Protokoll der Sitzung vom 02.02.2011

Dazu gehört für uns auch die Trias: Wissen, Kompetenz und Werte. Dieser Dreiklang ermöglicht Persönlichkeitsentwicklung, Eigenverantwortung und verantwortungsbewusste Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben. Der Erwerb von inhaltsbezogenem, flexibel nutzbarem anschlussfähigen Wissen, auch als solide Basis für weiteres lebenslanges Lernen, ist dabei fundamental und durch nichts zu ersetzen. Wissen als Grundlage für alles andere. Dazu gehört auch das Fördern und Fordern, und dazu gehört auch die Frage, wie wir mit Kindern mit und ohne Behinderung umgehen. Auch dazu sage ich sehr deutlich: Jeder zählt.

Wenn man sich mit der UN-Behindertenrechtskonvention etwas näher befasst hat, dann stellt man fest, das zentrale Ziel dieser Konvention ist die Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen in allen Gesellschaftsbereichen. Vor diesem Hintergrund fordert die Behindertenrechtskonvention, dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund einer Behinderung vom Bildungssystem ausgeschlossen werden dürfen. – Richtig, und das wird jeder in diesem Raume unterschreiben. Es heißt aber auch, bei allen Lösungen ist vorrangig das Wohl des einzelnen Kindes – „best interest of child“, heißt es dort – zu berücksichtigen. Das heißt, es ist die Aufgabe der Staaten, für die Gewährleistung von hoch qualifizierten Bildungsangeboten gegebenenfalls besondere Vorkehrungen im Sinne von professionellen, speziellen Unterstützungsangeboten für den Einzelnen zu schaffen. Sonderpädagogische Institutionen zählen zu solchen besonderen Unterstützungsangeboten im Interesse von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen.

Herr Kollege Irmer, ich darf Sie bitten, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Gerade Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf eine optimale, passgenaue Ausgestaltung und Realisierung eines an sie gerichteten Bildungsangebots. Deshalb brauchen wir ein ausdifferenziertes Bildungssystem, das den unterschiedlichen Begabungen und unterschiedlichen Neigungen gerecht wird. Dies kriegen wir nur hin, wenn wir ein Schulsystem haben, das auf Wahlfreiheit und Schulformvielfalt setzt. Deshalb sind wir mit diesem Schulgesetz auf dem richtigen Weg.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): So ist es, richtig!)

Deshalb werden Sie mit uns nie auf einen Nenner kommen, wenn es darum geht, ob wir ein Einheitsschulsystem oder ein anderes System kriegen, das etwas mit Wahlfreiheit zu tun hat. – Wir bekennen uns zur Vielfalt statt zur Einfalt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Nun ist Herr Kollege Döweling für die FDP-Fraktion an der Reihe.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal zu Beginn der Debatte doch ein wenig mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass wir das Gesetz aufgrund der vorherigen Debatte zu einem solchen Zeitpunkt beraten.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wem sagen Sie das!)

Diese war aus meiner Sicht sachlich völlig richtig; denn es ist aus den vorherigen Äußerungen deutlich geworden, dass sich gerade in einem so wichtigen und zentralen Feld wie der Schulpolitik wiederum für einige in diesem Raume noch die Systemfrage zu stellen scheint: von der Planwirtschaft und vom Sozialismus hin zu Wahlfreiheit und mehr Selbstständigkeit. Deshalb war diese Debatte vorhin wichtig und richtig, auch wenn ich bedauere, dass uns so nur dieser Zeitpunkt zur Verfügung steht. Ich würde mir für die zweite Lesung dieses Gesetzentwurfs – das sei einmal an alle Fraktionen gerichtet – ein bisschen mehr Redezeit wünschen; denn ich denke, dass es hierzu einiges zu sagen gäbe.

Ich möchte mich auch weniger mit den Dingen beschäftigen, die die Debatte und die Berichterstattung zum Schulgesetz aus meiner Sicht im Vorfeld ein bisschen zu Unrecht dominiert haben, wie Fragen der Performance. Bei der Pressekonferenz wurde gefragt, warum der Ministerpräsident mitgeht, und Ähnliches. Als Ministerpräsident scheint man es wirklich nicht leicht zu haben.

(Zuruf von der SPD: Eieiei!)

Vorhin in der Debatte wurde bemängelt, dass er sich zentralen Fragen in diesem Lande nicht annehmen würde. In der Bildungspolitik tut er es. Das ist richtig. Das ist gut so. Auch da hat die Opposition wieder etwas zu meckern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich kann auch nicht verstehen, warum es immer wieder die gleichen Beißreflexe gibt. Herr Wagner hat in oberlehrerhafter Manier – wie wir das von den GRÜNEN gewohnt sind – die Kultusministerin eindringlich belehrt, was an diesem Gesetzentwurf schon wieder alles schlecht sei.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Das sind die alten Beißreflexe. Der Schuldackel bellte wieder.

(Beifall bei der FDP)

Herr Wagner, was Sie hier abgezogen haben, ist eine Farce.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Dobermann, halten Sie sich zurück!)

Herr Wagner, Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die Ressourcen im Haushaltsplan und nicht im Schulgesetz geregelt werden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Sie erwecken hier den Eindruck, als könne man das dort festlegen. Herr Wagner, das ist wirklich eine Farce. Damit ist ein Punkt erreicht, an dem Ihnen doch ein wenig die Ernsthaftigkeit abhanden zu kommen scheint.

Sie sagen, Sie waren in Schulen. Auch ich war in der letzten Woche in Schulen.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Dort wurde überall einmütig gelobt, dass wir uns nicht von blindem Reformeifer haben treiben lassen, sondern dass wir einen Gesetzentwurf mit Augenmaß und Verstand vorgelegt haben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Es wurde auch die Ankündigung der Kultusministerin gelobt, die 101-prozentige Lehrerversorgung vorrangig den Schulen zu gewähren, die sich auf den Weg in die Selbstständigkeit begeben wollen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das glaube ich nicht! Waren Sie in der FDP-Parteischule?)

Auch an den Schulen weiß man um die Haushaltslage des Landes. Auch vor dem Hintergrund, dass in anderen Bundesländern Lehrerstellen gestrichen werden, ist das, was wir an Lehrerstellen geschaffen haben – bis Ende der Legislaturperiode wollen wir die 105-prozentige Lehrerversorgung perspektivisch schaffen; davon können Sie überzeugt sein –, ein Meilenstein in der hessischen Bildungspolitik. Darum werden wir in anderen Bundesländern beneidet.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich lasse es nicht zu, dass Sie in Ihrer Oberlehrermanier immer wieder alles schlechtreden.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie Hunger?)

Ich denke in der Tat, dass wir mit diesem Schulgesetzentwurf den Anforderungen an eine moderne Schule gerecht werden. Das darf ich noch einmal sagen, weil hier kolportiert wurde, wir hätten viel versprochen und würden wenig halten.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)

Herr Wagner, schauen Sie in den Koalitionsvertrag. Legen Sie einmal das Schulgesetz daneben. Schauen Sie sich an, welche Projekte wir sonst noch am Laufen haben. Dann werden Sie sehen: Wenn dieses Gesetz und das Lehrerbildungsgesetz verabschiedet sind, haben wir 85 bis 90 % des Koalitionsvertrags hinsichtlich der Bildung verabschiedet. Dann haben wir das erledigt – und das nach noch nicht einmal der Hälfte der Legislaturperiode.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Das ist das Problem! Ich hätte das Problem nicht besser zusammenfassen können! – Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist eine Leistung. Die lasse ich mir von der Opposition in diesem Land nicht schlechtreden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Wagner, Selbstständigkeit und Wahlfreiheit sind die Prämissen, die diesem Gesetzentwurf zugrunde liegen. Kollege Irmer hat das auch schon ausgeführt. Selbstständigkeit und mehr Freiheit für die Schulen ist etwas – PISA wird in diesem Zusammenhang oft zitiert –, was wir von den Ländern lernen können, die bei PISA weit vorne sind.

(Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Frau Habermann, wir haben nicht überall die Einheitsschule. Wir haben ganz verschiedene Systeme. Aber vieles haben diese gemeinsam, nämlich dass die Schulen in pädagogischer und organisatorischer Hinsicht selbstständiger und freier agieren können. Genau das haben wir in diesen Gesetzentwurf hineingeschrieben und hat die Kultusministerin verwirklicht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

Ich hatte jüngst Gelegenheit, mit Bildungspolitikern anderer Bundesländer zusammenzutreffen.

(Heike Habermann (SPD): Von der FDP!)

Dieser Gesetzentwurf ist einmalig, was das Ausmaß der Regelungen angeht, die zur Selbstständigkeit und Freiheit getroffen werden. Denn es ist das eine, wenn ich einen Gesetzentwurf aus der Opposition vorlege und hineinschreibe: „Wir wollen selbstständige Schulen.“ Das ist ein Wort. Es ist aber etwas anderes, wenn ich als Regierung, als Regierungsfraktion handele. Der Teufel steckt nun einmal im Detail, gerade was die selbstständigen Schulen angeht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Heike Habermann (SPD))

In diesen Gesetzentwurf sind die Erfahrungen der SVplus-Schulen, die Erfahrungen und die vielen Wünsche der vielen anderen Schulleiter eingeflossen, sei es die Rechtsfähigkeit, die nun endlich für die beruflichen Schulen in Verbindung mit dem Hessencampus kommen wird, seien es die vielen anderen Möglichkeiten. Es ist wirklich ein Meilenstein in diesem Bereich.

Sie dürfen aber eines nicht verwechseln. Das scheint mir aufseiten der Opposition in diesem Hause häufig vorzukommen. Selbstständigkeit und Freiheit bedeuten immer auch eine Verantwortung und einen Rahmen, in dem ich mich bewege. Es bedeutet nicht Anarchie ohne Noten, und dass jede Schule macht, was sie will,

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Lachen des Abg. Gerhard Merz (SPD))

sondern es gibt einen klaren Rahmen. Herr Kollege Merz, das ist im Interesse unserer Kinder, damit sie, wenn sie die Schule wechseln, wenn sie an eine andere Schule möchten, nicht plötzlich vor verschlossenen Türen stehen.