Protokoll der Sitzung vom 31.08.2017

Innerhalb seines Aufgabenkreises hat der Betreuer dazu beizutragen, dass Möglichkeiten genutzt werden, die Krankheit oder Behinderung des Betreuten zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.

Das ist eine ganz große Aufgabe. Zu den Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen gibt es bei den Beteiligten viele Unsicherheiten. Da ist eine gute Beratung unerlässlich. Auch das gehört zur Querschnittsaufgabe der Betreuungsvereine. Sie müssen bei allen Angelegenheiten immer gut informiert sein und die neuesten Entwicklungen bezüglich der Gesetze und der Rechtsprechung kennen. Diese hat sich in den letzten Jahren häufig und sehr schnell geändert. Was wir gestern noch rechtlich als vollständige Ausstattung betrachtet haben, hat sich nach einigen Gerichtsurteilen wieder verändert. Deshalb muss das ständig

auf dem Laufenden gehalten werden. Deswegen muss die notwendige Beratung da sein.

(Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Diese anspruchsvolle Arbeit können eben viele, die Betreuung machen, nicht so einfach einmal neben der beruflichen Tätigkeit her erledigen. Das ist die aktuelle Situation. Die Betreuungsvereine müssen mehr Betreuung beruflich durchführen, um die Querschnittsarbeit durchführen zu können. Das ist aber nicht in Ordnung. Das darf nicht sein. Deshalb ist die Landesregierung verpflichtet, die Vereine besser auszustatten.

Die Kommunalisierung der Mittel ist nicht geeignet, den Anforderungen zu entsprechen. Nicht alle Betreuungsvereine erstrecken sich auf Landkreise oder Städte. Es geht um eine Pflichtaufgabe, die im ganzen Land gleichermaßen geleistet werden muss und die sonst keine öffentliche Einrichtung macht. Es ist vollkommen richtig, dass von den Wohlfahrtsverbänden auf die Erweiterung der Aufgaben durch § 1908f Bürgerliches Gesetzbuch verwiesen wird.

Wenn die Landesregierung jetzt behauptet, dass im Gesetz keine Vorgaben zur Quantität stehen würden, ist das falsch. Alle Anfragen der Bevölkerung müssen in vertretbarem Zeitraum, also kurzfristig, weil meistens Eile geboten ist und es Not gibt, gründlich bearbeitet werden.

Woher die Kommunen die zusätzlichen Mittel haben sollen, um die Betreuungsvereine zu fördern, bleibt zumindest bei den vielen Kommunen, die nicht ausgeglichene Haushalte haben, völlig unklar. Die meisten, die es geschafft haben, ihren Haushalt auszugleichen, haben schon alles gestrichen, was gestrichen werden konnte. Sonst würde ihnen nämlich die Finanzaufsicht auf die Finger hauen.

Der Betreuungsverein kann auch nicht entscheiden, ob er die Beratung macht oder nicht, da seine Anerkennung davon abhängig ist, dass er planmäßig über Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen informiert. Nicht zu vergessen ist dabei die Aufgabe, ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer zu gewinnen. Auch das ist eine gesetzliche Aufgabe der Betreuungsvereine. Der müssen sie nachkommen.

Wohlfahrtsverbände, Städtetag und Landkreistag haben in der Anhörung die Notwendigkeit betont, die Bildung regionaler Facharbeitskreise ins Gesetz aufzunehmen, um Absprachen treffen zu können und den Austausch zu gewährleisten. Die Praxis zeigt: Nur wenn die Betreuungsbehörde bei der Kommune genügend Personal hat, finden diese Arbeitskreise tatsächlich statt.

Ich finde das wichtig. Denn das sind meistens die einzigen kollegialen Ansprechpartner, die die Betreuerinnen und Betreuer sowie die Vereine haben. Es muss gemeinsam mit den Vertreterinnen und Vertretern der Gerichte und Behörden etwas stattfinden, um die Interesen der Betreuten wirklich zur Geltung zu bringen.

Solange es noch keine verpflichtende Fortbildung von Betreuerinnen und Betreuern gibt, ist es ganz wichtig, dass auf die notwendige Qualifikation geachtet wird.

Das sind die Gründe, aus denen wir den Gesetzentwurf ablehnen. Wir brauchen keine Befristungen, keine Überarbeitung von Gesetzen, wenn nicht die tatsächlich vorhandenen Probleme endlich angegangen werden. Was wir hier machen, nämlich die Gesetze aufrufen, um einfach ihre Gel

tungsdauer zu verlängern, das ist doch nur reiner Bürokratieaufwand, der das Parlament beschäftigt.

(Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Wir müssen vielmehr inhaltlich genau hinschauen und die Dinge angehen, die wirklich angegangen werden müssen. Dabei sehen wir die Landesregierung in der Pflicht, die Entwicklung der Betreuung in Hessen genauer in den Blick zu nehmen. Der Ausschluss von Menschen mit Beeinträchtigungen vom Wahlrecht wurde gerade erst bundesweit gerügt. Wenn in Hessen jedoch viel mehr Menschen als in anderen Bundesländern vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, weil sie eine Betreuung in allen Angelegenheiten haben, dann muss dies dringend überprüft werden.

Wir überlegen daher sehr genau, ob wir dafür einen Gesetzentwurf vorbereiten, um für diese Personengruppe die Möglichkeit zu schaffen, an Wahlen teilzunehmen. Sie sollten sich die entsprechende Statistik einmal anschauen. Hessen liegt da ganz weit vorne, was in dem Falle bedeutet: ganz weit hinten. – Herzlichen Dank.

(Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Danke, Frau Schott. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich zu diesem Tagesordnungspunkt Herr Bocklet gemeldet.

Herr Präsident, ich bedanke mich, dass es Ihnen gelungen ist, mich zum richtigen Tagesordnungspunkt aufzurufen und mir das Wort zu erteilen. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Klaff-Isselmann hatte bereits ausgeführt, dass es einer Verlängerung der Geltungsdauer dieses Gesetzes bedarf.

Zwei weitere Voraussetzungen wurden erwähnt. Es hat den Eindruck, dass auch aus den Oppositionsfraktionen von SPD und FDP zu diesem Punkt Zustimmung kommt. Lediglich DIE LINKE hat, wie gerade gehört, ihre Ablehnung begründet.

Ich hatte bereits in der ersten Lesung ausgeführt, dass ich das Glück hatte, selbst einmal bei einem Betreuer hospitieren zu dürfen. Ich habe ihn einen Tag lang begleitet. Diese Aufgaben sind unfassbar umfangreich, wobei die Stundenvergütung von der Bundesebene noch immer nicht so auskömmlich finanziert ist, wie man es sich wünschen könnte. Die Betreuer übernehmen für den Staat unglaublich viele wichtige Aufgaben und sind insofern betriebswirtschaftlich sehr günstig.

Man muss sich einmal überlegen, welche Aufgaben dort übernommen werden. Würden diese Menschen, die zum Teil gesetzlich nicht mehr mündig sind, beispielsweise in einer Einrichtung untergebracht werden und nähmen dort täglich professionelle Unterstützung in Anspruch, wäre das alles um ein Vielfaches teurer. Die Betreuungsvereine sind also sehr sinnvolle sozialpolitische Einrichtungen, die wertvolle Arbeit leisten.

Wir bedanken uns für die Arbeit, die diese Vereine für die Menschen und die Gesellschaft leisten. In einem ersten Schritt verlängern wir nun die Geltungsdauer dieses Gesetzes, und alles Weitere, was für die Betreuungsvereine

und für die Berufsbetreuer noch zu tun ist, klären wir zu späterer Stunde. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Danke, Herr Bocklet. – Für die Landesregierung erteile ich Staatsminister Grüttner das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar, dass die Redner aller Fraktionen die Wichtigkeit von Betreuung – sowohl ehrenamtlicher als auch beruflicher Art – dargestellt haben und hier auch die Betreuungsvereine eine ganz wesentliche Rolle spielen.

Ich möchte Ihnen einige Zahlen nennen, die die Entwicklung im Bereich der Vorsorge verdeutlichen, auch innerhalb von Familien und bei Einzelpersonen. Das Thema „rechtliche Vorsorge“ ist in der Zwischenzeit gesellschaftsfähig geworden. Beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer sind in diesem Jahr über 3 Millionen Vorsorgeverfügungen hinterlegt worden. Darüber hinaus gibt es eine nicht einschätzbare Anzahl von Vorsorgevollmachten, die privat bzw. im Rahmen der Familie oder im Freundeskreis hinterlegt worden sind.

Man sieht an dieser Stelle, dass Betreuungsvereine, aber auch Betreuungsbehörden einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag haben. Beiden Institutionen schreibt der Gesetzgeber die Aufgabe zu, die Bevölkerung über Fragen der rechtlichen Vorsorge und Betreuung zu informieren und zu beraten. Im Übrigen gehört die gemeinsam mit dem Justizministerium herausgegebene Broschüre zum Betreuungsrecht zu den meistangeforderten Broschüren bei der Hessischen Landesregierung. Das sollte man gar nicht glauben, aber dem ist so.

Die Einzelheiten zum vorliegenden Ausführungsgesetz sind schon dargestellt worden. Auf einige der angesprochenen Fragen will ich kurz eingehen. Auch hier möchte ich eine Zahl nennen. Wir haben zurzeit insgesamt 1,27 Millionen Betreuungsverfahren. Davon werden heute immer noch weit über 50 % ehrenamtlich geführt. Hier wird die Bedeutung von Betreuungsvereinen, die über ein gut funktionierendes Netz verfügen, ganz besonders deutlich.

Ich habe im Ausschuss und auch bei der Einbringung schon gesagt, dass mit dem Beschluss der Landesregierung zum Haushalt eine Erhöhung der finanziellen Zuschüsse über die kommunalisierten Mittel in nicht unbeträchtlichem Maße für die Betreuungsvereine in Hessen umgesetzt worden ist. Es ist richtig, dass wir im Rahmen der abzuschließenden Zielvereinbarungen sehr genau darauf hinwirken müssen, dass diese auch zielgerichtet eingesetzt werden.

Mit den zur Verfügung gestellten Mitteln könnten jetzt beispielsweise neue Betreuungsvereine gefördert werden. Das betrifft Vereine, die entweder schon in Gründung sind, wie im Landkreis Offenbach, oder solche, die sich noch in Planung befinden. Betreuungsvereine, die bislang nicht aus kommunalisierten sozialen Mitteln unterstützt wurden, können auf diese Weise in Zukunft ebenfalls eine Unterstützung bekommen. Das werden wir in unseren Zielver

einbarungen, die wir mit den Kommunen abschließen, sehr genau nachhalten.

Wir sehen es jedes Jahr erneut beim Hessentag, wenn ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer ausgezeichnet werden, die über viele Jahre hinweg eine solch verantwortungsvolle Aufgabe wahrnehmen. Sie brauchen den Rahmen innerhalb eines Betreuungsvereins, wenn sie auf ehrenamtlicher Ebene tätig sind. Auf diese Weise kann eine größere Nähe zu betreuten Personen geschaffen werden, als sie entstehen könnte, wenn man über einen gerichtlich festgestellten Betreuer eine Betreuung organisieren wollte.

In der Frage des Umgangs mit den zu Betreuenden muss auch immer der Aspekte von Empathie, von Nähe usw. mitberücksichtigt werden. Hier leisten Betreuungsvereine eine unverzichtbare Arbeit, und deshalb verdienen sie unsere Unterstützung. Mit dem Ausführungsgesetz schaffen wir den Rahmen und mit dem Haushalt die finanziellen Möglichkeiten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Rock (FDP))

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Wir sind damit am Ende der Aussprache angelangt.

Damit kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Betreuungsrecht. Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD. Wer ist dagegen? – Die Fraktion DIE LINKE. Damit wird dieser Gesetzentwurf zum Gesetz erhoben.

Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 13 auf:

Große Anfrage der Abg. Merz, Alex, Decker, Di Benedetto, Gnadl, Roth, Dr. Sommer (SPD) und Fraktion betreffend Kinderbetreuung in Hessen – Drucks. 19/ 4881 zu Drucks. 19/3810 –

Die Aussprachezeit ist auf zehn Minuten festgesetzt. Als Erster hat sich für die SPD-Fraktion Herr Merz zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diesmal wird es nicht so kurz, und es wird auch nicht so friedlich abgehen wie eben. Es wird unvermeidlich sein, im Rahmen der Aussprache – jedenfalls in meinem Teil – auf ein paar Aspekte einer Debatte einzugehen, die wir gestern geführt haben, und diese Aspekte in einen anderen Kontext zu stellen.

Lassen Sie mich zunächst einige grundsätzliche Ausführungen machen. Mit der Antwort auf diese Große Anfrage ist es im Grunde so wie mit allen Berichtsanträgen und mündlichen Fragen, die man an die Landesregierung richtet, wenn es um Jugendhilfe geht. Die Landesregierung antwortet darauf mantraartig: Das ist kommunale Aufgabe. Das ist kommunale Aufgabe. Das ist kommunale Aufgabe. – Dazwischen könnte man noch jeweils ein „Om“ einfügen, um die geistige Grundhaltung in diesem Zusammenhang zu charakterisieren.

Wenn ich polemisch wäre, was ich bekanntermaßen nicht bin – –

(Zurufe von der CDU: Oh! – Ach!)

Ich wollte nur wissen, ob Sie wach sind. – Also, wenn ich polemisch wäre, was ich Gott sei Dank nicht bin, würde ich sagen: Das ist organisierte Ahnungslosigkeit, die sich in dem Satz zusammenfassen lässt: Wir wissen es nicht, und wir wollen es auch nicht wissen. – Auch diesen Satz habe ich hier schon oft vorgetragen. Das springt einen geradezu an, wenn man die Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage studiert.

(Beifall bei der SPD)

Das wäre vielleicht noch nicht so schlimm, wenn man aus dieser organisierten Ahnungslosigkeit bzw. aus dieser vorgetäuschten organisierten Ahnungslosigkeit nicht auch eine Art organisierte Verantwortungslosigkeit schlussfolgern würde.

(Beifall bei der SPD)

Denn die Wahrheit ist, dass Planung und Steuerung in weiten Bereichen der Jugendhilfe in einem irgendwie geordneten und den Begriffen Planung und Steuerung entsprechenden Sinne im Lande Hessen nicht stattfinden. Weil das so ist, findet auch keine angemessene finanzielle Beteiligung des Landes an den Kosten statt. Man kann das Argument auch umdrehen: Weil man sich aus gutem Grund zu einer angemessenen finanziellen Beteiligung des Landes an den Kosten der Jugendhilfe nicht durchringen kann – ich rede hier natürlich in allererster Linie über die Kosten der Kinderbetreuung, nicht über den Teil der Hilfen nach § 27 ff. –, will man auch nicht planen und steuern. Weil man das nicht will, will man auch nicht so ganz genau wissen, was sich eigentlich im Lande abspielt. Oder man will so tun können, als würde man es nicht so genau wissen.