Protokoll der Sitzung vom 05.03.2009

Ich habe mir den Spaß gemacht:Was bedeutet eigentlich, dass wir uns um die Langzeitarbeitslosen kümmern?

Meine Damen und Herren, darf ich Sie ganz kurz darauf hinweisen, dass Herr Kollege Bocklet hier das Wort hat und niemand anderes? Ich möchte Sie bitten, im Saal etwas ruhiger zu sein und nicht so viel dazwischenzurufen. Herzlichen Dank.

(Leif Blum (FDP): Es lohnt sich, ihm zuzuhören!)

Danke. – Die Neuorganisation der Trägerschaft der Jobcenter ist ein Problem. Ein anderes Problem ist – da war ich noch Mitglied dieses Landtags; es war eine meiner ersten Aktivitäten,danach zu fragen –:Wie werden eigentlich die Eingliederungsmittel für die Langzeitarbeitslosen vor Ort ausgegeben? Kommen sie tatsächlich dort an? Eines der wichtigsten Ziele der Hartz-IV-Gesetzgebung waren Hilfen für Langzeitarbeitslose vor Ort.

(René Rock (FDP): Passgenau!)

Weil Sie da so hochgefahren sind,beziehe ich mich auf nur vier SPD-regierte Argen, nämlich Groß-Gerau, Gießen, Wetterau und Lahn-Dill.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Gießen ist CDU/FDP-regiert! Es wäre gut,wenn man sich vorher erkundigt!)

Das sind die aktuellen Zahlen der Landesdirektion, von Herrn Forell. Ich darf sie Ihnen gerne zitieren. Die Arge Groß-Gerau hat im Jahr 2008 4 Millionen c zurückgegeben, die Arge Gießen 3,5 Millionen c, der Wetteraukreis 3,4 Millionen c und der Lahn-Dill-Kreis 3 Millionen c. Das waren Ausschöpfungsgrade von knapp über 70 %. 30 % der Mittel für Langzeitarbeitslose wurden nicht ausgeschöpft und wurden zurückgegeben, so Olaf Scholz, der diesen Titel zur Sparbüchse des Bundeshaushaltes macht. Sie sollten lieber vor Ort Ihre Hausaufgaben machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Bocklet, wie ist es bei den anderen?)

Ich wiederhole:Was wir uns wünschen, ist – –

(Lebhafte Zurufe der Abg. Dr.Thomas Spies,Thor- sten Schäfer-Gümbel und Gerhard Merz (SPD))

Ist die Stimmung gut?

Meine Damen und Herren, noch einmal: Herr Kollege Bocklet hat das Wort. Ich darf Sie bitten, ihm zuzuhören und sich mit den Zwischenrufen etwas zurückzuhalten. Herr Kollege Merz, ich darf Sie bitten, sich mit den Zwischenrufen etwas zurückzuhalten und Herrn Kollegen Bocklet zuzuhören. Herzlichen Dank.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das fällt schwer!)

Ich möchte damit nur klarmachen: Wer mit einem Finger nach Berlin zeigt, zeigt mit vier Fingern auf sich selbst. Machen Sie Ihre Hausaufgaben in Berlin.Bringen Sie diesen Gesetzentwurf als Große Koalition zustande, und machen Sie vor Ort Ihre Hausaufgaben.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Helfen Sie den Langzeitarbeitslosen, indem Sie diese Mittel sinnvoll zur Wiedereingliederung verwenden. Geben Sie die Gelder nicht zurück zum Sparen in diesem Haushalt. Diese Große Koalition muss enden, und diese

Arbeitsmarktpolitik muss beendet werden. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg.Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Tatsache, dass wir uns überhaupt mit diesem Thema auseinandersetzen müssen, zeugt davon, dass die Änderungen in den Sozialgesetzbüchern – im Volksmund Hartz-Gesetze genannt – einfach nur ein schlechtes Gesetzeswerk hervorgebracht haben. Es ist schlecht, weil es den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gefährdet, weil es in die Armut führt und weil es Armut per Gesetz ist.

Nicht nur das: Die Gesetze sind darüber hinaus auch noch handwerklich schlecht gemacht und sind dementsprechend vom Bundesverfassungsgericht kritisiert und kassiert worden.

Wenn Sie von der SPD sich jetzt auf die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister beziehen und im Nachklapp gestern noch die CDU und die FDP einen Antrag vorgelegt haben,so möchten wir festhalten:Der Streit der CDU und damit der Großen Koalition zeigt, dass die Regierungsparteien in Berlin lieber Wahlkampf machen, als sich um eines der drängendsten Probleme in unserem Land, die Arbeitslosigkeit, und wie wir sinnvoll und vernünftig den Menschen helfen, zu kümmern,was eigentlich ihre Aufgabe wäre.

(Beifall bei der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Wie Sie das machen,sieht man an der Stadt Berlin!)

Wenn ein Gesetz nicht mit unserer Verfassung, unserem Grundgesetz vereinbar ist, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten, die Verfassungskonformität sicherzustellen. Die eine ist, eine Grundgesetzänderung anzustreben. Die andere wäre, sich an das Grundgesetz zu halten. Sie gestehen uns hoffentlich zu,dass wir die von Ihnen im Bund mit erlassenen Gesetze für alles andere als ein Erfolgsmodell halten, auch wenn Herr Spies das gestern noch so dargestellt hat.

Deswegen lassen Sie uns doch noch einmal darüber nachdenken, ob es nicht eine bessere Möglichkeit gibt, als den Verfassungsbruch durch eine Verfassungsänderung zu beheben. Wir LINKEN lassen uns dabei von folgenden Grundüberlegungen leiten. Aktuell gibt es eine Art Tauziehen zwischen denjenigen, die die Kommunalisierung wollen, und denjenigen, die die Bundesagentur für Arbeit stärken wollen. Im Übrigen, Herr Bocklet: Zurückgegebene Gelder gab es auch bei Optionskommunen.

(Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Im Namen der LINKEN kann ich dazu nur sagen,dass Erwerbslosigkeit ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, das man nicht einfach auf die Kommunen oder die Bundesagentur abwälzen kann. Diesbezüglich stehen wir als Land und auch der Bund in der Pflicht. Wir haben die Möglichkeit, mit vielen lokalen Akteuren konsequent die

Konsequenzen aus dem Bundessozialgerichtsurteil zu diskutieren, und das sollten wir auch tun. Wir haben es teilweise schon getan.Wir haben immer wieder den Eindruck gewonnen, dass die Entscheidung zwischen den real existierenden Optionskommunen und der real existierender Bundesagentur für viele wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera ist. Um zu einer Verbesserung zu kommen, muss sich die Bundesagentur zuallererst wieder darauf besinnen,dass sie vor allem einen sozialpolitischen Auftrag hat. Diesem sozialpolitischen Auftrag muss sie sich wieder verstärkt stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Rock, ganz sicher kann die Verbindung von lokaler Arbeitsvermittlung und z. B. Schuldnerberatung durchaus fruchtbar sein. – Es wäre schön, Sie würden mir wenigstens so viel Aufmerksamkeit schenken, wenn ich Sie direkt anspreche, dass Sie das Spielen mit Ihrem Taschenrechner lassen. Wenn wir derart unhöflich miteinander umgehen, können wir uns die Diskussion auch sparen.

(Clemens Reif (CDU): Der Herr ist ein Multitasking-Mensch!)

Offensichtlich nicht.Aber ich glaube, er kann spazieren gehen und Erdnüsse kauen.– Sie kann durchaus dazu führen, dass es sinnvolle Verknüpfungen gibt. In der Regel ist es aber so, dass die Verknüpfungen zu weiteren Sanktionierungsmaßnahmen missbraucht werden.Das ist eindeutig ein Eingriff in die Privatsphäre der Arbeitsuchenden und kann von der Kommune nicht benutzt werden, um Sanktionen auszusprechen.

Wenn ich mir Schuldnerberatung suchen möchte, dann tue ich das freiwillig.Wenn ich dazu von einer Behörde gezwungen werde und mein Arbeitslosengeld gekürzt werden kann, wenn ich das nicht annehme, dann kann das nicht der Weg sein, wie wir mit mündigen Bürgern umgehen. Das ist ganz einfach Willkür.

(Beifall bei der LINKEN)

Entscheidend ist, dass die Qualität der Beratung deutlich verbessert wird. Der Umgang mit Anspruchsberechtigten ist immer noch viel zu oft von dem Geist oder zumindest der unterschwelligen Einstellung geprägt, man habe es mit Untertanen zu tun, die zu erziehen oder zu belehren sind. Eine moderne Sozialpolitik sollte stattdessen von dem Bewusstsein geprägt sein, dass auf beiden Seiten des Tisches Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind und dass es sich auf der anderen Seite des Tisches um Menschen mit Rechten handelt.

Es liegt einiges im Argen, was die Beratungsqualität sowohl in den Argen als auch in den Optionskommunen anbelangt. Lassen Sie mich aber deutlich sagen: Es geht nicht um die Schelte der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur oder der Kommunen, sondern es handelt sich um ein strukturelles Problem, das sich in vielen Äußerungen spiegelt: Erwerbslose seien selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit; sie gäben ihr Geld lieber für Bier und Zigaretten aus;sie sollten sich Pullover stricken, wenn sie frieren. – Damit wird ein Klima geschaffen, das zusammen mit den unterschiedlichsten Handhabungen von Sanktionsmöglichkeiten zu einer Melange führt, die häufig weit entfernt ist von würdevollem Umgang.

Frau Kollegin, entschuldigen Sie ganz kurz. – Es ist enorm unruhig hier im Saal. Ich darf Sie bitten, die Gespräche einzustellen oder vor der Tür fortzuführen. Frau Kollegin Schott sollte als Rednerin die Aufmerksamkeit haben. – Herzlichen Dank.

Danke, Frau Präsidentin. – Aus unserer Sicht war das ein unterschwelliges Ziel der gesamten Hartz-Gesetzgebung. Wir sollten hier nicht darüber diskutieren, ob wir Option oder Arge oder was auch immer noch haben wollen. Wir sollten tatsächlich darüber diskutieren, wie wir Arbeitsplätze schaffen, wie wir Arbeitsplätze sichern, wie wir Erwerbslose sinnvoll qualifizieren und wie wir gewährleisten, dass Transferleistungen bei den Menschen ankommen und zum Leben reichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hier wird eine Diskussion geführt, die zwar notwendig, aber vordergründig ist und viel zu kurz greift. Es wird ein „Jeder, was er will“ zementiert, ohne dass es ein bundeseinheitliches Konzept gibt.Die unzähligen Klagen der Betroffenen, die überwiegend im Sinne der Kläger beschieden werden, sind ein deutlicher Nachweis dafür, dass es so nicht gehen kann. – Ich bedanke mich bei denen, die mir zugehört haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort für die Landesregierung hat Herr Sozialminister Banzer.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Für Arbeit, Familie und Gesundheit! – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das war ein Versprecher!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In komplizierten Situationen ist es wichtig, dass man sich zunächst auf die Punkte besinnt,in denen man sich einig ist. Ich halte es schon für wichtig, auch für die Punkte, die wir in den nächsten Wochen lösen müssen, dass wir festhalten, dass großes Einvernehmen besteht, dass die Grundidee der Hartz-Reform,Hilfe aus einer Hand zu gewähren, eine wichtige Lösung war, ein entscheidender Durchbruch war und dass wir gemeinsam versuchen müssen,diese Lösung aufrechtzuerhalten.Das sehen nicht alle Fraktionen in diesem Haus so, aber die meisten Fraktionen.

Dann haben wir uns die Probleme, die wir heute haben, selbst aufgebaut. Durch die Föderalismusreform I, die wir alle begrüßt haben, haben wir nun einmal den verfassungsmäßigen Druck auf die Argen erhöht; denn die Föderalismusreform I hat festgehalten: Es soll keine Mischzuständigkeiten von Kommunen und Bund geben. – Das ist aber nun einmal die Argen-Konzeption im Gegensatz zu der Optionslösung, die mir alleine aus diesem Grund sympathischer war. Erstens bin ich den Kommunen natürlich immer besonders verbunden, und zweitens ist das eine klare Zuständigkeit, weil es eben bei einem ist. Deswegen hatten wir in dieser Phase ein verfassungsmäßiges

Problem durch Entscheidungen, die gemeinsam getroffen worden sind, für die Argen aufgebaut, hatten aber im Optionsbereich das Problem der Befristung und der Begrenzung.

Das Problem ist – insoweit hat Herr Dr. Bartelt recht –, dass seit Dezember 2007 zur Lösung eines sehr komplexen Problems viel Zeit verschenkt worden ist,

(Petra Fuhrmann (SPD): Weil alle durcheinanderreden!)

weil verschiedene Positionen besetzt werden und man auch nicht ehrlich ist, wo die Unterschiede sind.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gut, dass wir darüber reden, Herr Minister!)