt bei Ihnen den tiefen Wunsch, auch irgendwie im Bürgertum anzukommen. Sie arbeiten sich ständig an dem Begriff ab, aber wollen auch irgendwie dabei sein.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wir sind da!)

Wissen Sie, es ist mir völlig egal, wie Sie das bezeichnen, ob wir Spießbürger, Bürger, oder was weiß ich, sind. Erstens war das für Sie lange ein Kampfbegriff. Ich finde es toll, dass Sie das aufgegeben haben. Zweitens ist mir alles lieber, als so zu sein wie Sie. Deshalb können Sie es nennen, wie Sie wollen. Ich möchte nicht so sein wie DIE LINKE in diesem Landtag. Deshalb bin ich froh, dass wir uns klar abgrenzen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Du hast dich für das zu entschuldigen, was du vorhin gesagt hast! Es ist nicht zu fassen! Herr Präsident, darauf müssen Sie eingehen!)

Das Wort hat Herr Fraktionsvorsitzender Willi van Ooyen für die Fraktion DIE LINKE. Bitte schön.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rentsch, wenn man Ihnen so zuhört, hat man den Eindruck, dass Sie noch im Feudalismus zu Hause sind.

(Lachen bei der FDP)

Denn wie Sie das Beamtenrecht auslegen,das hat mit dem Grundgesetz und den Möglichkeiten der Gestaltung nichts, aber auch gar nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Recht zu streiken ist ein Grundrecht, das allen zusteht und das Sie nicht an irgendwelche Angestelltenverhältnisse delegieren können. Diesen Rechtsanspruch muss man tatsächlich verteidigen.Wir kommen noch darauf zurück.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist rechtswidrig, Beamte dürfen nicht streiken! Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis!)

Ich gehe davon aus, dass wir für die Menschenrechte eintreten – das ist jedenfalls die linke Position – und nicht für irgendwelche imaginären Werte des Westens, was immer das sein mag.

(Holger Bellino (CDU): Das war in der DDR auch schon so!)

Das ist sicherlich verbunden mit dem Vietnamkrieg und den jetzigen Kriegen. Das sind unsere Werte jedenfalls nicht, sondern wir stehen dafür, dass eine friedliche und solidarische Welt gestaltet wird. Das trifft auf viele Bereiche zu, nicht nur auf die internationale Kooperation, die wir wollen. Was Herr Rentsch jetzt noch einmal deutlich

gemacht hat, ist im Grunde der Wille zur Konkurrenz, zum Besiegen, zum Sieg. Das sind die alten Parolen, die wir aus der Welt schaffen sollten, weil wir ein kooperatives und solidarisches Verhältnis international, aber natürlich auch in der Bundesrepublik brauchen.Deshalb ist der Länderfinanzausgleich für mich ein wichtiger Faktor, in Ost und West, in Nord und Süd solidarisch miteinander umzugehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Landeshaushalt 2010 zementiert die soziale Ungerechtigkeit und verstärkt die Not öffentlicher Kassen. Mit dem Hessischen Sonderinvestitionsprogramm wird in Beton statt in Bildung, Umwelt und Soziales investiert. Die schwarz-gelben Steuersenkungen auf Pump verschärfen die Haushaltsnöte der öffentlichen Hand in Hessen und engen die zukünftigen Handlungsspielräume dramatisch ein. Statt jedoch darüber nachzudenken, inwieweit die großen Vermögen und das vagabundierende Kapital stärker besteuert und dann ordnungspolitisch gesteuert werden können, führen CDU und FDP sozialdarwinistische Debatten.

Meine Damen und Herren, es war immer das Kennzeichen sozialer und demokratischer Gesellschaften,dass die Leistungsträger auch leistungsgerecht besteuert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Während in fast allen Industriestaaten dieser Welt solche Steuern auf Vermögen und Kapital selbstverständlich sind und sämtliche Ökonomen die Besteuerung von Finanztransaktionen debattieren, führt gerade die CDU weiterhin Kulturkämpfe gegen die solidarische Besteuerung. Von Ihnen, Herr Koch, haben die Niedrigverdiener in Offenbach – Tarek Al-Wazir hat darauf hingewiesen – nichts zu erwarten und der Millionär im Taunus mehr Geld.

Meine Damen und Herren, wir haben vor uns den Haushalt einer Landesregierung, die aufgrund ideologischer Verbohrtheit nicht in der Lage ist, die offensichtlichen Lehren aus der Jahrhundertkrise zu ziehen,

(Beifall bei der LINKEN)

die kleinkariert und rechthaberisch an einer grundlegend verfehlten Politik festhält, die in ein ökonomisches Desaster geführt hat. Eine Regierung, die unfähig ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen und im Interesse der großen Mehrheit der hessischen Bürgerinnen und Bürger zu handeln – dagegen wehren wir uns.

Es warnen verschiedene Institute, darunter das keiner linker Alternative verdächtige Kieler Institut für Weltwirtschaft in einem gerade veröffentlichten Gutachten „Wege aus der Wachstumskrise“:

Eine Strategie des „Weiter so“ bedeutet eine Fortsetzung der hohen Unterbeschäftigung der vergangenen Jahrzehnte und eine Unterhöhlung der sozialen Marktwirtschaft. Denn bei dieser Strategie dürfte das Pro-Kopf-Einkommen im kommenden Jahrzehnt um wenig mehr als 1 % pro Jahr steigen, während der Produktivitätsfortschritt um die 1,5 % betragen dürfte.

Die Institute plädieren vor dem Hintergrund der Krise des Finanzmarktkapitalismus für einen „konsequenten Umbau in Richtung Energie- und Ressourceneffizienz, Umwelttechnologien und Klimaschutz“.

Was erleben wir stattdessen in Berlin und Wiesbaden? – Zwei völlig uninspirierte schwarz-gelbe Koalitionen, die

voodooartig mit alten neoliberalen Rezepturen von Steuersenkung, Wachstum und Konsolidierung den nächsten Angriff auf das öffentliche Gemeinwesen und den allgemeinen Menschenverstand blasen.

(Beifall bei der LINKEN – Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das waren alles kommunale Aufgaben!)

Die öffentlichen Konjunkturprogramme – so spät, zögerlich und unzureichend sie gerade in Deutschland zustande gekommen sind – wirken natürlich. Man muss allerdings davon absehen, dass durch die Strohfeueranlage der Programme hier und da Beton oder Facharbeiter fehlen und dass die Preissteigerungen bei den Kommunen angelandet sind. Deutlich nachhaltiger hätten sie noch wirken können, wenn in Hessen nicht vor allem in Beton und Asphalt, sondern in Menschen und Beschäftigung investiert worden wäre.

(Holger Bellino (CDU): Schulbauten sind keine Investitionen in Bildung?)

Wir brauchen ein Schulsystem mit kleineren Klassen und Ganztagsschulangeboten für alle. Wir brauchen eine vernünftige sozialpädagogische und schulpsychologische Betreuung an unseren Schulen. Wenn gestern Tausende von Lehrern, Eltern und Schülern für mehr Bildungsgerechtigkeit und ein gutes Bildungssystem auf die Straße gegangen sind,sollte diese Regierung die Proteste ernst nehmen, statt sie immer wieder zu delegitimieren und zu schikanieren.

Der soziale Inhalt Ihrer Bildungspolitik ist es, Eliten auf Kosten der Allgemeinheit zu fördern und die große Mehrheit zu vernachlässigen. Weiterhin ist die soziale Durchlässigkeit an hessischen Schulen erschreckend und zementiert in schwarz-gelber Konstellation die sozialen Verhältnisse. Es reicht halt nicht, einmal mit Millionenbeträgen die Schulen zu sanieren und dann ein besseres Schulsystem vorgaukeln zu wollen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): So ein Unsinn!)

Dass Sie, Herr Koch und Herr Hahn, das immer noch nicht verstehen, beweist Ihre Verbohrtheit, unter der Tag für Tag die Kinder leiden müssen.

Meine Damen und Herren, es ist ein kaum zu überbietendes Armutszeugnis für diese Landesregierung, dass sie nicht willens ist, die Mittel für die Schulsozialarbeit wenigstens auf dem geringen Niveau der vergangenen Jahre fortzuführen.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Sigrid Er- furth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Und es ist ein gesellschaftlicher Skandal, wenn gleichzeitig Eliteschmieden wie das House of Finance oder eine Privathochschule wie die EBS mit Millionengeldern aus Steuermitteln bestückt werden.